Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.10.1999, Az.: 5 K 360/92
Umsatzsteuerpflicht von Beteiligung am Veräußerungserlös von Diebesgutes; Hinreichende Bestimmtheit des Bescheides über hinterzogene Steuern
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 28.10.1999
- Aktenzeichen
- 5 K 360/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 18025
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1999:1028.5K360.92.0A
Fundstelle
- NWB 2000, 2433
Tatbestand
Der Kläger ist Speditionskaufmann. In den Streitjahren erzielte er Umsätze aus der Vermietung von Wohnungseigentum. Hauptberuflich war er als kaufmännischer Leiter eines Tanklagers der ... GmbH tätig. Auf dem Betriebsgelände befanden sich eine Vielzahl von Lagertanks, die durch ein Leitungssystem miteinander verbunden waren. Durch verschiedene Manipulationen wurden buchmäßig nicht erfasste Mehrmengen Gasöl erwirtschaftet, die durch die Geschäftsleitung verwertet wurden. Auch Angehörige des Lagerbereichs wussten von den Manipulationen und veräußerten zum Teil größere Mengen Gasöl schwarz an Interessenten. In die Veräußerung des Gasöls durch den Lagerbereich waren unter anderem ... sowie die ... GmbH ... mit ihren Gesellschaftern ... und ... eingebunden.
Um die Fortsetzung der bisher schon durchgeführten Gasöldiebstähle sicherstellen zu können, wurde die Unterstützung des Klägers benötigt. Aus diesem Grund wurde er über die bereits entwendeten und veräußerten Gasölpartien informiert. Der Kläger erklärte sich bereit, gegen Beteiligung am Erlös die Ladetermine zwischen dem Lagerbereich und der ... abzustimmen, die Mengenangaben mitzuteilen, firmeninterne Nachforschungen und Ermittlungen nach dem ungeklärten Verbleib größerer Ölmengen einzustellen und bei Kontrollen den Lagerbereich zu warnen und zu decken. Der Kläger erzielte Erlöse aus dieser Tätigkeit im Zusammenwirken mit der ... in Höhe von mindestens 336.000,00 DM und mit ... in Höhe von mindestens 412.000,00 DM.
Wegen dieses zwischen den Beteiligten unstreitigen Sachverhalts wurde der Kläger durch Urteil des Landgerichts ... vom 10. Juni 1988 (Az: ...) wegen fortgesetzten Diebstahls in einem besonders schweren Fall und Beihilfe zum fortgesetzten Diebstahl in einem besonders schweren Fall, jeweils in Tateinheit mit fortgesetzter Untreue, zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Das Verfahren wegen des Verdachts der Umsatzsteuerhinterziehung wurde wegen der zu erwartenden Strafe wegen Mineralölsteuerhinterziehung nach § 154 als unwesentliche Nebenstraftat eingestellt.
Mit Bescheiden vom 31. Juli 1985 änderte der Beklagte die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 1980 und 1981 und erhöhte die Umsätze um 115.044,00 DM für 1980 und 527.876,00 DM für 1981. Das ergab eine Erhöhung der Umsatzsteuer um 14.955,00 DM für 1980 und um 68.623,00 DM für 1981. In den Erläuterungen enthalten die Bescheide jeweils einen Hinweis auf die dazugehörige Anlage. In den Umsatzsteuerakten befinden sich die Durchschriften dieser Anlagen, in denen dargestellt wird, dass sich der steuerpflichtige Umsatz im Hinblick auf die Gasöllieferungen für 1980 um 115.044,00 DM (brutto 130.000,00 DM) und für 1981 um 527.876,00 DM (brutto 596.500,00 DM) erhöht hat. Wegen des Inhalts der Anlagen im Einzelnen wird auf deren zu den Steuerakten gelangten Durchschriften Bezug genommen. Mit Bescheid vom 28. November 1985 änderte der Beklagte die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre 1980 und 1981 erneut. Die Änderungen betrafen allerdings nicht die Besteuerung der Tätigkeiten des Klägers im Rahmen der Gasöldiebstähle, sondern die Besteuerung seines Bauvorhabens in ... . Das ist aus der Anlage zu den Änderungsbescheiden ersichtlich.
Mit Bescheid vom 3. September 1985 setzte der Beklagte gegen den Kläger Zinsen für hinterzogene Umsatzsteuern fest, wobei er als hinterzogene Beträge für 1980 14.955,00 DM und für 1981 68.623,00 DM angab. Im Hinblick auf die Gestaltung des Hinterziehungszinsbescheides im Einzelnen wird auf dessen zu den Steuerakten gelangte Durchschrift Bezug genommen. Im Einspruchsverfahren gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide für 1980 und 1981 setzte der Beklagte die dem Kläger zuzurechnenden Umsätze aus der Mitwirkung an den Gasöldiebstählen für das Jahr 1981 auf 398.230,00 DM herab. Im Einspruchsbescheid gegen den Bescheid über Hinterziehungszinsen zur Umsatzsteuer 1980 und 1981 vom 20. Mai 1992 setzte der Beklagte auch die festgesetzten Hinterziehungszinsen für 1981 anteilig herab. Dem Einspruchsbescheid fügte der Beklagte einen Vermerk des Finanzamtes für Fahndung und Strafsachen ... vom 1. Februar 1985 bei, aus dem sich der Umfang der von der Fahndung festgestellten Zahlungen an den Kläger ergibt. Wegen des Inhalts des Vermerks im Einzelnen wird auf dessen zu den Gerichtsakten gelangte Kopie Bezug genommen.
Der Kläger vertritt die Auffassung, der angefochtene Hinterziehungszinsbescheid sei nichtig, weil er aus sich heraus nicht verständlich sei. Aus dem Bescheid sei nicht ersichtlich, aufgrund welcher Tätigkeit der Beklagte von höheren als den erklärten Umsätzen ausgegangen sei. Auch sei in keiner Weise erkennbar, inwiefern im Hinblick auf diese höheren Umsätze die Erfüllung der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung anzunehmen sei.
Außerdem seien die Angaben zu der angeblichen Umsatzsteuerschuld verwirrend und nicht nachvollziehbar. So seien zwar unter dem 28. November 1985 geänderte Umsatzsteuerbescheide ergangen. Der Bescheid über Hinterziehungszinsen sei aber in der Folge nicht geändert worden. Außerdem deckten sich Beträge in Mahnungen und Aussetzungsbescheiden des Beklagten nicht mit den Beträgen im angefochtenen Hinterziehungszinsbescheid. Es sei nicht ausreichend, wenn die hinterzogenen Steuern lediglich mitgeteilt würden, ohne dass deren Berechnung einer Überprüfung zugänglich gemacht werde.
Schließlich habe er, der Kläger, zwar an Gasöldiebstählen mitgewirkt. Damit sei aber keine unternehmerische Tätigkeit verbunden gewesen. Nach außen, insbesondere beim Verkauf des Gasöls, sei er nicht in Erscheinung getreten. Es sei deshalb unerfindlich, worauf der Beklagte die Annahme der Unternehmereigenschaft stütze.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid über Hinterziehungszinsen zur Umsatzsteuer 1980 und 1981 vom 3. September 1985 und den Einspruchsbescheid vom 20. Mai 1992 ersatzlos aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung seines Antrages nimmt er Bezug auf seinen Einspruchsbescheid vom 20. Mai 1992. Der Kläger habe den Vermerk des Finanzamtes für Fahndung und Strafsachen ... vom 1. Februar 1985 mit Schreiben vom 11. Februar 1985 zur Kenntnis erhalten. Außerdem sei der Vermerk dem Einspruchsbescheid als Anlage beigefügt gewesen. Aus diesem Vermerk habe der Kläger problemlos die umsatzsteuerlichen Folgen seiner Tätigkeiten im Zusammenhang mit der rechtswidrigen Entnahme unversteuerten Gasöls erkennen können.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagte hat zu Recht Zinsen für hinterzogene Umsatzsteuern gemäß § 235 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) festgesetzt. Der Kläger hat in den Streitjahren 1980 und 1981 Umsatzsteuern hinterzogen, weil er den Beklagten pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen hat (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Der Kläger hätte den Beklagten darüber in Kenntnis setzen müssen, dass er neben seiner Vermietungstätigkeit auch Einnahmen aus der Mitwirkung an Gasöldiebstählen hatte.
Der Kläger hat durch seine Mitwirkung an den Gasöldiebstählen sonstige Leistungen i.S.d. §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 9 Umsatzsteuergesetz (UStG) 1980 erbracht. Eine sonstige Leistung kann in jedem wirtschaftlich relevanten Handeln, Dulden oder Unterlassen bestehen (§ 3 Abs. 9 Satz 2 UStG). Das ist durch das Verhalten des Klägers gewährleistet. Ohne seine Mitwirkung wäre die Fortführung der Gasöldiebstähle nicht möglich oder die Entdeckungsgefahr erheblich größer gewesen.
Der Kläger ist insoweit Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG gewesen. Zwar ist er bei der ... GmbH unselbständig beschäftigt gewesen. Er ist aber im Hinblick auf seine Mitwirkung bei den Gasöldiebstählen selbständig tätig geworden, weil er insoweit ohne Kenntnis seines Arbeitgebers und losgelöst von dessen Weisungsbefugnis gehandelt hat (Bunjes/Geist, UStG, 5. Aufl., § 2 Anm. 21). Dabei ist der Kläger allerdings nach außen nicht gegenüber den Käufern des Gasöls in Erscheinung getreten. Er ist aber im Wirtschaftsverkehr gegenüber der ... und ..., an die er seine Leistungen erbracht hat, als Leistender aufgetreten.
Der Umstand, dass die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit gesetzlich verboten gewesen ist, steht der Beurteilung als unternehmerische Tätigkeit und damit der Besteuerung nicht entgegen (Urteil des BFH vom 4. Juni 1987 V R 9/79, BStBl II 1987, 653). Der Verpflichtung, die aus dieser Tätigkeit erzielten Erlöse in der Umsatzsteuererklärung vollständig anzugeben und der Umsatzsteuer zu unterwerfen, ist der Kläger pflichtwidrig nicht nachgekommen. Hierbei hat er auch vorsätzlich gehandelt. Der Kläger ist ein wirtschaftlich außerordentlich erfahrener Mann, der von seinen umsatzsteuerlichen Pflichten Kenntnis gehabt hat. Vor seiner Tätigkeit für die ... GmbH ist der Kläger im Ausland Geschäftsführer mehrerer Unternehmen gewesen. Seine Tätigkeit für die ... GmbH hat in der kaufmännischen Leitung des Tanklagers in ... bestanden. Außerdem war er in der Zeit von November 1970 bis Juni 1977 sowie November 1980 bis August 1981 für den Bereich "Zoll- und Steuerverkehr" zum steuerlichen Beauftragten bestellt.
Der Bescheid über hinterzogene Umsatzsteuern vom 3. September 1985 ist weder nichtig noch rechtswidrig. Insbesondere ist er hinreichend bestimmt i.S.d. § 119 Abs. 1 AO. Ein Steuerbescheid ist dann nicht hinreichend bestimmt, wenn auch durch Auslegung nicht geklärt werden kann, wie er zu verstehen ist. Hierbei ist in entsprechender Anwendung des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vom Empfängerhorizont auszugehen. Es kommt somit darauf an, wie der Empfänger nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt des Steuerbescheides unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (Urteil des BFH vom 6. Juli 1994 II R 126/91, BFH/NV 1995, 178).
Aus dem Hinterziehungszinsbescheid selbst gehen die konkreten Beträge, die der Beklagte verzinst hat, die hinterzogene Steuerart, die Veranlagungszeiträume sowie der Zinszeitraum und der Zinssatz hervor. Der Kläger hat im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Hinterziehungszinsbescheides gewusst, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen seiner Beteiligung an Gasöldiebstählen geführt worden ist. Seine Umsätze sind im Hinblick auf die Mitwirkung an den Gasöldiebstählen in den Umsatzsteuerbescheiden für 1980und 1981 vom 31. Juli 1985 heraufgesetzt worden. Die zu verzinsenden Beträge erschließen sich unmittelbar aus den geänderten Umsatzsteuerbescheiden selbst, nämlich als Differenz zwischen der bisher in den Bescheiden vom 12. Januar 1982 (für 1980) und 5. Oktober 1983 (für 1981) festgesetzten und der in den Änderungsbescheiden neu festgesetzten Umsatzsteuer.
Darüber hinaus sind in den Anlagen zu diesen Bescheiden sowohl die Bruttobeträge als auch die Nettobeträge, die der Änderung zugrunde gelegt worden sind, ausdrücklich genannt und als Umsätze für Gasöllieferungen bezeichnet worden. Da sich die Anlagen in Kopie bei den Steuerakten befinden, ist davon auszugehen, dass sie den Umsatzsteuerbescheiden auch beigefügt gewesen sind. Jedenfalls ist in den Umsatzsteuerbescheiden ausdrücklich auf die jeweilige Anlage hingewiesen worden. Selbst wenn die Anlagen den Bescheiden nicht beigefügt gewesen wären, hätte der Kläger im Falle des Unverständnisses der Umsatzsteuererhöhungen die Anlagen beim Beklagten anfordern können und müssen. Die im Hinterziehungszinsbescheid aufgeführten zu verzinsenden Beträge von 14.955,00 DM für 1980 und von 68.623,00 DM für 1981 erschließen sich problemlos auch aus den Anlagen zu den Umsatzsteuerbescheiden. Es handelt sich dabei um die Differenz zwischen den genannten Brutto- und Nettobeträgen.
Es sind auch keine Widersprüche mit anderen durch den Beklagten erlassenen Bescheiden erkennbar. Der Bescheid über Hinterziehungszinsen ist in der Folge der Umsatzsteueränderungsbescheide vom 28. November 1985 zu Recht nicht geändert worden, weil die Änderungen in keinem Zusammenhang mit den hinterzogenen Umsatzsteuern gestanden haben. Die Änderungen betrafen die Vermietungstätigkeit des Klägers, was aus der Anlage zu den Änderungsbescheiden auch eindeutig hervorgeht.
Da den Umsatzsteuerbescheiden zwei unterschiedliche Sachverhaltskomplexe zugrunde gelegen haben, ist es auch kein Widerspruch, wenn die Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Hinterziehungszinsen nicht identisch mit Aussetzungs- und Mahnbeträgen gewesen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).