Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.09.1994, Az.: 11 A 27/85
Anerkennung; Asylberechtigter; Kurde; Militärdienst
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 29.09.1994
- Aktenzeichen
- 11 A 27/85
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 14055
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1994:0929.11A27.85.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 17.12.1984 - AZ: 4 A 349/81
- nachfolgend
- BVerwG - 24.10.1995 - AZ: BVerwG 9 C 3/95
Tenor:
Auf die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 4. Kammer Stade - vom 17. Dezember 1984 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der am 2. März 1961 als türkischer Staatsangehöriger in Yolkonak (Kreis Besiri, Provinz Siirt) geborene Kläger ist kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischen Glaubens. Er reiste im September 1978 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein. Einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter, den er mit seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Minderheit yezidischen Glaubens in der Türkei begründete, nahm er im Dezember 1978 zurück. Nachdem er wegen einer schweren Erkrankung seiner Mutter in die Türkei zurückgekehrt war, reiste er im März 1979 erneut in die Bundesrepublik ein. Mit einem am 7. Juni 1979 eingegangenen Schreiben seines damaligen Prozeßbevollmächtigten vom 31. Mai 1979 beantragte er die Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung führte er an: Sein Heimatort Yolkonak sei in zwei politische Lager geteilt. Der Aga Karabulut stehe auf der Seite der Faschisten und unterdrücke Andersdenkende, zu denen auch die yezidischen Kurden gehörten. Er - der Kläger - habe noch keinen Militärdienst geleistet. Er habe jedoch von Glaubensgenossen erfahren, daß Yeziden während des Militärdienstes im Ostteil der Türkei schikaniert worden seien. Bei seiner Anhörung im Rahmen der Vorprüfung am 4. Oktober 1979 führte er aus, daß er den Inhalt des Schriftsatzes seines Prozeßbevollmächtigten vom 31. Mai 1979 nicht kenne; der Schriftsatz sei ihm in deutsch vorgelesen worden. Er habe sechs Jahre die Grundschule besucht und ab 1976 in der elterlichen Landwirtschaft gearbeitet. Er sei Anhänger der CHP. 1978 sei es zu Streitigkeiten zwischen CHP- und AP-Anhängern gekommen. Die AP-Anhänger hätten damals aber nicht gewußt, daß er CHP-Anhänger sei. Er habe um sein Leben gefürchtet, weil irgendwann seine Einstellung herausgekommen wäre. Bis heute sei ihm aber nichts passiert.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 27. Februar 1980 ab, da er eine politisch motivierte Verfolgung nicht habe glaubhaft machen können.
Der Kläger hat am 31. März 1980 Klage erhoben. Im Rahmen eines Erörterungstermines vor dem Verwaltungsgericht am 12. Juli 1984 erklärte er folgendes: Im Alter von 15 Jahren sei er nach Adana gefahren. Dort habe er ungefähr drei bis vier Monate gearbeitet. Dies habe er in den nächsten drei bis vier Jahren jeweils wiederholt. In Adana habe er Schwierigkeiten auf der Arbeitsstelle wegen seines yezidischen Glaubens gehabt. In Deutschland werde er durch den Scheich Kalucatuk religiös betreut. In der Türkei habe er sich politisch nicht betätigt; dafür sei er zu jung gewesen. Er sei aufgefordert worden, seinen Wehrdienst in der Türkei abzuleisten. Dies wolle er nicht, weil er wegen seines yezidischen Glaubens und der Stellung des Asylantrages Schwierigkeiten befürchte. Vor kurzem sei ihm die Ausbürgerung schriftlich angedroht worden, falls er seinen Wehrdienst nicht ableiste.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27. Februar 1980 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie sich im wesentlichen auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid bezogen.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 17. Dezember 1984 der Klage stattgegeben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, Yeziden seien im Südosten der Türkei einer religiös motivierten mittelbaren Gruppenverfolgung ausgesetzt. Eine inländische Fluchtalternative stehe ihnen nicht zur Verfügung. Der Kläger habe glaubhaft gemacht, Yezide zu sein und nach wie vor glaubensgebunden zu leben.
Gegen dieses Urteil richtet sich die von dem Verwaltungsgericht zugelassene Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten.
Der Kläger schloß am 31. März 1985 die Ehe mit der türkischen Staatsangehörigen Salihe Kartal, die im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist. Aufgrund der Eheschließung wurden ihm bis zum 1. Dezember 1991 jeweils befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt. Am 1. September 1989 wurde die Ehe des Klägers geschieden.
Da der Kläger nunmehr die türkische Staatsangehörige Esmer Cilik, die in Belgien als Asylberechtigte anerkannt worden war, heiraten wollte, benötigte er eine internationale Geburtsurkunde. Zu diesem Zweck wandte er sich an das Einwohnermeldeamt des Kreises Besiri in der Türkei. Mit Schreiben vom 22. März 1990 teilte ihm das Einwohnermeldeamt mit, daß der Antrag nicht bearbeitet werden könne, weil ihm die türkische Staatsangehörigkeit durch Erlaß Nr. 88/12500 des Ministeriums für Inneres vom 11. Januar 1988 aberkannt worden sei.
Aus der zweiten Ehe des Klägers, die am 14. August 1990 geschlossen wurde, sind zwei Kinder hervorgegangen. Mit Bescheid vom 9. August 1991 erteilte die Stadt Bielefeld dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten macht zur Begründung seiner Berufung geltend, daß die Yeziden in der Türkei keiner religiösen Gruppenverfolgung ausgesetzt seien.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, daß in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil. Ergänzend trägt er vor: Die türkische Staatsangehörigkeit sei ihm deshalb aberkannt worden, weil er den Militärdienst nicht abgeleistet habe.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß eine Ausbürgerung allein wegen der Nichtableistung des Wehrdienstes nicht asylrelevant sei.
Der Kläger hat eine Bescheinigung des Peshimam Cengil, Burgdorf, vom 2. August 1993, vorgelegt, wonach er zur Glaubensgemeinschaft der Yeziden gehört. Der Senat hat den Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung persönlich angehört. Insoweit wird auf die Niederschrift vom 29. September 1994 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten, die Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sowie auf die Ausländerakten des Landkreises Celle und der Stadt Bielefeld Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Auch der erst im Berufungsverfahren gestellte Antrag, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bei ihm vorliegen, muß erfolglos bleiben.
Gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. Juni 1993 (BGBl. I S. 1002) genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Sie werden nach Maßgabe der §§ 1 ff. AsylVfG i.d.F. der Bekanntmachung vom 27. Juli 1993 (BGBl. I S. 1361) als Asylberechtigte anerkannt. Das Individualgrundrecht auf Asyl kann in Anspruch nehmen, wer politische Verfolgung erlitten hat, weil ihm in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale, nämlich die politische Überzeugung, die religiöse Grundentscheidung oder andere unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt intensive und ihn aus der übergreifenden Friedensordnung des Staates ausgrenzende Rechtsverletzungen zugefügt worden sind oder unmittelbar gedroht haben. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines Asylmerkmals erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (BVerfG, Beschl. v. 10. 7. 1989, BVerfGE 80, 315; Beschl. der 1. Kammer des 2. Senats vom 22. 12. 1993 - 2 BvR 950/93 -). Asylberechtigt ist aber auch der Asylsuchende, der seinen Heimatstaat unverfolgt verlassen hat, wenn ihm aufgrund von beachtlichen Nachfluchttatbeständen, z.B. aufgrund von Vorgängen und Ereignissen in seinem Heimatland, die unabhängig von seiner Person nach seiner Ausreise eingetreten sind (sog. objektive Nachfluchtgründe, vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 26. 11. 1986, BVerfGE 74, 51, 64 ff.) [BVerfG 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85], mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht (BVerwG, Urt. v. 23. 7. 1991, BVerwGE 88, 375 [BVerwG 23.07.1991 - 9 C 154/90] = DVBl. 1991, 1089). Handelt es sich dagegen um selbstgeschaffene (subjektive) Nachfluchtgründe, kann der Ausländer in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt werden. Ihm kann aber der Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zugute kommen. Danach darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppen oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Bei unverfolgt aus ihrem Heimatstaat ausgereisten politisch Verfolgten gilt ebenso wie im Asylanerkennungsverfahren der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 3. 11. 1992, InfAuslR 1993, 150).
Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger weder einen Anspruch auf Gewährung politischen Asyls noch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG.
Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht darin, daß der Kläger im Laufe des Berufungsverfahrens durch Erlaß des türkischen Ministeriums des Innern vom 11. Januar 1988 ausgebürgert worden und staatenlos geworden ist. Dadurch hat sich die rechtliche Beurteilung gegenüber dem erstinstanzlichen Urteil entscheidungserheblich verändert. Ohne dieses Ereignis hätte der Kläger, der glaubensgebundener Yezide ist, nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. etwa Urt. v. 28. 1. 1993 - 11 L 513/89 -) als Asylberechtigter anerkannt werden müssen. Allerdings steht die Inanspruchnahme des Grundrechts auf Asyl grundsätzlich auch Staatenlosen zu, wenn ihnen im früheren Heimatstaat oder im Staat ihres gewöhnlichen Aufenthalts politische Verfolgung droht. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Nach Auffassung des erkennenden Senats stellt die Ausbürgerung selbst einen Asylgrund dar, wenn sie aus asylrelevanten Gründen vorgenommen wird und wenn außerdem bei einer Rückkehr in den früheren Heimatstaat dem nunmehr staatenlosen Asylbewerber politische Verfolgung droht.
Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Begriff der politischen Verfolgung (vgl. BVerfGE 80, 315, 335; Beschl. v. 11. 5. 1993, InfAuslR 1993, 310, 312) kommt es deshalb zunächst darauf an, ob die Ausbürgerung den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen soll. Eine Ausbürgerung wirkt danach asylbegründend, wenn hierfür Gründe der Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung des Ausgebürgerten maßgebend sind. Der Kläger hat jedoch weder vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, daß seine Ausbürgerung durch den türkischen Staat aus einem dieser Gründe erfolgt ist. Vielmehr hat er selbst mitgeteilt, daß er deshalb ausgebürgert worden sei, weil er trotz mehrfacher Aufforderung den Militärdienst nicht abgeleistet habe. Der Ausbürgerung liegt damit Art. 25 c des Türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes (TStaG) vom 11. Februar 1964 (Gesetz-Nr. 403, abgedruckt in Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stand: 31. 8. 1991, "Türkei", S. 1 ff.) zugrunde. Danach kann der Ministerrat die türkische Staatsangehörigkeit denjenigen aberkennen, die sich im Ausland befinden und ohne triftigen Grund drei Monate lang der amtlichen Einberufung der zuständigen Behörden zur Ableistung des Militärdienstes oder im Fall der Mobilmachung zur Teilnahme an der nationalen Verteidigung keine Folge leisten. Die Ausbürgerung knüpft in diesen Fällen also allein an den Umstand an, daß der Betreffende sich weigert, zwecks Ableistung des Wehrdienstes in die Türkei zurückzukehren. Sie stellt eine ordnungsrechtliche Sanktion für eine Verletzung der alle türkischen Staatsbürger gleichermaßen treffenden Pflicht zur Ableistung des Militärdienstes dar. Die Vorschrift des Art. 25 c TStaG als solche knüpft somit ihrer objektiven Gerichtetheit nach nicht an ein asylrelevantes Persönlichkeitsmerkmal an (ebenso OVG Rhl.-Pf., Urt. v. 1. 10. 1991, NVwZ-RR 1992, 326 = DVBl. 1992, 314, aaO; OVG Lüneburg, Urt. v. 30. 5. 1989 - 11 OVG A 41/85 -; vgl. auch Auswärtiges Amt, Auskunft v. 22. 8. 1990 an VG Oldenburg). Es ist auch nicht festzustellen, daß sich der türkische Staat der Ausbürgerung gerade des Klägers als verdeckter Repressionsmaßnahme bedient hat, um ihn in seinen durch das Asylrecht geschützten persönlichen Merkmalen zu treffen. Er ist weder in der Türkei noch in der Bundesrepublik Deutschland politisch hervorgetreten. Ebensowenig liegen Anhaltspunkte dafür vor, daß die Ausbürgerung wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Yeziden erfolgt ist. Es kommt deshalb an dieser Stelle nicht darauf an, ob dem Kläger nach der Ausbürgerung eine Rückkehr in sein (früheres) Heimatland zumutbar ist.
Da nach alledem nicht festgestellt werden kann, daß der türkische Staat den Kläger aus politischen Gründen ausgebürgert hat, kann ihm insoweit auch kein Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG gewährt werden.
Der Kläger kann eine Anerkennung als Asylberechtigter - gleiches gilt für die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG - nicht unter Berufung auf seinen yezidischen Glauben erreichen. Allerdings droht Angehörigen der Religionsgemeinschaft der Yeziden bei einer Rückkehr in die Türkei nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats eine mittelbare staatliche Gruppenverfolgung (vgl. etwa Urt. v. 28. 1. 1993, aaO; ebenso OVG Hamb., Urt. v. 13. 4. 1994 - OVG Bf V 3/88 -; OVG Bremen, Urt. v. 19. 10. 1993 - OVG 2 BA 35/91 -; Bay. VGH, Urt. v. 11. 10. 1993 - 11 B 90.31837 -; OVG NW, Urt. v. 27. 1. 1993 - 25 A 10241/88 -; Hess. VGH, Urt. v. 18. 5. 1992 - 12 UE 3905/88 -; OVG Rhl.-Pf., Urt. v. 1. 4. 1992 - 13 A 11860/90.OVG -). Der Senat ist aufgrund des Ergebnisses der persönlichen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung auch davon überzeugt, daß dieser seinen Glauben heute noch praktiziert und nach den Geboten seiner Religion lebt. Eine Asylanerkennung unter dem Aspekt einer religiösen (mittelbaren) Gruppenverfolgung scheitert aber daran, daß der Kläger aufgrund der Ausbürgerung nicht in rechtlich zulässiger Weise in die Türkei auf Dauer zurückkehren kann.
Da dem Kläger die türkische Staatsangehörigkeit aberkannt worden ist und er auch nicht eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat, ist er staatenlos geworden. Dies wirkt sich entscheidungserheblich auf die im Asylverfahren anzustellende Prognose aus, ob dem Asylbewerber im Falle der Rückkehr in sein Heimatland politische Verfolgung droht. Daraus ergibt sich zwangsläufig das Erfordernis, daß ein Staat vorhanden sein muß, in den der Asylbewerber in rechtlich zulässiger Weise zurückkehren könnte (vgl. BVerwG, Urt. v. 12. 2. 1985, DVBl. 1985, 579 = InfAuslR 1985, 145; Urt. v. 15. 10. 1985, DVBl. 1986, 511 = InfAuslR 1986, 76). Bei Personen, die eine Staatsangehörigkeit besitzen, ist dies das Land ihrer Staatsangehörigkeit, bei Staatenlosen dagegen üblicherweise das Land ihres gewöhnlichen Aufenthalts (vgl. GK-AsylVfG, II - § 32 a. F. Anh. 1 Rd.Nr. 461 ff.). Ein Staatenloser genießt deshalb dann Asyl, wenn er durch das Land seines gewöhnlichen Aufenthalts politisch verfolgt wird (BVerwG, Urt. v. 12. 2. 1985, aaO). Verweigert ein Staat seinem früheren Staatsangehörigen, der aufgrund des Entzugs der Staatsangehörigkeit staatenlos geworden ist, die Wiedereinreise, so hört dieser Staat auf, das Land des gewöhnlichen Aufenthalts des Staatenlosen zu sein. Er steht dem Staatenlosen nunmehr in gleicher Weise gegenüber wie jeder andere auswärtige Staat (vgl. BVerwG, Urt. v. 15. 10. 1985, aaO). Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob dem Staatenlosen eine Besuchsreise in seinen früheren Heimatstaat gestattet werden könnte oder nicht. Allein der Umstand, daß der Staatenlose zu Besuchszwecken in das Territorium seines früheren Heimatstaates einreisen darf, bewirkt nicht, daß dieser Staat weiterhin als Land des gewöhnlichen Aufenthaltes des Staatenlosen anzusehen wäre. Der frühere Heimatstaat unterscheidet sich insoweit nicht von anderen von Ausländern zu Besuchszwecken aufgesuchten Staaten (vgl. Bay. VGH, Urt. v. 28. 7. 1987 - Nr. 25 B 84 C 523 -). Für die Frage der Asylberechtigung kommt es deshalb nicht mehr darauf an, ob dem Asylbewerber in seinem früheren Heimatstaat eine politische Verfolgung droht (vgl. BVerwG, Urt. v. 15. 10. 1985, aaO, zum Fall eines staatenlosen Palästinensers aus dem Libanon). Asylerheblich kann jedoch die Verweigerung der Wiedereinreise dann sein, wenn sie aus politischen Gründen erfolgt (vgl. BVerwG, Urt. v. 12. 2. 1985, aaO).
Nach diesen Maßstäben stellt die Türkei nicht mehr das Land des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers dar. Dem Kläger, der bereits seit März 1979 in der Bundesrepublik lebt, wurde durch Erlaß des Ministeriums für Inneres vom 11. Januar 1988 die türkische Staatsangehörigkeit aberkannt. Von den türkischen Behörden wird er als Ausländer betrachtet. Eine Einreise ist ihm nur unter denselben Voraussetzungen wie jedem anderen Ausländer, also mit den von den türkischen Grenzbehörden akzeptierten Reisedokumenten, möglich (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 10. 11. 1988 an VG Berlin). Zwar besteht die Möglichkeit der Wiedereinbürgerung, doch setzt dies voraus, daß der Kläger die Erfüllung der Wehrpflicht anbietet (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 22. 8. 1990 an VG Oldenburg). Der Kläger lehnt es aber ab, in die Türkei zurückzukehren und dort seinen Wehrdienst abzuleisten. Im übrigen liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß der türkische Staat ein besonderes Interesse daran haben könnte, des Klägers habhaft zu werden. Anders könnte es sich möglicherweise im Fall eines ausgebürgerten exponierten Regimegegners verhalten. Dieser Frage war hier aber nicht weiter nachzugehen, da der Kläger sich weder in der Türkei noch in der Bundesrepublik Deutschland in diesem Sinne politisch engagiert hat.
Da die Ausbürgerung des Klägers - wie bereits oben dargestellt - nicht aus asylrelevanten Gründen erfolgt ist, fehlt bereits der Anknüpfungspunkt für die Gewährung asylrechtlichen Schutzes (vgl. BVerwG, Urt. v. 15. 10. 1985, aaO; Kanein/Renner, AuslR, 6. Aufl., Art. 16 a GG Rd.Nr. 20; Marx, Asylrecht, Band 1, 5. Aufl., Stichwort "Ausbürgerung", S. 331). Das Land seines gewöhnlichen Aufenthaltes ist die Bundesrepublik Deutschland, in der er aber nicht politisch verfolgt wird. Seit dem 9. August 1991 verfügt er auch über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Die Frage, ob dem Kläger als glaubensgebundenem Yeziden auf dem Territorium der Türkei politische Verfolgung droht, ist deshalb unter asyl- und abschiebungsschutzrechtlichen Gesichtspunkten gegenstandslos geworden. Sein Status bestimmt sich allein nach dem Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 (StlÜbk), das mit dem Zustimmungsgesetz vom 12. April 1976 in das deutsche Recht transformiert worden ist (BGBl. II 1976, 474 und BGBl. II 1977, 235). Aus diesem Übereinkommen kann ein Ausländer grundsätzlich unmittelbar Ansprüche herleiten (vgl. BVerwG, Urt. v. 21. 1. 1992, NVwZ 1992, 1211). In diesem Zusammenhang ist beispielsweise auf Art. 31 StlÜbk hinzuweisen, der einen besonderen Ausweisungs- und Abschiebungsschutz gewährleistet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO iVm § 708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.
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