Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.10.1999, Az.: 5 K 43/99
Verlust-Verrechnung; Die Steuerfreiheit der Abfindung nach § 3 Nr. 9 EStG setzt voraus, dass die Auflösung des Dienstverhältnisses durch den Arbeitgeber veranlasst ist. Hieran fehlt es, wenn der Arbeitnehmer als Gesellschafter zeitgleich mit dem Aufhebungsvertrag seine Mehrheitsbeteiligung überträgt.
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 14.10.1999
- Aktenzeichen
- 5 K 43/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 34563
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1999:1014.5K43.99.0A
Rechtsgrundlagen
- EStG § 3 Nr. 9
Fundstellen
- DStRE 2000, 785-786 (Volltext mit amtl. LS)
- GmbH-StB 2000, 327
- GmbHR 2000, 1116-1118 (Volltext mit amtl. LS)
- NWB DokSt 2001, 763
Tatbestand:
Streitig ist, ob eine Zahlung in Höhe von 24.000,-- DM als Abfindungszahlung steuerfrei nach § 3 Nr. 9 EStG ist.
Die Klägerin war als Arbeitnehmerin bei der Tischlerei ... GmbH beschäftigt. Sie ist die Tochter des alleinigen Gesellschafters der Tischlerei ... GmbH, des inzwischen verstorbenen Herrn ... .
Im Rahmen der Gesamtrechtsnachfolge übernahm die Klägerin am 22. April 1995 Geschäftsanteile der GmbH in Höhe von 50.000,-- DM, entsprechend 60,24 v.H. der Stammeinlage.
Nachdem es mit dem Geschäftsführer und Tischlermeister ... zu Unstimmigkeiten über die künftige Führung des Unternehmens gekommen war, entschloss sich die Klägerin am 18. Oktober 1996 zum Verkauf ihrer Anteile an Herrn .... . Dieser stimmte zu. Nachdem die Finanzierung sichergestellt war, erfolgte die Übertragung der Anteile zum 31. Dezember 1996. Zuvor hatte die Klägerin vergeblich versucht, eine stärkere Einbindung ihrerseits in den Betrieb durchzusetzen oder alternativ geeigneten Ersatz für den Tischlermeister ... beschaffen.
Zeitgleich - also am 18. Oktober 1996 - erfolgte die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses mit Wirkung zum 31. Oktober 1996.
Die im Vertrag vereinbarte Abfindungszahlung wurde nach den Feststellungen einer Lohnsteuer-Außenprüfung bei der GmbH unter Hinweis auf § 3 Nr. 9 EStG unversteuert am 30. Dezember 1996 ausgezahlt. Der Beklagte behandelte die Zahlung als steuerpflichtigen Arbeitslohn und erließ einen auf § 164 Abs. 2 AO gestützten Einkommensteueränderungsbescheid mit der Begründung, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund eines Interessengegensatzes zwischen Arbeitnehmerin und Arbeitgeberin aufgelöst worden sei.
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage.
Die Kläger tragen vor, Voraussetzung für die Anwendung des § 3 Nr. 9 EStG sei allein, ob die Auflösung des Dienstverhältnisses vom Arbeitgeber veranlasst sei. Das sei hier der Fall.
Nach § 1 des Aufhebungsvertrages vom 18. Oktober 1996 sei ausdrücklich festgehalten, dass das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin "auf Veranlassung des Arbeitgebers aus personenbedingten Gründen" ende. In § 7 desselben Vertrages sei zudem ausgeführt, dass "ohne Abschluss des Aufhebungsvertrages eine ordentliche personenbedingte Kündigung ausgesprochen" worden wäre.
Die Tatsache, dass die Klägerin Mehrheitsgesellschafterin der Arbeitgeberin gewesen sei, sei unbeachtlich, da insoweit nur das gesellschaftsrechtliche Rechtsverhältnis betroffen sei. Dies stünde in keinem Zusammenhang zu der schuldrechtlichen Beziehung aufgrund des Arbeitsvertrages.
Zudem sei es Herrn ... nach dem Tode von Herrn ... allein darum gegangen, den Betrieb an sich zu reißen und die Klägerin mit allen Mitteln aus dem elterlichen Betrieb herauszudrängen. Hierbei sei zu bedenken, dass Herr... ein tüchtiger Tischlermeister sei, der in der Kundschaft gut eingeführt sei, während die Klägerin zwar Gesellschafterin sei, aber über keine vergleichbare Qualifikation verfüge. Nachdem Herr ... mit dem Ausscheiden aus dem Betriebe gedroht und sie keinen anderen geeigneten Tischlermeister gefunden hätte, wäre ihr keine andere Möglichkeit verblieben, als dem Aufhebungsvertrag zuzustimmen.
Die Kläger beantragen,
den angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom 26. Januar 1998 und den Einspruchsbescheid vom 21. Januar 1999 dahin abzuändern, dass aus den Besteuerungsgrundlagen die Abfindungsentschädigung in Höhe von 24.000,-- DM herausgenommen und die Höhe der Steuern entsprechend herabgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, dass die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht durch den Arbeitgeber veranlasst sei, weil der für § 3 Nr. 9 EStG erforderliche Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht bestanden habe.Zum einen sei die Klägerin als beherrschende Gesellschafterin der Arbeitgeberin (GmbH) maßgebend an deren Entscheidung, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, beteiligt gewesen. Zum anderen sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin auch als Arbeitnehmerin ein Interesse an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gehabt hätte. Dies zeige sich daran, dass der Verkauf der Gesellschaftsanteile bereits kurze Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses durchgeführt worden sei.
Dass dem Geschäftsführer ... an dem Ausscheiden der Klägerin gelegen gewesen sei, sie unerheblich. Denn die Klägerin hätte sich als Mehrheitsgesellschafterin weder zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses noch zum Verkauf der Gesellschaftsanteile verpflichten müssen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Finanzgerichtsakte Bezug genommen. Dem Gericht hat die Einkommensteuerakte der Kläger zu Steuernummer ... vorgelegen.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
1. Die Abfindung ist nicht steuerfrei gemäß § 3 Nr. 9 EStG, weil die Auflösung des Dienstverhältnisses nicht vom Arbeitgeber veranlasst worden ist.
Vom Arbeitgeber "veranlasst" ist die Auflösung des Dienstverhältnisses dann, wenn der Arbeitgeber die entscheidende Ursache für die Auflösung des Dienstverhältnisses gesetzt hat (BFH, Urteil vom 11. Januar 1980 VI R 165/77, BStBl II 1980, 205, 206).
Die Tatsache, dass der Arbeitgeber eine Abfindung zahlt, legt zwar die Annahme nahe, dass die Auflösung des Dienstverhältnisses durch ihn veranlasst ist. Wenn die Auflösung des Dienstverhältnisses durch die Arbeitnehmer veranlasst ist, wird der Arbeitgeber nämlich regelmäßig nicht bereit sein, diesem auch noch eine Abfindung zu zahlen. Dass die Auflösung vom Arbeitgeber veranlasst ist, muss jedoch ausführlicher dargetan werden, wenn es sich um einen Arbeitnehmer handelt, der ohnehin ausscheiden wollte oder der neben seiner Stellung als Arbeitnehmer zugleich Gesellschafter des Arbeitgebers ist (vgl. Kirchhof/Söhn § 3 EStG, Rn. B 9/13). Insofern ist es unzutreffend, wenn die Kläger vortragen, dass die gesellschaftsrechtlichen Rechtsbeziehung bei der Prüfung der Auflösung des Dienstverhältnisses unberücksichtigt bleiben müssten.
Vielmehr sind die Gesamtumstände des Falles unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Regelung des § 3 Nr. 9 EStG zu würdigen.
Der Gesetzgeber wollte mit dieser Befreiungsvorschrift eine steuerliche Begünstigung einräumen als Ausgleich für die mit der Auflösung des Dienstverhältnisses verbundenen Nachteile, insbesondere des Verlustes des Arbeitsplatzes (Sozialzweckfreibetrag, vgl. Altehoefer in Lademann, § 3 EStG, Rn. 58 m.w.N.) Dabei hatte der Gesetzgeber vor allem die Fälle im Auge, in denen es infolge des Interessengegensatzes von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu einem unfreiwilligen Verlust des Arbeitsplatzes kommt.
Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Fall ist festzuhalten, dass die Klägerin ihren Arbeitsplatz nicht unfreiwillig verloren hat.
In dem Aufhebungsvertrag ist festgehalten, dass die Auflösung des Arbeitsverhältnisses aus personenbedingten Gründen erfolgt sei, um einer Kündigung zuvorzukommen. Dabei ist anzumerken, dass der Geschäftsführer ... als Geschäftsführer zwar die formale Befugnis zur Kündigung gehabt hätte. Dass Herr ... jedoch tatsächlich die Kündigung ausgesprochen hätte, erscheint höchst unwahrscheinlich, weil die Klägerin nicht nur Arbeitnehmerin, sondern auch Mehrheitsgesellschafterin gewesen ist.
Wenn die Klägerin dem Auflösungsvertrag dennoch zustimmt, so lässt sich dies allein dadurch erklären, dass ihr aufgrund des Zerwürfnisses mit Herrn ... an einer Fortführung des Gesellschafts- und Arbeitsverhältnisses nicht mehr gelegen war.
Hierfür spricht, dass die Klägerin - zeitgleich mit dem Abschluss des Aufhebungsvertrages - ihre Anteile als Mehrheitsgesellschafterin an der GmbH auf Herrn ... übertragen hat. Das Angebot zur Übernahme des Betriebes an Herrn ... und auch die Annahme desselben datieren nämlich vom selben Tag wie der Auflösungsvertrag (18. Oktober 1996).
Dieser Entschluss der Klägerin, die Zusammenarbeit mit Herrn ... dadurch zu beenden, dass sie diesem die GmbH - durch Übertragung der Anteile - überlässt, war ursächlich für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Nach ihrem eigenen Vortrag hatte die Klägerin zuvor vergeblich versucht, eine stärkere Einbindung ihrerseits in den Betrieb durchzusetzen oder alternativ geeigneten Ersatz für den Tischlermeister ... zu beschaffen. Vor diesem Hintergrund ist es nachzuvollziehen, wenn die Klägerin die Rechtsbeziehung zu Herrn ... dadurch beendet, dass sie diesem die GmbH-Anteile verkauft und gleichzeitig ihre weitere (arbeitsvertragliche) Mitarbeit einstellt. Denn eine weitere arbeitsvertragliche Mitarbeit mit Herrn ... als Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter wäre für die Klägerin tatsächlich unzumutbar gewesen.
Wenn die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die Auflösung des Gesellschaftsverhältnisses bedingt war, fehlt es an dem für § 3 Nr. 9 EStG erforderlichen unfreiwilligen Verlust des Arbeitsplatzes. Denn die Auflösung des Arbeitsverhältnisses beruht dann nicht auf einem Interessengegensatz von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern auf einer autonomen gesellschaftsrechtlichen Entscheidung der Klägerin als Arbeitnehmerin und (ehemalige) Mehrheitsgesellschafterin.
2) Die der Klägerin gewährte Abfindung ist nicht als Entschädigung tarifbegünstigt nach § 34 Abs. 1 EStG i.V.m. § 24 Nr. 1 a EStG.
Aus dem Umstand, dass Einnahmen "entgangen" sein müssen oder (künftig) "entgehen" müssen, ist abzuleiten, dass von einem schadenstiftenden Ereignis und damit von einer "Entschädigung" i.S.v. § 24 Nr. 1 a EStG nicht gesprochen werden kann, wenn das Ereignis vom Empfänger der "Entschädigungsleistung" aus eigenem Antrieb herbeigeführt worden ist. Wer selbst und ohne unmittelbaren Zwang etwas preisgibt, dem "entgeht" nichts; wer aus eigenem Antrieb ein Ereignis herbeigeführt hat, erleidet dadurch keinen Schaden (BFH, Urteil vom 2. April 1976 VI R 67/74, BStBl II 1976, 490; ausführlich hierzu Offerhaus, DStZ 1997, 108 m.w.N.).
Die Klägerin hat sich aus autonomen gesellschaftsrechtlichen Gründen dazu entschlossen, jegliche Zusammenarbeit mit Herrn ... einzustellen. Zwar ist nicht zu verkennen, dass sie sich aufgrund des Zerwürfnisses mit Herrn ... in einer gewissen wirtschaftlichen Zwangslage befunden hat.
Dennoch lag es allein an ihr als Mehrheitsgesellschafterin, den weiteren Fortgang der GmbH maßgebend zu bestimmen und zu gestalten. Wenn sie sich dann dafür entscheidet, den Betrieb zu verkaufen und jegliche weitere arbeitsvertragliche Mitarbeit einzustellen, so tut sie dies im Ergebnis aus eigenem Antrieb.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).