Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 29.05.2008, Az.: 4 B 88/08
Untersagung einer gewerblichen Altpapiersammlung; Nachweis einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung von Altpapier; Gebührenerhöhung durch Aufrechterhaltung eines Auffangsystems und durch bislang getätigte Investitionen verursachte Kosten für den Gebührenzahler
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 29.05.2008
- Aktenzeichen
- 4 B 88/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 17722
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2008:0529.4B88.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO
- § 13 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 KrW-/AbfG
- § 15 KrW-/AbfG
- § 21 KrW-/AbfG
Verfahrensgegenstand
Abfallbeseitigungsrecht (Untersagung gewerblicher Altpapiersammlung)
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
Redaktioneller Leitsatz
Unabhängig davon, ob fiskalische Gründe und das Interesse des Gebührenzahlers, von Gebührenerhöhungen verschont zu bleiben, überhaupt gegenüber einer gewerblichen PKK-Sammlung entgegenstehende öffentliche Interessen im Sinne des § 13 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 KrW-/AbfG darstellen können, sind solche Gründe in diesem Zusammenhang jedenfalls dann unerheblich, wenn eine maßgebliche Gebührenerhöhung nicht hinreichend nachgewiesen ist.
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Göttingen - 4. Kammer -
am 29. Mai 2008
beschlossen:
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8.5.2008 wird wiederhergestellt bzw. angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 15.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I .
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Untersagung der gewerblichen Altpapiersammlung.
Die Antragstellerin ist ein zertifiziertes Entsorgungsunternehmen, das u.a. Altpapier entsorgt. Mit Schreiben vom 14.4.2008 sowie im folgenden Verwaltungsverfahren zeigte sie unter Darlegung der Durchführungsmodalitäten der Antragsgegnerin an, dass sie ab Juli 2008 plane, gewerblich Altpapier, -pappe und -kartonagen (sog. PPK-Abfälle) im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin haushaltsnah einzusammeln.
Die Antragsgegnerin stellt als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträgerin zurzeit an insgesamt 160 Standplätzen Depotcontainer für PPK-Abfälle zur Verfügung und lässt daneben Bündelsammlungen durch gemeinnützige Einrichtungen zu. Mit Beschluss vom 7.3.2008 stimmte der Rat der Antragsgegnerin der flächendeckenden Versorgung der Haushalte mit sog. Blauen Tonnen anstelle der Sammlung in zentral aufgestellten Containern zu. Mit der Umsetzung dieses Beschlusses wurde vor wenigen Tagen begonnen.
Mit Bescheid vom 8.5.2008 untersagte die Antragsgegnerin der Antragstellerin nach entsprechender Anhörung und unter Anordnung der sofortigen Vollziehung, Behälter zur Sammlung von PPK-Abfällen aus privaten Haushalten im Stadtgebiet aufzustellen und zu entleeren. Zugleich drohte die Antragsgegnerin für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 50.000 EUR an. Zur Begründung führte sie aus:
Der gewerblichen Sammlung von Altpapier ständen öffentliche Interessen entgegen. Als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträgerin müsse sie ein kostenintensives Parallelsystem aufrechterhalten, um für den Fall, dass sich gewerbliche Entsorgungsunternehmen zurückzögen, die ihr übertragene Auffangfunktion zu erfüllen. Hierdurch würden den Bürgern Gebührensteigerungen von 10 bis 14% zugemutet, weil Erlöse aus kommunalen PPKSammlungen und dem Dualen System ausblieben. Zu den ausbleibenden Erlösen in Höhe von ca. 1,2 Millionen Euro kämen die Kosten für die bereits erfolgte Umsetzung des Ratsbeschlusses zur Einführung der Papiertonne in Höhe von ca. 1 Million Euro. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei aufgrund der drohenden finanziellen Verluste und zur Sicherstellung einer gesetzeskonformen Altpapierentsorgung geboten. Der gesetzliche Höchstbetrag des Zwangsgeldes sei angedroht worden, weil bereits mit einer halben monatlichen Behälterleerung ein entsprechender Gewinn zu erzielen sei.
Am 22.5.2008 hat die Antragstellerin Widerspruch gegen die Verfügung der Antragsgegnerin erhoben und zugleich um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht. Sie hält die Untersagungsverfügung für offensichtlich rechtswidrig. Die Auffangfunktion der Antragsgegnerin für den Fall, dass die gewerbliche Sammlung unterbleibe, sei vom Gesetzgeber gesehen und bewusst in Kauf genommen worden. Die Verluste aufgrund der ausbleibenden Altpapierverkäufe seien den ersparten Kosten gegenüberzustellen, so dass sich Gebührensteigerungen von weniger als 5% ergäben, die keine gebührenrechtliche Überforderung darstellten. Die - der Höhe nach bestrittenen - Kosten für die Einführung der Papiertonne habe die Antragsgegnerin bewusst verursacht, um private Konkurrenz auszuschalten.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 8.5.2008 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie entgegnet, die Antragstellerin habe nicht nachgewiesen, dass sie zu einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung in der Lage sei. Insbesondere habe sie nicht angegeben, mit welchem Endverwerter sie zusammenarbeite. Darüber hinaus wiederholt und vertieft sie den Inhalt der angegriffenen Verfügung.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn das Interesse der Antragstellerin, von der Vollziehung der angegriffenen Verfügung verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer Vollziehung überwiegt. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung stellt das Gericht vorrangig auf die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache ab. Eine auf dieser Grundlage vorgenommene Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragsgegnerin aus, weil nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage der Widerspruch der Antragstellerin voraussichtlich Erfolg haben wird.
Die auf § 21 i.V.m. § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG gestützte Untersagungsverfügung wird sich voraussichtlich als rechtswidrig erweisen. Die von der Antragstellerin beabsichtigte Sammlung ist nach derzeitiger Einschätzung der Sach- und Rechtslage gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG zulässig. Danach besteht die Überlassungspflicht nicht für Abfälle, die durch gewerbliche Sammlung einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung zugeführt werden, soweit dies den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern nachgewiesen wird und nicht überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen.
Die Antragstellerin plant eine gewerbliche Sammlung, die sie der Antragsgegnerin angezeigt hat. Die Bereitschaft und Fähigkeit der Antragstellerin, die PPK-Abfälle ordnungsgemäß und schadlos zu verwerten, hat sie der Antragsgegnerin im Wesentlichen dargelegt. Auf die im Anhörungsschreiben der Antragsgegnerin geäußerten Bedenken hat die Antragstellerin reagiert, ohne dass die Antragstellerin ihre Untersagungsverfügung auf die fehlende Eignung der Antragstellerin gestützt hat. Vor diesem Hintergrund und aufgrund der Tatsache, dass die Antragstellerin bereits im Bereich der Altpapier-Entsorgung tätig ist, kann die Kammer - jedenfalls im Eilverfahren - keine durchgreifenden Anhaltspunkte für die fehlende Eignung der Antragstellerin erkennen.
Überwiegende öffentliche Interessen stehen der gewerblichen Sammlung voraussichtlich nicht entgegen. Als öffentliche Interessen i.S.v. § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG kommen vorrangig solche in Betracht, die auf die Verfolgung des Zwecks und der Zielvorgaben des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes gerichtet sind. Rein fiskalische Belange sind im Rahmen der "öffentlichen Interessen" demgegenüber allenfalls nachrangig zu berücksichtigen Wann eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Entsorgung als Voraussetzung eines "Überwiegens öffentlicher Interessen" gegeben ist, ist eine Frage des Einzelfalles (Nds. OVG, Beschluss vom 24.1.2008 - 7 ME 192/07 - m.w.N.; ähnlich: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.2.2008 - 10 S 2422/07 -).
Eine konkrete, nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung der öffentlichen Abfallentsorgung hat die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Antragsgegnerin (Nds. OVG, a.a.O.) nicht vorgetragen.
Auf die aus § 15 KrW-/AbfG folgende Reserve- und Auffangfunktion des öffentlichrechtlichen Entsorgungsträgers kann die Antragsgegnerin sich nicht mit Erfolg berufen. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung in § 13 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 KrW-/AbfG in Kauf genommen, dass sich gewerbliche Sammler zurückziehen, wenn sich die zu erzielenden Gewinne verringern. Dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger wird abverlangt, hierfür Vorkehrungen zu treffen und die Abfallentsorgungsstrukturen entsprechend zu gestalten (Nds. OVG, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, a.a.O.).
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin ein derartiges "Parallelsystem" nicht aufrechterhalten kann. Die Antragsgegnerin verfügt über im gesamten Stadtgebiet verteilte Depotcontainer, mit denen ein nach Einführung einer gewerblichen Sammlung ggf. noch bestehender Entsorgungsbedarf abgedeckt werden kann. Daneben besteht die Möglichkeit, Altpapier beim Recyclinghof der Antragsgegnerin abzugeben bzw. es Bündelsammlungen gemeinnütziger Einrichtungen zu überlassen. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin im Falle eines Rückzuges des gewerblichen Sammlers die ihr obliegende Entsorgungsaufgabe - auch nach einem weitgehenden Abbau ihrer eigenen Kapazitäten - nicht wieder übernehmen könnte. Denn die Antragsgegnerin ist nicht verpflichtet, die Entsorgung selbst durchzuführen, sondern kann auch Dritte mit der Durchführung dieser Aufgabe beauftragen.
Die Antragsgegnerin beruft sich deshalb vorrangig auf die durch Aufrechterhaltung eines Auffangsystems und durch bislang getätigte Investitionen verursachte Kosten für den Gebührenzahler. Ob fiskalische Gründe und das Interesse des Gebührenzahlers, von Gebührenerhöhungen verschont zu bleiben, als entgegenstehende öffentliche Interessen grundsätzlich außer Betracht bleiben (so wohl VGH Baden-Württemberg, a.a.O.) oder ein Überwiegen der öffentlichen Interessen angenommen werden kann, wenn eine gebührenrechtliche Überforderung des Bürgers entsteht (so Nds. OVG, a.a.O.), kann hier dahinstehen. Denn eine nach diesen Maßstäben erhebliche Gebührenerhöhung hat die Antragsgegnerin nicht hinreichend nachgewiesen.
Die von der Antragsgegnerin vorgetragenen Investitionskosten sind weder durch Verträge oder ähnliches belegt noch aufgrund der dem Gericht vorliegenden Unterlagen in vollem Umfang nachvollziehbar. Hinsichtlich der Beschaffungskosten für Papiertonnen hat die Antragsgegnerin nicht nachgewiesen, dass diese in der angegebenen Höhe bereits tatsächlich entstanden sind. Denn die Antragsgegnerin hat nach Veröffentlichungen auf ihrer Internetseite (www. Q..de) vom 27.5.2008 bislang erst etwa 7.000 von insgesamt 14.000 bis 30.000 Tonnen (s. Ausschreibung vom 5.3.2008) erworben. Investitionen für Sammelfahrzeuge sind nach dem "Konzept zur flächendeckenden Einführung der Papiertonne" vom 24.1.2008 (Anhang 1: Fahrzeugeinsatz) nicht erforderlich, weil derartige Sammelfahrzeuge bereits vorhanden sind. Aus welchen Gründen die Antragsgegnerin Fahrzeuge und Container für Bündelsammlungen, die nach wie vor durch karitative Einrichtungen möglich sein sollen, benötigt, ist nicht ersichtlich. Das Konzept der Antragsgegnerin sieht eigene Bündelsammlungen nicht vor. Personalkosten dürften bislang nicht entstanden sein, weil mit der Abfuhr der Blauen Tonnen noch nicht begonnen wurde. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass sich die Antragsgegnerin durch die frühzeitige Erarbeitung eines Konzepts zur Einführung der Papiertonne einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Antragstellerin verschafft hat, der die bereits erfolgten Investitionen voraussichtlich nicht insgesamt nutzlos werden lässt.
Soweit die Antragsgegnerin aufgrund der Aufrechterhaltung eines parallelen Entsorgungssystems von Gebührenerhöhungen in Höhe von 10-14% ausgeht, ergibt sich daraus ebenfalls kein entgegenstehendes öffentliches Interesse. Zum einen hat die Antragsgegnerin den Beweis hierfür nicht erbracht. Die Antragsgegnerin hat weder ihre Gebührenkalkulation noch Verträge mit Endabnehmern vorgelegt. Zum anderen geht die Antragsgegnerin bei ihren Berechnungen offenbar davon aus, dass die Antragstellerin die Altpapierentsorgung flächendeckend im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin übernimmt. Hierfür spricht zwar, dass sich die Anzeige der Antragstellerin auf das gesamte Stadtgebiet der Antragsgegnerin bezieht. Jedoch sind die Bürger nicht zur Überlassung ihrer PPK-Abfälle an den privaten Anbieter verpflichtet. Es dürfte im Interesse der Bürger liegen, ihr Altpapier (weiterhin) der Antragsgegnerin zu überlassen, um Gebührenerhöhungen - von denen im Falle der gewerblichen Sammlung auch die Antragstellerin ausgeht - zu vermeiden und mittelbar von den Erlösen aus dem Altpapierverkauf zu profitieren, zumal die Antragsgegnerin mit der Einführung der "Blauen Tonne" einen mindestens gleichwertigen Service anbietet. Die von der Antragsgegnerin vorgetragenen Verluste dürften deshalb in weit geringerem Maße entstehen als angegeben.
Schließlich ist eine gebührenrechtliche Überforderung auch bei der von der Antragsgegnerin prognostizierten Erhöhung von bis zu 14% nicht anzuerkennen. Diese beträgt bei einem Einpersonen-Haushalt maximal 13,30 EUR im Jahr (Nutzung von Restabfall- und Biotonne). Eine Erhöhung von ca. 1,10 EUR pro Monat ist zwar für den Einzelnen gravierend, ist aber auch aus Gründen denkbar, die nicht mit einer gewerblichen Sammlung in Zusammenhang stehen, und führt deshalb nicht zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses i.S.d. § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG.
Da der Widerspruch gegen die Untersagungsverfügung voraussichtlich erfolgreich sein wird, ist auch die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Zwangsgeldandrohung anzuordnen.
Da die Antragstellerin unterliegt, hat sie gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Dabei ist die Kammer von dem Streitwert in vergleichbaren Verfahren auf Erteilung einer Gewerbeerlaubnis ausgegangen (vgl. Ziffer 54.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit; DVBl. 2004, 1525 = NVwZ 2004, 1327), weil nach gegenwärtigem Sachstand offen ist, in welchem Umfang die Antragstellerin Erlöse aus der Altpapiersammlung erzielen kann und Angaben der Beteiligten hierzu nicht gemacht wurden.