Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.06.1987, Az.: 12 TaBV 17/87
Zulässigkeit einer einstweiligen Verfügung im Verfahren nach § 23 Abs. 3 BetrVG ; Unterlassungsansprüche des Betriebsrates gegenüber Maßnahmen in Bezug auf mitbestimmungspflichtige Mehrarbeit von Arbeitnehmern
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 05.06.1987
- Aktenzeichen
- 12 TaBV 17/87
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1987, 10692
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1987:0605.12TABV17.87.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Lingen - 10.03.1987 - AZ: 1 BV Ga 5/87
hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf den Anhörungstermin vom 5. Juni 1987
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Röder und
die ehrenamtlichen Richter von Schwartz und Schweineberg
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Lingen vom 10. März 1987 - 1 BV Ga 5/87 - wird zurückgewiesen.
Gründe
Die Beteiligte zu 2) - Antragsgegnerin - betreibt in ... ein Fotogroßlabor und beschäftigt dort ca. 300 Arbeitnehmer. Antragssteller - Beteiligter zu 1) - ist der bei der Beteiligten zu 2) gebildete Betriebsrat.
Die Beteiligten des vorliegenden Beschlußverfahrens streiten im Eilverfahren der einstweiligen Verfügung (§ 85 Abs. 2 ArbGG) über Unterlassungsansprüche des Antragsstellers gegenüber Maßnahmen der Antragsgegnerin in Bezug auf mitbestimmungspflichtige Mehrarbeit von Arbeitnehmern.
Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt ihrer vor dem Arbeitsgericht gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie die in der mündlichen Verhandlung vom 10. März 1987 vor dem Arbeitsgericht Lingen überreichten Unterlagen verwiesen.
Das Arbeitsgericht Lingen hat den Antrag des Beteiligten zu 1), nämlich:
die Beteiligte zu 2) zu verpflichten, es zu unterlassen, bei Meidung eines von Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes gegen die Beteiligte zu 2) bzw. der Haft gegen deren gesetzlichen Vertreter deren Arbeitnehmer ohne Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens mit der Beteiligten zu 1) zur Mehrarbeit heranzuziehen,
durch den am 10. März 1987 verkündeten, hiermit in Bezug genommenen Beschluß (Bl. 44-49 d. A.), zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, der zulässige Antrag sei nicht begründet, denn der Beteiligte zu 1) habe keinen im Wege der einstweiligen Verführung durchsetzbaren Anspruch gegen die Beteiligte zu 2) auf Unterlassung der Anordnung von Mehrarbeit. Ein derartiger Unterlassungsanspruch ergebe sich nicht aus § 23 Abs. 3 BetrVG. Danach könne der Betriebsrat bei groben Verstoßen des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz einen Unterlassungsanspruch geltend machen. Der Antragsteller habe zwar dargelegt, daß die Antragsgegnerin mehrfach gegen das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Ziffer 3 BetrVG verstoßen habe, denn ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Durchführung von Mehrarbeit entfalle nicht deswegen, weil die Arbeitnehmer aus eigener Entschließung freiwillig langer arbeiteten. Bereits die Entgegennahme von Überstunden durch den Arbeitgeber unterliege nämlich der Mitbestimmung des Betriebsrates. Es brauche jedoch nicht entschieden zu werden, ob die Beteiligte zu 2) grob gegen ihre Pflichten aus dem Betriebsverfassungsgesetz verstoßen habe. Die in § 23 Abs. 3 BetrVG dem Betriebsrat eingeräumten Antragsrechte konnten nämlich nicht im Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden, weil diese Vorschrift eine Sanktion gegen den Arbeitgeber bei grober Pflichtverletzung darstelle. Eine Sanktion könne jedoch nicht in einem einstweiligen Verfügungsverfahren ausgesprochen werden, in welchem eine Glaubhaftmachung der Anspruchsgrundlage ausreiche. Gegen die Möglichkeit der Geltendmachung des Anspruches nach § 23 Abs. 3 BetrVG im Wege der einstweiligen Verfügung spreche auch das in dieser Vorschrift ausdrücklich geregelte Vollstreckungsverfahren. Erst nach Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung sei nämlich die Festsetzung eines Ordnungs- bzw. Zwangsgeldes möglich, woraus folge, daß im Rahmen des § 23 Abs. 3 BetrVG kein Bedürfnis für den Erlaß einer einstweiligen Verfügung bestehe.
Ob neben § 23 Abs. 3 BetrVG ein allgemeiner Anspruch des Betriebsrates gegen den Arbeitgeber auf Unterlassung von Handlungen, die gegen Mitbestimmungs- oder Mitwirkungsrechte des Betriebsrates verstoßen, bestehe, sei umstritten. Das Arbeitsgericht schließe sich insofern der Auffassung des ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts an, wonach ein derartiger allgemeiner Unterlassungsanspruch des Betriebsrates nicht gegeben sei.
Gegen den ihm am 12. März 1987 zugestellten Beschluß hat der Antragsteller am 13. März 1987 Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet.
Er macht insbesondere geltend, in der Rechtsprechung sei anerkannt, daß bei fortwährender Verletzung des Mitbestimmungsrechtes nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG durch den Arbeitgeber die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung des Betriebsrates auf Unterlassung gegeben sei.
Im Streitfall liege eine ständige Verletzung von Mitbestimmungsrechten bei der Anordnung von Überstunden durch die Antragsgegnerin vor, welche permanent andauere.
In der Sache sei dem Arbeitsgericht zuzustimmen, wenn es angenommen habe, daß bei dem Merkmal der "Freiwilligkeit" der vorzunehmenden Überstunden durch den Arbeitnehmer nicht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates entfalle. Im übrigen sei das Mitbestimmungsrecht auch dann gegeben, wenn "Notfalle" vorlagen.
Der Antragsteller beantragt,
- 1.
der Beschluß des Arbeitsgerichts Lingen vom 10. März 1987 wird aufgehoben.
- 2.
Die Beteiligte zu 2) wird verpflichtet, es zu unterlassen, bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes gegen die Beteiligte zu 2) bzw. der Haft gegen deren gesetzlichen Vertreter, deren Arbeitnehmer ohne Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens mit der Beteiligten zu 1) zur Mehrarbeit heranzuziehen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Lingen vom 12.03.1987 wird zurückgewiesen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluß nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 15. April 1987 (Bl. 71-83 d. A.).
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz wird auf den Inhalt der zwischen ihnen vor dem Landesarbeitsgericht gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
Die Beschwerde ist nach § 87 Abs. 1 ArbGG ansich statthaft. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, mithin zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
Mit Recht hat das Arbeitsgericht die Zulässigkeit einer einstweiligen Verfügung im Verfahren nach § 23 Abs. 3 BetrVG verneint.
Die Frage, ob soweit sich aus § 23 Abs. 3 BetrVG Ansprüche des Betriebsrates ergeben, diese in der Form von Verfügungsansprüchen bei gleichzeitigem Vorliegen eines Verfügungsgrundes im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gem. §§ 85 Abs. 2 ArbGG, 935, 940 ZPO geltend gemacht werden können, ist umstritten (vgl. zum Streitstand den Überblick von Wiese in GK - BetrVG, 4. Auflage 1987, Randnummer 149 zu § 23 BetrVG). Die Kammer ist mit dem Arbeitsgericht der Auffassung, daß der Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG im normalen Beschlußverfahren geltend zu machen und für den Erlaß einer einstweiligen Verfügung kein Raum ist. Zutreffend hat das Arbeitsgericht darauf abgestellt, daß die in § 23 Abs. 3 BetrVG eröffnete Vorgehensweise vom Gesetzgeber an eine besondere Verfahrensform geknüpft worden ist, die - wie etwa die §§ 98 Abs. 5, 99 Abs. 4, 100 Abs. 2 und 3, 101 und 104 BetrVG - abweichend vom üblichen Beschlußverfahren geregelt ist. Dadurch wird die Möglichkeit der einstweiligen Verfügung ausgeschlossen. Dies erhellt insbesondere, wenn man bedenkt, daß das in § 23 Abs. 3 BetrVG - nach rechtskräftiger Entscheidung - vorgesehene Ordnungsgeld höchstens 20.000,00 DM betragt, wahrend mit einer einstweiligen Verfügung nach §§ 85 Abs. 2 ArbGG, 935, 940 ZPO demgegenüber aufgrund einfacher Glaubhaftmachung ein Ordnungsgeld bis zu 500.000,00 DM festgesetzt werden konnte (vgl. § 890 ZPO). Demnach konnte bei der vom Antragsteller vertretenen Auffassung dieser bereits im vorläufigen Eilverfahren gegenüber der Antragsgegnerin eine Auflage mit weitergehender Sanktion als im Hauptverfahren durchsetzen. Das ist aber nicht Sinn und Zweck der einstweiligen Verfügung.
Schließlich hat das Arbeitsgericht auch zu Recht unter Berufung auf die Rechtsprechung des ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts es abgelehnt, neben dem Unterlassungsanspruch gem. § 23 Abs. 3 BetrVG sonstige allgemeine Unterlassungsansprüche im Betriebsverfassungsrecht anzuerkennen. Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung der Kammer (Beschluß vom 13. November 1984 - 12 TaBV 3/84 -), von der abzuweichen - trotz der Entscheidung des sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 18. April 1985 (Der Betrieb 85, 2511) - keine Veranlassung besteht, wenn nach Ansicht des sechsten Senats § 23 Abs. 3 BetrVG lediglich einen eigenständigen Unterlassungsanspruch neben anderen Unterlassungsansprüchen im Betriebsverfassungsrecht normiert und deshalb nicht als abschließende Vollzugsregelung für den Verstoß gegen Beteiligungsrechte des Betriebsrats angesehen werden soll, so kann dem nicht gefolgt werden. § 23 Abs. 3 BetrVG macht nämlich deutlich, daß der Gesetzgeber bei der Schaffung des Betriebsverfassungsgesetzes die Problematik der Unterlassungsansprüche des Betriebsrates gesehen und ausdrücklich geregelt hat. Diese gesetzgeberische Entscheidung kann nicht durch die Heranziehung allgemeiner Unterlassungsansprüche umgangen werden. § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ist deshalb als lex specialis anzusehen, welche andere allgemeine Unterlassungsansprüche im Rahmen des Betriebsverfassungsrechts ausschließt. Allenfalls wäre denkbar, daß noch speziellere betriebsverfassungsrechtliche Unterlassungsansprüche den § 23 Abs. 3 BetrVG verdrängen könnten. Im Hinblick auf die Kompetenzen des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 BetrVG erwägt der sechste Senat insoweit das Bestehen eines besonderen betriebsverfassungsrechlichen Unterlassungsanspruches. Diese Auffassung ist jedoch abzulehnen, denn § 87 Abs. 1 BetrVG normiert zwar ein Recht des Betriebsrats auf Mitbestimmung, mit diesem ist aber kein entsprechender Unterlassungsanspruch verbunden, denn ein Unterlassungsanspruch gehört nicht zwingend zu einem Anspruch im Sinne des § 194 BGB.
Ist nach alledem die Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht zu beanstanden, so war die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.
Gegen diesen Beschluß findet eine Rechtsbeschwerde nicht statt (§ 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG).