Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 07.11.2013, Az.: 2 W 235/13

Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des beigeordneten Rechtsanwalts

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
07.11.2013
Aktenzeichen
2 W 235/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 49559
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2013:1107.2W235.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 26.09.2013

Fundstellen

  • AGS 2014, 142-144
  • MDR 2014, 188
  • ZAP 2014, 73
  • ZAP EN-Nr. 54/2014

Amtlicher Leitsatz

Im Rahmen der Festsetzung der Vergütung des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts ist die Geschäftsgebühr auf die entstandene Verfahrensgebühr nur dann anzurechnen, wenn sie tatsächlich bezahlt worden ist.

Tenor:

Die am 18. Oktober 2013 bei dem Landgericht Hannover eingegangene sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 17. Oktober 2013 gegen den am 16. Oktober 2013 zugestellten Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 26. September 2013 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 210,39 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die am 18. Oktober 2013 bei dem Landgericht eingegangene sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 17. Oktober 2013 gegen den ihm am 16. Oktober 2013 zugestellten Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 26. September 2013 ist gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 RVG zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden.

II.

Die Beschwerde ist jedoch (nunmehr) unbegründet.

Der Anspruch des Antragstellers auf Vergütung in Höhe einer 1,3-fachen Verfahrensgebühr gemäß §§ 45 Abs. 1, 49 RVG, Nr. 3100 VV RVG ist vorliegend durch Anrechnung der für die außergerichtliche Vertretung entstandenen hälftigen Geschäftsgebühr gemäß Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG erloschen, nachdem die Beklagte zwischenzeitlich die unter Ziffer 2 des Vergleich vom 12. Juli 2013 titulierte vorprozessuale Geschäftsgebühr in Höhe von 961,28 € brutto unmittelbar an den Antragsteller gezahlt hat.

Der Senat nimmt insoweit mit Befremden zur Kenntnis, dass der Antragsteller entgegen seiner Verpflichtung aus § 55 Abs. 5 Satz 4 RVG die Zahlung in Höhe von 961,28 € durch die Beklagte nicht unverzüglich angezeigt, sondern erstmals aufgrund der Anfrage des Senats überhaupt den Erhalt der Zahlung eingeräumt hat.

1) Die allgemeinen Vorschriften zur Anrechnung gelten auch für die Vergütung des Rechtsanwalts, der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet ist (vgl. OLG Brandenburg MDR 2011, 1206-1207; OLG Frankfurt FamRZ 2013, 323-324; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl., § 58 Rn. 35 und 36 sowie § 15 a Rn. 15 m.w.N.).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts führt dies zur Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf die von dem beigeordneten Rechtsanwalt gegenüber der Staatskasse geltend gemachte Verfahrensgebühr aber nur dann, wenn die Geschäftsgebühr tatsächlich an ihn gezahlt worden ist (vgl. OLG Brandenburg aaO.; OLG Frankfurt aaO. und JurBüro 2013, 21-22 und 2013, 467; OLG Braunschweig FamRZ 2011, 1683-1684; Niedersächsisches Finanzgericht EFG 2012, 553[FG Niedersachsen 16.05.2011 - 7 KO 6/10]-556; Gerold/Schmidt aaO.; Schneider/Wolf, RVG, 5. Aufl., § 15 a Rn. 25; Meyer/Kroiß/Winkler, RVG, 6. Aufl. § 15 a Rn. 23; im Ergebnis wohl auch: Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 27.06.2013, 6 E 600/13, Rn. 27 Juris).

Die Staatskasse wird im Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 RVG unmittelbarer Gebührenschuldner und tritt insoweit an die Stelle des Mandanten; sie ist daher nicht Dritter im Sinne des § 15 a Abs. 2 RVG. Nach der zum 5. August 2009 in Kraft getretenen Norm des § 15 a Abs. 1 RVG kann der Rechtsanwalt auch im Fall der Anrechnung beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag beider Gebühren. Der Rechtsanwalt hat mithin die Wahl, welche Gebühren er fordert und - falls die Gebühren von unterschiedlichen Personen geschuldet werden - welchen Schuldner er in Anspruch nimmt. Ihm ist es lediglich verwehrt, insgesamt mehr als den Betrag zu verlangen, der sich aus der Summe der beiden Gebühren abzüglich des anzurechnenden Betrages ergibt (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2013, 323-324 m.w.N.).

Zwar kommt es nach dem Wortlaut der Regelung in Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 RVG nur darauf an, dass die Geschäftsgebühr entstanden ist, das heißt durch die vorgerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst wurde, nicht aber darauf, ob sie tatsächlich gezahlt ist. Zweck der Anrechnung ist es zu verhindern, dass die gleiche - oder annähernd gleiche - Tätigkeit zweimal honoriert wird (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 41. Aufl., Nr. 3100 VV RVG Rn. 55). Insoweit wurde vertreten, dass es für diese Anrechnung ohne Bedeutung ist, ob der beigeordnete Rechtsanwalt die Geschäftsgebühr oder einen Vorschuss darauf bereits erhalten hat oder ob mit der Zahlung der Gebühr wegen der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse auf absehbare Zeit nicht zu rechnen ist (vgl. Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, JurBüro 2009, 137-138 m.w.N.).

Ebenfalls zum 5. August 2009 ist jedoch § 55 Abs. 5 RVG neu gefasst worden. Nach § 55 Abs. 5 Satz 2 RVG hat der Rechtsanwalt in seinem Festsetzungsantrag anzugeben, ob und welche Zahlungen er bis zum Tag der Antragstellung erhalten hat; spätere Zahlungen hat er nach § 55 Abs. 5 Satz 4 unverzüglich anzuzeigen. Diese Angaben des Rechtsanwalts ermöglichen dem Urkundsbeamten bei der Festsetzung die Anrechnung von Vorschüssen und Zahlungen nach § 58 RVG vorzunehmen. Ausweislich der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucksache 16/12717 Seite 59) sollten durch die Regelung des § 55 Abs. 5 Satz 2 RVG dem Urkundsbeamten damit alle für die Festsetzung der Vergütung erforderlichen Daten zur Verfügung stehen, um ermitteln zu können, in welchem Umfang die Zahlungen nach § 58 Abs. 1 und 2 RVG als Zahlung auf die festzusetzende Gebühr zu behandeln sind.

Diese Regelung würde aber keinen Sinn ergeben, wenn eine Anrechnung auf die festzusetzende Gebühr auch in anderen Fällen als dem der Zahlung erfolgen soll, wenn z.B. auch die bloße Entstehung der anzurechnenden Gebühr ausreichen würde. Von dem Urkundsbeamten müssten dann erst diese Voraussetzungen abgefragt werden, so dass ihn die gesetzlich vorgeschriebenen Angaben im Festsetzungsantrag - anders als vom Gesetzgeber gewollt - gerade nicht in die Lage versetzen würden, die festzusetzende Vergütung zu ermitteln. Durch die Tatsache, dass § 55 Abs. 5 Satz 2 RVG nur eine Anzeige von Zahlungen vorsieht, bringt das Gesetz damit zum Ausdruck, dass es für die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Prozesskostenhilfe-Vergütungsverfahren - abweichend von der üblichen Kostenfestsetzung - nur auf die gezahlte, nicht schon auf die entstandene Geschäftsgebühr ankommt (vgl. OLG Brandenburg aaO.; OLG Frankfurt aaO.; Niedersächsisches Finanzgericht aaO.; Gerold/Schmidt aaO. § 58 Rn. 41).

Allein die vorliegend im Vergleich erfolgte Titulierung der Geschäftsgebühr zu Lasten der Beklagten rechtfertigt eine Anrechnung noch nicht. Das folgt bereits daraus, dass nicht absehbar ist, ob der titulierte Anspruch überhaupt realisiert werden kann. Wären auf die titulierte Geschäftsgebühr Zahlungen unmittelbar an den Kläger erfolgt, wäre es der Landeskasse unbenommen geblieben, nach § 120 Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO vorzugehen und einen Teil der von der Landeskasse aufgebrachten Kosten von dem Kläger zurückzuverlangen.

Dem mit den Anrechnungsvorschriften verfolgten Zweck der Vermeidung einer doppelten Vergütung des Rechtsanwalts für sich entsprechende außergerichtliche und gerichtliche Tätigkeit wird gegenüber dem Mandanten durch die Forderungssperre des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO genügt. Ein mit den Anrechnungsvorschriften bezweckter besonderer Schutz der Staatskasse lässt sich auch weder dem Wortlaut noch der Systematik der Vorschriften noch ihrer Entstehungsgeschichte oder den Gesetzesmaterialien entnehmen. Soweit auf die gewährte Prozesskostenhilfe Raten zu zahlen sind, steht eine Schädigung der Staatskasse ohnehin nicht zu befürchten (vgl. OLG Frankfurt aaO.).

Eine fiktive Anrechnung von erzielbarer Beratungshilfe ist dabei nicht geboten, da es nach den obigen Darstellungen auf die tatsächlich erhaltenen Zahlungen, nicht aber auf fiktive Zahlungen ankommt (vgl. Niedersächsisches Finanzgericht aaO.).

2) Die Beklagte hat auf die im Vergleich bezüglich der vorprozessuale Geschäftsgebühr titulierten Verbindlichkeit gegenüber dem Kläger eine Zahlung von 961,28 € unmittelbar an den Antragsteller erbracht, so dass die Voraussetzungen für eine Anrechnung dieser Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG zu Teil 3 VV RVG gegeben sind. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Antragsteller die Zahlung direkt von dem Kläger als seinem Mandanten erhalten hat oder ob der Beklagte - wie im vorliegenden Fall - als Dritter die entsprechende Forderung des Antragstellers gegenüber dem Kläger erfüllt hat, § 267 Abs. 1 BGB.

Die Frage, ob eine von dem Mandanten gezahlte Geschäftsgebühr in voller Höhe auf die Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts nach § 49 RVG oder zunächst auf die Differenz zwischen dieser Vergütung und der Wahlanwaltsvergütung nach § 13 RVG anzurechnen ist (vgl. dazu OLG Braunschweig aaO. und Niedersächsisches Finanzgericht aaO.), bedurfte vorliegend dabei keiner Klärung.

Selbst wenn man die gezahlte Geschäftsgebühr von 961,28 € zunächst auf die Differenz zwischen der Wahlanwaltsvergütung und der Vergütung als beigeordneter Rechtsanwalt anrechnet, ergibt sich ein Überschuss, welcher auf die Geschäftsgebühr des beigeordneten Rechtsanwalts nach § 49 RVG anzurechnen ist. Die Festsetzung der Prozesskostenhilfevergütung durch das Landgericht Hannover war daher in der Höhe zutreffend.

Als Wahlanwalt hätte der Antragsteller bei einem Streitwert von bis zu 19.000 € eine 1,3 Geschäftsgebühr in Höhe von 904,80 € zuzüglich Umsatzsteuer, mithin 1.076,71 € verdient. Als beigeordneter Rechtsanwalt beläuft sich die Geschäftsgebühr auf 352,60 € netto bzw. 420,78 € brutto. Die Differenz beträgt mithin 655,93 €. Zieht man von der von der Beklagten gezahlten Geschäftsgebühr von 961,28 € den Differenzbetrag von 655,93 € ab, so verbleibt ein Rest von 305,35 €. Dieser ist höher als die von dem Landgericht angerechnete Betrag von 176,80 € netto bzw. 210,39 €.

Ebenso wenig kam es danach noch auf die Frage an, ob auch die von dem Mandanten auf die vorprozessuale Geschäftsgebühr gezahlten 1.407,53 € auf die festgesetzte Verfahrensgebühr anzurechnen waren.

Sowohl vorprozessual als auch mit der Klage wurden Ansprüche des Klägers auf Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Verkehrsunfalls am 25. November 2009 geltend gemacht. Der diesbezüglich vorprozessual angenommene Streitwert von 65.865,86 € hatte sich im Rechtsstreit auf bis zu 19.000,00 € reduziert, da dem Kläger nur in diesem Umfang Prozesskostenhilfe bewilligt wurde. Es bestand aber weiterhin Identität des Streitgegenstands.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO.

Eine weitere Beschwerde ist nach §§ 33 Abs. 4 Satz 3, 56 Abs. 2 Satz 1 RVG nicht zulässig, so dass diese entgegen der Anregung des Antragstellers auch durch den Senat nicht zuzulassen war.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf der Differenz zwischen den beantragten und den festgesetzten Gebühren.