Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.08.1987, Az.: 3 Sa 538/86

Nachgewährung von Erholungsurlaub ; Freistellung von der Arbeit unter Vergütungsfortzahlung ; Verschiedenheit von Urlaubsgewährung und zeitlicher Festlegung des Urlaubs ; Anspruch auf Teilnahme an Schulungen als Individualanspruch des einzelnen Betriebsratsmitglieds

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
14.08.1987
Aktenzeichen
3 Sa 538/86
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1987, 10696
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1987:0814.3SA538.86.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Verden - 10.01.1986 - AZ: 1 Ca 83 1/85

Prozessführer

...

Prozessgegner

...

In dem Rechtsstreit
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 14. August 1987
durch
die Richter Frohner, Niere und Siglreithmaier
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Verden (Aller) vom 10. Januar 1986 - 1 Ca 831/85 - abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für das Kalenderjahr 1985 noch weitere 10 Arbeitstage Urlaub zu gewähren.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die "Nachgewährung" von 10 Tagen Erholungsurlaub für das Kalenderjahr 1985 aus Anlaß der Teilnahme des Klägers während der für die Zeit vom 22.7. bis 11.08.1985 festgelegten Betriebsferien an einem sowohl nach § 37 Abs. 7 BetrVG als auch nach dem "Niedersächsischen Freistellungsgesetz" vom 07.01.1985 (Nds. GVBl. 1985 S. 1 ff) anerkannten Seminar "Arbeitnehmer im Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft II" in der Zeit vom 28.7. bis 09.08.1985.

2

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

3

Durch dieses Urteil vom 10.01.1986 hat die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Verden/Aller die Klage abgewiesen, dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt sowie schließlich den Streitwert auf 1.001,00 DM festgesetzt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe wiederum verwiesen.

4

Mit der Berufung verfolgt der Kläger nach näherer Maßgabe des Schriftsatzes vom 12.03.1986 sein erstinstanzliches Begehren weiter.

5

Der Kläger beantragt nunmehr,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, ihm für das Kalenderjahr 1985 noch weitere 10 Arbeitstage Urlaub zu gewähren.

6

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

7

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 05.01.1987.

Entscheidungsgründe

8

Die Berufung ist begründet.

9

Dem Kläger steht für das Kalenderjahr 1985 noch ein weiterer Urlaubsanspruch von 10 Arbeitstagen zu. In diesem Umfang ist nämlich der Erholungsurlaubsanspruch des Klägers nicht erfüllt worden, weil die Zeit der Teilnahme an dem Seminar vom 28.7. bis 09.08.1985 nicht auf den Erholungsurlaubsanspruch angerechnet werden kann. Zwar kann die ursprünglich von der Beklagten geschuldete Leistung nunmehr wegen Zeitablaufs nicht mehr erbracht werden, die Erfüllung dieser Leistung ist unmöglich geworden, weil es sich bei dem Urlaubsanspruch um einen von vornherein auf das Kalenderjahr bzw. dem übertragungszeitraum befristeten Anspruch handelt (ständige Rechtsprechung des BAG seit EzA § 3 Bundesurlaubsgesetz Nr. 13; EzA § 7 Bundesurlaubsgesetz Nr. 25; vgl. hierzu Leinemann Der Betrieb 1983 S. 989; ders. NZA 1985 S. 137; Wiesner Betriebsberater 1985 S. 1135; Beckerle Recht der Arbeit 1985 S. 352; Bachmann BlStSozArbR 1985 S. 209; Klischan/Schlebusch Der Betrieb 1986 S. 1017). Diese Unmöglichkeit hat aber, nachdem der Kläger die Beklagte rechtzeitig aufgefordert hatte, den Urlaub zu erteilen, diese zu vertreten (§§ 286 Abs. 1, 287 Satz 2, 280 Abs. 1, 249 Satz 1 BGB) so daß anstelle des ursprünglichen Urlaubsanspruches als Schadensersatzanspruch ein Ersatzurlaubsanspruch in gleicher Höhe getreten ist (BAG AP Nr. 8 zu § 7 BUrlG Übertragung; AP Nr. 22 zu § 13 BUrlG. AP Nr. 29 zu § 7 BUrlG Abgeltung; Leinemann Arbeit und Recht 1987 S. 193, 196; Westhoff Arbeitsrecht im Betrieb 1987 S. 38, 43 [OLG Hamburg 31.10.1986 - 2 Ss 98/86]). Daher verbleibt es im Ergebnis bei der Verpflichtung der Beklagten, den Kläger von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung für die Dauer des ursprünglichen Resturlaubsanspruches 1985 freizustellen (vgl. zu dieser Qualifikation des Urlaubsanspruches zuletzt, soweit ersichtlich, BAG Urteil vom 15.05.1987 - 8 AZR 506/85).

10

Durch die Freistellung von der Arbeit unter Vergütungsfortzahlung in der Zeit vom 28.7. bis 09.08.1985 ist nicht der Erholungsurlaubsanspruch des Klägers, sondern ein Freistellungsanspruch des Klägers nach § 37 Abs. 7 BetrVG 1972 erfüllt worden. Der Kläger hatte während seiner Amtszeit als Betriebsrat noch einen Anspruch auf eine entsprechende Freistellung für Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, das Seminar, an dem er teilnahm, war auch von der zuständigen Behörde als "geeignet" im Sinne der genannten gesetzlichen Vorschrift anerkannt worden. Auch wenn sowohl der Freistellungsanspruch aus § 37 Abs. 7 BetrVG 1972 als auch der Erholungsurlaubsanspruch auf eine zeitweilige Suspendierung der Arbeitspflichten abzielen, handelt es sich um unterschiedliche Ansprüche, so daß es ausgeschlossen ist, den gleichen Zeitraum auf beide Ansprüche anzurechnen (vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 1 BUrlG Treueurlaub; EzA § 37 BetrVG 1972 Nr. 80; vgl. im übrigen auch: BAG AP Nr. 1 zu § 1 BUrlG Nachurlaub; Dersch/Neumann, BUrlG. 6. Aufl., § 3 Rdziff. 37; Bleistein in GK-BUrlG 4. Aufl. § 1 Rdziff. 34 ff.; Maser. Urlaubs- und Arbeitsbefreiung im Betrieb. S. 201 f.). Zwar ist für den fraglichen Zeitraum zunächst einmal durch die im Betrieb der Beklagten getroffene generelle Betriebsferienregelung auch für den Kläger Erholungsurlaub festgelegt worden. Nur ist durch dieses Gebrauchmachen von der Befugnis, den Urlaubszeitpunkt zu bestimmen, die dem Arbeitgeber als Schuldner der Pflicht zur Urlaubserteilung eingeräumt ist und daher nichts mit dem Direktionsrecht des Arbeitgebers zu tun hat (Leinemann Der Betrieb 1983 S. 989, 992; Frohner Der Personalrat 1986 S. 146, 147), der Urlaubsanspruch des Klägers noch längst nicht erfüllt worden. Vielmehr sind Urlaubsgewährung und zeitliche Festlegung des Urlaubs voneinander verschieden (Heinze Recht der Arbeit 1986 S. 273, 281). Vor allem aber ist die zunächst erfolgte zeitliche Festlegung des Erholungsurlaubsanspruchs für diesen Zeitraum überholt worden und dadurch gegenstandslos geworden durch die aus § 37 Abs. 7 BetrVG 1972 folgende Festlegung der zeitlichen Lage der Teilnahme an der fraglichen Schulungsveranstaltung. Auch wenn es sich bei § 37 Abs. 7 BetrVG 1972 - im Gegensatz zum Anspruch auf Teilnahme an Schulungs- oder Bildungsveranstaltungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG 1972 - um einen Individualanspruch des einzelnen Betriebsratsmitglieds handelt (BAG AP Nrn. 5, 7 zu § 37 BetrVG 1972) entscheidet der Betriebsrat allein über die zeitliche Lage der Teilnahme. Das gilt sowohl für den Zeitpunkt des Beginns der Teilnahme als auch für deren Dauer. Bei dieser Entscheidung ist der Betriebsrat verpflichtet, die betrieblichen Notwendigkeiten zu berücksichtigen. Der Betriebsrat hat dem Arbeitgeber die zeitliche Lage einer Schulungsveranstaltung und die dafür vorgesehenen Teilnehmer so rechtzeitig mitzuteilen, daß der Arbeitgeber noch vor der Veranstaltung die Einigungsstelle anrufen kann, wenn er meint, der Betriebsrat habe die betrieblichen Notwendigkeiten nicht ausreichend berücksichtigt (§ 37 Abs. 7 Satz 3 in Verbindung mit Absatz 6 Sätze 3 und 4 BetrVG 1972; BAG AP Nr. 27 zu § 37 BetrVG 1972). Im vorliegenden Falle ist der Beklagten die Teilnahme an der Schulungsveranstaltung "Funktionsträger II " am 11.7. und damit etwa zweieinhalb Wochen vor Beginn der Schulungsmaßnahme mitgeteilt worden. Selbst wenn man der Auffassung folgen würde, daß dem Arbeitgeber in analoger Anwendung des § 38 Abs. 2 Satz 4 BetrVG 1972 eine Frist von 2 Wochen nach Bekanntgabe des Betriebsratsbeschlusses zur Anrufung der Einigungsstelle einzuräumen sei, ist diese Mitteilung des Betriebsrates rechtzeitig erfolgt. Nachdem alsdann die Beklagte nicht die für eine Beschlußfassung im Hinblick auf die zeitliche Lage der Veranstaltung zuständige Einigungsstelle angerufen hat, sie insoweit untätig geblieben ist, muß es bei der Entscheidung des Betriebsrats über die zeitliche Lage der Teilnahme verbleiben (BAG AP Nr. 27 a.a.O.; Wiese in GK-BetrVG (Fabricius-Kraft-Thiele-Wiese-Kreutz) 4. Aufl. § 37 Rdnr. 180; Etzel, Betriebsverfassungsrecht. 3. Aufl., S. 122 f. Rdziff. 378). Diese Entscheidung ist im Hinblick auf die unterlassene Anrufung der Einigungsstelle für alle Beteiligten bindend. Dann aber ist durch die erfolgte Freistellung in der Zeit vom 28.7. bis 09.08.1985 kein Erholungsurlaubsanspruch des Klägers, sondern vielmehr sein Freistellungsanspruch nach § 37 Abs. 7 BetrVG 1972 erfüllt worden.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

12

Der Kostenstreitwert des Berufungsverfahrens ist der des angefochtenen Urteils. § 69 Abs. 2 ArbGG.

13

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.