Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 03.07.2009, Az.: VgK-30/2009
Vergabeverfahren für einen Rahmenvertrag zur Lieferung von Inkontinenzartikeln; Möglichkeit eines Rückgriffs auf ein durchgeführtes Vergabeverfahren nach Zuschlagserteilung; Wirksamkeit eines Zuschlags trotz Rücktritt eines diesen Zuschlag erhaltenden Bieters
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 03.07.2009
- Aktenzeichen
- VgK-30/2009
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 30414
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3a Nr. 2 lit. d VOL/A
- § 28 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A
- § 98 Nr. 1 GWB
- § 107 Abs. 2 GWB
- § 13 VgV
Verfahrensgegenstand
Abschluss eines Rahmenvertrages über die Lieferung von Inkontinenzartikeln an Berechtigte im Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts innerhalb des gesamten Bundesgebietes
In dem Nachprüfungsverfahren
...
hat die Vergabekammer
durch
den Vorsitzenden MR Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin BOAR'in Schulte,
und den ehrenamtlichen Beisitzer, Herrn Dipl. VwW Abraham,
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist, soweit der Auftraggeber beabsichtigt, den Rahmenvertrag für die Lieferung von Inkontinenzartikeln an Berechtigte im Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts ohne vorherige Durchführung eines erneuten Vergabeverfahrens und über den für eine etwaige Interimsvergabe hinaus notwendigen Zeitraum mit der Beigeladenen abzuschließen.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens hat grundsätzlich der Auftraggeber zu tragen. Der Auftraggeber ist jedoch von der Entrichtung der Kosten befreit.
- 3.
Die Kosten werden auf xxxxxx EUR festgesetzt.
- 4.
Der Auftraggeber hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für die Antragstellerin notwendig.
Begründung
I.
Der Auftraggeber hatte mit EU-weiter Bekanntmachung vom xxxxxx.2008 den Abschluss eines Rahmenvertrages über die Lieferung von Inkontinenzartikeln an Berechtigte im Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts innerhalb des gesamten Bundesgebietes im Offenen Verfahren ausgeschrieben. Als Zuschlagskriterien legte der Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen seinerzeit den Preis mit einer Gewichtung von 60%, die Lieferzeit mit einer Gewichtung von 10% und die Bereitstellung eines Online-Verfahrens mit 30% fest. Nach Auswertung der Angebote ermittelte der Auftraggeber am 31.10.2008 das Angebot der Mxxxxxx als das wirtschaftlichste Angebot. Nach entsprechender Information der Bieter gemäß § 13 VgV vom 04.11.2008 mit Ablauf der 14-tägigen Informationsfrist erteilte der Auftraggeber am 19./21.11.2008 (Unterschriften) den Zuschlag durch Abschluss des Vertrages mit der Firma Mxxxxxx. Da sich die Firma Mxxxxxx in der Folge nach Darstellung der Auftraggeberin nicht in der Lage erwies, die vertraglich vereinbarten Voraussetzungen für einen Leistungsabruf zu schaffen (u.a. funktionierte das Online-Bestellsystem nicht) und auch wegen Nichtgewährleistung der Einhaltung weiterer vertraglicher Pflichten trat der Auftraggeber mit Schreiben vom 22.01.2009 von dem geschlossenen Vertrag mit der Firma Mxxxxxx zurück. Ein Leistungsabruf aus diesem Vertrag erfolgte nicht.
An dem Vergabeverfahren hatte sich seinerzeit auch die Antragstellerin mit einem Angebot beteiligt. Ebenfalls beteiligt hatte sich die Beigeladene, die nach der Auswertung der Auftraggeberin vom 31.10.2008 das zweitwirtschaftlichste Angebot abgegeben hatte.
In der Zwischenzeit deckte und deckt der Auftraggeber nach eigenen Angaben seinen Bedarf hinsichtlich der Lieferung von Inkontinenzartikeln an Berechtigte im Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts durch die Antragstellerin.
In der Folge entschloss sich der Auftraggeber, Vertragsverhandlungen mit der Beigeladenen auf der Grundlage ihres im vorangegangenen Vergabeverfahren zweitplatzierten Angebotes zu führen. Die Verhandlungen begannen mit Schreiben des Auftraggebers vom 24.03.2009. Am 06.05.2009 fand ein Gespräch zwischen dem Auftraggeber und der Beigeladenen über den Abschluss eines Rahmenvertrages über die streitgegenständlichen Lieferleistungen statt. Der Vertrag soll ab dem 01.07.2009 gelten und eine Laufzeit von 24 Monaten haben.
Mit Schreiben vom 08.05.2009 teilte die Antragstellerin ihrerseits dem Auftrageber mit, dass sie weiterhin am Lieferauftrag interessiert sei. Falls dieser an einen anderen Bieter vergeben werden solle, werde sie dies rechtlich überprüfen.
Mit Schreiben vom 12.05.2009 teilte der Auftraggeber allen Bietern unter Hinweis auf § 13 VgV mit, dass die zunächst bezuschlagte Firma M xxxxxx die vertraglichen Pflichten nicht erfüllt habe. Der Bedarf bestehe aber unverändert fort. Den Zuschlag solle jetzt die Axxxxxx (Beigeladene) erhalten, da diese nunmehr, nach Wegfall der Mxxxxxx, das wirtschaftlich günstigste Angebot für den Rahmenvertrag abgegeben habe. Mit einem weiteren, ebenfalls auf den 12.05.2009 datierten Schreiben teilte der Auftraggeber der Antragstellerin in Erwiderung auf ihre E-Mail vom 08.05.2009 mit, dass es sich bei dem nunmehr beabsichtigten Abschluss des Rahmenvertrages um den selben Vertragsgegenstand der seinerzeitigen europaweiten Ausschreibung handele. Die Ausschreibungsbedingungen blieben unverändert und die eingereichten Angebote seien nach Maßgabe der bekannt gegebenen Zuschlagskriterien bewertet worden. Ferner wies der Auftraggeber darauf hin, dass die Rechtsprechung bereits mehrfach entschieden habe, dass ein Angebot auch nach Ablauf der Bindefrist beauftragt werden könne, sofern der Bieter sich an das Angebot weiterhin gebunden hielte. Dies sei vorliegend der Fall.
Mit Anwaltsschreiben vom 18.05.2009 rügte die Antragstellerin daraufhin gegenüber dem Auftraggeber den beabsichtigten Vertragsschluss mit der Beigeladenen. Die Antragstellerin wies insbesondere darauf hin, dass das ursprünglich durchgeführte Vergabeverfahren durch den seinerzeitigen Zuschlag und den Vertrag mit der Mxxxxxx vollständig abgeschlossen sei. Das in diesem Sinne durch formelle Zuschlagserteilung und Abschluss eines wirksamen Vertrages beendete Vergabeverfahren könne als solches nicht fortgeführt werden. Aus diesem Grunde könne der selbe Vertrag nicht nunmehr mit dem seinerzeit zweitplatzierten Bieter geschlossen werden, ohne zuvor ein neues Vergabeverfahren durchzuführen. Mit Schreiben vom 25.05.2009 teilte der Auftraggeber der Antragstellerin erneut mit, dass der ursprünglich bestehende Bedarf nach wie vor fortbestehe, da der ursprüngliche Vertrag aufgelöst sei und damit von Anbeginn keinen rechtlichen Bestand hätte. Die im Rügeschreiben geäußerten Bedenken seien nicht nachvollziehbar, da die beabsichtigte Vorgehensweise übliche Praxis sei. Verhandlungen über Angebotsinhalte seien mit der Beigeladenen nicht geführt worden. Das Angebot solle unverändert beauftragt werden. Die beabsichtigte Verfahrensweise entspreche der üblichen Praxis. ImÜbrigen habe das Angebot im durchgeführten Vergabeverfahren im Verhältnis zu anderen Bietern an weit abgeschlagener Stelle gestanden, so dass auch eine Interessenverletzung der Antragstellerin nicht erkennbar sei. Mit Anwaltsschriftsatz vom 25.05.2009 vertiefte die Antragstellerin daraufhin ihre Rüge unter Hinweis auf die Beendigung des Vergabeverfahrens durch Zuschlagserteilung gemäß § 114 Abs. 2 GWB. Mit Schreiben vom 26.05.2009 teilte der Auftraggeber der Antragstellerin telefonisch mit, dass er an seiner bereits geäußerten Rechtsauffassung festhält. Daraufhin stellte die Antragstellerin mit Anwaltsschriftsatz vom 26.05.2009, eingegangen bei der Vergabekammer per Telefax am selben Tage, einen Nachprüfungsantrag. Sie verweist auf ihre Rüge vom 18.05.2009 und vertieft den dortigen Vortrag. Sie erläutert noch einmal ihre Auffassung, dass das seinerzeitige Vergabeverfahren durch den Abschluss des Vertrages mit der Firma Mxxxxxx als damals bestplatziertem Bieter rechtswirksam beendet wurde und dass dieses auch nicht durch den von der Auftraggeberin erklärten Rücktritt oder eine außerordentliche Kündigung wieder auflebe. Der nunmehr vom Auftraggeber mit der Beigeladenen beabsichtigte Vertragsschluss stelle eine neue Auftragsvergabe dar, die nach unstreitig fortbestehender Beschaffungsabsicht in jedem Fall erneut gemäß § 97 ff. GWB EU-weit ausschreibungspflichtig sei. Da das seinerzeitige Vergabeverfahren rechtswirksam beendet wurde, könne sich der Auftraggeber auch nicht auf die Rechtsprechung zur Zuschlagsfähigkeit von Angeboten nach Ablauf der Zuschlags- und Bindefrist berufen. Die Ausübung eines Rücktrittsrechts vom Vertrag führe nicht zu einer Unwirksamkeit des Vertrages im Sinne eines Erlöschens ex tunc von Anfang an, sondern führe statt dessen zu einem Rückabwicklungsschuldverhältnis. Aufgrund der Beendigung des Vergabeverfahrens dürfe der Vertrag auch dann nicht mehr der Beigeladenen abgeschlossen werden, wenn diese sich, was jedoch fernliegend erscheine, auch weiterhin auf einen ungewissen Zeitraum an ihr Angebot hätte binden lassen wollen.
Die Antragstellerin beantragt,
- 1.
dem Antragsgegner den unmittelbaren Vertragsschluss mit der Firma Axxxxxx über die Versorgung von Berechtigten im Sinne des Sozialen Entschädigungsrechts im Bundesland Niedersachsen mit Inkontinenzartikeln zu untersagen,
- 2.
den Antragsgegner zu verpflichten, den verfahrensgegenständlichen Auftrag nach Durchführung eines Vergabeverfahrens gemäß § 97 ff. GWB, den Bestimmungen der VgV und der VOL/A, 2. Abschnitt, zu vergeben.
- 3.
hilfsweise
dem Antragsgegner aufzugeben, den verfahrensgegenständlichen Auftrag unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu vergeben,
- 4.
dem Antragsgegner aufzugeben, die Kosten des Verfahrens einschl. der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen, und
- 5.
die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der Antragstellerin gemäß § 128 Abs. 4 Satz 1 GWB n.F. für notwendig zu erklären.
Der Auftraggeber beantragt,
die gestellten Anträge zurückzuweisen und der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Der Auftraggeber hält den Nachprüfungsantrag unter Hinweis auf § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB bereits für unzulässig. Die erst 6 Tage nach Erhalt der Information über die beabsichtigte Vergabeentscheidung erhobene Rüge sei nicht mehr unverzüglich nach positiver Kenntnisnahme und damit verspätet erfolgt. Eine rechtzeitige Rüge sei auch nicht entbehrlich gewesen, weil vorliegend gerade keine de-facto-Vergabe beabsichtigt sei. Dies ergebe sich schon daraus, dass der Auftraggeber alle Beteiligten des vorangegangenen Vergabeverfahrens gemäß § 13 VgVüber die beabsichtigte Zuschlagserteilung informiert habe. Der Auftraggeber habe zu Recht entschieden, nach dem am 22.01.2009 erfolgten Rücktritt vom ursprünglich mit der Firma Mxxxxxx geschlossenen Vertrag in das ursprüngliche Vergabeverfahren wieder einzutreten und den Zuschlag auf das Angebot der nach der dokumentierten Auswertung auf Platz 2 rangierende Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Der Auftraggeber habe sich am 06.05.2009 von den Funktionalitäten des von der Beigeladenen bereit gestellten Bestellsystems und den Produkten des Unternehmens überzeugt. Weiter sei geklärt worden, welche Produkte gegenüber den Produkten aus dem Hilfsmittelverzeichnis als gleichwertig im Sinne der Ausschreibungsunterlagen und damit des abzuschließenden Vertrages einzuordnen sind. Veränderungen an den Inhalten der Verdingungsunterlagen und der ausgeschriebenen Laufzeit seien nicht vorgenommen worden. Im Übrigen sei auch während der kurzen Laufzeit des Vertrages mit der Firma Mxxxxxxvom 01.01.2009 bis zum Rücktritt am 22.01.2009 kein Leistungsabruf aus diesem Vertrag erfolgt. Der Beschaffungsbedarf bestehe daher unverändert - wie ausgeschrieben - fort. Die Antragstellerin habe bereits ihre Antragsbefugnis nicht dargelegt. Sie könne sich nicht darauf berufen, dass sie im Falle eines neuen Vergabeverfahrens wesentlich bessere Chancen auf den Zuschlag gehabt hätte als in dem beanstandeten Verfahren. Folglich ergebe sich daraus, dass der Auftraggeber ein vergaberechtlich ordnungsgemäßes Verfahren durchgeführt habe und dieses Verfahren ergeben habe, dass die Antragstellerin keine aussichtsreiche Position zu erlangen vermochte.
Im Übrigen verweist der Auftraggeber auf die Rechtsprechung des BGH vom 11.05.2009 - Az.: VII ZR 11/08 - und des OLG Düsseldorf vom 09.12.2008 - Az.: Verg 70/08 -. Beide Gerichte hätten entschieden, dass ein vergaberechtlich wirksamer Zuschlag auf ein Angebot möglich sei, auch wenn die entsprechenden Bindefristen abgelaufen seien. Diese rechtliche Bewertung müsse auch für den bislang gerichtlich nicht entschiedenen Fall gelten, in dem ein durch Zuschlagserteilung beendetes Vergabeverfahren durch Rücktritt vom geschlossenen Vertrag wieder auflebe. Dies sei jedenfalls dann geboten, wenn, wie im vorliegenden Fall, der Vertrag durch Rücktritt aufgehoben wird, ohne dass aus dem Vertrag Leistungen abgerufen wurden und der ursprünglich im Rahmen des europaweiten Vergabeverfahrens in den Wettbewerb gestellte Bedarf unverändert fortbesteht.
Die Beigeladene hat keine eigenen Anträge gestellt. Sie unterstützt den Vortrag des Auftraggebers.
Die Vergabekammer hat mit Verfügung des Vorsitzenden vom 30.06.2009 gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung in diesem Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist hinaus bis zum 15.07.2009 verlängert.
Die Verfahrensbeteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach Lage der Akten gemäß § 112 Abs. 1 Satz 3 GWB zugestimmt.
Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Vergabeakte Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin ist im Sinne der §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 Satz 1 GWB in ihren Rechten verletzt. Der Auftraggeber ist vergaberechtlich nicht befugt, den Rahmenvertrag über die Lieferung von Inkontinenzartikeln an Berechtigte im Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts innerhalb des gesamten Bundesgebietes im Wege der direkten Vergabe mit der Beigeladenen abzuschließen. Ein Rückgriff auf das diesbezüglich 2008 durchgeführte Vergabeverfahren ist nicht zulässig, da dieses seinerzeit durch Zuschlagserteilung an die in diesem Verfahren obsiegende Firma Mxxxxxx am 19./21.11.2008 gemäß § 28 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A beendet wurde. Dieses abgeschlossene Vergabeverfahren lebte nicht durch den vom Auftraggeber mit Schreiben vom 22.01.2009 gegenüber der Firma Mxxxxxx erklärten Rücktritt vom Vertrag wieder auf. Eine Vergabe des Rahmenvertrages wegen des unverändert fortbestehenden Beschaffungsbedarfes im Wege eines Verhandlungsverfahren mit allen am vorangegangenen offenen Vergabeverfahren beteiligten Bietern oder auch nur der Beigeladenen als seinerzeit zweitplatziertem Bieter kann allenfalls im Rahmen einer zeitlich angemessenen Interimsvergabe zur Abwendung eines drohenden vertragslosen Zustandes gemäß § 3 a Nr. 2 lit. d VOL/A gerechtfertigt sein. Die vom Auftraggeber beabsichtigte Direktvergabe über den gesamten ursprünglich im offenen Verfahren ausgeschriebenen Vertragszeitraum von 2 Jahren überschreitet auch den für eine Interimsvergabe zulässigen Rahmen.
1.
Bei dem Auftraggeber handelt es sich um das Land Niedersachsen und damit um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um die Lieferung von Inkontinenzartikeln an Berechtigte im Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts innerhalb des gesamten Bundesgebietes und damit um einen Lieferauftrag im Sinne des § 99 Abs. 1 und Abs. 4 GWB, für den gemäß § 2 Nr. 3 der Vergabeverordnung (VgV) in der seit 01.01.2008 geltenden Fassung ein Schwellenwert von 206.000 EUR (netto) gilt. Ausweislich der Bekanntmachung zum seinerzeit für den streitbefangenen Vertragsgegenstand durchgeführten und abgeschlossenen Vergabeverfahrens vom xxxxxx.2008 beträgt der vom Auftraggeber geschätzte Gesamtwert des Auftrags über die zweijährige Gesamtlaufzeit der Rahmenvereinbarung xxxxxx EUR (netto). Der Wert des ausgeschriebenen Auftrags überschreitet damit weit den für die Anrufung der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert.
Die Antragstellerin ist auch gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als branchenbetroffenes Unternehmen und Bieterin im vorangegangenen Verfahren, auch nach Rücktritt des Auftraggebers vom zwischenzeitlich mit einem dritten Unternehmen geschlossenen Vertrag, ihr fortbestehendes Interesse am Auftrag bekundet hat. Sie macht eine Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend, indem sie vorträgt, der Auftraggeber hindere sie vergaberechtswidrig an der Abgabe eines Angebotes für den nach wie vor fortbestehenden Beschaffungsbedarf, weil der Auftraggeber ohne Durchführung eines gebotenen neuen Vergabeverfahrens beabsichtige, den Rahmenvertrag direkt mit der Beigeladenen abzuschließen. Dazu sei der Auftraggeber aber nicht berechtigt, weil das vorangegangene Vergabeverfahren durch den seinerzeit erteilten Zuschlag beendet wurde und auch nicht durch den von der Auftraggeberin erklärten Vertragsrücktritt wieder aufgelebt sei. Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das Antrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt. Die diesbezüglichen Anforderungen an die Darlegungslast dürfen nichtüberspannt werden (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Auflage,§ 107 GWB, Rdnr. 954). Die Antragstellerin hat eine entsprechendes Rechtschutzbedürfnis dargelegt. Sie hat schlüssig vorgetragen, dass sie bei aus ihrer Sicht vergaberechtskonformer erneuter Ausschreibung des Rahmenvertrages Chance auf den Zuschlag hätte. Es ist imÜbrigen nicht erforderlich, dass ein Antragsteller auch schlüssig darlegt, dass er bei vergabekonformem Verhalten des Auftraggebers den Zuschlag auch tatsächlich erhalten würde (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.1999, Az.: Verg 1/99, S. 24).
Die Antragstellerin ist auch ihrer Pflicht gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB n.F. (= § 107 Abs. 3 Satz 1 a.F.) nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer die behaupteten Verstöße gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren gegenüber dem Auftraggeber unverzüglich zu rügen. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Bieters von den Tatsachen. Ausreichend für die positive Kenntnis eines Mangels im Sinne von § 107 Abs. 3 GWB ist bereits das Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen erlaubt und es bei vernünftiger Betrachtung gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.08.2002, Az.: Verg 9/00). Die Rügepflicht entsteht, wenn der Kenntnisstand des Bieters in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einen solchen Grad erreicht hat, dass seine Unkenntnis vom Vergaberechtsverstoß nur als ein mutwilliges Sich-Verschließen vor der Erkenntnis dieses Rechtsverstoßes verstanden werden kann (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 30.03.2009, Az.: 9 Verg 12/08).
Die Frage, ob eine Rüge noch unverzüglich nach positiver Kenntniserlangung erfolgt, hängt vom Einzelfall ab. Nach der Rechtsprechung muss die Rüge angesichts der kurzen Fristen, die im Vergaberecht allgemein gelten, grundsätzlich binnen 1 bis 3 Tagen erfolgen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 18.09.2003, Az.: 1 Verg 4/03; VK Nordbayern, Beschluss vom 28.01.2009, Az.: 21.VK-3194-63/08; Bechtholt, GWB,§ 107 Rdnr. 2). Auch bei einer ggf. notwendigen Hinzuziehung eines Rechtsanwalts erfüllt ein Rügezeitraum von mehr als einer Woche das Zeitkriterium des § 107 Abs. 3 GWB regelmäßig nicht (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 11.09.2006, Az.: WVerg 13/06). Eine Rügefrist von zwei Wochen, die in der Rechtsprechung als Obergrenze anerkannt wird (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau2000, S. 45 ff.), kann einem Bieterunternehmen allenfalls zugestanden werden, wenn eine verständliche Abfassung der Rüge durch eine schwierige Sach- und/oder Rechtslage erschwert wird und die Inanspruchnahme fachkundiger Hilfe erfordert. Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabs erfolgte die von der Antragstellerin mit Anwaltschreiben vom 18.05.2009 abgesetzte Rüge noch rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB n.F. Die Antragstellerin wurde mit Schreiben des Auftraggebers vom 12.05.2009 unter Hinweis auf § 13 VgV darüber informiert, dass die im vorangegangenen Vergabeverfahren zunächst bezuschlagte Firma die vertraglichen Pflichten nicht erfüllt habe, der Bedarf aber unverändert fortbestehe. Den Zuschlag solle jetzt die Axxxxxx (Beigeladene) erhalten, da diese nunmehr, nach Wegfall der Mxxxxxx, das wirtschaftlich günstigste Angebot für den Rahmenvertrag abgegeben habe. Die nur 6 Kalendertage später abgesetzte Rüge mit Schreiben vom 18.05.2009 folgte angesichts der Tatsache, dass die Antragstellerin mit der Prüfung des Sachverhalts und der Absetzung der Rüge einen Rechtsanwalt beauftragt hatte, noch unverzüglich nach positiver Kenntnisnahme im Sinne des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB n.F.
2.
Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Der Auftraggeber ist nicht befugt, den Rahmenvertrag über die Lieferung von Inkontinenzartikeln, wie von ihm beabsichtigt, im Wege der direkten Vergabe mit der Beigeladenen abzuschließen. Die Durchführung eines Vergabeverfahrens wird nicht dadurch entbehrlich, dass der Auftraggeber im Jahre 2008 bereits ein den Verfahrensgegenstand betreffendes Verfahren durchgeführt hat. Dieses Vergabeverfahren ist seinerzeit durch die Zuschlagserteilung an die Firma Mxxxxxx am 19./21.11.2008 gemäß § 28 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A beendet worden. Auch der zwischenzeitlich vom Auftraggeber erklärte Rücktritt von diesem Vertrag führt nicht dazu, dass das seinerzeit durchgeführte und beendete Vergabeverfahren vergaberechtlich wieder auflebt. Aber auch unter dem Gesichtspunkt einer Interimsvergabe zur Abwendung eines drohenden vertragslosen Zustandes im Wege eines Verhandlungsverfahrens gemäß § 3 a Nr. 2 lit. d VOL/A wäre die beabsichtigte Direktvergabe über den gesamten ursprünglich ausgeschriebenen Vertragszeitraum nicht gerechtfertigt. Ein zweijähriger Vertragszeitraum überschreitet den Rahmen einer zeitlich angemessenen Interimsvergabe. Auch hat der Auftraggeber die notwendige Abwendung eines drohenden vertragslosen Zustandes im Hinblick auf die beabsichtigte Beauftragung der Beigeladenen nicht dargelegt. Sie hat vielmehr die Versorgung der Berechtigten im Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts mit Inkontinenzartikeln offenbar seit Januar 2009 im Wege einer anderweitigen Interimsvergabe sichergestellt. Sie ist daher in der Lage, ein neues, ordnungsgemäßes Vergabeverfahren vorzubereiten und durchzuführen.
Die Entscheidung des Auftraggebers, den Rahmenvertrag über die Lieferung von Inkontinenzartikeln an Berechtigte im Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts im Wege der direkten Vergabe mit der Beigeladenenüber einen Vertragszeitraum von zwei Jahren abzuschließen, verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten gemäß § 97 Abs. 7 GWB. Entgegen der Auffassung des Auftraggebers ist das beschaffungsgegenständliche Vergabeverfahren aus dem Jahre 2008 durch den vom Auftraggeber mit Schreiben vom 22.01.2009 gegenüber der Firma Mxxxxxx erklärten Rücktritt vom seinerzeit geschlossenen Vertrag vom 19./21.11.2008 nicht wieder eröffnet worden. Durch den Vertragsschluss vom 19./21.11.2008 mit der Firma Mxxxxxx als seinerzeit obsiegendem Bieter ist das Vergabeverfahren gemäß § 28 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A beendet worden. Der vom Auftraggeber mit Schreiben vom 22.01.2009 gemäß § 323 BGB erklärte Rücktritt wegen nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung führt nicht zu einer Unwirksamkeit des Vertrages ex tunc und eine damit verbundene Nichtigkeit des Zuschlags. Vielmehr handelt es sich beim Rücktrittsrecht um ein Gestaltungsrecht. Durch den Rücktritt wird der Vertrag in ein Abwicklungsverhältnis umgestaltet (vgl. BGH NJW 84, 42 [BGH 24.06.1983 - V ZR 113/82], Palandt-Grüneberg, Einführung vor § 346 BGB, Rdnr. 6, m.w.N.).
Aber auch, soweit sich der Auftraggeber auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 11.05.2009, Az.: VII ZR 11/08) und des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 09.12.2008, Az.: Verg 70/08) zur Zuschlagsfähigkeit von Angeboten nach Ablauf der Bindefrist beruft, lässt sich dadurch nicht ohne weiteres der Zuschlag auf das in einem vorangegangenen, aber abgeschlossenen Vergabeverfahren zweitplatzierte Angebot rechtfertigen. Die der zitierten Rechtsprechung zugrunde liegenden Sachverhalte sind mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Sowohl in dem vom BGH entschiedenen Fall als auch in dem dem Beschluss des OLG Düsseldorf zugrunde liegenden Fall ging es lediglich um die Frage, ob ein Zuschlag auf ein Angebot auch dann noch möglich ist, wenn die Bindefrist bereits abgelaufen ist. Beide Gerichte haben entschieden, dass die Angebote im laufenden Vergabeverfahren auch vergaberechtlich zuschlagsfähig bleiben, auch wenn sie wegen Ablauf der Bindefrist gemäß §§ 146, 148 BGB - zivilrechtlich - eigentlich erloschen sind. Entscheidend aber ist, dass in beiden entschiedenen Fällen, im Gegensatz zum hier streitgegenständlichen Sachverhalt das Vergabeverfahren noch nicht zuvor durch anderweitige Zuschlagserteilung wirksam beendet war.
Da der Beschaffungsbedarf des Auftraggebers durch Rücktritt vom ursprünglich mit der Firma Mxxxxxx geschlossenen Vertrag unstreitig unvermindert fortbesteht, ist der Auftraggeber gehalten, den Lieferauftrag im Wege eines neuen Vergabeverfahrens erneut dem Wettbewerb zu unterstellen.
Dabei verkennt die Vergabekammer nicht, dass der Auftraggeber gehalten ist, auch nach dem erfolgten Rücktritt vom Rahmenvertrag die Kontinuität der Lieferung von Inkontinenzartikeln nahtlos weiter zu gewährleisten. Auch für derartige, durch das Scheitern laufender Verträge hervorgerufene Zwangslagen enthält das Vergaberecht jedoch geeignete, wettbewerbskonforme Instrumente. Gemäß § 3 a Nr. 2 lit. d VOL/A können Auftraggeber Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne vorherige öffentliche Vergabebekanntmachung vergeben, soweit dies unbedingt erforderlich ist, wenn aus dringlichen zwingenden Gründen, die der Auftraggeber nicht voraussehen konnte, die Fristen gemäß § 18 a VOL/A nicht eingehalten werden können. Die Umstände, die die zwingende Dringlichkeit begründen, dürfen auf keinen Fall dem Verhalten des Auftraggebers zuzuschreiben sein. Soweit sich der Auftragsgegenstand auf Dienst- oder Lieferleistungen der Daseinsvorsorge bezieht, ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, dass der Grundsatz der Kontinuität dieser Leistungen eine nahtlose Weiterführung gegenüber den Nutzern erfordert (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 19.10.2000 - 1 Verg 9/00 = VergabeR 2001, S. 134 ff., 137). Ursache einer solchen drohenden Funktionsstörung kann die Insolvenz des Auftragnehmers oder aber auch eine Schlechtleistung sein, die den Auftraggeber zur Kündigung des Vertrages oder zur Rücktrittserklärung zwingt, oder eine Verzögerung des Vergabeverfahrens durch laufenden Rechtsschutz sein (vgl. Kaelble in: Müller-Wrede, VOL/A, 2. Auflage, § 3 a, Rdnr. 202, m.w.N.). In derartigen Fällen kann der Auftraggeber zur Abwendung eines drohenden vertragslosen Zustandes entsprechend § 3 a Nr. 2 lit. d VOL/A auf das Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung zurückgreifen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.11.2003, Az.: Verg 59/03; VK Lüneburg, Beschluss vom 27.06.2003, Az.: 203-VgK-14/2003).
Eine derartige Auftragsvergabe im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Bekanntmachung ist jedoch regelmäßig nicht - wie vorliegend vom Auftraggeber vorgesehen - für einen längeren, hier zweijährigen Vertragszeitraum zulässig. Das Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung bildet von allen Verfahrensarten die ultima ratio. Im Interesse eine möglichst breit angelegten Wettbewerbs haben öffentliche Auftraggeber gemäß § 101 Abs. 6 GWB grundsätzlich das offene Verfahren anzuwenden, es sei denn, aufgrund des GWB ist etwas anderes gestattet. Der Auftraggeber muss daher alles ihm zumutbare unternehmen, um den Dienstleistungs- oder Lieferauftrag einem offenen oder ggf. nicht offenen Verfahren zuzuführen. Ein Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung zur Abwendung eines drohenden vertragslosen Zustandes auf der Grundlage des § 3 a Nr. 2 lit. d VOL/A ist daher regelmäßig nur interimsweise zulässig. Die Vertragsdauer einer derartig zulässigen Interimsbeauftragung ist daher auf den Zeitraum zu beschränken, der für die Erhaltung der Kontinuität der Dienstleistung während der Vorbereitung und rechtskräftigen Durchführung eines sich anschließenden ordnungsgemäßen offenen oder nicht offenen Verfahrens erforderlich ist. Die Vertragsdauer für die Interimsvergabe sollte also zwar ausreichend, aber möglichst kurz bemessen sein und in der Regel ein Jahr nicht übersteigen (vgl. Kaelble, a.a.O., § 3 a VOL/A, Rdnr. 205).
Die vom Auftraggeber beabsichtigte Vergabe des Rahmenvertrages für einen Zeitraum von zwei Jahren entspricht dem im ursprünglich vorangegangenen, abgeschlossenen offenen Verfahren ausgeschriebenen Vertragszeitraum und übersteigt daher den für einen Interimsauftrag zulässigen Vertragszeitraum erheblich.
Fraglich ist allein, ob ein Verhandlungsverfahren nach § 3 a Nr. 2 lit. d VOL/A immer auch dann unter Einbeziehung aller am vorangegangenen förmlichen Verfahren beteiligten Bieter erfolgen muss oder ob ein Auftraggeber im Einzelfall zur umgehenden Abwendung eines drohenden vertraglosen Zustandes sich auch darauf beschränken darf - wie im vorliegenden Fall geschehen - allein mit dem Bieter zu verhandeln, der im vorangegangenen Verfahren das zweitplatzierte Angebot abgegeben hat. Das OLG Hamburg hat mit Beschluss vom 08.07.2008, Az.: 1 Verg 1/08, entschieden, dass diejenigen, die sich an einem vorangegangenen Vergabeverfahren beteiligt haben, auch an dem Interimsverfahren zu beteiligen sind. In die gleiche Richtung geht die Entscheidung des OLG Dresden vom 24.01.2008, Az.: WVerg 10/07. Das OLG hat für den Fall eines neuen Vergabeverfahrens nach Aufhebung eines Vergabeverfahrens entschieden, dass Verhandlungen über eine notwendige Zwischenlösung bis zum Abschluss des neuen Vergabeverfahrens und seiner Umsetzung mit allen Unternehmen zu führen sind, die sich an der aufgehobenen Ausschreibung mit einem Angebot beteiligt haben, dass jedenfalls keine unter Gleichheitsgesichtspunkten beachtlichen Mängel aufgewiesen hat. Somit sind für die Interimsverhandlungen zumindest alle Bieter zu berücksichtigen, die ein wertbares Angebot abgegeben haben. Ein im Ergebnis von Verhandlungen mit nur einem der Bieter geschlossener Vertrag über eine Zwischenlösung ist nach der Rechtsprechung des OLG Dresden in entsprechender Anwendung des § 13 Satz 6 VgV nichtig.
Die Vergabekammer hält demgegenüber zwar Fallkonstellationen für denkbar, in denen ein Auftraggeber sich auch dann im Rahmen des ihm durch § 3 a Nr. 2 lit. d VOL/A eingeräumten Ermessens hält, wenn er zur Gewährleistung von unaufschiebbaren, äußerst dringenden Leistungen oder Lieferleistungen für einen angemessen Interimszeitraum direkt auf das zweitplatzierte Angebot des vorangegangenen Vergabeverfahrens zurückgreifen will. Eine solche Verhandlungsführung mit nur einem Bieter wäre jedoch nur gerechtfertigt, wenn parallele Interimsverhandlungen mit allen im vorangegangenen Vergabeverfahren beteiligten Bietern zumindest kurzfristig nicht zur Abwendung eines drohenden vertragslosen Zustandes geeignet und deshalb für den Auftraggeber in der konkreten Situation nicht zumutbar sind.
Eine derartige Not- und Zwangslage, die eine auch nur interimsweise vorgenommene Direktvergabe oder exklusive Verhandlung mit der Beigeladenen rechtfertigen würde, hat der Auftraggeber im vorliegenden Fall jedoch nicht dargelegt. Zwar hat der Auftraggeber mit Schriftsatz vom 24.06.2009 darauf hingewiesen, dass er sich an der Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens und einer zeitlich angemessenen Interimsvergabe bis zum Abschluss des neuen Vergabeverfahrens gehindert sieht. Der Auftraggeber hat vorgetragen, dass er Hilfsmittel für einen großen Kreis an Versorgungsberechtigten beschaffe, die außergewöhnlich hohe Anforderung an eine stetige und gleichbleibende Versorgung stellt. Jede noch so geringe Veränderung führe zu einem Klärungs- und Konfliktpotenzial seitens der Versorgungsberechtigten, der vom Auftraggeber derzeit personell nicht bewältigt werden könne. Dies gelte insbesondere für Interimsverhandlungen mit allen Interessenten auf der Grundlage der Rechtsprechung des OLG Hamburg und des OLG Dresden. Ein damit verbundener dreifacher Wechsel der Lieferanten sei für die Versorgungsberechtigten schlechterdings nicht zumutbar.
Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass der Auftraggeber die durch das Scheitern des ursprünglichen Vertrages mit der Mxxxxxx entstandene Versorgungsnotlage zwischenzeitig bereits de facto durch eine andere Interimsvergabe - zumindest vorläufig und bis auf weiteres - behoben hat. Der Auftraggeber hat mit Schriftsatz vom 29.06.2009 auf Nachfrage der Vergabekammer erklärt, dass die Versorgung der Versorgungsberechtigten derzeit durch die Antragstellerin durchgeführt wird.
Der Auftraggeber ist somit in der Lage, ein neues, förmliches Vergabeverfahren für den streitbefangenen Rahmenvertrag durchzuführen. Bei Bedarf ist er außerdem in der Lage, für die Zeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des neuen förmlichen Vergabeverfahrens die Lieferleistungen im Wege einer angemessenen Interimsvergabe auf der Grundlage von Verhandlungen mit allen Bietern des vorangegangenen Vergabeverfahrens gemäß § 3 a Nr. 2 lit. d VOL/A sicherzustellen, um die Kontinuität der Lieferung von Inkontinenzartikeln zu gewährleisten und einen vertragslosen Zustand zu vermeiden.
Gemäß § 114 Abs. 1 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist dabei gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 GWB an die Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Wegen der festgestellten Vergabeverstöße ist es erforderlich, den Auftraggeber zu verpflichten, den unstreitig fortbestehenden Beschaffungsbedarf im Wege eines neuen, offenen oder ggf. nicht offenen Vergabeverfahrens abzudecken und eine bis zum Abschluss dieses neuen Vergabeverfahrens evtl. erforderlich werdende Interimsvergabe auf den erforderlichen Zeitraum zu begrenzen und die dafür erforderlichen Verhandlungen auf der Grundlage des § 3 a Nr. 2 lit. d VOL/A unter Einbeziehung aller Bieter durchzuführen, die im vorangegangenen, förmlichen Vergabeverfahren ein wertbares Angebot abgegeben haben.
III.
Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art. 7 Nr. 5 des 9. Euro-Einführungs-
gesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992 ff.) vom 10.11.2001 werden die
DM-Angaben in § 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1 : 2 ersetzt, so dass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2.500 Euro, die Höchstgebühr 25.000 Euro bzw. in Ausnahmefällen 50.000 Euro beträgt.
Es wird eine Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.
Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt xxxxxx EUR brutto. Der Betrag entspricht ausweislich der Bekanntmachung zum voran gegangenen und abgeschlossenen offenen Vergabeverfahren vom xxxxxx.2008über die ausgeschriebene zweijährige Vertragsdauer des Rahmenvertrages der ex-ante-Schätzung des Auftraggebers (xxxxxx netto) gem. §§ 1, 3 VgV.
Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999 in der zurzeit gültigen Fassung vom 01.01.2003. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 25.000 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx EUR ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR.
Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.
Der Auftraggeber ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung der Kosten gemäß § 128 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 Nds. VwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25. 01. 2005, Az.: WVerg 0014/04).
Der Auftraggeber hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten und damit die Anwaltskosten zu erstatten. Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf Antrag der Antragstellerin gem. Ziffer 4 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren notwendig war. Das folgt daraus, dass die Antragstellerin ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung bedurfte.
Angesichts der Tatsache, dass der Auftraggeber im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat er die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.
IV.
Rechtsbehelf
Gemäß § 116 GWB kann gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt werden.
...
Schulte
Abraham