Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.05.1987, Az.: 3 Sa 557/87
Tatsächliche Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers nach dessen Kündigung; Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ; Hinreichende Aussicht auf Erfolg einer Kündigungsschutzklage; Bestehen eines Verfügungsgrundes im Arbeitsrecht; Beschäftigungsinteressen eines Klägers
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 22.05.1987
- Aktenzeichen
- 3 Sa 557/87
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 10698
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1987:0522.3SA557.87.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Nienburg - 18.02.1987 - AZ: 1 Ga 1/87
Rechtsgrundlagen
- § 940 ZPO
- § 4 KSchG
- § 938 ZPO
- § 935 ZPO
- § 102 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BetrVG
- § 114 ZPO
- § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG
- § 611 BGB
- Art. 12 GG
Fundstelle
- BB 1987, 1816
Prozessführer
...
Prozessgegner
...
In dem Rechtsstreit
hat
die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Mai 1987
durch ihre Mitglieder Frohner, Porrath und Schlarbaum
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 18.02.1987 - 1 Ga 1/87 - abgeändert.
Die Beklagte wird im Wege der einstweiligen Verfügung verurteilt, den Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungsschutzklage 1 Ca 871/86 ArbG Nienburg zu den bis zur Kündigung vom 17.11.1986 geltenden Bedingungen als Operator weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die tatsächliche Weiterbeschäftigung des Klägers, nachdem diesem seitens der Beklagten mit Schreiben vom 17. November 1986 zum 15. Dezember 1986 gekündigt worden ist. Auf die hiergegen zum Aktenzeichen 1 Ca 871/86 Arbeitsgericht Nienburg erhobene Kündigungsschutzklage ist im übrigen durch nicht rechtskräftiges Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 6. Mai 1987 festgestellt worden, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die genannte Kündigung nicht beendet worden ist.
Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Durch dieses Urteil vom 18. Februar 1987 ist der Antrag des Klägers, der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung seine tatsächliche Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzverfahrens aufzugeben, abgewiesen worden. Das Arbeitsgericht hat weiter dem Kläger die Kosten des Verfahrens bei einem Gegenstandswert von 8.932,00 DM auferlegt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe wiederum verwiesen.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Weiterbeschäftigungsbegehren nach näherer Maßgabe seines Schriftsatzes vom 12. Mai 1987 weiter.
Der Kläger beantragt nunmehr,
unter Abänderung des Urteils 1 Ga 1/87 des Arbeitsgerichts Nienburg der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, den Verfügungskläger ab sofort bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungsschutzklage 1 Ca 871/86 Arbeitsgericht Nienburg zu den bis zur Kündigung am 17. November 1986 geltenden Bedingungen als Operator weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 20. Mai 1987.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist begründet.
Der Kläger kann von der Beklagten seine tatsächliche Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzverfahrens der Parteien zu den bis zur Kündigung vom 17. November 1986 geltenden Arbeitsbedingungen als Operator im Wege der einstweiligen Verfügung verlangen. Dies ergibt sich aus den §§ 940, 938 ZPO.
I.
1.
Nach § 940 ZPO (vgl. zum Folgenden das Urteil der erkennenden Kammer vom 7. Februar 1986 Der Betrieb 1986 S. 1126, 1129*= EWiR § 4 KSchG 1/86 S. 615 mit Anm. Hanau) ist eine einstweilige Verfügung zur Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern die betreffende Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Es kommt mithin nicht auf einen materiell-rechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch an, anders als bei der Sicherungsverfügung des § 935 ZPO. Vielmehr genügt ein sogenanntes regelungsbedürftiges Rechtsverhältnis, bei dem es sich eben auch um ein Arbeitsverhältnis handeln kann. Mit einer solchen Regelungsverfügung gemäß § 940 ZPO kann das Gericht im Rahmen der sich aus § 938 ZPO ergebenden Entscheidungsmöglichkeiten auch die tatsächliche Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers anordnen, wenn es diese zur Abwendung wesentlicher Nachteile für notwendig und geeignet hält. In diesem Rahmen sind auch Regelungen zulässig, die für einen begrenzten Regelungszeitraum eine praktisch endgültige Regelung treffen, die auch bei einer entgegengesetzten Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Bereits das Reichsgericht ist in seinem Urteil vom 30. März 1883 (RGZ 9, 334, 336; vgl. weiter die Rechtsprechungsnachweise bei Seuffert, Zivilprozeßordnung, 11. Aufl., München 1911. § 940 Anm. 1.; auch: Förster-Kann, ZPO, 3. Aufl., Berlin 1926, § 940 Anm. 1., wonach gemäß § 940 ZPO auch "definitive Maßregeln angeordnet werden" können) davon ausgegangen, daß das geltende Prozeßrecht "unzweideutig" die Möglichkeit anerkenne, "im Wege einstweiliger Verfügung Befriedigung zu verschaffen". Bei einem Dauerschuldverhältnis wie dem Arbeitsverhältnis steht daher der Anordnung der tatsächlichen Beschäftigung im Wege der einstweiligen Verfügung keineswegs entgegen, daß eine tatsächlich vollzogene Beschäftigung für die Zeit ihres Vollzuges später nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
2.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts kommt eine solche Weiterbeschäftigungsverfügung in Betracht, wenn a) das Fortbestehen des streitigen Arbeitsverhältnisses, das heißt ein Obsiegen des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozeß wahrscheinlich ist ("Verfügungsanspruch" der Regelungsverfügung des § 940 ZPO im Unterschied zum materiell-rechtlichen Verfügungsanspruch der Sicherungsverfügung des § 935 ZPO) und b) dem Arbeitnehmer ohne den Erlaß der begehrten Regelungsverfügung ein so erheblicher Nachteil droht, daß aufgrund einer Abwägung der beiderseitigen Interessen die begehrte Verfügung notwendig erscheint (Verfügungsgrund). Dabei besteht zwischen dem Grad der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines "Verfügungsanspruches" in dem skizzierten Sinne sowie eines Verfügungsgrundes insoweit eine gewisse Wechselwirkung, als man bei einer jeweils höheren Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines Verfügungsanspruches an den Verfügungsgrund geringere Anforderungen stellen kann und umgekehrt.
a)
Im Hinblick auf die gesetzliche Wertung in § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BetrVG 1972 ist dabei das Fortbestehen des streitigen Arbeitsverhältnisses dann wahrscheinlich, wenn die erhobene Kündigungsschutzklage hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Mit diesem an § 114 ZPO orientierten Maßstab wird gesagt, daß das in der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers enthaltene Gestaltungsbegehren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zumindest vertretbar sein muß. Zu beachten ist weiter nach der ganz herrschenden Lehre, daß im Verfügungsverfahren die Behauptungs- und Beweisführungslast nicht anders verteilt ist als im Hauptverfahren, hier also dem Kündigungsschutzprozeß, und somit die sich aus § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG ergebende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zu beachten ist. Entgegen einer weitverbreiteten Praxis (vgl. Thieme NZA Beilage 1986 Nr. 3 S. 20 ff., 22 mit Nachweisen), die schlicht am Gesetz vorbeigeht, muß daher nicht der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit, sondern vielmehr der Arbeitgeber die Wirksamkeit seiner Kündigung darlegen und glaubhaft machen. Diese Erleichterung der Glaubhaftmachung gemäß § 294 ZPO bezieht sich im übrigen lediglich auf die Beweisführungslast, schränkt die Anforderungen hinsichtlich der Darlegungslast in Bezug auf sämtliche Wirksamkeitsvoraussetzungen der streitigen Kündigung nicht ein. Wiederum dem Reichsgericht ist bereits bekannt gewesen (Beschluß vom 8. Juni 1891 RGZ 27, 429, 431), "daß der Anspruch des Dienstnehmers auf Fortdauer des bisherigen Zustandes" gehe und daß "ein Grund zur Veränderung des Zustandes, also zur Entlassung" vom dienstberechtigten Arbeitgeber glaubhaft zu machen sei. Erst wenn die Kündigung in all ihren Wirksamkeitsvoraussetzungen vom Arbeitgeber glaubhaft gemacht worden ist, ist es alsdann Sache des Arbeitnehmers, diese glaubhaft gemachte Wirksamkeit seinerseits zu erschüttern. Wenn Schaub (NJW 1981 S. 1807, 1811) im Anschluß an das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (EzA § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 4) für § 102 Abs. 5 BetrVG 1972 ausführt, daß dann, wenn sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer hinreichende Erfolgsaussichten glaubhaft gemacht hätten, eine Befreiung von der Weiterbeschäftigungspflicht nicht möglich sei, so gilt in entsprechender Weise für die Regelungsverfügung auf Weiterbeschäftigung gemäß § 940 ZPO, daß bei beiderseitiger Glaubhaftmachung von einem Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auszugehen ist.
Zudem stellt es aufgrund der zu beachtenden verfassungsrechtlichen Vorgaben (BVerfG Betriebsberater 1987 S. 126) eine unzulässige Überforderung dar, für eine Weiterbeschäftigungsverfügung die offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung oder ein in hohem Grade wahrscheinliches Obsiegen des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozeß (vgl. LAG Hamburg LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nrn. 7 und 15 LAG Köln LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 8) zu verlangen (vgl. hierzu auch Dütz Anm. zu LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 8; Hueck Anm. zu BAG AP Nr. 7 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; vgl. auch Ramm Arbeit und Recht 1986 S. 326, 332). Hierbei ist im wesentlichen auf die verfassungsrechtliche Wertentscheidung des Art. 12 GG abzustellen (vgl. auch Urteil der erkennenden Kammer vom 11. Juli 1986 - 3 Sa 117/85). Dessen Schutzbereich ist nämlich weit zu fassen. Die Berufsfreiheit des Grundgesetzes schützt sowohl die selbständige Erwerbstätigkeit als auch die abhängige Arbeit (vgl. Badura, Grundfreiheiten der Arbeit, Festschrift Berber 1973. 11 ff.; derselbe, Arbeit als Beruf (Art. 12 Abs. 1 GG). Festschrift Herschel 1982 S. 21 ff.; Hoffmann-Riem, Die grundrechtliche Freiheit der arbeitsteiligen Berufsausübung, Festschrift Ipsen 1977 S. 385 ff.; Häberle. Arbeit als Verfassungsproblem, JZ 1984 S. 345 ff.; Scholz, Die Berufsfreiheit als Grundlage und Grenze arbeitsrechtlicher Regelungssysteme, ZfA 1981, S. 265 ff, Hans-Peter Schneider, Art. 12 GG - Freiheit des Berufs- und Grundrechts der Arbeit, VVDStRL 43 S. 7 ff.).
"Die Arbeit als "Beruf" hat für alle gleichen Wert und gleiche Würde" (so BVerfG E 7, 377, 397; 50, 290; 59, 231). "Mit der modernen Industriegesellschaft ist der Beruf des Arbeitnehmers entstanden, der regelmäßig kein ausreichendes Vermögen besitzt und damit auf die Verwertung seiner Arbeitskraft angewiesen ist." (so BVerfG E 21 245, 251). Diese Berufsfreiheit des Arbeitnehmers schließt als soziales Grundrecht nicht nur Teilhabe- und Gestaltungsrechte mit ein (vgl. Badura, Festschrift Berber a.a.O. S. 14; Häberle a.a.O. S. 352; AK-GG-Rittstieg Art. 12 Rdnr. 87; Zöllner, Arbeitrecht, 3. Aufl. 1983, S. 85), sondern enthält darüber hinaus als eine weitere Dimension des gewährleisteten Grundrechtsschutzes einen "Schutz des Grundrechts der Arbeit durch Verfahren", also einen Status activus processualis. Dieser Verfassungsaspekt, wonach ein effektiver Rechtsschutz ein wesentliches Element des Grundrechts selbst ist, ist vom Bundesverfassungsgericht im "Hamburger Deichurteil"(BVerfG E 24, 367, 401) zunächst für Art. 14 GG entwickelt und später verallgemeinert auch auf Art. 12 GG angewendet worden (vgl. Hesse, Bestand und Bedeutung der Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland, EuGRZ 1978, 427, 436 m.w.N.). Dahinter steht die Erkenntnis, daß die Bereitstellung verfahrensmäßiger Regelungen notwendig ist, um den grundrechtlich normierten Rechtszustand zu einem Zustand der sozialen Wirklichkeit werden zu lassen. Verstärkte Bedeutung gewinnt diese Notwendigkeit unter den Bedingungen der Gegenwart, unter denen es bei vielfach knappen Ressourcen in zunehmendem Maße der Abgrenzung, Begrenzung und Zuordnung der Bereiche menschlicher Freiheit bedarf. Hier erweisen sich (Organisation und/oder) Verfahren oft als möglicherweise sogar einzige Mittel, ein grundrechtsgemäßes Ergebnis herbeizuführen und grundgesetzliche Verbürgungen wirksam zu sichern. "Wenn aber Entscheidungen ... vor der gerichtlichen Überprüfung vollzogen und damit vollendete Tatsachen geschaffen werden, deren Wirkungen sich im Laufe der Zeit noch weiter verfestigen, dann gehört es zu der rechtsstaatlich gebotenen Effektivität des Rechtsschutzes, daß er alsbald verwirklicht wird (E 35, 382, 405)." (so BVerfG E 45, 422, 432 in Bezug auf Art. 12 GG). Dies bedarf somit eines wirksamen vorläufigen Rechtsschutzes (BVerfG E 46, 166, 178; Coen, Der Betrieb 1984 S. 2459, 2460). Hiermit freilich verträgt es sich nicht, die "Schwelle" für Regelungsverfügungen auf Weiterbeschäftigung derart hoch anzusetzen, daß dieses von der Rechtsordnung seit langem zur Verfügung gestellte Instrument praktisch bedeutungslos wird.
Richtig ist freilich, daß die vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Beschluß vom 27. Februar 1985 (AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) vorgenommenen Wertungen, wohl auch als Folge der "Persönlichkeitstheorie" (Art. 12 GG wird in diesem Beschluß nicht erwähnt!), dazu führen können, den Anwendungsbereich von auf eine tatsächliche Weiterbeschäftigung gerichteten einstweiligen Verfügung auf ein praktisch nicht relevantes Maß einzugrenzen (vgl. Eich, Der Betrieb 1986 S. 692, 697; Heinze, Recht der Arbeit 1986 S. 273, 282; Thieme a.a.O. S. 24; vgl. auch die Nachweise bei Gamillscheg, Arbeitsrecht I. "Prüfe Dein Wissen", 7. Aufl., Nr. 230 S. 487, 488). Insoweit hält die Kammer freilich an ihrer Auffassung fest (Urteil vom 7. Februar 1986 a.a.O.), daß es sich bei dieser Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts um eine unzulässige richterliche Rechtsfortbildung handelt (vgl. hierzu jetzt auch LAG Köln ZIP 1987 S. 79; LAG Niedersachsen LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 16), die zudem nicht die Wertungsprärogative des Gesetzgebers berücksichtigt (Urteil vom 11. Juli 1986 a.a.O.; Kloepfer NJW 1985 S. 2497 und jetzt Scholz DB 1987 S. 1192)
b)
Ein Verfügungsgrund wird dann zu bejahen sein, wenn aufgrund einer Abwägung der beiderseitigen Interessen im konkreten Einzelfall (vgl. hierzu ausführlich das Urteil der erkennenden Kammer vom 7. Februar 1986 a.a.O.) ein überwiegendes Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers festzustellen ist. Dabei wird das Nichtbeschäftigungsinteresse des Arbeitgebers in aller Regel bei personen- und verhaltensbedingten Kündigungen anders zu bewerten sein als in Fällen betriebsbedingter Kündigungen, weil bei der erstgenannten Gruppe von Kündigungen tatsächliche Beschäftigungsmöglichkeiten in aller Regel gegeben werden seien. In die legitimen Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers sind nicht nur berufliche Aspekte, wie z.B. Ausbildungs- oder Fortbildungserfordernisse, sondern auch wirtschaftliche und psychosoziale Umstände mit einzubeziehen.
II.
Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung sind im vorliegenden Falle die Voraussetzungen für eine Weiterbeschäftigungsverfügung gegeben.
1.
Die Beklagte hat nicht hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht, daß die von ihr ausgesprochene Kündigung vom 17. November 1986 wirksam, insbesondere im Sinne von § 1 KSchG, das auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, sozial gerechtfertigt ist (vgl. zu den Voraussetzungen für die soziale Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung: BAG AP Nrn. 6, 8, 10, 24 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; weiter BAG Urteile vom 20. Februar 1986 - 2 AZR 212/85 - und vom 20. März 1986 - 2 AZR 294/85 ganz abgesehen davon, daß das Arbeitsgericht zwischenzeitlich der Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben hat. Hierfür genügt eben nicht ihre Darlegung, wonach diese Kündigung "jedenfalls nicht offensichtlich unbegründet" sei.
2.
Auch führt die vorzunehmende Interessenabwägung zu der Feststellung, daß im Hinblick auf den dem Kläger ansonsten drohenden erheblichen Nachteil diese begehrte Verfügung notwendig erscheint. Auf "schwere und irreparabele Nachteile", wie die Beklagte meint, kommt es eben nicht an. Zwar hat die Beklagte eine nach ihrer Auffassung betriebsbedingte ordentliche Kündigung ausgesprochen, weil sie im Jahre 1986 2 von insgesamt 5 "Meßeinheiten" stillgelegt habe und dadurch Arbeitsplätze, auch der des Klägers, entfallen seien. Zudem ist zu berücksichtigen, daß die Beklagte derzeit, seit dem 9. März 1987, längstens bis zum 27. Juni 1987, Kurzarbeit "fährt" (vgl. den Bescheid des Arbeitsamtes Verden über die Gewährung von Kurzarbeitergeld vom 18. März 1987 unter Bezugnahme auf eine Anzeige über Arbeitsausfall vom 6. Februar 1987 Bl. 52c) d.A.).
Andererseits ergibt sich allerdings aus einem Schreiben des Präsidenten der amerikanischen Muttergesellschaft der Beklagten an die Arbeitnehmer der Beklagten vom 30. April 1987 im Hinblick auf eine zum 1. Mai 1987 vorgenommene Fusion mit der ... daß nunmehr "die ernste wirtschaftliche Talfahrt" beendet sei, und daß das Ziel bestehe, "unsere Produktpalette ständig zu erweitern". Berücksichtigt werden muß zudem, daß auch während der Kurzarbeitsperiode Einsatzmöglichkeiten für den Kläger bestehen, was sich schon daraus ergibt, daß die Beklagte auch in dieser Phase wegen anfallender Arbeiten Mitarbeiter entgegen dem ausgearbeiteten Kurzarbeitsplan zur Arbeit herangezogen hat. Anders als beispielsweise im Falle einer Betriebsstillegung mit nachfolgender Massenentlassung bestehen daher, wenn auch durch die vorübergehende Kurzarbeitsmaßnahme umfangmäßig begrenzt, durchaus Beschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger.
Bei den Beschäftigungsinteressen des Klägers ist zu bedenken, daß die von ihm ausgeübte Tätigkeit eines Operators auf technisch hochwertig ausgestatteten Meßwagen, die der Exploration von Erdöl- und Erdgaslagerstätten dienen, nach der Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht bis zu einem vollwertigen Arbeitseinsatz eine zwei- bis dreijährige Erfahrung an diesem Arbeitsplatz notwendig ist. Dies bedeutet umgekehrt, daß bei einer längeren Unterbrechung einer solchen Tätigkeit, mit der im Hinblick auf die regionale Arbeitsmarktsituation im Bereich des Landesarbeitsamtes Niedersachsen-Bremen einerseits, der voraussichtlichen Verfahrensdauer des Kündigungsschutzprozesses andererseits zu rechnen ist, berufliche Fertigkeiten tangiert werden, die dann erst wieder in einem längeren Prozeß erworben werden müssen. Entscheiden des Gewicht ist schließlich den wirtschaftlichen Einbußen als Folge der Kündigung der Beklagten beizumessen. Der Kläger, der keine Kinder hat, aber Unterhaltsansprüchen seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau sich ausgesetzt sieht, erhält derzeit ein wöchentliches Arbeitslosengeld in Höhe von 301,20 DM. Dies bedeutet eine erhebliche wirtschaftliche Einbuße im Vergleich zu seinem bei der Beklagten erzielten Effektivverdienst, erzielte er dort doch zuvor auf der Basis eines Grundgehaltes von etwa 3.520,00 DM monatlich einschließlich Überstundenvergütung etc. einen durchschnittlichen Monatsverdienst von 6.000,00 DM brutto (§ 138 Abs. 3 ZPO).
Wägt man diese Umstände miteinander ab - wirtschaftliche Schwierigkeiten und Rückgang des Arbeitsanfalles, aber dennoch bestehende, betriebswirtschaftlich sinnvolle Einsatzmöglichkeiten einerseits, die Beeinträchtigung beruflicher Fertigkeiten sowie eine drastische wirtschaftliche Einbuße andererseits -, so gebührt hier den Beschäftigungsinteressen des Klägers nach Auffassung des Berufungsgerichts der Vorrang. Dabei hat die Kammer auch berücksichtigt, daß es im wohlverstandenen Interesse der Beklagten selbst liegt, nach dem von ihr angenommenen Ende der "ernsten wirtschaftlichen Talfahrt" mit erfahrenen und eingearbeiteten Arbeitnehmern weiterarbeiten zu können und dadurch die Einarbeitungskosten für neueinzustellende Arbeitnehmer zu vermeiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.