Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 25.04.2002, Az.: 3 B 58/02
Haushaltsgemeinschaft; Steuervorteil; Stiefvater; Vermutung
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 25.04.2002
- Aktenzeichen
- 3 B 58/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 41612
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 16 BSHG
- § 31 Abs 2 EStG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Bei nur minimalen kindbezogenen Steuervorteilen des Stiefelternteils sind an die Widerlegung der Vermutung des § 16 Satz 1 BSHG im Interesse familiengerechter Hilfe keine überzogenen Anforderungen zu stellen.
Tenor:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern ab 01.04.2002 Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung von anteiligen Unterkunftskosten für die Wohnung T.-weg 10 in H. zu bewilligen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag der Antragsteller, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung von Mietanteilen zu bewilligen, hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Da nach Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die vorläufige Regelung grundsätzlich die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen darf, kann eine Verpflichtung zur Zahlung und Übernahme von Geldleistungen, wie sie im vorliegenden Fall begehrt wird, im einstweiligen Anordnungsverfahren in der Regel nur ausgesprochen werden, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für einen entsprechenden Anspruch (Anordnungsanspruch) glaubhaft gemacht sind und weiterhin glaubhaft gemacht wird, dass die begehrte Hilfe aus existenzsichernden Gründen so dringend notwendig ist, dass der Anspruch mit gerichtlicher Hilfe sofort befriedigt werden muss und es deshalb nicht zumutbar ist, den Ausgang eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund).
Diese Voraussetzungen sind hier in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gegeben. Allerdings haben die Antragsteller keinen Anspruch darauf, dass der Antragsgegner bei der Berechnung ihres sozialhilferechtlichen Bedarfes die Stromkosten gesondert berücksichtigt. Die notwendigen Aufwendungen für Strom werden durch die Regelsätze abgedeckt (vgl. § 1 DVO zu § 22 BSHG). Die Antragsteller haben aber einen Anspruch auf Berücksichtigung der Unterkunftskosten glaubhaft gemacht. Nach § 12 Abs. 1 BSHG umfasst der notwendige Lebensunterhalt auch die Unterkunft. Hierzu zählen die tatsächlichen Mietkosten einschließlich der Mietnebenkosten zuzüglich der Kosten für die Heizung. Bewohnen wie im vorliegenden Fall hilfesuchende Personen mit nicht hilfebedürftigen Personen gemeinsam eine Wohnung, so sind in der Regel die Unterkunftskosten nach der Anzahl der Bewohner aufzuteilen (vgl. LPK, 5. Aufl., § 12 Rz. 22 m.w.N.). Danach ergibt sich im vorliegenden Fall bei jedem der Antragsteller ein Unterkunftsbedarf in Höhe von monatlich 107,39 € einschließlich Heizkosten (vgl. Berechnung des Antragsgegners vom 10.04.2002). Entgegen der Auffassung des Antragsgegners kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Stiefvater der Antragsteller diese Unterkunftskosten für die Antragsteller jedenfalls in der Höhe trägt, in der ihr gesamter Sozialhilfebedarf nicht durch eigene Einkünfte und die im Rahmen der mit ihrer Mutter zu bildenden Einsatzgemeinschaft zu berücksichtigenden Einkünfte ihrer Mutter gedeckt wird. Die Voraussetzungen, unter denen nach § 16 BSHG vermutet werden kann, dass die Hilfesuchenden von ihrem mit ihnen in Haushaltsgemeinschaft lebenden Stiefvater Leistungen zum Lebensunterhalt durch Gewährung von Unterkunft erhalten, sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Soweit sich der Antragsgegner zur Stützung dieser Vermutung auf Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg beruft (Urt. v. 08.02.1989 - 4 A 13/88 - und v. 29.05.1985 - 4 A 93/82 -), so lag diesen Entscheidungen ein mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Denn Mieter der von den Antragstellern bewohnten Wohnung ist nicht ihr Stiefvater, sondern es war dies bereits vor dem Einzug des Stiefvaters ihre Mutter. Nach den glaubhaften Angaben der Mutter der Antragsteller und des Stiefvaters im Verwaltungsverfahren ist der Stiefvater nicht bereit, sich in irgendeiner Weise am Unterhalt seiner Stiefkinder zu beteiligen, da er selbst unterhaltsverpflichtet gegenüber drei eigenen Kindern ist. Er trägt, so haben die Antragsteller ebenfalls glaubhaft gemacht, auch tatsächlich nicht die gesamten Unterkunftskosten. Vielmehr sind bereits Mietrückstände entstanden. Auch liegt kein Fall vor, in dem durch die Aufnahme der Stiefkinder in den Haushalt keine Mehrkosten bei den Unterkunftskosten entstehen. Denn die Wohnung ist gerade im Hinblick auf den Raumbedarf der Mutter der Antragsteller mit ihren Kindern in der sonst für den Stiefvater nicht notwendigen Größe angemietet worden.
Da der Stiefvater der Antragsteller dem Antragsgegner bisher nachprüfbare Unterlagen über seine Einkünfte und seine Belastungen nicht vorgelegt hat, kann im summarischen Verfahren nicht festgestellt werden, ob von ihm nach seinem Einkommen und Vermögen überhaupt erwartet werden kann, dass er den Antragstellern Leistungen zum Lebensunterhalt gewährt. Selbst wenn die Einkünfte des Stiefvaters diese Erwartung zuließen, ist aber nach den Gesamtumständen die Vermutung des § 16 Satz 1 BSHG als widerlegt anzusehen (§ 16 Satz 2 BSHG). Ob und wann die gesetzliche Vermutung des § 16 Satz 1 BSHG als widerlegt angesehen werden kann, ist nach den konkreten Gesamtumständen des Falles zu entscheiden. Neben einer glaubhaften Versicherung des Hilfesuchenden, aus der hervorgeht, dass er keine oder keine ausreichenden Leistungen zum Lebensunterhalt erhält, müssen nachvollziehbare und überprüfbare Tatsachen behauptet und glaubhaft gemacht werden, welche die Richtigkeit der gesetzlichen Vermutung erschüttern (vgl. OVG Münster, B. v. 12.11.1992 - 8 B 1577/92 - in FEVS 44, S. 198-204). Danach ist zwar die Erklärung des Stiefvaters anlässlich seiner Eheschließung mit der Mutter der Antragsteller, dass er für den Unterhalt der Antragsteller in keiner Art und Weise aufkommen werde, allein nicht ausreichend, um die genannte gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Hinzu kommt im vorliegenden Fall aber der Umstand, dass der Stiefvater drei weiteren minderjährigen eigenen Kindern gegenüber zu Unterhaltszahlungen bzw. Unterhaltsleistungen verpflichtet ist, die Kosten zur Ausübung des Umgangsrechts mit zweien dieser Kinder zu tragen hat und zudem Einkünfte nicht in der Höhe erzielt, die erforderlich wäre, um einen eigenen Anspruch der Mutter der Antragsteller auf Arbeitslosenhilfeleistungen auszuschließen. Ausweislich der in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen Bescheide der Wohngeldabteilung des Antragsgegners, wonach der Antrag der Antragsteller auf Wohngeldzahlungen allerdings wegen des anzurechnenden Einkommens der Familienmitglieder abgelehnt worden ist, erzielte der Stiefvater Bruttoeinkünfte in Höhe von ca. 62.000,00 DM jährlich. Danach sind die Einkünfte des Stiefvaters jedenfalls nicht so hoch, dass angenommen werden könnte, ihm entstünden wegen des Zusammenlebens mit den Antragstellern in einem Haushalt Einkommensvorteile bzw. Steuervorteile in solcher Höhe, dass daraus der noch ungedeckte notwendige Lebensunterhalt der Antragsteller sichergestellt werden könnte. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Vermutung des § 16 BSHG in Stiefkinderfällen hinsichtlich kindbezogener Einkommensvorteile des Stiefelternteils angewendet werden kann, ist im Interesse familiengerechter Hilfe eine vorsichtige Abwägung vorzunehmen (vgl. OVG Berlin, B. v. 18.05.1992 in FEVS 44, S. 15 f.). Nennenswerte Steuervorteile des Stiefvaters sind bei Bruttoeinkünften in Höhe von jährlich ca. 62.000,00 DM durch das Zusammenleben in einem Haushalt mit den Antragstellern aber nicht zu erwarten. Denn die Steuervergünstigungen, die sich für den Stiefvater wegen der zusätzlichen Kinderfreibeträge und Betreuungsfreibeträge ergeben, sind nach summarischer Prüfung nur minimal, da diese sich nach der gesetzlichen Regelung über den Familienlastenausgleich in § 31 Abs. 2 EStG (in der Fassung des Gesetzes zur Familienförderung vom 22.12.1999 - BGBl. I S. 2552, geändert durch das 2. Gesetz zur Familienförderung vom 16.08.2001 - BGBl. I S. 2074) nur dann auswirken, wenn ihre Berücksichtigung zu einer höheren Steuerentlastung führt als die Kindergeldzahlung (Günstigerprüfung). Das Kindergeld wird aber in vollem Umfang auf den Bedarf der Antragsteller angerechnet. Damit ist im summarischen Verfahren die Vermutung des § 16 Satz 1 BSHG, der Stiefvater leiste den Antragstellern Unterhalt, z.B. durch Gewährung der Unterkunft, widerlegt.
Dem Sozialhilfeanspruch der Antragsteller kann auch nicht entgegengehalten werden, ihr sozialhilferechtlicher Bedarf könne dadurch gedeckt werden, dass ihre Mutter ihre eigenen Einkünfte in höherem Umfang als in der Berechnung des Antragsgegners vom 10.04.2002 angenommen, zur Deckung des Bedarfes der Antragsteller einsetzen könne, weil sie ihrerseits Gelder bzw. Sachleistungen aus dem Erwerbseinkommen ihres Ehemannes erhalte, die ihren sozialhilferechtlich beachtlichen Eigenbedarf minderten oder deckten und damit mittelbar zu einer Erhöhung des für die Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes der Antragsteller zur Verfügung stehenden Teils ihres eigenen Einkommens führen würde (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 26.11.1998 --5 C 37.97 - in FEVS 49, 307-310). Nach summarischer Prüfung spricht der Umstand, dass die Mutter der Antragsteller derzeit nicht die vollen Mietkosten für die Wohnung begleicht, dagegen, dass ihr Lebensunterhalt in nennenswertem Umfang durch derartige Sachleistungen ihres
Ehemannes sichergestellt ist. Dies folgt auch aus der Erwägung, dass sie selbst weiterhin Arbeitslosenhilfeleistungen erhält. Allerdings ist davon auszugehen, dass der Stiefvater den Lebensunterhalt des gemeinsamen Kindes L. finanziell in vollem Umfang sicherstellt, so dass die Berechnung des Antragsgegners vom 10.04.2002, in der davon ausgegangen wird, dass die Mutter der Antragsteller ihr eigenes überschießendes Einkommen in vollem Umfang für den Lebensunterhalt der Antragsteller und nicht für das Kind L. zur Verfügung stellt, nicht zu beanstanden ist.
Nach der Berechnung des Antragsgegners vom 10.04.2002 ergeben sich aufgrund dessen für die Antragsteller monatliche nicht gedeckte Sozialhilfeansprüche in Höhe von 123,41 €.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 i.V.m. 188 Satz 2 VwGO.