Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 30.04.2002, Az.: 4 B 124/02
Arbeit; Arbeitsverweigerung; Aufgabe; Hilfe zum Lebensunterhalt; Krankenkasse; Krankenversicherungsbeitrag; Kürzung; Mitwirkungspflicht; Pflegeversicherungsbeitrag; Praktikantentätigkeit; Praktikum; Regelsatz; Sozialhilfe; Weigerung; zumutbare Arbeit; Zumutbarkeit; Überweisung
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 30.04.2002
- Aktenzeichen
- 4 B 124/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43891
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 25 Abs 1 BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Aufgabe einer vom Sozialhilfeträger vermittelten Praktikumstätigkeit rechtfertigt eine Kürzung der Hilfe zum Lebensunterhalt, die über 25 v.H. des maßgeblichen Regelsatzes hinausgeht. Der Umfang der Kürzung ist dadurch begrenzt, dass der Sozialhilfeempfänger im Ergebnis nur so gestellt werden darf, wie er gestanden hätte, wenn er sich nach sozialhilferechtlichen Kriterien korrekt verhalten hätte. Die direkte Überweisung von Beiträgen für die Pflege- und Krankenversicherung an die Krankenkasse ist nicht zu beanstanden.
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Antragsteller eine Leistung von mehr als 460,16 € begehrt hat.
Die Antragsgegnerin wird im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragssteller vorläufig ab dem 1. April 2002 Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von monatlich 327,41 € zu gewähren.
Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten zu je 1/2; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Dem Antragsteller wird im Umfang des Obsiegens gemäß Nr. 2 der Entscheidungsformel Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter Beiordnung von Rechtsanwalt Ede aus Wolfenbüttel bewilligt.
Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Diese Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet
Gründe
1.) Das Verfahren wird entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO eingestellt, soweit der Antragsteller sein Begehren in der Höhe von monatlich 690,24 € auf 460,16 € durch Schriftsatz vom 29. April 2002 reduziert hat.
2.) Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Antragsgegnerin nach teilweiser Antragsrücknahme noch verpflichtet werden soll, dem Antragsteller ab dem 1. März 2002 Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von monatlich 460,16 € zu gewähren, ist nur in dem aus der Entscheidungsformel unter Nr. 2 ersichtlichen Umfang begründet.
Soweit der Antragsteller Leistungen für März 2002 begehrt, kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht, weil insoweit der für den Erlass einer solchen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit für eine gerichtliche Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, nicht gegeben ist. Insoweit muss er sein Begehren in einem normalen Widerspruchsverfahren und in einem sich gegebenenfalls anschließenden Klageverfahren verfolgen.
Soweit es um Leistungen ab April 2002 geht, hat der Antragsteller den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erforderlichen Anordnungsanspruch, die überwiegende Wahrscheinlichkeit für die materielle Berechtigung seines Begehrens, und auch den Anordnungsgrund in dem aus der Entscheidungsformel unter Nr. 2 ersichtlichen Umfang glaubhaft gemacht.
Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angezeigten summarischen Prüfung steht dem Antragsteller der geltend gemachte Anspruch in Höhe von 327,41 € zu.
Unstreitig ist insoweit, dass der Antragsteller dem Grunde nach die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt erfüllt. Streitig ist, ob und in welchem Umfang dieser Anspruch nach Maßgabe der Bestimmungen des § 25 Abs. 1 BSHG entfällt. Nach § 25 Abs. 1 BSHG hat keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, wer sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten oder zumutbaren Maßnahmen nach den §§ 19 und 20 BSHG nachzukommen. Die Hilfe ist in einer ersten Stufe um mindestens 25 von Hundert des maßgeblichen Regelsatzes zu kürzen. Darüber hinaus gehende Kürzungen sind im Rahmen des Ermessens möglich.
Unter Berücksichtigung der besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalles ist davon auszugehen, dass der Antragsteller sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten. Bei der Praktikumstätigkeit im Lager und Versandbereich der Firma S., die dem Antragsteller im Rahmen des Bildungswerkes der niedersächsischen Wirtschaft vermittelt worden ist, handelt es sich um eine zumutbare Tätigkeit. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Tätigkeit als solche unzumutbar wäre. Auch der Einwand des Antragstellers, er leide aufgrund der aus den Klebestreifen freigesetzten Lösungsmittel an allergischen Reaktionen, vermag nicht zu überzeugen. Derartige gesundheitliche Beeinträchtigungen hat der Antragsteller erstmals nach Einstellung der Sozialhilfeleistungen durch den Bescheid vom 25. März 2002 geltend gemacht. Hinzu kommt, dass die nunmehr durch Schriftsatz vom 29. April 2002 eingereichte ärztliche Bescheinigung nicht geeignet ist, diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu belegen. Allein der Umstand, dass der Antragsteller an Neurodermitis und Heuschnupfen leiden soll, rechtfertigt diese Annahme nicht. Im Übrigen ist in dieser Bescheinigung lediglich angegeben, dass der Antragsteller "den Kontakt zu irritativen Substanzen" vermeiden sollte, ohne dass jedoch näher darauf eingegangen wird, welche "irritativen Substanzen" dieses in Bezug auf den Antragsteller sein sollen., Außerdem kann der Antragsteller einen unmittelbaren Kontakt auch durch das Tragen von Schutzhandschuhen vermeiden.
Der Antragsteller hat sich auch geweigert, diese Tätigkeit auszuüben, indem er ohne sachgerechten Grund seinen Arbeitsplatz verlassen hat und sich dieses auch nach nochmaligem Einstellung in dieses Praktikum wiederholt hat. Soweit es die geltend gemachten gesundheitlichen Probleme betrifft, wird auf die soeben gemachten Ausführungen verwiesen. Im Übrigen ist es unter keinen Umständen gerechtfertigt, die Arbeit ohne Erlaubnis zu verlassen, um eine Wohnung zu besichtigen.
Somit ist eine Einschränkung des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 25 Abs. 1 BSHG dem Grunde nach gerechtfertigt. Die Antragsgegnerin hat auch erkannt, dass sie die gesetzlich vorgegebene Mindesteinschränkung von 25 vom Hundert des maßgeblichen Regelsatzes überschreitet und für die darüber hinausgehende Einschränkung sowohl im Bescheid vom 25. März 2002 als auch im Schriftsatz vom 26. April 2002 sachgerechte Ermessenserwägungen angestellt. Allerdings hat sie die durch die Besonderheiten des vorliegenden Falles vorgegebenen Ermessensgrenzen überschritten. Durch Maßnahmen nach § 25 Abs. 1 BSHG kann der Sozialhilfeträger den Sozialhilfeempfänger im Ergebnis nur so stellen, wie er gestanden hätte, wenn er sich nach sozialhilferechtlichen Kriterien korrekt verhalten hätte. In diesem Falle hätte der Antragsteller bis zum 30. Juni 2002 sein Praktikum fortgesetzt und in dieser Zeit 400,-- € als anrechenbares Einkommen erzielt. Bei diesen Vorgaben hätte der Antragsteller, wie sich aus dem Bescheid vom 06. Februar 2002 ergibt, noch einen Anspruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 327,41 € gehabt. Nicht zu beanstanden ist insoweit, dass die Antragsgegnerin hiervon die Beiträge für die Pflege- und Krankenversicherung in Höhe von 148,11 € direkt an die IKK Braunschweig abführt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.
3.) Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann nur in dem aus Nr. 3 der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang bewilligt werden, das der Antrag aus den o.a. Gründen nur in diesem Umfang hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 188 Satz 2 VwGO i.V.m. § 166 VwGO und § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.