Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 20.05.2008, Az.: 1 A 214/05

Aufenthaltserlaubnis nach ARB 1/80

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
20.05.2008
Aktenzeichen
1 A 214/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 45351
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2008:0520.1A214.05.0A

Amtlicher Leitsatz

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 erfordert eine ununterbrochene einjährige Beschäftigung beim gleichen Arbeitgeber

Tatbestand:

1

Der Kläger wendet sich gegen die nachträgliche zeitliche Verkürzung seiner Aufenthaltsgenehmigung.

2

Er ist türkischer Staatsbürger und reiste erstmals am 29.12.1999 nach Deutschland ein. Sein unmittelbar nach der Einreise gestellter Antrag auf politisches Asyl wurde im Jahr 2001 rechtskräftig abgelehnt. Am 12.07.2001 heiratete er eine deutsche Staatsangehörige. Aufgrund der Eheschließung wurde ihm nach Beschaffung eines türkischen Passes am 03.12.2001 eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 11.07.2002 erteilt. Diese wurde laufend, zuletzt am 12.06.2003, bis zum 11.07.2005 verlängert. Am 30.09.2003 haben der Kläger und seine Ehefrau bei dem Einwohnermelderegister angegeben, dass sie seit dem 06.08.2003 getrennt leben.

3

Daraufhin hat die Beklagte mit Bescheid vom 13.11.2003 die Aufenthaltserlaubnis des Klägers nachträglich auf den 31.12.2003 beschränkt und ihn aufgefordert bis zum 31.01.2004 Deutschland freiwillig zu verlassen. Außerdem wurde ihm die Abschiebung angedroht, wenn er nicht freiwillig ausreist. Zur Begründung führte die Beklagte an, dass mit der Trennung von seiner deutschen Ehefrau eine für die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung wesentliche Voraussetzung entfallen sei. Es bestehe auch aus keinem anderen Grund ein Aufenthaltsrecht. Insbesondere könne der Kläger ein Aufenthaltsrecht nicht aus Art. 6 Abs. 1 1.Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (ARB 1/80) herleiten, weil er nicht mindestens ein Jahr ununterbrochen bei dem gleichen Arbeitgeber, hier der Firma "E.", rechtmäßig beschäftigt gewesen sei. Seine längste bescheinigte Beschäftigungsdauer habe nur acht Monate betragen. Es sei deshalb ermessensgerecht, die Aufenthaltsgenehmigung des Klägers zeitlich zu beschränken.

4

Anfang April 2004 ist der Kläger nach G. gezogen. Am 03.06.2005 hat er die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis beantragt. Über den Antrag ist bisher noch nicht entschieden worden.

5

Sein gegen den Bescheid eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.08.2005, dem Kläger zugestellt am 08.08.2005, mit der gleichen Begründung wie im Ausgangsbescheid zurück.

6

Am 31.08.2005 hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben, die er damit begründet, dass er in der Zeit vom 18.06.2002 bis 18.09.2003 zwar nicht ununterbrochen, aber über ein Jahr beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt gewesen. Die Unterbrechungen seiner Beschäftigung seien aber unschädlich, weil es sich um Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit gehandelt habe. Darüber hinaus sei er noch während des Geltungszeitraums seiner Aufenthaltserlaubnis über ein Jahr bei der Firma "F." in der Zeit vom 01.06.2004 bis 17.07.2005 als Vollzeit und vom 18.07.2005 bis 31.10.2005 auf geringfügiger Basis beschäftigt gewesen.

7

Der Kläger beantragt,

  1. den Bescheid vom 13.11.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2005 aufzuheben.

8

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

9

Zur Begründung verweist sie auf die Begründung im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid. Ergänzend trägt sie vor, Beschäftigungszeiten nach der verfügten zeitlichen Beschränkung der Aufenthaltsgenehmigung fänden keine Berücksichtigung, weil es sich nicht um Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gehandelt habe. Der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid bewirke nämlich nur, dass der Bescheid nicht vollziehbar geworden sei, führe aber nicht zu einem rechtmäßigen Aufenthalt. Dies sei aber Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Beschäftigung.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte und den vom Gericht beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

11

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

12

Die nachträgliche zeitliche Verkürzung der Aufenthaltsgenehmigung des Klägers ist rechtmäßig und verletzt ihn deshalb nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

13

Der Kläger ist insbesondere noch klagebefugt. Die nachträgliche Verkürzung seiner Aufenthaltserlaubnis hat sich nämlich auch nicht dadurch auf sonstige Weise erledigt (§ 43 Abs. 2 VwVfG), dass die ursprüngliche Geltungsdauer der beschränkten Aufenthaltserlaubnis am 11.07.2005 abgelaufen und seine Aufenthaltserlaubnis daher spätestens zu diesem Zeitpunkt erloschen wäre (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Denn sie entfaltet ungeachtet dessen auch gegenwärtig und künftig noch Rechtswirkungen in Bezug auf die Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts im Bundesgebiet in dem Zeitraum, um den die Geltungsdauer verkürzt worden ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Ausländer - wie der Kläger - rechtzeitig vor Ablauf der ursprünglichen Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis einen Verlängerungsantrag gestellt hat. Denn die Beschränkung verkürzt die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts und die Dauer des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis. Dies wirkt sich nachteilig auf die für die Entscheidung über den Verlängerungsantrag möglicherweise erhebliche rechtliche Verfestigung des Aufenthalts aus. Auch kann die Verkürzung der Geltungsdauer des Aufenthaltstitels für die Dauer ordnungsgemäßer Beschäftigung i.S.d. Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erheblich sein (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.10.2007 - 11 S 2967/06 -, juris).

14

Für die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der nachträglichen zeitlichen Verkürzung eines befristeten Aufenthaltstitels ist auf die Sach- und Rechtlage im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.07.2003, NVwZ 2004, 245 [BVerwG 01.07.2003 - 1 C 32.02] m.w.N.). Das ist hier der Tag der Zustellung des Widerspruchsbescheides am 08.08.2005. Rechtsgrundlage ist deshalb § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Danach kann eine befristete Aufenthaltsgenehmigung nachträglich zeitlich verkürzt werden, wenn eine für ihre Erteilung oder die Bestimmung der Geltungsdauer wesentliche Voraussetzung entfallen ist. Das gilt allerdings nicht, wenn dem Ausländer im maßgeblichen Zeitpunkt ungeachtet des Wegfalls einer solchen Voraussetzung ein Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis aus einem anderen Rechtsgrund zusteht, etwa weil er ein Recht zum Aufenthalt nach Art. 6 ff. ARB 1/80 besitzt (vgl. VGH Baden-Württemberg, a.a.O.). Ist letzteres nicht der Fall, sind bei der Ausübung des nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eröffneten Ermessens die eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigenden öffentlichen Belange gegen die privaten Interessen des Ausländers am weiteren Verbleib in der Bundesrepublik pflichtgemäß abzuwägen.

15

Gemessen daran ist die im Bescheid vom 13.11.2003 verfügte nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis des Klägers rechtmäßig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind erfüllt. Wesentliche Voraussetzung für die erteilte Aufenthaltserlaubnis an den Kläger war die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen. Durch die Trennung seit dem 06.08.2003 bestand die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr und die für die Erteilung des Aufenthaltstitels wesentliche Voraussetzung lag nicht mehr vor. Auch bestand aus sonstigen Gründen kein Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis. In Betracht kämen hier insbesondere § 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG und Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80.

16

Nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Fall der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzuges unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens zwei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat. Dies ist beim Kläger nicht der Fall. Der Zeitraum während dessen die Ehe zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau rechtmäßig in Deutschland bestanden hat, begann mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis am 03.12.2001. Am Tag der Trennung (06.08.2003) wurde die Ehe lediglich 1 Jahr und gut 8 Monate rechtmäßig in Deutschland gelebt.

17

Dem Kläger steht auch kein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 zu. Die Vorschrift bestimmt, dass vorbehaltlich der Bestimmung in Art. 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung, der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedsstaat nach einem Jahr ordnungsmäßiger Beschäftigung einen Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber hat, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften verleiht diese Bestimmung, der unmittelbare Wirkung zuerkannt worden ist, türkischen Arbeitnehmern ein individuelles Recht im Bereich der Beschäftigung und ein damit einhergehendes Aufenthaltsrecht (vgl. EuGH, Urteil vom 26.10.2006 (Güzeli), InfAuslR 2007, 1 ff. [EuGH 26.10.2006 - C-4/05]). Am 08.08.2005 stand dem Kläger kein Beschäftigungsrecht und damit auch kein Aufenthaltsrecht nach dieser Vorschrift zu. Zwar verfügte er zu diesem Zeitpunkt insgesamt über einen ordnungsgemäßen Beschäftigungszeitraum von mehr als einem Jahr bei der Firma "E.". Er hat seine Beschäftigung allerdings nicht ununterbrochen ein Jahr ausgeübt. Vielmehr war er in der Zeit vom 18.06.2002 bis 19.09.2002, 18.11.2002 bis 20.12.2002 und vom 10.01.2003 bis 18.09.2003 bei der Firma beschäftigt. In den Zeiten dazwischen war er arbeitslos gemeldet. Entgegen der Auffassung des Klägers kann er sich nicht auf Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 berufen. Danach werden die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit die von den zuständigen Behörden festgestellt worden sind, zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche. Aus der Formulierung "Ansprüche" ergibt sich, dass Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit erst zu berücksichtigen sind, wenn die Jahresschwelle des Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 erreicht bzw. überschritten worden ist. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass es sich um vorherige Beschäftigungszeiten handelt, die ausreichend lang sind, um einen Anspruch auf die Beschäftigung zu begründen. Der Kläger war in der längsten Zeit gut 8 Monate bei der Firma "E." beschäftigt. Eine solche Beschäftigungsdauer begründet noch keinen Anspruch im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 (vgl. EuGH, Urteil vom 26.10.2006 (Güzeli), InfAuslR 2007, 1, 3 [EuGH 26.10.2006 - C-4/05]).

18

Auch seine noch während des Geltungszeitraums seiner Aufenthaltserlaubnis bis 11.07.2005 ausgeübte Beschäftigung bei der Firma "F." vom 01.06.2004 bis 17.07.2005 begründete keinen Anspruch nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80. Es handelt sich nämlich nicht um eine ordnungsgemäße Beschäftigung im Sinne dieser Vorschrift. Der Begriff "ordnungsgemäße Beschäftigung" setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus (vgl. VGH Baden-Württemberg, a.a.O.). Die Beschäftigung muss grundsätzlich auf der Grundlage einer die Arbeitsaufnahme gestattenden Aufenthaltsgenehmigung oder einer entsprechenden Arbeitsgenehmigung ausgeübt worden sein. Dies ist nach Zustellung der angefochtenen nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer seiner Aufenthaltserlaubnis am 13.11.2003 nicht mehr der Fall. Denn nach § 84 Abs. 2 AufenthG (früher § 71 Abs. 2 AuslG) bleibt die Wirksamkeit der nachträglichen Verkürzung der Aufenthaltserlaubnis unbeschadet der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und der Klage unberührt. Das bedeutet, dass lediglich die Vollziehbarkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes gehemmt ist, aber die ausländerrechtliche Wirksamkeit bestehen bleibt. Mit der Zustellung des Bescheides vom 13.11.2003 hielt sich der Kläger ohne die notwendige Aufenthaltserlaubnis und deshalb rechtswidrig in Deutschland auf. Seit diesem Zeitraum kann er deshalb nicht mehr einer ordnungsgemäßen Beschäftigung nachgehen. Damit hat der Kläger keinen Anspruch auf eine Aufenthaltsgenehmigung und die Tatbestandsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG liegen vor.

19

Die Beklagte hat bei der Entscheidung der Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis unter Hinweis auf die Zielvorstellung des Gesetzgebers bei Erlass des Aufenthaltsgesetzes das ihr eingeräumte Ermessen in einer nach § 114 VwGO nicht zu beanstandenen Weise ausgeübt.

20

Die Rechtmäßigkeit der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung folgt aus § 102 AufenthG i.V.m. § 50 AuslG.

21

Nach alledem ist der Bescheid vom 13.11.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2005 rechtmäßig.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

23

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.