Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 27.01.2009, Az.: VgK-51/2008
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 27.01.2009
- Aktenzeichen
- VgK-51/2008
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 43449
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
In dem Nachprüfungsverfahren
...
wegen
Vergabeverfahren Neubau der ... sowie Grunderneuerung des ... - Schutz- und Leiteinrichtungen
hat die Vergabekammer durch die Vorsitzende RD` in Dr. Raab, die hauptamtliche Beisitzerin BOAR'in Schulte und den ehrenamtlichen Beisitzer, Herrn Dipl.-Ing. Lohmöller, auf die mündliche Verhandlung vom 20.01.2009 beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
- 3.
Die Kosten werden auf ... € festgesetzt.
Begründung:
I.
Die Auftraggeberin hat mit Datum vom 19.09.2008 im Rahmen des Neubaues der A ... die Lieferung und Montage von Schutz- und Leiteinrichtungen zwischen dem AK ... und der AS ... national öffentlich ausgeschrieben. Der Aufforderung zur Angebotsabgabe war zu entnehmen, dass eine Unterteilung der zu erbringenden Leistungen in Lose nicht vorgesehen ist. Die Bieter wurden darauf hingewiesen, dass Nebenangebote/Alternativvorschläge berücksichtigt werden. Die Auftraggeberin stellte an Nebenangebote hinsichtlich der Gleichwertigkeit allgemeine und technische Mindestanforderungen. Da keine Zuschlagskriterien genannt wurden, war der niedrigste Preis das einzige Zuschlagskriterium.
In der Baubeschreibung war auf Seite 11 unter 3.5.1 "Schutzplanken" u.a. Folgendes erläutert:
"Beim Neubau von Schutzplanken kommen nur SIGMA- und C-125-Pfosten zum Einsatz. Die Pfosten sind so einzubauen, dass die Öffnung in die Fahrtrichtung zeigt."
Ferner war unter den sonstigen Vertragsbedingungen und vertraglichen Vereinbarungen (Ziffer 5.2.1 der Baubeschreibung) u.a. die RPS 2008, Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme, Ausgabe 2008, Stand April 2008, genannt. Zusätzlich waren die Technischen Lieferbedingungen für Stahlschutzplanken an Bundesfernstraßen/Ergänzung zu Konstruktionszeichnungen mit RS vom 08.11.93, ARS 08/99 vom 01.12.1999, Ausgabe 1999, zu beachten.
In der Leistungsbeschreibung war z.B. in der OZ 00.01.0007 "Schutzplanken aus Stahl herstellen" u.a. ausgeführt:
"Stahlschutzplanken gem. RAL-RG 620 Zeichnungs-Nr. S1.1-310 oder glw. Aufhaltestufe H2, Wirkungsbereich W4 nach DIN EN 1317-2 liefern und montieren.
Pfosten C-125, Länge mind. 2400 mm.
Pfostenabstand 1,33 m."
Der Niederschrift über die Angebotseröffnung am ....2008 ist zu entnehmen, dass 6 Angebote zum Eröffnungstermin vorlagen. Das Hauptangebot der Antragstellerin lag mit einer Angebotssumme von ... € an erster Stelle. Sie hatte kein Nebenangebot vorgelegt. Das Hauptangebot der Beigeladenen lag mit einer Angebotssumme in Höhe von ... € an zweiter Stelle. Die Beigeladene hatte ein Nebenangebot eingereicht. Bei der Angebotseröffnung war u.a. auch ein Bevollmächtigter der Antragstellerin und der Beigeladenen anwesend.
Am ....2008 ließ sich die Auftraggeberin von der Antragstellerin über den Inhalt des Angebotes hinsichtlich verschiedener Punkte aufklären. Es wurde u.a. festgehalten, dass keine BAST-Prüfzeugnisse vorhanden sind, sondern Prüfzeugnisse anderer Stellen (italienische und französische Prüfstellen).
Im Zuge der Wertung der Angebote schloss die Auftraggeberin die Antragstellerin und einen weiteren Bieter aus. Die Auftraggeberin hielt fest, dass die von der Antragstellerin angebotenen Pfosten nicht den Forderungen der Ausschreibung entsprechen.
Die Auftraggeberin kam zu dem Ergebnis, dass das Angebot der Beigeladenen mit einer Brutto-Angebotssumme von ... € das wirtschaftlichste war. Da dieses Angebot über 10 % günstiger war als das des wertbaren nächst günstigsten Bieters, ließ sie sich in der dritten Wertungsstufe über den Angebotspreis von der Beigeladenen aufklären. Sie hat dokumentiert, warum keine zwingenden Gründe vorliegen, das Angebot der Beigeladenen auszuschließen. Ferner hat sie mit Vermerk vom 22.10.2008 festgehalten, warum das Angebot der Antragstellerin nicht wertbar ist. Sie dokumentierte, dass zwar die von der Antragstellerin angebotenen Schutzplanken gleichwertig seien und den Anforderungen entsprechen würden, nicht jedoch die Pfosten. Sie habe eine bestimmte Rückhalteklasse mit Pfosten des Typs C-125 bzw. SIGMA gefordert. Die von der Antragstellerin angebotenen "Doppel-T-Pfosten" würden nicht nur nicht den Anforderungen entsprechen, die in der Leistungsbeschreibung genannt worden seien, sondern auch in keiner Weise den Anforderungen der technischen Regelwerke (TL-SP).
Mit Schreiben vom 23.10.2008 informierte die Auftraggeberin die Antragstellerin, dass ihr Angebot ausgeschlossen werde, weil es nicht die in den Verdingungsunterlagen gestellten Bedingungen erfüllt. Es wurde erläutert, dass beim Neubau von Schutzplanken nur SIGMA- und C-125-Pfosten zum Einsatz kämen. Die von ihr angebotenen Pfosten entsprächen nicht den Forderungen der Ausschreibung.
Mit Schreiben vom 23.10.2008 monierte die seinerzeitige Bevollmächtigte der Antragstellerin den Ausschluss des Angebotes aus der Wertung. Die Antragstellerin habe das günstigste Angebot eingereicht. Die vorgegebenen Bauteile seien in der Baubeschreibung mit dem Zusatz "oder gleichwertig" versehen bzw. technische Normen zugrunde gelegt worden, die ihrerseits gleichwertige Bauteile zulassen. Alle von ihr angebotenen Bauteile seien gleichwertig, damit zulässig und wertbar.
Nachdem die Auftraggeberin mit Schriftsatz vom 24.10.2008, abgesandt am 27.10.2008, erklärte, dass sie den Ausschluss aufrecht erhalte und den Zuschlag anderweitig erteilt habe, rügte der jetzige Bevollmächtigte der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 06.11.2008 den Ausschluss des Angebotes. Die Antragstellerin weist jetzt darauf hin, dass das Informationsschreiben vom 23.10.2008 nicht den Anforderungen genüge, die in § 13 VgV an die Information der nicht berücksichtigten Bieter gestellt würden. Ferner beanstandet sie, dass die zu erbringende Leistung nicht europaweit im offenen Verfahren ausgeschrieben worden sei, da der Auftragswert des Gesamtprojektes weit über dem Schwellenwert liege.
Außerdem führt sie aus, dass sich die Ausführung "oder glw." nicht nur auf die Schutzplanken beziehe, sondern aufgrund der zeichnerischen Darstellung in der RAL-RG 620 Zeichnungs-Nr. S1.1-310 auch auf die Pfosten beziehe.
Sie rügt die Vorgabe, dass nur SIGMA- und C-125-Pfosten verwendet werden sollten. Diese Vorgabe verstoße gegen § 9 Nr. 10 VOB/A.
Nachdem die Auftraggeberin der Antragstellerin mit Schreiben vom 11.11.2008 nochmals ihre Auffassung mitgeteilt hat, erläuterte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 13.11.2008 der Auftraggeberin, warum ein möglicher Nachprüfungsantrag nicht präkludiert sei.
Mit Schriftsatz vom 21.11.2008, eingegangen in der Vergabekammer am selben Tage, beantragt die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Sie ergänzt und vertieft ihren Vortrag in Bezug auf den bereits in den Rügeschreiben gegenüber der Auftraggeberin monierten Ausschluss ihres Angebotes und die fehlende Information gemäß § 13 VgV. Da die Auftraggeberin diese Vorabinformation vor der Beauftragung nicht erteilt habe, sei der geschlossene Vertrag nichtig, so dass die formale, aber unwirksame Zuschlagserteilung dem Verfahren nicht entgegenstehen würde. Außerdem sei der erteilte Zuschlag auch gemäß § 134 BGB nichtig, da er gegen §§ 97 Abs. 1 und 101 Abs1 GWB verstoße.
Nach Durchführung der eingeschränkten Akteneinsicht und einem verfahrensbegleitenden Schreiben der Vergabekammer vom 16.12.2008 wies die Antragstellerin darauf hin, dass die Auftraggeberin vergaberechtswidrig ein nationales Vergabeverfahren durchgeführt habe, obwohl das Verfahren hätte EU-weit ausgeschrieben werden müssen, da der Schwellenwert deutlich überschritten sei.
Die Antragstellerin meint, dass die Auftraggeberin die Vorgabe Sigma- bzw. C-125-Pfosten "oder gleichwertig" gestellt habe. Da sie keine Kriterien für die Gleichwertigkeit auch in Bezug auf die Form, vorgegeben habe, sei auch keine Rüge hinsichtlich der vorgegeben Form erforderlich gewesen. In diesem Fall könne die Auftraggeberin auch keine spezielle Form der Pfosten einfordern. Hierfür wäre Voraussetzung gewesen, dass sie in ihren Verdingungsunterlagen Kriterien aufgestellt hätte. Bei der Vergabe eines Systems ohne bekannt gemachte Kriterien müsse es sich gerade nicht um ein System mit gleichen Formen handeln.
Ferner weist sie darauf hin, dass die RAL-RG 620 ein "Regelwerk" (Produktkatalog) der Gütegemeinschaft Stahlschutzplanken e.V., eine private Vereinigung zu Gütebestimmungen, sei. Unternehmen, die nicht Mitglied der Gütegemeinschaft sind, seien an die Vorgaben der TL-SP 99 gebunden. Da beide Regelungen sich im Wesentlichen deckten, seien sie als gleichwertig anzusehen. Soweit die Auftraggeberin zur Begründung ihrer Forderung nach SIGMA- und C-125-Pfosten auf mehr Sicherheit für Zweiradfahrer berufe, weist die Antragstellerin darauf hin, dass die Problematik und die Untersuchungen der Unfälle und Sicherheit der Zweiradfahrer nur Unfälle an Bundes- und Landesstraßen betreffe, nicht jedoch an Autobahnen. Es könne daher diese Grundlage nicht bei der Beurteilung der Gleichwertigkeit heran gezogen werden.
Die Antragstellerin beantragt,
- 1.
festzustellen, dass die Zuschlagserteilung vom 24.10.2008 nichtig ist, die Antragsgegnerin anzuweisen, den erteilten Zuschlag aufzuheben und dem Angebot der Antragstellerin den Zuschlag zu erteilen,
- 2.
der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakte zu gewähren,
- 3.
meine Hinzuziehung als Bevollmächtigte der Antragstellerin nach § 128 Abs. 4 GWB, § 80 Abs. 3 VwVfG für notwendig zu erklären.
Die Auftraggeberin beantragt,
- 1.
die Anträge zu 1 - 3 auf Nachprüfung zurückzuweisen,
- 2.
der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die Auftraggeberin tritt den Behauptungen und Rechtsauffassungen der Antragstellerin entgegen.
Zunächst gesteht sie ein, dass sie es versäumt habe, die Lieferung und Montage der Schutz- und Leitplanken im offenen Verfahren auszuschreiben. Der Nachprüfungsantrag sei dennoch unzulässig, auf jeden Fall aber unbegründet.
Der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, da die Antragstellerin die von ihr erkannten Verstöße gegen das Vergaberecht nicht unverzüglich gerügt habe. Zwischenzeitlich sei das Vergabeverfahren mit Erteilung des Zuschlages bereits beendet. Der Zuschlag sei vor Stellung des Nachprüfungsantrages erteilt worden, so dass die Beseitigung der Rechtsverletzung der Antragstellerin nicht mehr erreicht werden könne.
Die Antragstellerin sei mit ihrem Vorbringen präkludiert, soweit sie nun behaupte, dass ein europaweites Vergabeverfahren hätte stattfinden müssen. Dies hätte sie als erfahrenes Unternehmen bereits aus den Ausschreibungsunterlagen entnehmen können. Spätestens jedoch bei der Angebotseröffnung am ....2008 habe die Antragstellerin feststellen können und müssen, dass der Auftrag im offenen Verfahren auszuschreiben gewesen wäre. Erst nachdem die Antragstellerin mit Schreiben vom 23.10.2008 informiert worden sei, dass die Beigeladene den Zuschlag erhalten habe, habe sie mit Schreiben vom 06.11.2008 erstmals die fehlende europaweite Ausschreibung gerügt.
Auch sei die Antragstellerin mit der Rüge in ihrem Schriftsatz vom 06.11.2008, dass die Pfosten nicht produktneutral ausgeschrieben worden seien, präkludiert. Bereits den Verdingungsunterlagen sei zu entnehmen gewesen, dass nur die ausgeschriebenen Pfosten zugelassen sind. Die Rüge erfolgte jedoch erst mit dem o.g. Schriftsatz vom 06.11.2008.
Soweit der Nachprüfungsantrag nicht unzulässig sei, sei er jedenfalls unbegründet. Der Baubeschreibung und den beigefügten Richtlinien sei zu entnehmen, dass nur Pfosten zum Einsatz kommen sollen, die abgerundete Kanten haben. Sie habe sich bewusst für Sigma- bzw. C-125-Pfosten entschieden, da diese Pfosten aufgrund ihrer Form Vorteile beim Anprall und damit einen besseren Schutz für gestürzte Zweiradfahrer bieten. Um eine technische Spezifikation i.S.d. § 9 Nr. 6 Abs. 1 VOB/A handele es sich dabei gerade nicht. Eine von den Vorgaben abweichende technische Spezifikation könne im Übrigen auch nur gewertet werden, wenn sie mit dem geforderten Schutzniveau in Bezug auf Sicherheit, Gebrauchstauglichkeit gleichwertig ist. Dabei sei das Gesamtsystem zu betrachten. Bei den vorgegebenen Pfosten mit der Bezeichnung Sigma- oder C-125 Pfosten habe sie aber eben nur ein bestimmtes Konstruktionsdetail durch eine bestimmte Pfostenform vorgegeben. Eine Bezugnahme auf eine Norm i.S.d. § 9 Nr. 6 Abs. 1 VOB/A sei für die Pfostenform bewusst nicht vorgenommen worden.
Die von der Antragstellerin angebotenen "Doppel-T-Träger-Pfosten" hätten jedoch vier scharfkantige Enden. Insoweit seien die angebotenen "Doppel-T-Träger-Pfosten" nicht mit den geforderten abgerundeten Pfosten vergleichbar bzw. gleichwertig. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass es sich bei den von der Antragstellerin angebotenen Pfosten um ein deutsches Fabrikat handelt, da diese Pfosten u.a. in der TL-SP Zeichnung Nr. 156 und der RAL-RG 620 Zeichnung Nr. P.1.2-101 dargestellt seien. Diese Pfosten würden jedoch nicht ihren Anforderungen hinsichtlich des Schutzes der Zweiradfahrer genügen. Das Angebot der Antragstellerin sei daher zu Recht von der weiteren Wertung ausgeschlossen worden.
Die Beigeladene hat keine Anträge gestellt und sich auch im Nachprüfungsverfahren nicht geäußert.
Die Vergabekammer hat durch Verfügung der Vorsitzenden vom 18.12.2008 die Frist für die abschließende Entscheidung bis zum 13.02.2009 verlängert.
Wegen des übrigen Sachverhaltes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 20.01.2009 und die Vergabeakte Bezug genommen.
Gründe
II.
Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig. Die Entscheidung der Auftraggeberin, das Angebot der Antragstellerin auszuschließen und den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten gemäß §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB. Denn die Antragstellerin hat es zum einen versäumt, die in der Aufforderung zur Angebotsabgabe niedergelegte Anforderung an die für die Stahlschutzplankenkonstruktion zu verwendenden Pfosten im laufenden Vergabeverfahren bis spätestens zum Ende der Angebotsfrist zu rügen. Ihre am 23.10.2008 nach Erhalt der Bieterinformation diesbezüglich mit Anwaltsschriftsatz erhobene Rüge war verspätet im Sinne des § 107 Abs. 3 S. 1 GWB. Zum anderen hat sie es versäumt, den ihr spätestens seit Kenntnisnahme von den Submissionsergebnissen am 07.10.2008 offenkundigen Verstoß der Auftraggeberin gegen die Pflicht zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens gem. §§ 100, 101 GWB, §§ 1a, 3a VOB/A rechtzeitig im laufenden Vergabeverfahren gegenüber der Auftraggeberin zu rügen. Die diesbezüglich erst mit Anwaltsschriftsatz vom 06.11.2008 erhobene Rüge erfolgte ebenfalls nicht mehr unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 S. 1 GWB. Diese Präklusion erstreckt sich auf alle weiteren mit der Unterlassung der europaweiten Ausschreibung zusammenhängenden Beanstandungen. Mangels eines zulässigen Nachprüfungsantrages ist es der Vergabekammer verwehrt, von Amts wegen gem. §§ 110 Abs. 1, 114 Abs. 1 GWB die Auftraggeberin zur Aufhebung des streitbefangenen Vergabeverfahrens und zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens zu verpflichten. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass die streitbefangene Baumaßnahme den maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 Nr. 7 VgV deutlich überschreitet.
Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig.
Die Vergabekammer ist zuständig. Bei der Auftraggeberin, der Bundesrepublik Deutschland, handelt es sich um eine Gebietskörperschaft und damit einen öffentlichen Auftraggeber i.S.d. § 98 Nr. 1 GWB. Das Land Niedersachsen, vertreten durch die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr - Geschäftsbereich ... -, führt das beanstandete Vergabeverfahren im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung gem. Artikel 85 GG für die Bundesrepublik Deutschland - Straßenbauverwaltung - durch. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Bauauftrag im Sinne des § 1 VOB/A.
Zum Zeitpunkt der Ausschreibung galt für Bauaufträge gem. § 2 Nr. 4 der Vergabeverordnung (VgV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.02.2003, geändert durch die 3. Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung vom 23. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2334), zuletzt geändert durch Festsetzung der EU-Kommission mit Wirkung vom 01.01.2008 ein Schwellenwert von 5 150 000 € (s. ABl. EU Nr. L317 vom 05.12.2007 S. 34). Werden Bauaufträge, wie im vorliegenden Fall, losweise ausgeschrieben, gilt gem. § 2 Nr. 7 VgV ein Schwellenwert von 1 Mio. € oder bei Losen unterhalb von 1 Mio. € deren addierter Wert ab 20 % des Gesamtwertes aller Lose. Die streitbefangene Baumaßnahme ist Teil der Gesamtbaumaßnahme "Neubau der A ... sowie Grunderneuerung des ...", die sich gemäß telefonischer Auskunft der Auftraggeberin vom 19.01.2009 nach ihrer ursprünglichen Schätzung auf einen Auftragswert von ca. ... Euro belief. Die ausgeschriebene Teilbaumaßnahme Schutz- und Leiteinrichtungen liegt angesichts des preislich günstigsten Angebots der Antragstellerin in Höhe von ... € netto deutlich über 1 Mio. €. Der Wert des ausgeschriebenen Auftrags übersteigt damit den für die Anrufung der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert, so dass die angerufene Vergabekammer zuständig ist.
Die Antragstellerin ist auch gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie behauptet, dass die Auftraggeberin das preislich günstigste Angebot der Antragstellerin vergaberechtswidrig von der Wertung ausgeschlossen habe. Auf das Angebot der Beigeladenen dürfe der Zuschlag nicht erteilt werden, weil es unter der vergaberechtlich gebotenen Berücksichtigung des Angebotes der Antragstellerin nicht das wirtschaftlichste Angebot sei.
Voraussetzung für die Antragsbefugnis gemäß § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt, das bedeutet, dass die Antragstellerin diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 107 Rdnr. 52). Die diesbezüglichen Anforderungen an die Darlegungslast dürfen aber nicht überspannt werden (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Auflage, § 107 GWB, Rdnr. 954).
Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtschutzbedürfnis dargelegt. Sie hat schlüssig vorgetragen, dass sie bei aus ihrer Sicht vergaberechtskonformer Angebotswertung eine Chance auf den Zuschlag gehabt hätte. Ausweislich des Submissionsspiegels vom 07.10.2008 hat die Antragstellerin mit einer geprüften Angebotssumme von ... € brutto das preislich günstigste Angebot abgegeben. Es ist im Übrigen nicht erforderlich, dass ein Antragsteller auch darlegt, dass er bei vergabekonformem Verhalten des Auftraggebers den Zuschlag auch tatsächlich erhalten hätte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.1999, Az.: Verg 1/99, Seite 24).
Die Antragstellerin hat es jedoch versäumt, die ihr mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe bekannt gewordene Anforderung der Auftraggeberin an die Form der Pfosten ("nur C-125-bzw. Sigma-Pfosten") rechtzeitig gemäß § 107 Abs. 3 S. 1 GWB gegenüber der Auftraggeberin zu rügen. Des weiteren hat sie es unterlassen, den im Submissionstermin am 07.10.2008 nach Verlesung der Angebotsendsummen zwischen ... € brutto und ... € brutto in Anwesenheit eines Vertreters Ihres Unternehmens erkannten bzw. ohne Weiteres erkennbaren Verstoß gegen die Pflicht zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens § 107 Abs. 3 S. 1 GWB gegenüber der Auftraggeberin unverzüglich zu rügen. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 S. 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Anbieters von den Tatsachen. Ausreichend für die positive Kenntnis eines Mangels im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ist bereits das Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen erlaubt und es bei vernünftiger Betrachtung gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 22.08.2002, Az.: Verg 9/02 ).
Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabs hat die Antragstellerin die von der Auftraggeberin aufgestellte Vorgabe der Pfostenform nicht rechtzeitig gerügt. Die Aufforderung zur Angebotsabgabe enthält in der Baubeschreibung unter Ziffer 3.5.1 "Schutzplanken" folgenden Hinweis: " Beim Neubau von Schutzplanken kommen nur SIGMA- und C-125-Pfosten zum Einsatz." Im Leistungsverzeichnis weist z.B. die Ziffer 00.01.0007 aus: " 700,0 m Schutzeinrichtung aus Stahl herst. Stahlschutzplankenkonstruktion gem. RAL-RG 620 Zeichnungs-Nr. S. 1.1-310 oder glw. ..., Pfosten C-125". Die Auftraggeberin hat nach Auffassung der Vergabekammer in der Baubeschreibung unmissverständlich ihre Vorgabe an die Pfosten niedergelegt und dies im Leistungsverzeichnis wiederholt, indem sie die Schutzplankenkonstruktion insgesamt mit dem Zusatz "oder glw." versehen hat, die Pfosten jedoch jeweils davon ausnahm, indem sie deren Beschaffenheit detailliert vorgab. Für die Beanstandung eines Bieters, ihm würden mit den Verdingungsunterlagen vergabewidrige Vorgaben gemacht, beginnt die Rügefrist des § 107 Abs. 3 S. 1 GWB mit dem Beginn der Ausarbeitung des eigenen Angebots (Kadenbach in: Willenbruch/Bischoff, Vergaberecht, § 107 GWB Rdnr. 66) und beläuft sich bei diesem für die Antragstellerin als erfahrenes Bieterunternehmen einfach zu erkennenden Sachverhalt auf 1 bis 3 Tage. Nach der Rechtsprechung muss die Rüge angesichts der kurzen Fristen, die im Vergaberecht allgemein gelten, grundsätzlich innerhalb von 1 - 3 Tagen erfolgen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss v. 18.09.2003, Az.: 1 Verg 4/00; Bechtold, GWB, § 107, Rdnr. 2). Eine Rügefrist von zwei Wochen, die in der Rechtsprechung als Obergrenze anerkannt wird (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2000, S. 45 ff. [OLG Düsseldorf 13.04.1999 - Verg 1/99]), kann einem Bieterunternehmen allenfalls dann zugestanden werden, wenn eine verständliche Abfassung der Rüge durch eine schwierige Sachverhalts- und/oder Rechtslage erschwert wird und die Inanspruchnahme fachkundiger Hilfe erfordert. Die Antragstellerin war in der Lage, die Anforderungen an die Pfosten innerhalb von wenigen Tagen nach Beginn der Ausarbeitung ihres Angebots zu rügen. Auch wenn § 107 Abs. 3 S. 2 GWB seinem Wortlaut nach nur Vergabeverstöße betrifft, die aus der Vergabebekanntmachung erkennbar sind, nicht solche, die erst aus den Verdingungsunterlagen ersichtlich sind, endet die Rügefrist letztlich spätestens mit Ende der Angebotsfrist.
Unstreitig hat die Antragstellerin die geforderte Form der Pfosten erst am 23.10.2008 nach Erhalt der Verständigung der Bieter am selben Tag gerügt, als sie erfuhr, dass sie nicht für den Zuschlag vorgesehen ist und ihr Angebot wegen der angebotenen Doppel-T-Träger-Pfosten von der Wertung ausgeschlossen wurde. Dies war jedenfalls zu spät. Selbst wenn sie - entgegen der Auffassung der Vergabekammer - wegen der Formulierung "Stahlschutzplankenkonstruktion oder glw." noch Raum für ein anderes Verständnis sieht, wäre angesichts der deutlichen Aussagen zur Pfostenform in Baubeschreibung und Leistungsverzeichnis eine Rüge geboten gewesen, um der Auftraggeberin ggf. Gelegenheit zur Klarstellung oder Korrektur im frühestmöglichen Stadium zu geben. Die Antragstellerin durfte nicht mit ihrer Rüge abwarten, ob sie den Auftrag erhält, auch wenn sie sich angesichts des Verlaufs des Aufklärungsgesprächs und aufgrund ihres günstigen Preises entsprechende Hoffnungen gemacht hat. Demnach ist die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen, die Auftraggeberin habe vergaberechtswidrig nur SIGMA- und C-125-Pfosten zugelassen, damit faktisch auch vergaberechtswidrig eine Vorentscheidung für ein bestimmtes System getroffen und so echten Wettbewerb verhindert, gemäß § 107 Abs. 3 S. 1 GWB präkludiert.
Des weiteren hat die Antragstellerin den in der Unterlassung der europaweiten Ausschreibung liegenden Vergaberechtsverstoß und die sich an diesen Vergaberechtsverstoß anknüpfenden weiteren Vergaberechtsverstöße nicht rechtzeitig gerügt. Dabei geht die Vergabekammer nicht davon aus, dass die Antragstellerin die Überschreitung des Schwellenwertes schon aus der Vergabebekanntmachung hätte erkennen müssen. Aber während der Submission musste sich der geltend gemachte Verstoß der Auftraggeberin gegen die Pflicht zur Durchführung eines europaweiten Verfahrens aufdrängen. Die Antragstellerin, die laut Submissionsniederschrift vom 07.10.2008 einen Vertreter ihres Unternehmens entsandt hatte, hatte nach Verlesung der Angebotsendsummen zwischen ... € brutto und ... € brutto als erfahrenes Bieterunternehmen positive Kenntnis davon, dass die Auftraggeberin ihre Pflicht zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens verletzt hat. Im Submissionstermin war zum einen deutlich, dass es sich um einen Teil einer Gesamtbaumaßnahme handelt und zum anderen, dass sämtliche in der Submission verlesenen Preise den für losweise Vergabe geltenden Schwellenwert in Höhe von 1 Mio. Euro weit überschreiten. Damit hätte die Antragstellerin ihre diesbezügliche Rüge nach den oben ausgeführten Maßstäben grundsätzlich innerhalb von 1 bis 3 Tagen gegenüber der Auftraggeberin erheben müssen. Unter Zugrundelegung der zutreffenden Maßstäbe war die Antragstellerin als ein bei europaweit ausgeschriebenen Infrastrukturbaumaßnahmen erfahrenes Unternehmen in der Lage, den Verstoß gegen die europaweite Ausschreibungspflicht innerhalb von wenigen Tagen nach Kenntnisnahme der Submissionsergebnisse am 07.10.2008 gegenüber der Auftraggeberin zu rügen. Dies hat die Antragstellerin unterlassen, vielmehr erst die Verständigung der Bieter am 23.10.2008 abgewartet, die einen Submissionsspiegel enthielt, und noch weitere 14 Tage später, am 06.11.2008 ihre Rüge der unterlassenen europaweiten Ausschreibung per Anwaltschriftsatz erhoben. Es handelte sich bei der deutlichen Überschreitung des Schwellenwerts keineswegs um eine schwierige Sach- oder Rechtslage, die anwaltliche Beratung bei der Abfassung der Rüge erforderte. Im Gegenteil geht es um eine einfach gelagerte rechtliche Beanstandung. Dies gilt umso mehr, als an den Inhalt der Rüge gem. § 107 Abs. 3 GWB regelmäßig nur geringe Anforderungen zu stellen sind. Selbst wenn man aber der Antragstellerin zugesteht, im Vorfeld der Rüge anwaltliche Beratung einzuholen, erfolgte die erst einen Monat nach Erlangung der positiven Kenntnis vom Vergaberechtsverstoß abgesetzte Rüge nicht mehr unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 S. 1 GWB.
Damit ist Präklusion bezüglich dieser Rüge gemäß § 107 Abs. 3 S. 1 GWB eingetreten. Auch bezüglich dieses Verstoßes hat die Antragstellerin entgegen der Intention des Gesetzgebers, die der Rügepflicht des § 107 Abs. 3 S. 1 GWB zugrunde liegt, positiv erkannte Vergabeverstöße im Vergabeverfahren erst dann gerügt, als sie ihm offensichtlich zum Nachteil gereichten. Sie hätte der Auftraggeberin vielmehr unabhängig davon im laufenden Vergabeverfahren unverzüglich die Gelegenheit geben müssen, dem festgestellten Vergaberechtsverstoß selbst abzuhelfen. Nimmt ein Bieter den erkannten Vergaberechtsverstoß hin, kann er sich im Nachhinein im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens nicht mehr darauf berufen. Andernfalls liefe die Präklusionsregelung des § 107 Abs. 3 S. 1 GWB ins Leere. Die Antragstellerin verkennt in ihrer Argumentation auch, dass § 107 Abs. 3 GWB den Bietern im Vergabeverfahren nicht den Rechtsschutz abschneidet, sondern dass der dem Bieter gewährte Primärrechtsschutz im Vergabeverfahren voraussetzt, dass sich der Bieter seinerseits auch stets gebührend um seinen Rechtsschutz bemüht. Dazu gehört gerade auch die vorprozessuale Rüge.
Die durch die Präklusion bewirkte Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags wegen Unterlassens der Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens schlägt nach der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf alle mit der fehlerhaften Wahl der Art des Vergabeverfahrens zusammenhängenden Beanstandungen durch. Wird die Wahl der öffentlichen Ausschreibung nach § 3 VOB/A anstelle des gebotenen europaweiten, offenen Verfahrens nicht rechtzeitig beanstandet, erfasst die Präklusionswirkung die spätere Nichteinhaltung solcher Bestimmungen, die gerade nur bei gemeinschaftsweiter Ausschreibung einzuhalten sind. Dies gilt insbesondere für die Nichterteilung der Vorinformation nach § 13 VgV und deren Rechtsfolgen. Der dann - wie im vorliegenden Fall - nach öffentlicher Ausschreibung geschlossene Vertrag ist nicht wegen unterbliebener Vorinformation nichtig (vgl. Kammergericht Berlin, Beschluss v. 10.10.2002, Az.: 2 KartVerg 13/02, NZBau 2003, S. 338 ff. [KG Berlin 10.10.2002 - 2 KartVerg 13/02]). Diese Rechtsprechung wurde auch durch einen Beschluss des Hanseatischen OLG in Bremen vom 07.11.2005, Az.: Verg 3/2005, mit dem der dortige Vergabesenat einen Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB zurückgewiesen hat, bestätigt. Danach schließt die unterlassene Rüge eines gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB positiv erkannten oder - wie im dortigen Fall - nach § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB aus der Vergabebekanntmachung erkennbaren Verstoßes gegen die Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens die Bieter mit allen Rügen aus, die unmittelbar mit der fehlerhaften Einschätzung des Auftragsumfangs durch die Vergabestelle zusammenhängen, jedenfalls soweit sie als Folge des zugrunde liegenden Verstoßes ihrerseits erkennbar sind. Das OLG Bremen hat diese Rechtsauffassung im Anschluss an diesen zitierten Beschluss im Rahmen des noch anhängigen Fortsetzungsfeststellungsverfahrens mit Beschluss vom 18.05.2006, Az.: Verg 3/2005, mit gleicher Begründung dem EuGH zur Vorab-Entscheidung auf Grundlage von Artikel 234 EG-Vertrag vorgelegt (vgl. IBR 2006, 589 [OLG Bremen 18.05.2006 - Verg 3/05]).
Die Vergabekammer teilt diese Rechtsauffassung hinsichtlich der Tragweite der Präklusionswirkung (vgl. insoweit auch VK Lüneburg, Beschluss v. 10.10.2006, Az. VgK 23/2006 ). Nur so ist die Funktion der Rügeobliegenheit gewahrt, im Interesse des das Vergaberecht beherrschenden Beschleunigungsgebots die Bieter zu veranlassen, sich bereits während des Vergabeverfahrens mit den erkennbaren Fehlern und vor allen Dingen mit den positiv erkannten Fehlern des Verfahrens zu befassen, und über dieses Befassungsgebot sicherzustellen, dass solche Mängel schon in diesem Verfahrensstadium geltend gemacht werden. Die Einschätzung des Auftragswertes nach § 3 VgV bestimmt aber das weitere Ausschreibungsverfahren nicht nur hinsichtlich der Art der Ausschreibung, sondern insbesondere hinsichtlich der Frage, ob den Bietern der Weg zu den vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen eröffnet ist (vgl. KG Berlin, Beschluss v. 17.10.2002, Az.: 2 Kart-Verg 13/02).
Angesichts der Tatsache, dass der Auftraggeber ein zwar nicht europaweites, aber immerhin öffentliches und damit förmliches Vergabeverfahren durchgeführt hat, war die Rüge auch im Gegensatz zur Situation bei echten De-facto-Vergaben, denen überhaupt kein förmliches Vergabeverfahren vorausgeht, nicht entbehrlich.
Für den Fall einer echten De-facto-Vergabe auf der Grundlage von Wettbewerbsverhandlungen mit mehreren Unternehmen außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens wird in Rechtsprechung und Lehre überwiegend die Auffassung vertreten, dass es einer Rüge vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens nicht bedarf (vgl. Wiese in: Kulartz/Kus/Portz, GWB, § 107, Rdnr. 104, m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 25.01.2005, VergabeR 2005, S. 343; Kadenbach in: Willenbruch/Bischoff, Vergaberecht, § 107 GWB Rdnr. 36). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB. Diese Regelung ist nach ihrem Wortlaut auf vom Antragsteller "im Vergabeverfahren" erkannte Verstöße beschränkt. Das bedeutet, dass die Rügeobliegenheit nur innerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens besteht. Dafür spricht auch, dass die Rügeobliegenheit eine rechtliche Sonderverbindung zwischen Auftraggeber und Unternehmen voraussetzt, innerhalb derer der Grundsatz von Treu und Glauben gilt. Diese Sonderverbindung besteht im förmlichen Vergabeverfahren, nicht aber schon dann, wenn ein Unternehmen vom konkreten Beschaffungsvorgang nicht durch den Auftraggeber selbst, sondern durch Dritte Kenntnis erlangt (vgl. Burgi, NZBau 2003, S. 16, 21). Da die Antragstellerin im vorliegenden Fall vom Vergaberechtsverstoß als Beteiligte eines förmlichen Vergabeverfahrens erfahren hat, war die Rüge des Verstoßes gegen die Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens somit nicht entbehrlich (vgl. VK Lüneburg, Beschluss v. 10.10.2006, Az. VgK 23/2006 ).
Da das Unterlassen der Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens bei derart deutlicher Überschreitung des Schwellenwerts einen schwerwiegenden Verstoß gegen das Vergaberecht darstellt, hatte die Kammer jedoch zu prüfen, ob sie trotz Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags berechtigt und ggf. - bei Ermessensreduzierung auf Null - sogar verpflichtet ist, den Verstoß im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes gem. § 110 Abs. 1 GWB aufzugreifen und die Auftraggeberin zu verpflichten, das Vergabeverfahren aufzuheben und den Auftrag nur nach Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens zu vergeben. Gemäß § 110 Abs. 1 GWB erforscht die Vergabekammer den Sachverhalt von Amts wegen. Dementsprechend ist sie gem. § 115 Abs. 1 GWB bei ihrer Entscheidung über die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern, ausdrücklich nicht an die Anträge gebunden und kann auch unabhängig auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Damit bestehen grundsätzlich weit reichende Überprüfungsmöglichkeiten, die sich auch auf nicht vom Antragsteller geltend gemachte Verstöße erstrecken (vgl. Byok/Jaeger, VergabeR, § 110 GWB, Rdnr. 702, m.w.N.). In der Praxis kann und soll diese Rechtmäßigkeitskontrolle aber aus Zeitgründen regelmäßig nicht voll ausgeschöpft werden. Dies folgt zum einen aus dem engen zeitlichen Rahmen, der der Vergabekammer durch die gesetzliche Fünf-Wochen-Frist gem. § 113 Abs. 1 GWB für das Nachprüfungsverfahren gesetzt wird. Zum anderen folgt dies aber auch aus § 110 Abs. 1 Satz 2 GWB. Danach hat die Vergabekammer - ungeachtet des Amtsermittlungsgrundsatzes - bei ihrer gesamten Tätigkeit darauf zu achten, den Ablauf des Vergabeverfahrens nicht unangemessen zu beeinträchtigen. Trotz des öffentlichen Interesses an der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens findet daher keine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Vergabekammer statt. Die Amtsermittlung muss sich auf andere, offenkundige und schwerwiegende Vergabeverstöße beschränken (vgl. Byok/Jaeger, a.a.O., § 110 GWB, Rdnr. 702). Bei offensichtlichen, schwerwiegenden Vergaberechtsverstößen ist die Vergabekammer also auch dann nicht gehindert, diese im Rahmen ihrer Entscheidung zu berücksichtigen, wenn die Verstöße von der Antragstellerin nicht gerügt wurden (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 08.11.2001, Az.: 13 Verg 9/01 ). Ein derartiger schwerwiegender Verstoß liegt z.B. ohne weiteres vor, wenn ein Auftraggeber - wie im vorliegenden Fall - von einem europaweiten Vergabeverfahren absieht, obwohl es für ihn im Rahmen seiner Prognose ohne weiteres erkennbar war, dass der Auftragsgegenstand jeweils den maßgeblichen Schwellenwert überschreiten wird.
Schwerwiegende, offensichtliche Verstöße gegen das europäische und das deutsche Vergaberecht wie eben das Absehen von einer objektiv gebotenen europaweiten Ausschreibung kann und ggf. muss die Vergabekammer gem. §§ 110 Abs. 1, 114 Abs. 1 GWB aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens schon von Amts wegen berücksichtigen. Die Befugnis der Kammer, in ihrer Entscheidung auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens einzuwirken, bietet ihr einen gewissen Spielraum, da die Entscheidung zwar vorrangig, aber nicht allein dem Interesse des Bieters an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens dient, sondern auch dem öffentlichen Interesse an einer zwar zügigen, aber eben auch rechtmäßigen Auftragsvergabe (vgl. Maier in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 1. Aufl. 2006, S. 110, Rdnr. 5 m.w.N.; vgl. VK Lüneburg, Beschluss v. 10.10.2006, Az. VgK 23/2006 ).
Einem Aufgreifen des Vergaberechtsverstoßes durch die Vergabekammer von Amts wegen steht auch grundsätzlich nicht die Tatsache entgegen, dass die Auftraggeberin den Zuschlag der Beigeladenen mit Auftragsschreiben 24.10.2008 bereits erteilt hat. Dieser Zuschlag wäre - im Rahmen eines zulässigen Nachprüfungsantrags - in entsprechender Anwendung des § 13 VgV nichtig, weil die Auftraggeberin nicht den Ablauf der 14-tägigen Frist nach schriftlicher Information der Bieter (die schriftliche Verständigung der Bieter datiert vom 23.10.2008) abgewartet hat. Die durch die Rechtsprechung des EuGH, des BGH und der Oberlandesgerichte entwickelten Voraussetzungen für eine Anfechtbarkeit und Nachprüfung von so genannten De-facto-Vergaben lassen sich nach Auffassung der Vergabekammer auch auf die Situation eines zwar förmlichen, aber nur national durchgeführten Vergabeverfahrens übertragen (vgl. zur entsprechenden Anwendung des § 13 VgV bei De-facto-Vergaben außerhalb förmlicher Vergabeverfahren aktuell OLG Celle, Beschluss v. 14.09.2006, Az.: 13 Verg 3/06, sowie grundsätzlich EuGH, Urteil v. 28.10.1999 (Rs. C-81/98 ) in Sachen "Alcatel"; Urteil v. 11.01.2005 (Rs. C-26/03 ) in Sachen "Stadt Halle"; BGH, Beschluss v. 01.02.2005, Az.: X ZB 24/04 und OLG Düsseldorf, Beschluss v. 25.01.2005, Az.: Verg 93/04).
Ein Aufgreifen von nicht gerügten Vergabeverstößen im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes ist der Vergabekammer jedoch nur möglich, wenn überhaupt ein zulässiger Nachprüfungsantrag vorliegt. Zwar kann die Vergabekammer gravierende Verstöße, die nicht das individuelle Interesse eines Bieters, sondern vornehmlich auch das öffentliche Interesse an einem fairen und ausschließlich wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigenden Vergabeverfahren im Wege der Amtsermittlung auch dann aufgreifen, wenn diese Verstöße nicht gerügt wurden (vgl. KG Berlin, Beschluss v. 15.04.2004, Az.: 2 Verg 22/03 ). Solchen Verstößen darf die Kammer aber nur dann nachgehen, wenn der Nachprüfungsantrag zumindest in Teilen zulässig ist (vgl. Maier in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 110 Rdnr. 9, m.w.N.). Das vergaberechtswidrige Unterlassen der Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens, das wegen Erreichens oder Überschreitens des maßgeblichen Schwellenwertes geboten ist, erfüllt nur bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen der §§ 107, 109 GWB die Anwendungsvoraussetzungen eines Nachprüfungs- oder Beschwerdeverfahrens (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss v. 30.03.2004, Az.: 6 Verg 1/03, zitiert nach VERIS). Daran fehlt es, wie dargelegt, im vorliegenden Fall mangels rechtzeitiger Rüge der Antragstellerin gem. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB (vgl. VK Lüneburg, Beschluss v. 10.10.2006, Az. VgK 23/2006 ).
Mangels eines zulässigen Nachprüfungsantrages ist es der Vergabekammer daher verwehrt, den Verstoß gegen die Pflicht zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens oder weiterer von der Präklusion erfasster Vergaberechtsverstöße von Amts wegen aufzugreifen und bei ihrer Entscheidung nach § 114 Abs. 1 GWB zu berücksichtigen.
Der Nachprüfungsantrag war damit wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art. 7 Nr. 5 des 9. Euro-Einführungs-gesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992 ff.) vom 10.11.2001 werden die DM-Angaben in § 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1: 2 ersetzt, so dass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2 500 Euro, die Höchstgebühr 25 000 Euro bzw. in Ausnahmefällen 50 000 Euro beträgt.
Es wird eine Gebühr in Höhe von ... € gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.
Streitwertbeschluss:
Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt nach dem Ergebnis der streitbefangenen Ausschreibung ... € brutto. Dieser Betrag entspricht den Kosten nach dem Angebot der Antragstellerin und damit ihrem Interesse am Auftrag.
Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999 in der zurzeit gültigen Fassung vom 01.01.2003. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2 500 € (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80 000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 25 000 € (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Bei einer Ausschreibungssumme von ... € ergibt sich eine Gebühr von ... €.
Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.
Die im Tenor verfügte Kostentragungspflicht ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren i.S.d. § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB unterlegen ist.
Die Antragstellerin wird aufgefordert, den Betrag in Höhe von ... € unter Angabe des Kassenzeichens
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innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses auf folgendes Konto zu überweisen:
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