Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 25.02.2011, Az.: 10 WF 48/11
Ablehnung von Mitarbeitern des Jugendamts wegen Besorgnis der Befangenheit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 25.02.2011
- Aktenzeichen
- 10 WF 48/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 11864
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2011:0225.10WF48.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover - AZ: 610 F 5436/10
Rechtsgrundlagen
- § 6 FamFG
- § 30 FamFG
- § 42 ZPO
- § 406 ZPO
Fundstellen
- FPR 2011, 339-341
- FamFR 2011, 183
- FamRB 2011, 140
- FamRZ 2011, 1532-1533
- FuR 2011, 336-337
- KfZ-SV 2014, 25-26
- ZKJ 2011, 229-230
Amtlicher Leitsatz
In Kindschaftssachen (hier: einstweilige Anordnung zur Umgangsregelung) kommt eine Ablehnung von Mitarbeitern des Jugendamtes oder des Jugendamtes selbst wegen Befangenheit nicht in Betracht.
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 1.500 €.
Gründe
I. Im vorliegend geführten einstweiligen Anordnungsverfahren um eine Regelung des Umgangs will der Antragsteller eine - namentlich benannte - zuständige Mitarbeiterin des Jugendamtes Hameln wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen und sie ´von der weiteren Mitwirkung in diesem Verfahren ausschließen´. Zur Begründung macht er geltend, die Mitarbeiterin habe durch die Äußerung gegenüber einer anderen Behördenmitarbeiterin sowie ´durch die selektive Stellungnahme ... vom 14. Dezember 2010´ Anlaß zu Mißtrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung gegeben.
Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 20. Januar 2011 den Befangenheitsantrag als unzulässig zurückgewiesen, da ein solcher nur gegenüber Gerichtspersonen oder Sachverständigen in Betracht komme, nicht jedoch gegenüber den Jugendämtern oder deren Mitarbeitern.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der sich gegen die Annahme der Unzulässigkeit seines Befangenheitsantrages wendet. Er macht ergänzend geltend, das Jugendamt Hameln sei in Ermangelung eines entsprechenden Antrages nicht Verfahrensbeteiligter nach § 7 FamFG. insofern sei die Stellung des Jugendamtes bzw. seiner konkreten Mitarbeiterin mit der eines Sachverständigen vergleichbar, so daß die Vorschriften bezüglich der Ablehnung von Sachverständigen jedenfalls entsprechend anzuwenden seien.
II. Die Beschwerde des Antragstellers kann in der Sache keinen Erfolg haben. Zutreffend hat das Amtsgericht den gegen die Mitarbeiterin des Jugendamtes Hameln gerichteten Befangenheitsantrag als unzulässig zurückgewiesen.
1. Eine Ablehnung wegen Befangenheit gemäß § 6 FamFG i.V.m. §§ 41 ff. ZPO kommt schon nach dem ausdrücklichen Wortlaut in § 6 FamFG ausschließlich gegenüber Gerichtspersonen in Betracht, also gegenüber Richtern, Rechtspflegern oder Urkundsbeamten. Eine derartige Ablehnungsmöglichkeit ist Ausfluß des verfassungsmäßig garantierten Rechts der Beteiligten auf einen gesetzlichen, unparteiischen und neutralen Richter sowie auf ein faires Verfahren (vgl. nur Zöller28Vollkommer, Vor § 41 ZPO Rz. 1 m.w.N.). Eine entsprechende Anwendung kommt daher allein insoweit in Betracht, als innerhalb eines justizförmigen Verfahrens Amtsträger oder Stellen vergleichbar tätig sind (vgl. Zöller aaO. Rz. 3 a.E.). im übrigen hat der Gesetzgeber die Ablehnungsmöglichkeit allein auf ganz eng begrenzte Fälle - jeweils durch ausdrückliche gesetzliche Regelung - ausgeweitet, und zwar auf Sachverständige in § 406 ZPO und auf Dolmetscher in § 191 GVG (jedoch nicht einmal auf Gerichtsvollzieher, für die nach § 155 GVG allein die objektiven Ausschließungsgründe gelten). Mithin ist im Verfahren über Kindschaftssachen die Ablehnung einer Jugendamtsmitarbeiterin über § 6 FamFG i.V.m. §§ 41 ff. ZPO ausgeschlossen.
2. Eine Ablehnung der Jugendamtsmitarbeiterin kommt auch nicht gemäß § 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 406 ZPO - also eine direkte oder entsprechende Anwendung der für Sachverständige geltenden Regelungen - in Betracht.
a. Insofern übersieht der Antragsteller im Rahmen seiner Beschwerde bereits, daß das Amtsgericht im vorliegend betriebenen einstweiligen Anordnungsverfahren eine förmliche Beweisaufnahme nach den Vorschriften der ZPO - also im Wege des Strengbeweises - schon nicht ersichtlich angeordnet oder durchgeführt hat und ein solcher Strengbeweis für die summarische Prüfung im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens auch regelmäßig nicht angezeigt sein wird, so daß es bereits an der Grundlage für einen Rückgriff auf die nur in einem solchen Falle maßgeblichen ZPOVorschriften, hier namentlich§ 406 ZPO und die darin eröffnete Möglichkeit der Ablehnung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen, fehlt.
b. Unabhängig davon ist die Stellung des Jugendamtes bzw. der Jugendamtsmitarbeiter in Kindschaftssachen aber ohnehin weder diejenige eines Sachverständigen noch mit der eines Sachverständigen vergleichbar, so daß eine direkte oder analoge Anwendung von §§ 30 Abs. 1 FamFG, 406 ZPO auf die Ablehnung von Mitarbeitern des Jugendamtes in keinem Fall in Betracht kommt.
Das Jugendamt ist in die Person des Kindes betreffenden Kindschaftssachen gemäß § 162 FamFG anzuhören. diese Anhörung dient der Aufklärung des Sachverhaltes (Zöller28Philippi, FamFG § 162 Rz. 1. Prütting/HelmsStößer, FamFG § 162 Rz. 2. Keidel16Engelhardt, FamFG § 162 Rz. 2. so auch bereits OLG Köln - Beschluß vom 28. März 1978 - 4 WF 88/78 - Der Amtsvormund 1978, 800f. [zur früheren Rechtslage bei einer Anhörung des Jugendamtes gemäß § 48a JWG]) und gehört zu der durch das Gericht von Amts wegen vorzunehmenden Materialsammlung (vgl. OLG Bamberg - Beschluß vom 24. Februar 1988 - 2 WF 296/87 - FamRZ 1988, 1080 [TZ 20]), deren Bewertung und Verwendung allein Sache des Familiengerichts ist (vgl. Bayerischer VGH - Beschluß vom 7. April 2005 - 12 CE 04.3375 - juris). insofern entsprach es auch ganz herrschender Auffassung, daß die Anhörung des Jugendamtes in derartigen Verfahren nicht etwa die vormalige gesonderte Beweisgebühr auslöste (vgl. OLG Bamberg, aaO. m.w.N.).
Auch wenn das Jugendamt durchaus eigene Sachkunde und Erfahrung in das Verfahren einzubringen hat, unterscheidet sich seine Stellung in ganz entscheidenden Punkten von der eines Sachverständigen: Während der Sachverständige vom Gericht ausgewählt und ggf. ersetzt wird (§ 404 ZPO) und dieses seine Tätigkeit bis hin zur Erteilung von Weisungen anleitet (§ 404a ZPO), ist das jeweils zuständige Jugendamt gesetzlich in §§ 87b, 86 SGB VIII festgelegt und ist diesem in § 50 SGB VIII eine eigenständige unterstützende Mitwirkung zugewiesen. bei dieser ist es nicht etwa aus gerichtlicher Anordnung sondern aus eigener gesetzlicher Verpflichtung und nicht als Hilfsorgan des Gerichtes sondern selbständig neben diesem tätig (vgl. OLG Frankfurt - Beschluß vom 28. Oktober 1991 - 5 WF 182/91 - FamRZ 1992, 206. OLG Schleswig - Beschluß vom 14. Januar 1994 - 10 WF 114/93 und 10 WF 124/93 - FamRZ 1994, 1129 [beide zur - sachlich unverändert gebliebenen - Lage nach seinerzeitigem KJHG und FGG]). Schließlich ist auch die Stellungnahme des Jugendamtes nicht geeignet, dem Gericht selbst fehlende besondere Sachkunde zu vermitteln, die gegebenenfalls im Einzelfall erforderliche Einholung eines Sachverständigengutachtens kann also nicht durch die Stellungnahme des Jugendamtes ersetzt werden (vgl. etwa BVerfG - Beschluß vom 10. September 2008 - 1 BvR 1248/09 - FamRZ 2009, 1897).
Auf dieser Grundlage ist eine unmittelbare oder entsprechende Anwendung von §§ 30 Abs. 1 FamFG, 406 ZPO auf die Ablehnung von Mitarbeitern des Jugendamtes ausgeschlossen (so etwa auch Kaufmann, Eltern und Jugendämter bei Trennung und Scheidung, FamRZ 2001, 7, 9).
Völlig zutreffend hat etwa das - in einem isolierten Verwaltungsrechtsstreit gegen das Tätigwerden eines vermeintlich voreingenommenen Jugendamtsmitarbeiters im Rahmen eines familiengerichtlichen Verfahrens angerufene - Verwaltungsgericht Aachen (Beschluß vom 18. März 2010 - 2 L 77/10 - juris) darauf hingewiesen, daß es dem jeweiligen Elternteil vielmehr obliegt, in dem familiengerichtlichen Verfahren etwaige tatsächliche Unrichtigkeiten aufzuzeigen oder die vom Jugendamt vorgenommenen Wertungen und Schlüsse sowie den dort zum Ausdruck kommenden Sachverstand des Jugendamtes ggfls. durch geeigneten Vortrag so in Zweifel zu ziehen, daß das Familiengericht Veranlassung sieht, durch Einholung entsprechender Gutachten den Sachverhalt weiter aufzuklären oder die vom Elternteil durch konkreten Vortrag als falsch angezweifelten Angaben des Jugendamtes in der gerichtlichen Entscheidungsfindung entsprechend zu würdigen. Der verfassungsrechtlich nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Rechtsschutz der Eltern gegen Stellungnahmen der Jugendämter nach § 50 SGB VIII als unselbständiger Teile des familiengerichtlichen Erkenntnisprozesses ist dadurch gewährleistet, daß sie - im Rahmen der jeweiligen Verfahrensordnung - Rechtsbehelfe gegen die Entscheidungen der Familiengericht ergreifen können (vgl. OVG Münster - Beschluß vom 24. Oktober 2007 - 12 B 1570/07, zitiert nach VG Aachen aaO.).
III. Die verfahrensrechtlichen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 84 FamFG, 45 Abs. 1 Nr. 2, 41 FamGKG.