Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.03.1987, Az.: 3 Sa 1342/86
Rechtsschutz bei Versagung einer Bereitschaftsdienstvergütung; Vergütungsumfang eines Personalvertretungsmitgliedes bei Freistellung vom Bereitschaftsdienst
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 19.03.1987
- Aktenzeichen
- 3 Sa 1342/86
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 14402
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1987:0319.3SA1342.86.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Braunschweig - 13.05.1986 - AZ: 4 Ca 99/86
Rechtsgrundlagen
Prozessführer
...
Prozessgegner
...
In dem Rechtsstreit
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 1987
durch
ihre Mitglieder Frohner, Thormann und Hagedorn
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 13. Mai 1986 - 4 Ca 99/86 - wird kostenpflichtig mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 1.567,81 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 10.03.1986 zu zahlen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Vergütung für - fiktiven - Bereitschaftsdienst des Klägers als freigestelltes Personalratsmitglied in der Zeit von November 1985 bis Januar 1986.
Der Kläger ist bei der Beklagten in deren städtischem Klinikum als OP-Pfleger beschäftigt. Er war aufgrund der Verfügung vom 19. April 1982 "für die Dauer der jetzigen Wahlperiode des Personalrates mit Wirkung vom 1. März 1982 in vollem Umfang für die ständige Wahrnehmung von Personalvertretungsaufgaben von der dienstlichen Tätigkeit freigestellt". Bei den Neuwahlen im November 1984 wurde der Kläger in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender des örtlichen Personalrates des Klinikums bestätigt. Auf Antrag des Gesamtpersonalrates vom 4. Mai 1984 auf Freistellung u.a. des Klägers "zu 100 vH" wurde der Kläger durch Verfügung der Beklagten vom 18. Juni 1984 "zur Wahrnehmung von Aufgaben ihres Personalrates für die Dauer der jetzigen Wahlperiode in vollem Umfang von ihrer dienstlichen Tätigkeit freigestellt".
Im November 1983 hatte sich der Kläger um die Stelle in der stellvertretenden Leitung des chirurgischen Operationsdienstes im Klinikum ... (VG Kr 6 BAT) beworben. Daraufhin wurde dem Kläger im April 1985 im Wege der fiktiven Aufgabenwahrnehmung der Dienstposten des ersten ständigen Vertreters der Stationsschwester des chirurgischen Operationsdienstes im Klinikum ... übertragen, gleichzeitig wurde seine Freistellung aufrechterhalten und der Arbeitsplatz einer anderen Krankenschwester übertragen. Mit Schreiben vom 28. Oktober 1985 wurde dem Kläger mitgeteilt, daß die Verfügung vom 18. Juni 1984, "durch die Sie in vollem Umfang von der Dienstleistung freigestellt wurden, abgeändert werden muß. Die Freistellung bezieht sich mit sofortiger Wirkung nur noch auf die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit im jeweiligen tariflich vereinbarten Umfang. Bereitschaftsdienste außerhalb dieser Zeit sind von Ihnen gemäß dem vom der Pflegedienstleistung aufgestellten Dienstplan zu übernehmen." Vom Kläger sind aber gleichwohl auch in der Folgezeit keine Bereitschaftsdienste tatsächlich geleistet worden.
Der Kläger hat mit seiner Klage die Abgeltung von fiktiven Bereitschaftsdiensten in der Zeit von November 1985 bis Januar 1986 in der Höhe begehrt, wie diejenige Krankenschwester Bereitschaftsdienstvergütung erhalten hat, die an seiner Stelle die Funktion der stellvertretenden Leitung im OP wahrnimmt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Durch dieses Urteil vom 13. Mai 1986 hat die 4. Kammer des Arbeitsgerichts Braunschweig die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.628,52 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 10. März 1986 zu zahlen. Es hat weiter der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt sowie den Streitwert auf 1.628,00 DM festgesetzt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.
Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihr erstinstanzliches Abweisungsbegehren nach näherer Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 25. September 1986 weiter.
Die Beklagte beantragt nunmehr,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Beklagte verurteilt wird, an ihn 1.567,81 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 10. März 1986 zu zahlen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 14. Oktober 1986.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist unbegründet.
Dem Kläger steht die nunmehr noch geltend gemachte Bereitschaftsdienstvergütung für den Zeitraum November 1985 bis Januar 1986 in Höhe von 1.567,81 DM brutto, nachdem die Klage teilweise in Höhe eines Betrages von 60,71 DM brutto wirksam zurückgenommen worden ist, zu. Dieser Anspruch folgt aus §§ 611 BGB, 50 Nds.PersVG.
§ 50 Abs. 2 Satz 1 Nds.PersVG bestimmt, daß bei Mitgliedern des Personalrats die Dienstbezüge, das Arbeitsentgelt oder sonstige Vergütungen nicht gemindert werden, wenn zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Personalrats die Versäumnis von Arbeitszeit erforderlich ist. Dabei bestimmt § 50 Abs. 3 Nds.PersVG, daß die Mitglieder des Personalrats von ihrer dienstlichen Tätigkeit freizustellen sind, soweit es nach Umfang und Art der Dienststelle zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Personalrats erforderlich ist. Anders als beispielsweise §§ 46 B PersVG, 38 BetrVG 72 enthält das niedersächsische Personalvertretungsrecht keine ausdrückliche Vorschrift über eine Mindestanzahl gänzlich freizustellender Mitglieder des Personalrates. Auch die vollständige Freistellung von Mitgliedern des Personalrates richtet sich allein nach der "Erforderlichkeit" (vgl. hierzu BAG vom 19.09.1985 Der Personalrat 1986 S. 159 m. Anm. Frohner Der Personalrat 1986 S. 146), wird aber insgesamt von § 50 Abs. 3 Nds.PersVG mit erfaßt. Demgemäß ist der Kläger auch durch die Verfügung der Beklagten vom 18. Juni 1984 rechtlich unbedenklich "in vollem Umfang" von seiner dienstlichen Tätigkeit freigestellt worden. Dies bedeutet sachlich nichts anderes als die ständige Entbindung von sämtlichen Arbeitspflichten aus dem Arbeitsvertrag (vgl. GK-Wiese BetrVG zweite Bearbeitung Januar 1984, § 38 Rdnr. 61). Hierzu gehört auch die Freistellung von einer ansonsten bestehenden Verpflichtung zur Leistung von Bereitschaftsdienst. Soweit in dem Schreiben der Beklagten von 28. Oktober 1985 eine teilweise Rücknahme der völligen Freistellung des Klägers durch Reduzierung der Freistellung "auf die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit" und damit die Zeit liegt, in der freigestellte Personalratsmitglieder ohnehin in der Regel ihren Personalratsaufgaben nachzugehen haben (BVerwG E 61, 251), ist diese Teilrücknahme der ursprünglich ausgesprochenen Freistellung des Klägers unwirksam (völlig zutreffend VerwG Braunschweig Beschluß vom 20.01.1987 - PL 14/86), weil die Beklagte gehalten gewesen wäre, wegen der fehlenden Zustimmung der Personalvertretung zu dieser teilweisen Rücknahme der Freistellung und damit der Umwandlung einer völligen Freistellung in eine lediglich teilweise Freistellung gem. §§ 50, 73 Nds. PersVG das dort vorgesehene Nichteinigungsverfahren durchzuführen. Ein solches Verfahren hat freilich nicht stattgefunden.
Der Anspruch des freigestellen Personalratsmitglieds auf Vergütung umfaßt alle Entgeltsbestandteile, die einem vergleichbaren Arbeitnehmer zufließen und die das freigestellte Personalratsmitglied erhalten hätte, wäre es nicht freigestellt worden (Lohnausfallprinzip). Ansonsten würde nämlich eine Entgeltminderung eintreten, die § 50 Abs. 2 Nds.PersVG, wie die entsprechenden vergleichbaren Vorschriften anderer Personalvertretungsgesetze und auch des Betriebsverfassungsgesetzes 1972, gerade ausschließen will (vgl. hierzu BAG Recht im Amt 1978 S. 96; AP Nr. 3 zu § 19 MTB II = Personalvertretung 1979 S. 119; AP Nr. 2 zu § 49 BAT; AP Nr. 1 zu § 46 B PersVG; Der Betrieb 1981 S. 427 = Betriebsberater 1981 S. 421 = ZBR 1981 S. 191; Recht im Amt 1982 S. 112; LAG Nds. EzA § 37 BetrVG 1972 Nr. 68; VG Koblenz, Personal Vertretung 1977 S. 391; VG Hannover, Beschluß vom 02.06.1975 - PL 1/75; LAG München, Urteil vom 23.10.1980 - 2 Sa 284/80; Kümmel, Personalvertretungsrecht für Niedersachsen, 3. Aufl. Juli 1985, S. 23 ff.; Engelhardt/Ballerstedt, PersVG, 3. Aufl. 1973, S. 246; Spohn, PersVG für das Land Niedersachsen, 4. Aufl. 1985, S. 133, 137; Dietz-Richardi, BPersVG, 1. Bd. 2. Aufl. 1978, § 46 Rdnr. 22; Altvater/Bacher/Sabottig/Schneider/Thiel, BPersVG, 2. Aufl. 1985, § 46 Rdnr. 9 ff., 33; Fitting-Auffarth-Kaiser-Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 38 Rdnr. 37; Hess/Schlochhauer/Glaubitz, Kommentar zum BetrVG, 3. Aufl. 1986, § 37 Rdnr. 42, 46). Da der Kläger, wäre er nicht freigestellt worden, zumindest in dem Umfange zu Bereitschaftsdiensten herangezogen worden wäre, wie diejenige Arbeitnehmerin herangezogen worden ist, die an ... seiner Stelle den Dienstposten des ersten ständigen Vertreters der Stationsschwester des chirurgischen Operationsdienstes versieht, hat er Anspruch auf eine Bereitschaftsdienstvergütung in eben dieser Höhe, mithin, wie jetzt zwischen den Parteien unstreitig geworden ist, für den fraglichen Zeitraum von November 1985 bis Januar 1986 auf 1.567,81 DM brutto.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Zulassung der Revision auf § 72 Abs. 2 ArbGG.
Gegen dieses Urteil findet, wie sich aus der Urteilformel