Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.03.1987, Az.: 5 Ta BV 24/86

Geltendmachung einer Teilunwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung; Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung über die Arbeitszeitregelung; Überschreitung der Grenzen der Regelungsbefugnis; Verstoß der Betriebsvereinbarung gegen Bestimmungen der Manteltarifverträge; Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen betrieblicher Arbeitszeit und individueller regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit; Begriff der "Arbeitszeit für die einzelnen Arbeitnehmer"

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
04.03.1987
Aktenzeichen
5 Ta BV 24/86
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1987, 20139
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1987:0304.5TA.BV24.86.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Verden - 19.03.1986 - AZ: 1 BV 13/85

In dem Beschlußverfahren
...
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Landesarbeitsgericht ... und
der ehrenamtlichen Richter ... und ...
aufgrund der Anhörung der Beteiligten
am 4. März 1987
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Verden/Aller vom 19. März 1986 - 1 BV 13/85 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

1

Die Beteiligte zu 1) macht die Unwirksamkeit einzelner Bestimmungen einer zwischen den Beteiligten zu 2) und 3) abgeschlossenen Betriebsvereinbarung vom 29. März 1985 geltend. In dieser "aus Anlaß der Änderung der tariflichen Arbeitszeitbestimmungen für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte aufgrund § 2 des Manteltarifvertrages für die Metallindustrie im Unterwesergebiet vom 17. Juli 1984" abgeschlossenen Betriebsvereinbarung heißt es u.a.:

1.
Ab 01.04.1985 beträgt die individuelle regelmäßige Arbeitszeit der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer 38,5 Stunden.

2.
Zur bestmöglichen Nutzung der betrieblichen Anlagen und Einrichtungen beträgt die Wochenarbeitszeit für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer weiterhin 40 Stunden. Je tatsächlich geleistetem Arbeitstag entsteht dann ein Freizeitanspruch von 0,3 Stunden.

Dieses angesammelte Zeitguthaben soll grundsätzlich innerhalb von 2 Monaten durch unbezahlte Freizeit ausgeglichen werden. Diese Freizeit kann nur unter Wahrung der Belange des Betriebes sowie der Interessen der Mitarbeiter gewährt und genommen werden.

Sollten die betrieblichen Belange einen solchen Ausgleich nicht zulassen, so erfolgt für das aufgelaufene Stundenvolumen eine Bezahlung der Mehrarbeitszuschläge.

2

Die Beteiligte zu 1) meint, die Betriebsvereinbarung sei insoweit tarifwidrig und rechtsunwirksam, als vereinbart sei, daß nur je tatsächlich geleistetem Arbeitstag ein Freizeitanspruch von 0,3 Stunden entstehe, und als auch die Möglichkeit vorgesehen sei, einen Freizeitausgleich zu unterlassen. In den einschlägigen von den Beteiligten zu 1) und 4) vereinbarten Tarifverträgen (Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer und Manteltarifvertrag für Angestellte, jeweils vom 17. Juli 1984 [Fotokopien Bl. 6-19 d.A.]) ist in § 2 inhaltsgleich festgelegt, daß die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ausschließlich der Pausen 38,5 Stunden betrage. Ferner finden sich folgende Bestimmungen:

1.2
Die Arbeitszeit im Betrieb wird im Rahmen des Volumens, das sich aus der für den Betrieb festgelegten wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden im Durchschnitt aller Vollzeitbeschäftigten ergibt, durch Betriebsvereinbarung geregelt. Dabei können für Teile des Betriebes, für einzelne Arbeitnehmer (Angestellte) oder für Gruppen von Arbeitnehmern (von Angestellten) unterschiedliche wöchentliche Arbeitszeiten festgelegt werden.

1.3
Die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit kann zwischen 37 und 40 Stunden (Vollzeitbeschäftigte) betragen.

1.8
Die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit kann gleichmäßig oder ungleichmäßig auf fünf Werktage in der Woche verteilt werden. Eine davon abweichende Verteilung kann nach Maßgabe der betrieblichen Erfordernisse mit dem Betriebsrat vereinbart werden.

1.9
Die wöchentliche Arbeitszeit muß im Durchschnitt von zwei Monaten erreicht werden.

8. bzw. 5.
Auslastung der betrieblichen Anlagen

Aus Anlaß der Neufestlegung der Arbeitszeit, wird die Auslastung der betrieblichen Anlagen und Einrichtungen nicht vermindert. Bei einer Differenz zwischen Betriebsmittelnutzungszeit und der Arbeitszeit für die einzelnen Arbeitnehmer (Angestellten) kann der Zeitausgleich auch in Form von freien Tagen erfolgen. Dabei muß zur Vermeidung von Störungen im Betriebsablauf eine möglichst gleichmäßige Anwesenheit der Arbeitnehmer (Angestellten) gewährleistet sein. Bei der Festlegung der freien Tage sind die Wünsche der Arbeitnehmer (Angestellten) zu berücksichtigen.

3

Inhaltsgleich findet sich ferner in § 3 der Tarifverträge unter der Überschrift Mehrarbeit folgende Regelung:

3.1
Als Mehrarbeit gelten alle Arbeitsstunden, die über die gemäß § 2 Ziffer 1 vereinbarte individuelle regelmäßige tägliche Arbeitszeit hinausgehen.

3.2
Vereinbarte Vor- und Nachholstunden gelten nicht als Mehrarbeit.

3.3
Mehrarbeit soll vermieden werden, wenn Mehrarbeit aus wichtigen Gründen geleistet werden muß, so ist diese mit dem Betriebsrat zu vereinbaren. In ganz besonderen Fällen, von denen der Fortgang des Betriebes oder einer Betriebsabteilung abhängig ist, muß die Zustimmung des Betriebsrates nachträglich eingeholt werden.

4

Zur Darstellung des Vorbringens der Beteiligten zu 1) bis 3) - den tarifschließenden Arbeitgeberverband hatte das Arbeitsgericht nicht beteiligt - im ersten Rechtszug wird auf den Beschluß des Arbeitsgerichts Verden vom 19. März 1986 (Bl. 68 f d.A.) Bezug genommen.

5

Das Arbeitsgericht hat die Anträge der Beteiligten zu 1), festzustellen, daß die "Betriebsvereinbarung 1/1985 über die Arbeitszeitregelung ab 1. April 1985" vom 29. März 1985 rechtsunwirksam ist, soweit als Basis für die Berechnung der zu gewährenden unbezahlten freien Tage nicht jeder Arbeitstag incl. Urlaubs-, Krankheits- und Feiertage sowie sonstige Abwesenheitstage zugrunde gelegt wird, sondern nur die Tage gelten, an denen der Arbeitnehmer tatsächlich im Betrieb anwesend ist, und soweit die Möglichkeit vereinbart ist, statt der zu gewährenden freien Tage diese durch Bezahlung incl. Mehrarbeitszuschläge abzugelten, abgewiesen.

6

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Anträge seien als unzulässig abzuweisen, da die Antragstellerin nicht antragsbefugt sei. Antragsbefugt im Beschlußverfahren gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG sei nur derjenige, der behaupte, daß ihm ein Recht in einer Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz zustehe. Ein eigenes Recht der behaupteten Art stehe der Antragstellerin nach dem Betriebsverfassungsgesetz nicht zu.

7

Nach § 77 Abs. 3 BetrVG könnten Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein, es sei denn, daß ein Tarifvertrag den Abschluß ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulasse. Der Zweck dieser Vorschrift sei die Gewährleistung des Vorrangs der Tarifautonomie. Auch eine tarifvertragsschließende Gewerkschaft sei daher antragsbefugt, sofern es um die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung im Verhältnis zu einem Tarifvertrag gehe.

8

Im vorliegenden Fall gehe es jedoch nicht um Verstöße gegen § 77 Abs. 3 BetrVG, denn mit der tariflichen Öffnungsklausel gem. § 2 Ziffer 1.2 der beiden Manteltarifverträge hätten die Tarifvertragsparteien den Betriebsparteien die Befugnis für betriebliche Arbeitszeitregelungen durch Betriebsvereinbarung eingeräumt. Aufgrund der durch die Öffnungsklausel ermöglichten Delegierung auf die Betriebsparteien sei die Antragstellerin durch die von diesen mit der Betriebsvereinbarung vom 29. März 1985 getroffene Regelung in einer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition nicht betroffen.

9

Die Antragstellerin sei nicht befugt, die etwa unrichtige Anwendung eines Tarifvertrages im Beschlußverfahren geltend zu machen. Wenn es um die Feststellung der richtigen Auslegung eines Tarifvertrages gehe, handele es sich nicht um ein Recht, das sich aus einer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition ableite. Durch die Betriebsvereinbarung vom 29. März 1985 werde eine der Antragstellerin als tarifvertragsschließende Position direkt nicht berührt. Ein lediglich mittelbares Interesse der Antragstellerin an der richtigen Tarifauslegung reiche für die Bejahung ihrer Antragsbefugnis nicht aus.

10

Gegen diesen Beschluß, der ihr am 1. April 1986 zugestellt worden ist, hat die Beteiligte zu 1) mit einem am 17. April 1986 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten Beschwerde eingelegt, die sie mit einem am 15. Mai 1986 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten begründet hat.

11

Die Beteiligte zu 1) meint, aus dem Vorrang des Tarifvertrages nach § 77 Abs. 3 und § 87 Abs. 1 BetrVG leite sich die Antragsbefugnis von Gewerkschaften ab, Betriebsvereinbarungen, die wegen Tarifwidrigkeit rechtsunwirksam sind, anzugreifen. Die Tarifvertragsparteien würden durch tarifwidrige Betriebsvereinbarungen, die unter unzutreffender Berufung auf tarifliche Öffnungsklauseln abgeschlossen werden, in ihren eigenen Rechten und Positionen berührt. Sie hätten ein Antragsrecht, weil ein eigenes Interesse der Tarifpartner vorliege und deren eigene Belange berührt würden.

12

Weiteres Vorbringen der Beteiligten zu 1) dazu, daß das Beschlußverfahren die gegebene Verfahrensart und daß sie antragsbefugt sei, ist in dem Schriftsatz vom 2. Februar 1987 (Bl. 136 f d.A.) enthalten. Darauf wird Bezug genommen. Ferner wird Bezug genommen auf den Schriftsatz der Beteiligten zu 1) vom 2. März 1987 (Bl. 143 f d.A.), in dem die Beteiligte zu 1) ausführt, daß aufgrund des Tarifvertrages über Tarifschiedsgericht und Einigungsstelle von 1977 die Arbeitsgerichtsbarkeit nicht ausgeschlossen sei.

13

Nach Auffassung der Beteiligten zu 1) hat für jeden Arbeitnehmer, der regelmäßig wahrend einer Betriebsmittelnutzungszeit von 8 Stunden täglich arbeitet, ein Zeitausgleich von jährlich 78 Stunden und 18 Minuten zu erfolgen. Die Betriebsvereinbarung habe eine Laufzeit vom 1. April 1985 bis zum 31. März 1986 gehabt. In dieser Zeit hätten ohne Samstage und Sonntage 261 mögliche Arbeitstage (Montag bis Freitag) zur Verfügung gestanden. An diesen Tagen sei die Betriebsmittelnutzungszeit (BMNZ) 8 Stunden gewesen. Die angegriffene Betriebsvereinbarung bestimme in Ziffer 2, daß ein "Ansammeln von Zeitguthaben" nur an tatsächlich gearbeiteten Arbeitstagen erfolgen könne. Dies sei unrichtig und nach dem Tarifvertrag tarifwidrig. Es müßten auch die Feiertage, Krankheitstage und Urlaubstage in die Errechnung mit einbezogen werden. Die betriebliche Arbeitszeit betrage daher im Jahr der Laufzeit der Betriebsvereinbarung 125.280 Minuten (261 Tage zu je 480 Minuten), die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit (IRWAZ) 120.582 Minuten (261 Tage zu je 462 Minuten).

14

Die Differenz zwischen BMNZ von 40 Stunden/Woche und der für den Betrieb der Beteiligten zu 2) festgelegten IRWAZ von 38,5 Stunden/Woche sei damit auf 261 Tage zu je 18 Minuten zu berechnen (also 4.698 Minuten [78 Stunden und 18 Minuten]). Diese 4.698 Minuten seien in dem Zeitraum vom 1. April 1985 bis 31. März 1986 als unbezahlte Freizeit zu gewähren.

15

Durch die Betriebsvereinbarung seien zu Unrecht die Wochenfeiertage, die Krankheitstage, Urlaubstage und andere arbeitsfreie Tage bei der Ermittlung der auszugleichenden Zeitguthaben abgezogen worden. Von daher hätten nach der Betriebsvereinbarung statt 4.698 auszugleichender Minuten nur die an den tatsachlichen Arbeitstagen "angesammelten" 18 Minuten pro Tag durch Freizeit ausgeglichen werden sollen. Ein solcher "Vor-Abzug" der nicht tatsächlich gearbeiteten Zeiten sei unzulässig. Die BMNZ sei abstrakt mit je 40 Stunden pro Woche zu berechnen, die IRWAZ stets 38,5 Stunden, gleichgültig ob Wochenfeiertage, Urlaub o.a. gegeben seien. Es sei nicht zulässig, die BMNZ an Feiertagen oder in der individuellen Urlaubszeit hinwegzudefinieren und die tägliche Differenz zwischen BMNZ und IRWAZ zu leugnen. Die BMNZ sei stets mit 40 Stunden pro Woche zu rechnen. Demzufolge entstehe an jedem tatsächlich gearbeiteten oder als Arbeitstag fingierten Tag (Feiertag, Urlaubstag, Krankheitstag) die 18minütige Differenz zwischen BMNZ und IRWAZ.

16

Die Errechnung der unbezahlt auszugleichenden Zeiten müsse die Urlaubs-, Feiertags- und sonstigen arbeitsfreien Tage mit einschließen. Ein anderes Problem sei es dann, wie und wann die auszugleichenden Zeiten ausgeglichen werden, ob bei einem starren Freizeitsystem unbezahlte freie Tage auch in den Urlaub, auf Wochenfeiertage usw. fallen können. Das stehe jedoch nicht zur Entscheidung, da es ausschließlich um die Ermittlung des Zeitguthabens, nicht aber um dessen Verbrauch gehe.

17

Hinsichtlich der Miteinbeziehung der Urlaubstage in die Errechnung der auszugleichenden unbezahlten werde Überwiegend unter Hinweis auf das Referenzprinzip vertreten, daß die Urlaubstage herausgerechnet werden können. Das sei nicht richtig. Jedenfalls aber falle die 18minütige unbezahlt auszugleichende freie Zeit an bei den Tagen, die nach dem Ausfallprinzip behandelt würden, also z.B. bei Feiertagen.

18

Zu der angegriffenen Regelung, daß für den Fall, daß die betrieblichen Belange einen solchen Ausgleich durch unbezahlte freie Zeit nicht zulassen, Bezahlung plus Mehrarbeitszuschlag erfolge, werde darauf hingewiesen, daß dies nicht "nur" als vorweggenommene Mehrarbeitsregelung nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG verstanden werden könne. Der Beteiligte zu 3) habe bei seiner Anhörung vor dem Arbeitsgericht darauf verwiesen, daß solche Bezahlung von unbezahltem Freizeitausgleich gerade nicht bei dem Betriebsrat als Überstunden beantragt werde.

19

Die Beteiligte zu 1) beantragt,

den Beschluß des Arbeitsgerichts Verden/Aller vom 19. März 1986 zu ändern und festzustellen, daß die Betriebsvereinbarung 1/1985 über die Arbeitszeitregelung ab 1. April 1985 vom 29. März 1985 rechtsunwirksam ist, soweit

  1. 1.

    als Basis für die Berechnung der zu gewährenden unbezahlten freien Tage nicht jeder Arbeitstag incl. Urlaubs-, Krankheits- und Feiertage sowie sonstige Abwesenheitstage zugrunde gelegt wird, sondern nur die Tage gelten, an denen der Arbeitnehmer tatsächlich im Betrieb anwesend ist.

  2. 2.

    soweit die Möglichkeit vereinbart ist, statt der zu gewährenden freien Tage diese durch Bezahlung incl. Mehrarbeitszuschläge abzugelten.

20

Die Beteiligten zu 2) und 4) beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

21

Sie verteidigen den angefochtenen Beschluß als der Rechtslage entsprechend, halten aber auch die Anträge für unbegründet. Die von der Beteiligten zu 1) für unwirksam gehaltenen Bestimmungen der Betriebsvereinbarung seien nicht tarifwidrig.

22

Der Beteiligte zu 3) hat keine Stellungnahme abgegeben.

23

Die gem. § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist damit zulässig.

24

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Zwar teilt die Kammer nicht die Auffassung des Arbeitsgerichts, daß die Beteiligte zu 1) nicht antragsbefugt sei. Die Beteiligte zu 1) macht geltend, die Beteiligten zu 2) und 3) hätten in Verkennung oder Mißachtung des Umfangs der ihnen durch die Tarifverträge vom 17. Juli 1984 übertragenen Regelungsbefugnis in der Betriebsvereinbarung vom 29. März 1985 Bestimmungen vereinbart, die in Widerspruch zu im Tarifvertrag selbst enthaltenen Regelungen stünden. Die Beteiligte zu 1) ist also der Auffassung, die Beteiligten zu 2) und 3) hätten mit der Betriebsvereinbarung vom 29. März 1985 die durch § 77 Abs. 3 BetrVG gezogenen Grenzen ihrer Regelungsbefugnis überschritten. Sie meint, dadurch werde die Tarifautonomie berührt. Sie selbst, die Beteiligte zu 1), sei dadurch, daß die Betriebsparteien die ihnen im Interesse der Wahrung der Tarifautonomie durch § 77 Abs. 3 BetrVG gesetzten Grenzen überschritten hätten, in ihrer eigenen insoweit durch das Betriebsverfassungsgesetz geprägten Rechtsposition betroffen.

25

Dieser Auffassung folgt die Kammer. Die Tarifvertragsparteien sind als Träger der Tarifautonomie (Artikel 9 Abs. 3 GG) befugt, die Einhaltung der ihnen gesetzlich eingeräumten Rechtspositionen zu überwachen und deren Verletzung gegebenenfalls gerichtlich feststellen zu lassen (vgl. Fitting-Auffarth-Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 77 Rdn. 74 m.w.N.). An der Befugnis der Beteiligten zu 1), mit diesem Ziel ein gerichtliches Verfahren in Gang zu setzen, kann deswegen kein Zweifel bestehen.

26

Das Beschlußverfahren (§§ 80 f ArbGG) ist das insoweit gesetzlich vorgesehene Verfahren. Bei der von der Beteiligten zu 1) angestrebten Feststellung handelt es sich um eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz (§ 2 a Abs. 1 Nr. 1 BetrVG). Die Regelungsbefugnisse der Betriebsparteien werden u.a. durch § 77 Abs. 3 BetrVG im Interesse der Wahrung der Tarifautonomie eingeschränkt. Bei der Frage, ob sich die Betriebsparteien mit den Regelungen in einer Betriebsvereinbarung innerhalb der ihnen durch das Betriebsverfassungsgesetz gezogenen Grenzen gehalten haben, handelt es sich daher um eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz. Allerdings hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen in ihrem Beschluß vom 9. Juli 1986 - 11 Ta BV 2/86 - in einem vergleichbaren Fall ausgeführt, bei der betreffenden Betriebsvereinbarung habe es sich nicht um eine solche aufgrund von Mitbestimmungsrechten nach dem Betriebsverfassungsgesetz, sondern lediglich um eine Betriebsvereinbarung gehandelt, die erst aufgrund des Tarifvertrages - wenn überhaupt - zulässig geworden sei. Daher handele es sich bei dem Streit der Beteiligten nicht um Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz, sondern darum, ob die Betriebsparteien beim Abschluß ihrer Betriebsvereinbarung den Tarifvertrag richtig angewandt und in die betriebliche Praxis umgesetzt hätten. Es liege also nicht eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz, sondern eine Streitigkeit über die Wirksamkeit eines Vertrages zwischen den Betriebsparteien in Anwendung einer tarifvertraglichen Vorschrift vor. Für eine solche Streitigkeit sei nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 ArbGG das Urteilsverfahren, nicht aber das Beschlußverfahren vorgesehen. Dieser Auffassung vermag sich die Kammer aus den dargelegten Gründen, aber auch deswegen nicht anzuschließen, weil nur das Beschlußverfahren geeignet ist, die erstrebte Feststellung mit Rechtsverbindlichkeit sowohl gegenüber den Betriebsparteien als auch gegenüber der anderen Tarifvertragspartei herbeizuführen. Aus diesem Grunde war es notwendig, den tarifabschließenden Arbeitgeberverband der Metallindustrie im Unterwesergebiet e.V. gem. § 83 Abs. 3 ArbGG am Verfahren zu beteiligen.

27

Die Beschwerde muß jedoch deswegen erfolglos bleiben, weil die Anträge unbegründet sind. Die Beteiligten zu 2) und 3) haben mit der Betriebsvereinbarung vom 29. März 1985 weder die ihnen durch § 77 Abs. 3 BetrVG gezogenen Grenzen ihrer Regelungsbefugnis überschritten noch verstoßen die von der Beteiligten zu 1) gerügten Bestimmungen der Betriebsvereinbarung gegen Bestimmungen der Manteltarifverträge vom 17. Juli 1984.

28

Die Beteiligte zu 1) stellt für die Dauer der Laufzeit der Betriebsvereinbarung (1. April 1985 bis 31. März 1986) eine betriebliche Arbeitszeit von 125.280 Minuten (261 Tage à 480 Minuten) einer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 120.582 Minuten (261 Tage à 462 Minuten) gegenüber und meint, die Differenz von 4.698 Minuten sei in dem Zeitraum vom 1. April 1985 bis zum 31. März 1986 als unbezahlte Freizeit zu gewähren gewesen. Diese Auffassung ist unzutreffend. In den einschlägigen Bestimmungen der Manteltarifverträge (§ 2 Abs. 8 des Manteltarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer, § 2 Abs. 5 des Manteltarifvertrages für Angestellte) wird nicht zwischen betrieblicher Arbeitszeit einerseits und individueller regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit andererseits unterschieden. Es heißt in den genannten Bestimmungen vielmehr, daß bei einer Differenz zwischen Betriebsmittelnutzungszeit und der Arbeitszeit für die einzelnen Arbeitnehmer bzw. Angestellten der Zeitausgleich auch in Form von freien Tagen erfolgen könne. Gegenübergestellt werden also die Betriebsmittelnutzungszeit und die Arbeitszeit für die einzelnen Arbeitnehmer. Unter "Arbeitszeit für die einzelnen Arbeitnehmer" ist nicht die Zeit zu verstehen, die die Arbeitnehmer aufgrund der für sie festgesetzten individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit arbeiten sollen, sondern die Zeit, die sie tatsächlich arbeiten. Soll bei einer Differenz zwischen Betriebsmittelnutzungszeit und der Arbeitszeit für die einzelnen Arbeitnehmer ein Zeitausgleich in Form von freien Tagen erfolgen - wie sich aus den Tarifverträgen ergibt, kann der Ausgleich auch auf andere Weise geschehen -, so kann ein Freizeitguthaben nur bei einer tatsächlichen Arbeitsleistung entstehen. Die Entstehung eines Freizeitguthabens setzt nämlich voraus, daß im Interesse der Ausnutzung einer die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit übersteigenden Betriebsmittelnutzungszeit von den einzelnen Arbeitnehmern arbeitstäglich länger gearbeitet wird, als das bei einer gleichmäßigen Verteilung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf 5 Arbeitstage in der Woche der Fall sein würde. Der Zeitausgleich erfolgt, weil eine Arbeitsleistung erbracht wird, die, gäbe es zwischen individueller regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit und Betriebsmittelnutzungszeit keine Differenz, in anderen Zeiträumen zu erbringen gewesen wäre. An Feiertagen, während seines Urlaubs, während seiner Krankheit und während anderer Zeiten, während derer der Arbeitnehmer von der Verpflichtung zur Arbeit befreit ist, für die er aber gleichwohl Vergütung erhält, fällt der Arbeitnehmer für die Betriebsmittelnutzung aus, so daß eine "Differenz zwischen der Betriebsmittelnutzungszeit und der Arbeitszeit für die einzelnen Arbeitnehmer (Angestellten)" insoweit nicht entstehen kann. Es entspricht daher der durch den Tarifvertrag vorgegebenen Rechtslage, wenn die Betriebsparteien in der Betriebsvereinbarung vom 29. März 1985 vereinbart haben, daß "je tatsächlich geleistetem Arbeitstag" ein Freizeitanspruch von 0,3 Stunden entstehe.

29

Auch die in der Betriebsvereinbarung vom 29. März 1985 vorgesehene Möglichkeit, in dem Fall, daß die betrieblichen Belange einen Ausgleich des angesammelten Zeitguthabens durch unbezahlte Freizeit nicht zulassen sollten, für das aufgelaufene Stundenvolumen eine Bezahlung der Mehrarbeitszuschläge vorzusehen, verstößt nicht gegen die Manteltarifverträge vom 17. Juli 1984. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß in den einschlägigen Bestimmungen der Tarifverträge vorgesehen ist, daß "der Zeitausgleich auch in Form von freien Tagen erfolgen" könne. Die Tarifvertragsparteien selbst haben damit die Möglichkeit anderer Formen des Zeitausgleichs eröffnet, jedenfalls aber die von den Beteiligten zu 2) und 3) in der Betriebsvereinbarung vom 29. März 1985 vorgesehene Möglichkeit einer Mehrarbeitsvergütung nicht ausgeschlossen.

30

Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 92 ArbGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, aber auch wegen der Abweichung von der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 9. Juli 1986 - 11 Ta BV 2/86 - zugelassen worden.