Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.02.1987, Az.: 7 Sa 749/86
Voraussetzungen für einen Rückforderungsanspruch eines Bundeslandes gegen Lehrerin wegen angeblich zu Unrecht gezahlter Zuschüsse zum Mutterschaftsgeld
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 18.02.1987
- Aktenzeichen
- 7 Sa 749/86
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 10697
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1987:0218.7SA749.86.0A
Rechtsgrundlage
- § 14 MuSchG
Verfahrensgegenstand
Feststellung p.p.
In dem Rechtsstreit
hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Februar 1987
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des L. N. wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover abgeändert.
Unter Abweisung der Klage im übrigen wird festgestellt, daß die Zeit vom 1.6. bis 4.10.85 Beschäftigungszeit der Klägerin im Sinne der §§ 19, 20 des Bundesangestelltentarifvertrages ist.
Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, an das L. N. 694,62 DM nebst 4 % Zinsen auf diesen Betrag seit dem 13.12.85 zu zahlen.
Von den Kosten des Rechtsstreites hat die Klägerin 3/4, das L. N. 1/4 zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist seit dem 1. September 1971 beim L. N. als Lehrerin angestellt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist kraft Vereinbarung geregelt durch den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen.
Auf ihren Antrag vom 31. Januar 1984 wurde der Klägerin für die Zeit vom 1. August 1984 bis zum 31. Juli 1985 gemäß § 50 Abs. 2 BAT Sonderurlaub gewährt. Mit Schreiben vom 8. November 1984 teilte die Klägerin der Bezirksregierung Hannover mit, daß sie schwanger, der voraussichtliche Entbindungstag laut ärztlicher Bescheinigung der 2. April 1985 sei. Zugleich beantragte sie, ihr für die Zeit nach Ablauf der Schutzfrist gemäß § 6 Abs. 1 MuSchG Mutterschutzurlaub zu gewähren, den ihr bewilligten Sonderurlaub um die Zeit des "anteiligen Mutterschaftsurlaub" zu kürzen. Das L. N. lehnte diesen Antrag ab.
Am 5. April 1985 wurde die Klägerin von ihrem dritten Kind entbunden. Die zuständige Krankenkasse zahlte Mutterschaftsgeld für die Zeit vom 19. Februar bis 4. Oktober 1985. Das L. N. gewährte der Klägerin Mutterschaftsurlaub vom 1. August bis 4. Oktober 1985 und beurlaubte sie antragsgemäß "zur Wahrnehmung familiärer Pflichten analog § 87 a NBG" weiter bis zum 31. Juli 1986. Auf Antrag der Klägerin vom 11. Juli 1985 zahlte das L. N. für die Zeit vom 19. Februar bis 31. Mai 1985 einen Zuschuß zum Mutterschaftsgeld in Höhe von 694,62 DM. Diesen Betrag fordert es mit der Begründung zurück, daß die Zahlung aufgrund fehlerhafter rechtlicher Beurteilung des Sachverhaltes und daher ohne Rechtsgrund erfolgt sei.
Die Klägerin begehrt Feststellung, daß die Zeit vom 1.6. bis 4.10.85 "als Mutterschaftsurlaub gemäß § 8 a Mutterschutzgesetz" Beschäftigungszeit im Sinne der §§ 19, 20 BAT gewesen sei, sowie Abweisung der auf Rückzahlung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld gerichteten Widerklage des Landes Niedersachsen. Sie beruft sich vorsorglich auf einen Fortfall der durch Zahlung des Zuschusses eingetretenen Bereicherung. Das Land Niedersachsen begehrt Abweisung der Klage und Verurteilung der Klägerin dem Widerklageantrag entsprechend. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts (Bl. 91 bis 94 d.A.).
Das Arbeitsgericht hat durch Versäumnisurteil den Anträgen der Klägerin entsprechend erkannt, dieses Versäumnisurteil durch Urteil vom 29.1.86 (Bl. 90 d.A.) aufrechterhalten. Wegen der Entscheidungsgründe wird Bezug genommen auf Bl. 95 bis 99 d.A.
Gegen das ihm am 12.3.86 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts richtet sich die Berufung des L. N., eingelegt am 11. April 1986. nach Fristverlängerung bis zum 11. Juni 1986 begründet mit einem am 23. Mai 1986 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz.
Das Arbeitsgericht habe, so das L. N., bei seiner Entscheidung die Bedeutung des Mutterschaftsurlaubs verkannt. Dessen Zweck könne nicht mehr erreicht werden, wenn die Mutter bereits aus anderen Gründen beurlaubt und deshalb von ihrer Arbeitspflicht befreit sei. Voraussetzung für die Ansprüche aus dem Mutterschutzgesetz sei, daß Schwangerschaft bzw. Geburt kausal seien für die begehrte Rechtsfolge. Auch für den Anspruch auf Zuschuß zum Mutterschaftsgeld nach § 14 MuSchG sei die Kausalität des Beschäftigungsverbotes für das Aussetzen mit der Arbeit Voraussetzung. Der vorsorgliche Vortrag der Klägerin den angeblichen Wegfall der Bereicherung durch Verbrauch des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld betreffend sei nicht einmal schlüssig. Bei dem geringen Teilbetrag von 100,00 DM zur Finanzierung des Urlaubs eines ihrer Kinder müsse davon ausgegangen werden, daß dieser Betrag auch anderweitig aufgebracht worden wäre. Beim Kauf von Windeln. Babynahrung und Babykleidung habe die Klägerin Aufwendungen gemacht, die sie jedenfalls gehabt hätte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des berufungsbegründenden Vortrages wird Bezug genommen auf den Inhalt der Schriftsätze des L. N. vom 16.5.86 (Bl. 111 bis 122 d.A.). 15.10.86 (Bl. 134 bis 143 d.A.), 3.11.86 (Bl. 147 bis 149 d.A.). 17.11.86 (Bl. 150, 151 mit Anlage in Hülle Bl. 152 d.A.). 10.12.86 (Bl. 153, 154 d.A.) und 16.2.87 (Bl. 161 bis 163 d.A.).
Das L. N. beantragt sinngemäß,
das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern, die Klage abzuweisen und die Klägerin auf die Widerklage zu verurteilen, an das L. N. 694,92 DM nebst 4 % Zinsen auf diesen Betrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Der Zuschuß zum Mutterschaftsgeld, so trägt sie nunmehr weiter vor, sei als "realisierbarer Gegenwert" nicht mehr vorhanden, weil ihr Ehemann einen entsprechend geringeren Familienunterhaltsbeitrag erbracht und mit dem so ersparten Geld einen Skiurlaub bestritten habe. Wegen des berufungserwidernden Vortrages im übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Schriftsätze der Klägerin vom 11.6.86 (Bl. 124 bis 130 mit Anlage in Hülle Bl. 131 d.A.). 15.12.86 (Bl. 155 bis 157 mit Anlage Bl. 158 d.A.). 12.1.87 (Bl. 159 d.A.) und 13.2.87 (Bl. 160 d.A.).
Entscheidungsgründe
Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des L. N. ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, mithin zulässig. Sie hat überwiegend Erfolg und führt zu entsprechender Änderung des Urteils des Arbeitsgerichts.
Nicht begründet ist die Berufung des L. soweit sie gegen die Feststellung gerichtet ist, daß die Zeit vom 1.6. bis 04.10.1985 Beschäftigungszeit der Klägerin im Sinne der Vorschriften der §§ 19, 20 des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) gewesen ist. Im Sinne des § 19 (1) Satz 1 BAT in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegt ist die Zeit, während der das Arbeitsverhältnis rechtlich bestanden hat. Sie ist damit auch Teil der Dienstzeit im Sinne des § 20 (1) BAT. An der entsprechenden Feststellung hat die Klägerin bereits deshalb ein rechtliches Interesse, weil von der Dauer der Beschäftigungszeit die Dauer auch der jeweiligen Kündigungsfristen sowie der Eintritt der Unkündbarkeit abhängig sind.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, daß die Zeit vom 1.6. bis 04.10.1985 "als Mutterschaftsurlaub gemäß § 8 a MuSchG" Beschäftigungszeit im Sinne der genannten tariflichen Vorschriften gewesen ist, war auf die Berufung des L. mit der Folge der Klagabweisung insoweit abzuändern, Die Klägerin hat kein rechtliches Interesse an einer derartigen Feststellung, denn der Mutterschaftsurlaub wirkt sich auf das Arbeitsverhältnis, eine Kündigung desselben ist nicht im Streit, überhaupt nicht aus, hat insbesondere auch keine Verpflichtung des Arbeitgebers zu weiterer Zahlung eines Zuschusses zum Mutterschaftsgeld zur Folge.
Auf die Berufung des L. war die die Widerklage abweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts ebenfalls abzuändern, die Klägerin auf die Widerklage zu verurteilen, den vom L. geleisteten Zuschuß zum Mutterschaftsgeld zurückzuzahlen.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuschuß zum Mutterschaftsgeld gegen das L. gemäß § 14 MuSchG. Es kann dahingestellt bleiben, ob sie von der zuständigen Krankenkasse zu Recht Mutterschaftsgeld bezogen hat oder nicht. Der Anspruch nach § 14 Abs. 1 MuSchG ist im Gegensatz zu dem öffentlich-rechtlichen Anspruch gemäß § 200 RVO ein gegen den Arbeitgeber gerichteter arbeitsrechtlicher Lohnersatzanspruch, der folgerichtig entfallen muß, wenn die Frau während der Schutzfristen ohnehin und damit aus Gründen, die sich nicht aus den in den §§ 3 Abs. 2 und 6 Abs. 1 MuSchG ausgesprochenen Beschäftigungsverboten ergeben, Arbeitsentgelte nicht verdient hätte. Im vorliegenden Falle war die Klägerin in der Zeit vom 19.2. bis 31.5.85 ohnehin schon und noch beurlaubt, das L. zur Fortzahlung der Bezüge nicht verpflichtet. Die Leistung von Zuschuß zum Mutterschaftsgeld als Vergütungsersatz durch das L. war angesichts Suspendierung des Arbeitsverhältnisses der Parteien bereits begrifflich unmöglich, ist ohne Rechtsgrundlage erfolgt, so daß die Klägerin aus dem Gesichtspunkt einer ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 Abs. 1, 818 Abs. 2 BGB) zur Rückzahlung verpflichtet ist. Der vom Arbeitsgericht vertretenen Ansicht, daß die Beurlaubung der Klägerin gemäß § 50 Abs. 2 BAT mit Beginn der Schutzfrist am 19.2.85 geendet habe, das L. kraft Fürsorgepflicht gehalten gewesen sei, den Sonderurlaub aufzuheben und antragsgemäß Mutterschaftsurlaub zu gewähren, kann nicht gefolgt werden. Zwar kann der Anspruch auf Mutterschaftsurlaub der Feststellung des Arbeitsgerichts entsprechend gemäß § 8 a Abs. 6 MuSchG nicht durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden. Dies ist im vorliegenden Falle auch nicht geschehen. Der Sonderurlaub gemäß § 50 Abs. 2 BAT war bereits im Vorjahr gewährt und angetreten. Der Ausschluß der Anspruchs auf Mutterschaftsurlaub für die Zeit vom 19.2. bis 31.5.85 war mithin nicht Gegenstand der Sonderurlaubsvereinbarung, sondern lediglich die logische Folge.
Gegenüber dem Rückforderungsanspruch des L. kann sich die Klägerin auf einen Wegfall der Bereicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB nicht berufen. Die Aufwendungen beim Ankauf von Babykleidung. Babynahrung und Windeln hätte die Klägerin ohnehin gehabt und daher unabhängig von der Leistung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld durch das L. machen müssen. Da die Klägerin die Höhe der Ausgaben für Babykleidung, Nahrung etc. nicht beziffert, bestehen bereits zu ihren Lasten gehende Zweifel, daß der Zuschuß zum Mutterschaftsgeld partiell auch noch für die Urlaubsreise des Sohnes Jens-Kim Kegel verwandt worden ist. Im übrigen ist der die angebliche Entreicherung betreffende Vortrag der Klägerin nicht schlüssig. Ob die Zahlung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld auch noch als für den Skiurlaub ihres sich immerhin in einer Spitzenposition des gehobenen Dienstes befindlichen Ehemannes kausal zu qualifizieren ist, könnte allenfalls nach präziser Darlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowohl der Klägerin als auch ihres Ehemannes zur Zeit der die angebliche Entreicherung bedingenden Vorträge beurteilt werden. Insofern beschränkt sich die Klägerin jedoch auf allgemeine und nicht prüfungsfähige Darlegungen. Sie irrt, wenn sie meinen sollte, daß das Gericht ihrer Bitte um "richterlichen Hinweis" im Schriftsatz vom 11.6.86 (Bl. 130 d.A.) hätte entsprechen müssen. Die Aufklärungspflicht gemäß § 139 Abs. 1 ZPO geht nicht so weit, daß eine Ausforschung über die Grenzen des Beibringungsgrundsatzes hinaus bis zur Ergänzung zur Schlüssigkeit des Vertrages stattzufinden hat.
Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 291, 288 Abs. 1 BGB, die Kostenentscheidung auf § 92 Abs. 1 ZPO.