Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 31.08.1987, Az.: 6 Ta 150/87

Wertfestsetzungsstreitverfahren über die Höhe des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit für das vorangegangene erstinstanzliche Beschlussverfahren; Vorliegen einer vermögensrechtlichen Streitigkeit; Wertbestimmung "nach billigem Ermessen" gem. § 8 Abs. 2 S. 2 Bundesrechtsanwaltgebührenordnung (BRAGO)

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
31.08.1987
Aktenzeichen
6 Ta 150/87
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1987, 19511
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1987:0831.6TA150.87.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Braunschweig - 09.04.1987 - AZ: 4 BV 65/86

In der Sache [...]

Tenor:

wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 9. April 1987 - 4 BV 65/86 - auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin aufgehoben.

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für das vor dem Arbeitsgericht Braunschweig - 4 BV 65/86 - durchgeführte Beschlußverfahren wird anderweitig auf 12.000,- DM festgesetzt.

Gründe

1

I.

Beschwerdeführerin und Beschwerdegegner des vorliegenden Wertfestsetzungsverfahrens streiten über die Höhe des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit für das vorangegangene erstinstanzliche Beschlußverfahren. Dieses Verfahren ist von dem im Betrieb der Beschwerdeführerin errichteten Betriebsrat in erster Instanz anhängig gemacht worden, weil er der Auffassung war, daß seine Mitbestimmungsrechte verletzt worden seien. Im wesentlichen liegt dem vorangegangenen Beschlußverfahren folgender Sachverhalt zugrunde:

2

Die Beschwerdeführerin entsandte den Arbeitnehmer S. vom 30. Juni bis zum 3. Juli 1986 als Monteur zu einem Kunden nach K. und den Arbeitnehmer D. vom 8. Juli bis zum 12. Juli 1986, sowie am 22. Juli 1986 als Monteur zu Kunden nach M. bzw. K. Beide Arbeitnehmer sind bei der Beschwerdeführerin als Maschinenschlosser eingestellt. Aufgabe der Arbeitnehmer S. und D. war es, bei den Kunden Meßkammern unterschiedlicher Größe und Konstruktion aufzubauen, die dem Zweck dienen, die radioaktive Eigenstrahlung von Gegenständen aller Art. insbesondere Lebensmitteln unter weitgehendem Ausschluß der Umgebungsstrahlung zu messen. Bei dem Aufbau der Maßkammern haben dem Arbeitnehmer S. der Arbeitnehmer H. und dem Arbeitnehmer D. der Arbeitnehmer P. als Hilfskräfte geholfen. Beide Hilfskräfte sind bei der Firma G. beschäftigt, die mit der Beteiligten zu 2) in Geschäftsbeziehungen steht und aufgrund fehlender Aufträge vorübergehend keine Beschäftigungsmöglichkeit für ihre Arbeitnehmer P. und H. in ihrem eigengen Betrieb hatte.

3

Der Betriebrat hat im Anhörungstermin vor dem Arbeitsgericht in dem Beschlußverfahren mit dem Aktenzeichen 4 BV 65/86 folgende Anträge gestellt:

  1. 1.

    Festzustellen,

    daß die Entsendung des Arbeitnehmers S. vom 30.6. bis zum 3.7.1986 nach K. zum Aufbau von 4 Meßkammern beim M. eine Versetzung gem. § 95 Abs. 3 BetrVG war und demgemäß der Antragsteller nach den §§ 99/100 BetrVG zu beteiligen gewesen wäre,

  2. 2.

    daß die Beschäftigung des Arbeitnehmers H. H. der Firma G., vom 30.6. bis zum 3.7.1986 zum Aufbau der im Antag zu Ziffer 1 bezeichneten Meßkammern die Einstellung eines Leiharbeitnehmers war und demgemäß der Antragsteller nach den §§ 99/100 BetrVG zu beteiligen gewesen wäre,

    hilfsweise,

    daß der Antragsteller vor der Beschäftigung des Arbeitnehmers H. H. der Firma G. V., vom 30.6. bis 3.7.1986 zum Aufbau im Antrag unter Ziffer 1 bezeichneten Meßkammern nach §§ 99/100 BetrVG zu beteiligen gewesen wäre,

  3. 3.

    daß die Entsendung des Arbeitnehmers D. nach M. zum Aufbau von Meßkammern an den Baustellen ...

    vom 8.7. bis zum 12.7.1986 eine Versetzung gem. § 95 Abs. 3 BetrVG war und demgemäß der Antragsteller nach den §§ 99/100 BetrVG zu beteiligen gewesen wäre,

  4. 4.

    daß die Beschäftigung des Arbeitnehmers H. P. der Firma G., V.burg, vom 8.7. bis 12.7.1986 auf den Baustellen ... in M. zum Aufbau von Meßkammern die Beschäftigung eines Leiharbeitnehmers war und demgemäß der Antagsteller gemäß §§ 99/100 BetrVG zu beteiligen gewesen wäre,

    hilfsweise,

    daß der Antragsteller vor der Beschäftigung des Arbeitnehmers H. P. der Firma G. V., vom 8.7. bis zum 12.7. 1986 auf den Baustellen ... in M. zum Aufbau von Meßkammern gemäß §§ 99/100 BetrVG zu beteiligen gewesen wäre,

  5. 5.

    daß die Entsendung des Arbeitnehmers D. nach K. zum Aufbau von 2 Meßkammern beim H. am 22.7.1986 eine Versetzung der Antragsteller nach den §§ 99/100 BetrVG war und demgemäß der Antragsteller nach den §§ 99/100 BetrVG zu beteiligen gewesen wäre,

  6. 6.

    daß die Beschäftigung des Arbeitnehmers H. P. der Firma G. am 22.7. 1986 in K. zum Aufbau von 2 Meßkammern beim ... die Beschäftigung eines Leiharbeitnehmers war und demgemäß der Antragsteller nach §§ 99/100 BetrVG zu beteiligen gewesen wäre,

    hilfsweise,

    daß der Antragsteller vor der Beschäftigung des Arbeitnehmers H. P. der Firma G. am 22.7.1986 in K. zum Aufbau von zwei Meßkammern beim ... gem. §§ 99/100 BetrVG zu beteiligen gewesen wäre.

4

Auf Antrag des Beschwerdegegners im vorliegenden Verfahren, der den Betriebsrat im zugrunde liegenden Beschlußverfahrens prozessual vertreten hat, hat das Arbeitsgericht den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für das erstinstanzliche Verfahren auf 24.000,- DM festgesetzt. Gegen den Wertfestsetzungsbeschluß, der der Beschwerdeführerin am 15. April 1987 zugestellt worden ist, hat diese mit einem am 23. April 1987 beim Arbeitsgericht Braunschweig eingegangenen Schriftsatz befristete Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet.

5

Der Vorsitzende des Arbeitsgerichts hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Beschwerdegericht vorgelegt.

6

Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, als Gegenstandswert sei lediglich ein Betrag von insgesamt 12.000,- gerechtfertigt. Wegen der Einzelheiten des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin wird auf deren Schriftsatz vom 22. April 1987 Bezug genommen.

7

Die Beschwerdeführerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses den Wert des Gegenstandes der anwaltichen Tätigkeit gem. § 10 BRAGO auf 12.000,- DM festzusetzen.

8

Der Beschwerdegegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

9

Er ist der Ansicht, der Gegenstandswert sei zutreffend festgesetzt worden. Wegen der Einzelheiten des Beschwerdevorbringens des Beschwerdegegners wird auf dessen Schriftsatz vom 3. Juni 1987 Bezug genommen.

10

II.

1.

Die statthafte Beschwerde ist form- und fristgerecht erhoben worden. Beschwerdebefugt ist auch die Beschwerdeführerin als erstattungspflichtige Dritte gem. § 10 Abs. 2 BRAGO (LAG München Anwaltsblatt 84, 160; LAG Niedersachsen, Beschluß vom 11.1.85 - 14 Ta 24/84 -, sowie Beschluß vom 2.5.86 - 6 Ta 75/86 -). Aus der in der Literatur ohne nähere Begründung vertretenen gegenteiligen Auffassung (Riedel/Sußbauer, BRAGO, 5. Aufl. § 10 Rz. 12; nicht eindeutig Gerold/Schmidt, BRAGO, 8. Aufl. § 10 Rz. 7) läßt sich nicht ohne weiteres ein Schluß auf den vorliegenden Fall ziehen, sie hat nämlich in erster Linie den Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit mit der Kostenfestsetzung gem. § 103 ff ZPO im Blick und behandelt nicht die hier vorliegende Fallgestaltung, bei der nicht der Betriebsrat als Auftraggeber des Prozeßbevollmächtigten, sondern stets dessen Gegner erstattungspflichtig ist und zwar gem. § 40 Abs. 1 BetrVG grundsätzlich unabhängig davon, ob er obsiegt oder verliert. Da § 10 Abs. 2 Satz 1 BRAGO ohne jede Einschränkung auch den erstattungspflichtigen Dritten berechtigt, den Antrag auf Wertfestsetzung zu stellen, gehört er gem. Abs. 3 Satz 1 derselben Vorschrift auch zu dem Kreis derjenigen, denen die Beschwerdebefugnis eingeräumt wird.

11

2.

Die Beschwerde ist auch begründet, denn der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit beträgt im zugrundeliegenden Beschlußverfahren nicht mehr als 12.000,- DM.

12

Da der Betriebsrat nicht vermögensfähig ist und der Streitgegenstand im konkreten Fall weder auf einer vermögensrechtlichen Beziehung beruht noch auf Geld oder Geldeswert geht, liegt eine vermögensrechtliche Streitigkeit nicht vor (Baumbach/Lauterbach, ZPO, 45. Aufl., Übersicht vor § 1 Anm. 3 A; Thomas/Putzo, ZPO, 14. Aufl., Einleitung IV 1 u. 2; Zöller/Vollkommer, ZPO, 14. Aufl., § 1 Rz. 13).

13

Bei nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten beträgt der Gegenstandswert nach § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO - in der hier noch anwendbaren alten Fassung, die bis zum Inkrafttreten des 44. Gesetzes zur Änderung von Kostengesetzen vom 9.12.86 (BGBl. I, 2326) ab 1.1.1987 in kraft war - 4.000,- DM, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht unter 300,- Deutsche Mark und nicht über 1 Million Deutsche Mark. Die Wertbestimmung erfolgt dabei gem. § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO "nach billigem Ermessen".

14

Bei der Bewertung des Gegenstandswerts sind im konkreten Fall folgende Umstände von wesentlicher Bedeutung:

15

Der Betriebsrat wollte seine Beteiligungsrechte gem. §§ 99, 100 ff BetrVG bei der im Inland durchgeführten Montage von Meßkammern klären lassen, bei der jeweils ein Monteur und eine betriebsfremde Hilfskraft eingesetzt wurde. Dem in insgesamt sechs Anträgen aufgeschlüsselten Verfahrensbegehren liegt

  1. a)

    die Entsendung des Arbeitnehmers S. nebst einer betriebsfremden Hilfskraft vom 30.6. bis zum 3.7.86 nach K. für insgesamt vier Tage,

  2. b)

    die Entsendung des Arbeitnehmers D. nebst einer Hilfskraft nach M. vom 8.7. bis zum 12.7.86 gleich insgesamt sechs Tage,

  3. c)

    die Entsendung des Arbeitnehmers D. nebst einer Hilfskraft nach K. am 22.7.86 gleich einem Tag ...

16

zugrunde. Die Bewertung des grundsätzlichen kollektivrechtlichen Feststellungsinteresses an der Mitbestimmung aus Anlaß der in der Vergangenheit liegenden insgesamt 11tägigen auswärtigen Tätigkeit der betriebseigenen bzw. betriebsfremden Montagekräfte ist mit dem vom Arbeitsgericht festgesetzten Gegenstandswert von 24.000,- DM extrem überzogen worden. Da nach dem Sachverhalt keine einzelfallbezogenen Besonderheiten bei den einzelnen Entsendungen eine Rolle spielten, sondern jeweils die Grundsatzfrage der Mitbestimmung in allen Einzelfällen bezüglich der betriebseigenen und der betriebsfremden Montagekraft jeweils gleichgelagert war, hätte der Betriebsrat für eine grundsätzliche Klärung der Rechtslage einen einzigen der jeweils in der Vergangenheit liegenden Fälle heranziehen können.

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Dadurch, daß der Betriebsrat statt eines Einzelfalles gleich drei in der Vergangenheit liegende Fälle zum Gegenstand seines Beschlußverfahrens gemacht hat, ist sein nicht vermögensrechtliches Interesse an der Klärung der mitbestimmungsrechtlichen Grundsatzfragen nicht entsprechend gestiegen, denn auf die abgeschlossenen parallelen Einzelfälle ergab sich Reine Auswirkung mehr. Geklärt werden konnten nur noch die kollektivrechtlichen Rechte und Pflichten der Beteiligten für die zukünftig auftretenden Wiederholungsfälle. Trotz der Aufschlüsselung in sechs Einzelanträge liegt keine entsprechende Anzahl von Einzelansprüchen gem. § 5 ZPO vor, die zusammenzurechnen wären.

18

Für die Klärung des Mitbestimmungsrechts bei der Entsendung betriebseigener Montagekräfte erscheint unter Berücksichtigung der Betriebsgröße und der Häufigkeit und Dauer der Entsendung ein Gegenstandswert von nicht mehr als 8.000,- DM und bei der Entscheidung der betriebsfremden Hilfskraft ein Gegenstandswert von nicht mehr als 4.000,- DM angemessen. Bezüglich des zuletzt genannten Gegenstandswerts ist wertmindernd zu berücksichtigen, daß die Heranziehung von Hilfskräften in Zukunft nur selten vorkommen dürfte, weil die Beschwerdeführerin bereits im Zeitpunkt der Durchführung des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht für die Montage einen Kranwagen angeschafft hatte, der die Hinzuziehung von Hilfskräften erübrigt. Hilfskräfte werden daher künftig nur noch benötigt, falls zur selben Zeit zwei Montagen bei verschiedenen Firmen durchgeführt werden sollten.

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Bei der Bestimmung der Gegenstandswerte von 8.000,- DM und 4.000,- DM konnte von den nach den Umständen in Betracht kommenden Obergrenzen ausgegangen werden, weil die Beschwerdeführerin gegen die erfolgte Streitwertfestsetzung nur insoweit Beschwerde eingelegt hat, als diese den Wert von 12.000,- DM übersteigt. Es kann deshalb dahin stehen, ob der Gegenstandswert auch auf 12.000,- DM festzusetzen gewesen wäre, wenn die Beschwerde ohne die erfolgte wertmäßige Beschränkung eingelegt worden wäre.

Streitwertbeschluss:

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für das vor dem Arbeitsgericht Braunschweig - 4 BV 65/86 - durchgeführte Beschlußverfahren wird anderweitig auf 12.000,- DM festgesetzt.