Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 21.05.2008, Az.: 1 A 390/07

Beantragung von Pässen bei Serbischen Generalkonsulaten unzumutbar für Kosovaren; Kosovaren; Passpflicht

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
21.05.2008
Aktenzeichen
1 A 390/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 45353
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2008:0521.1A390.07.0A

Amtlicher Leitsatz

Derzeit ist es für Kosovaren unzumutbar, sich wegen Beantragung eines neuen Passes an Serbische Generalkonsulate zu wenden, unabhängig davon, dass diese bereit sind, an Kosovaren neue Pässe auszugeben.

Tatbestand

1

Der Kläger, der aus dem Kosovo stammt, begehrt die Ausstellung eines Ausweisersatzes.

2

Er reiste erstmals im Jahr 1991 nach Deutschland ein. Ein Asyl- und Asylfolgeverfahren wurden letztendlich am 18.03.1999, ein Verfahren auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Jahr 2002 rechtskräftig abgelehnt. Der Kläger wird seit 1999 geduldet. In der Vergangenheit ist er mehrfach aufgefordert worden, sich um einen Pass zu bemühen.

3

Am 01.10.2007 beantragte der Kläger für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn bei der Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Darüber hinaus beantragte er für sich ergänzend die Erteilung eines Ausweisersatzes nach § 55 AufenthV. Zur Begründung der Erteilung eines Ausweisersatzes trug er vor, dass die Passbeschaffung aufgrund der geforderten und bei Behörden in Serbien zu besorgenden Unterlagen sehr kompliziert und langwierig sei. Mit einer Ausstellung eines neuen Passes innerhalb von drei Monaten sei deshalb nicht zu rechnen. Er habe einen Rechtsanwalt im Kosovo beauftragt, dort die notwendigen Schritte zu unternehmen, und damit alles in seiner Macht Stehende getan, um einen neuen Pass zu erhalten. Im Übrigen seien die Passbeschaffungskosten besonders hoch. Der Kläger erhalte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die es ihm nicht ermöglichten, diese hohen Kosten zu tragen. Auch aus diesem Grund sei es ihm unzumutbar, einen neuen Pass zu beschaffen.

4

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 19.11.2007, zugestellt am 22.11.2007, den Antrag auf Ausstellung eines Ausweisersatzes abgelehnt. Zur Begründung führte sie an, der Kläger sei in den letzten Jahren mehrfach darauf hingewiesen worden, sich einen Nationalpass ausstellen zu lassen. Er habe sich bisher beharrlich geweigert, dieser Aufforderung nachzukommen. Erstmals im Jahre 2007, als er Aussicht auf eine Aufenthaltserlaubnis für sich sah, habe er sich um die Ausstellung eines Passes bemüht. Hätte er sich früher um seine Passangelegenheiten gekümmert, hätte er zum jetzigen Zeitpunkt bereits einen Pass ausgestellt bekommen. Aus diesem Grund sei es ihm zumutbar gewesen, seine Passpflicht zu erfüllen. Im Übrigen hätte er die Kosten für die Passbeschaffung in den letzten Jahren ansparen können. Aus der Tatsache, dass seiner Frau und seinem Sohn neue Pässe ausgestellt wurden, zeige sich, dass der Kläger durchaus die entsprechenden finanziellen Mittel habe.

5

Am 21.12.2007 hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben. Zur Begründung verweist er auf die im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Gründe. Ergänzend trägt er vor, mit der Unabhängigkeit des Kosovo habe sich die Möglichkeit der Passbeschaffung für Personen aus dem Kosovo grundlegend geändert. Ihnen sei es nicht zumutbar, sich nunmehr beim Serbischen Generalkonsulat um die Ausstellung eines Passes zu bemühen. Es handele sich jetzt nämlich um einen fremden Staat, der keine Pässe für Staatsangehörige der Republik Kosovo ausstellen könne. Dementsprechend hätte das Niedersächsische Ministerium für Inneres, Sport und Integration im Erlass vom 06.03.2008 auch ausdrücklich festgelegt, dass in Deutschland lebenden Kosovaren, die nicht im Besitz eines Passes sind, ein Ausweisersatz auszustellen sei.

6

Der Kläger beantragt,

  1. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.11.2007 zu verpflichten, dem Kläger einen Ausweisersatz auszustellen.

7

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

8

Zur Begründung verweist sie auf ihren Bescheid. Ergänzend macht sie geltend, der vom Kläger angesprochene Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration stelle ausdrücklich klar, dass das für Niedersachsen zuständige Generalkonsulat der serbischen Republik in Hamburg sich bereit erklärt habe, auch weiterhin in Deutschland lebenden Kosovaren einen Pass auszustellen. Dem Kläger sei es weiterhin zumutbar, sich bei den serbischen Behörden um die Erteilung eines Passes zu bemühen.

9

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

10

Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

11

Die Klage ist erfolgreich.

12

Der Kläger hat einen Anspruch auf Ausstellung eines Ausweisersatzes. Die Ablehnung mit Bescheid vom 19.11.2007 ist deshalb rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

13

Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Ausweisersatzes nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthV liegen vor. Danach wird einem Ausländer, der einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz nicht besitzt und nicht in zumutbarer Weise erlangen kann, auf Antrag ein Ausweisersatz (§ 48 Abs. 2, § 78 Abs. 6 AufenthG) ausgestellt, sofern er einen Aufenthaltstitel besitzt oder seine Abschiebung ausgesetzt ist. Der Kläger besitzt zurzeit keinen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz. Er kann ihn derzeit auch nicht in zumutbarer Weise erlangen. Am 20. Februar 2008 hat die Bundesrepublik Deutschland die Republik Kosovo als eigenständigen Staat innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft anerkannt, nachdem das kosovarische Parlament am 17. Februar 2008 die Unabhängigkeit des Kosovo proklamiert hat. Aus diesem Grund können in der Bundesrepublik lebende Kosovaren zum Zwecke der Passbeschaffung künftig nicht mehr an die serbischen Auslandsvertretungen verwiesen werden, weil es sich für sie um die Vertretung eines fremden Staates handelt. Dies gilt unabhängig davon, ob die serbischen Auslandsvertretungen zur Ausstellung entsprechender Pässe bereit sind oder nicht. Dementsprechend hat das Niedersächsische Ministerium für Inneres, Sport und Integration in seinem Erlass vom 06.03.2008 geregelt, dass geduldete Personen aus dem Kosovo einen Ausweisersatz erhalten. Dies geht aus der Formulierung in dem Erlass " Im Hinblick auf die Erfüllung der Passpflicht gemäß § 3 AufenthG durch Kosovaren bitte ich daher zunächst wie folgt zu verfahren (Hervorhebung durch das Gericht) ..." eindeutig hervor.

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Dem steht auch nicht entgegen, dass sich der Kläger in der Vergangenheit erst im Jahr 2007 ernsthaft bemüht hat, einen Pass über das Generalkonsulat Serbiens zu erhalten. Zwar liegt gemäß § 55 Abs. 1 Satz 3 AufenthV i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthV grundsätzlich keine Unzumutbarkeit vor, wenn eine rechtzeitige Verlängerung oder Neuerteilung eines Passes möglich gewesen wäre. Der Kläger hätte, wie die Ausstellung von Pässen an seine Frau und seinen Sohn zeigt, auch rechtzeitig einen neuen Pass beantragen können. Von dieser Regel ist im vorliegenden Fall aber abzuweichen. Denn wegen der noch fehlenden Auslandsvertretung ist es Kosovaren objektiv unmöglich, Pässe ihres Heimatstaates zu bekommen. Die fehlende Mitwirkung des Klägers in der Vergangenheit kann diese objektive Unmöglichkeit nicht beseitigen. Selbst bei einer ausreichenden Mitwirkung könnte der Kläger derzeit keinen Heimatpass erhalten.

15

Da der Kläger geduldet wird, liegen die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthV vor. In diesem Fall "wird" dem Ausländer ein Ausweisersatz ausgestellt. Er hat damit bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Anspruch. Dementsprechend war die Beklagte unter Aufhebung ihres ablehnenden Bescheides vom 19.11.2007 zu verurteilen, dem Kläger einen Ausweisersatz auszustellen.