Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 30.01.2004, Az.: 2 A 2145/02

arabische Sprache; Auslandskostenverordnung; Berufsdolmetscher; Berufsdolmetscherzuschlag; Dolmetscher; Dolmetscherentschädigung; Dolmetschertätigkeit; Entschädigung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
30.01.2004
Aktenzeichen
2 A 2145/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 51049
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Stundensatz für die Dolmetschertätigkeit in der arabischen Sprache ist mit 43,00 Euro angemessen.

Tenor:

Auf den Antrag der Antragstellerin vom 18. Dezember 2003 wird die der Antragstellerin für ihre Dolmetschertätigkeit in der mündlichen Verhandlung vom 26. November 2003 zu gewährende Entschädigung auf 209,50 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Mit Schreiben vom 18. Dezember 2003 hat die Antragstellerin „Widerspruch" gegen die für ihre Dolmetschertätigkeit in der mündlichen Verhandlung vom 26. November 2003 angeordnete Entschädigung in Höhe 190,01 Euro, der die Annahme eines Stundensatzes von 39,00 Euro zugrunde liegt, eingelegt. Das Gericht legt diesen „Widerspruch" als zulässigen Antrag auf gerichtliche Festsetzung der Dolmetscherentschädigung nach § 16 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen -ZSEG- aus. Dieser Antrag führt zur Festsetzung von 209,50 Euro, wobei ein Stundensatz von 43,00 Euro zugrunde zu legen ist.

2

Gemäß § 17 Abs. 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 ZSEG werden Dolmetscher für ihre Leistungen wie Sachverständige entschädigt. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 ZSEG beträgt die Entschädigung für jede Stunde der erforderlichen Zeit 25,00 bis 52,00 Euro. Für die Bemessung des Stundensatzes innerhalb dieses Rahmens sind, soweit hier einschlägig, der Grad der erforderlichen Fachkenntnisse, die Schwierigkeit der Leistung und besondere Umstände, unter denen die Tätigkeit zu erbringen war, zu berücksichtigen. Die danach zu gewährende Entschädigung kann gemäß § 3 Abs. 3 b) ZSEG nach billigem Ermessen bis zu 50 vom Hundert u.a. dann überschritten werden, wenn der Dolmetscher seine Berufseinkünfte zu mindestens 70 vom Hundert aus Dolmetschertätigkeit erzielt -Berufsdolmetscherzuschlag- (vgl. Meyer/Höver/ Bach, Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen, 22. Aufl. § 17 Rdnr. 6.2; OVG Münster, Beschluss vom 18.12.1997 -23 A 502/95.A-, NVwZ-RR 1998, 785).

3

Die Entschädigungspraxis für eine Dolmetschertätigkeit in der arabischen Sprache ist, soweit das ermittelt werden konnte, sowohl innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit als auch in der ordentlichen Justiz uneinheitlich. Die Entschädigungspraxis des erkennenden Gerichts geht von einem Stundensatz von 39,00 Euro und einem Berufsdolmetscherzuschlag von 40 vom Hundert aus. Dies weicht von den Empfehlungen des Nds. Oberverwaltungsgerichts ab, wonach für die arabische Sprache im Regelfall von einem Stundensatz in Höhe von 35,00 Euro auszugehen sei, wobei der Widerspruch zu der Empfehlung für asiatische Sprachen in Höhe von 43,00 Euro nicht aufgelöst wird.

4

Die Kammer hält einen Stundensatz von mindestens 43,00 Euro für die Tätigkeit eines Dolmetschers in der arabischen Sprache für angemessen. Dem liegen im Hinblick auf den Grad der erforderlichen Sprachkenntnisse und der Schwierigkeit der zu erbringenden Leistung folgende Erwägungen zugrunde:

5

Das Arabische gehört zur hamitosemitischen Sprachfamilie (s. die nachfolgende Grafik, zitiert nach Wikipedia der freien Enzyklopädie, ' www.wikipedia.de ).

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Hamitosemitische Sprachen Semitisch

7

Akkadisch

8

Babylonisch

9

Assyrisch

10

Ungarisch

11

Phönikisch-Punisch

12

Moabitisch

13

Hebräisch

14

Aramäisch

15

Natabäisch

16

Pallmyrenisch

17

Samaritanisch

18

Neuwestaramäisch

19

Syrisch

20

Mandäisch

21

Arabisch

22

Südarabisch

23

Sabäisch

24

Minäisch

25

Arabien-Arabisch (Nordarabisch-

26

klassisches Arabisch

27

Westgruppe

28

Zentralgruppe

29

Ostgruppe

30

Irakisch-Arabisch

31

Syrisch-Libanesisch-

32

Palistinensisch Arabisch

33

Ägyptisch-Arabisch

34

Maghrbinisch-

35

Arabisch

36

Maltesisch

37

Ägyptisch

38

Altägyptisch

39

Demotisch

40

Koptisch

41

Lybico-Berberisch

42

Libysch

43

Berbersprachen

44

Sichinsch

45

Rifisch

46

Kabylisch

47

Chaouia

48

Tuareg

49

Senet

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Die arabische Sprache ist eine überregionale Sprachform die von Sprechern arabischer Dialekte von Marokko bis zum Irak in der schriftlichen und überwiegend auch in der gehobenen mündlichen Kommunikation gebraucht wird. Für Muslime gilt Arabisch als heilige Sprache, da sich nach islamischem Glauben der Koran durch das Arabische offenbart hat. Mit der Ausbreitung des Islam ab 622 n. Chr. fand Arabisch als größte lebende semitische Sprache weite Verbreitung. Heute wird Arabisch von circa 150 Millionen Menschen als Muttersprache und von einigen weiteren Millionen als Zweitsprache gesprochen. Arabisch gehört der südwestsemitischen Sprachgruppe an und ist mit dem Hebräischen, das in Israel gesprochen wird, und dem Amharischen, der Sprache Äthiopiens, sowie mit den alten semitischen Sprachen verwandt. Die ersten Inschriften in arabischer Sprache wurden auf der Arabischen Halbinsel gefunden und gehen auf das 4. Jahrhundert n. Chr. zurück; gesprochen wurde die Sprache aber wahrscheinlich schon im 5. Jahrhundert v. Chr. Heute vereint die arabische Sprache alle arabischen Völker und wird als liturgische Sprache der Muslime in der Türkei, im Iran, in Afghanistan, Pakistan, Indonesien, Teilen Nordafrikas, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan gebraucht.

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Es existiert eine klassische sowie eine umgangssprachliche Form des Arabischen. Das Klassische Arabisch ist die heilige Sprache des Islam und wird von gebildeten Leuten in der gesamten arabischsprachigen Welt als Lingua franca gebraucht. Das umgangssprachliche Arabisch ist eine im Alltag gesprochene Form, die im Fernsehen und Radio ebenso wie in der Moschee zu hören ist. Die zahlreichen umgangssprachlichen Dialekte des Arabischen, die in verschiedenen Regionen des Mittleren Ostens gesprochen werden, sind zwar Abkömmlinge einer Standardsprache, unterscheiden sich jedoch stark voneinander. Das Arabische einerseits und die einzelnen regionalen Dialekte andererseits sind sprachliche Varietäten mit jeweils charakteristischen Besonderheiten in Aussprache, Wortschatz und Grammatik. Die Dialekte werden gewöhnlich nach größeren geographischen Regionen wie Nordafrika, Ägypten und Golfregion benannt. Innerhalb dieser geographischen Grobeinteilung sind weitere alltagssprachliche Varietäten der Nomaden und der Stadt- und Landbevölkerung zu differenzieren. Ungebildete Sprecher aus weit auseinander liegenden Gebieten Arabiens, die das Klassische Arabisch nicht beherrschen, können sich unter Umständen nicht verständigen, obwohl sie nur verschiedene Varietäten des Arabischen sprechen.

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Das arabische Lautsystem setzt sich aus 28 Konsonanten zusammen, einschließlich der semitischen gutturalen Laute, die weit hinten im Mund und Rachenraum gebildet werden. Alle drei Vokale des Standardarabischen treten in einer kurzen und einer langen Variante auf, und die kontrastierenden kurzen und langen Silben haben eine wichtige Funktion für das Metrum in der arabischen Lyrik. Die Dialekte haben die langen Vokale bewahrt, aber viele der Kurzvokaloppositionen verloren.

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Die arabische Wortbildung basiert auf einer abstrahierten Grundform, den Wortbildungsbasen, die in der Regel aus drei Konsonanten bestehen. Aus diesen entstehen verbale und substantivische Simplizia, indem sie mit verschiedenen Vokalgruppen kombiniert werden. An diese nichtkomplexen Ausdrücke können Affixe angefügt werden, um Ableitungen zu bilden. So wird z. B. für das entlehnte Wort Bank der konsonantische Stamm b-n-k angenommen, für Film f-l-m.

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Die Verbkonjugation und die durch Abwandlung der Verbalstämme ausgedrückte Bedeutungsdifferenzierung ist im Arabischen stark systematisiert. Diese große Regelhaftigkeit des verbalen Paradigmas erlaubt es, dass in Wörterbüchern des Arabischen die einzelnen Verbformen mittels eines Zahlensystems (I-X) genau angegeben werden können. Die Verbform I des Stammes k-s-r beispielsweise ist ' kasar "er machte kaputt"; die Verbform II ' kasar , "er zerschlug in Stücke" und die Verbform VII inkasar "es war aufgebrochen".

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Die Deklination der Substantive und Adjektive erfolgt hingegen nach weniger regelmäßigen Mustern, und es gibt im Arabischen viele verschiedene Pluralformen. Ein Muster der Pluralbildung ist, dass die innere Silbenstruktur des Substantivs im Singular abgewandelt wird. Die Pluralformen der Lehnwörter Bank und Film lauten beispielsweise ' bunuk (für Banken) und ' aflam (für Filme).

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Die normale Satzgliedstellung im Standardarabischen ist Verb-Subjekt-Objekt. In der Lyrik und in einigen Prosastilebenen ist eine andere Wortstellung möglich; dann können die grammatischen Funktionen der Satzglieder, Subjekt und Objekt, durch Kasusendungen angezeigt werden. Die Suffixe, die den Kasus markieren, werden nur in Schullesebüchern und im Koran ausgeschrieben, um ein absolut korrektes Verständnis der Texte zu gewährleisten. In allen anderen arabischen Texten werden diese Kasusendungen (normalerweise kurze Vokale) weggelassen, ebenso wie alle Schriftzeichen für Kurzvokale im Inlaut. Die arabische Schrift hat keine Buchstaben für Kurzvokale, diese Sprachlaute werden mit kleinen Zeichen über oder unter den Konsonanten angezeigt (diakritische Zeichen). Das Arabische kennt zwei Tempora, das Perfekt und das Imperfekt, und drei Kasus, nämlich Nominativ, Akkusativ und Genitiv.

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Arabisch wird von rechts nach links geschrieben. Die Schrift entwickelte sich zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert und stammt von der nabatäischen Kursive des Aramäischen ab. Sie setzt sich aus 18 verschiedenen Zeichen zusammen, deren Verwendung auch davon abhängt, welche Buchstaben vorausgehen bzw. folgen. Das gesamte graphemische Zeicheninventar der 28 Konsonanten und drei langen Vokale des Arabischen kann mit diesen 18 Zeichenformen sowie einer Kombination von Punkten, die über und unter acht dieser Zeichen gesetzt werden können, realisiert werden. Das arabische Alphabet, das weltweit die zweitgrößte Verbreitung aufweist, wurde auch von nichtsemitischen Sprachen, darunter Neupersisch (auch "Farsi" genannt), Urdu, Malaiisch und einigen westafrikanischen Sprachen wie Haussa, übernommen. Die ornamentale Funktion der Verse aus dem Koran in arabischer Schrift führte dazu, dass sich in 1 400 Jahren viele verschiedene kalligraphische Stile herausbilden konnten. Kalligraphie ist in der arabischen Welt eine hohe Kunstform.

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Hieraus folgt, dass die arabische Sprache mit dem Deutschen in keiner Weise verwandt und nach gänzlich anderen Regeln aufgebaut ist. Diese Einschätzung wird durch den Bundesgesetzgeber indirekt bestätigt. Denn die arabische Sprache ist gemäß § 4 der Auslandskostenverordnung i.V.m. Anlage 4 zu dieser Bestimmung (BGBl I 2001, 4161), wie u.a. auch Birmanisch, Chinesisch und Laotisch, den schwierigsten Sprachen zugeordnet.

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Bezogen auf die von der Kammer in Anspruch genommene Dolmetschertätigkeit kommt ein Weiteres hinzu. Die Kammer benötigt die Tätigkeit eines Dolmetschers für die arabische Sprache nach der geschäftsplanmäßigen Zuweisung des Gerichts vor allem für Staatsbürger aus Syrien und dem Irak. So liegt auch diesem Verfahren die Klage einer syrischen Staatsangehörigen zugrunde, wobei der Ehemann aus dem Irak stammt. Es ist gerichtsbekannt, dass in diesen Ländern verschiedene arabische Dialekte gesprochen werden, die von der Antragstellerin beherrscht werden müssen und beherrscht werden. Nicht selten verhält es sich in der mündlichen Verhandlung so, dass sich herausstellt, dass eine Verständigung in der Amtssprache Arabisch entgegen vorheriger Annahme nicht oder nur schwer möglich ist und dass vielmehr kurdische Dialekte (Sorani oder Badinani) oder gar Turkmenisch für eine Verständigung beherrscht werden müssen. All diese Sprachen beherrscht die Antragstellerin, was eine Unterbrechung von Verhandlungen und die -kostenintensive- Heranziehung eines weiteren Dolmetschers überflüssig macht.

60

Das Gericht will die letzten Ausführungen vor dem gesetzlichen Hintergrund des § 3 Abs. 2 ZSEG, der auf den objektiven Schwierigkeitsgrad einer Sprache abstellt, nicht als entscheidungstragend verstanden wissen, will aber die Komplexität einer Dolmetschertätigkeit für die arabische Sprache in den genannten Ländern verdeutlichen.

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Vor diesem Hintergrund ist der in den Empfehlungen des Nds. Oberverwaltungsgerichts vorgeschlagene Stundenansatz von 35,00 Euro für Arabisch inakzeptabel, denn er liegt noch unter dem Mittelwert des § 3 Abs. 2 ZSEG von 38,50 Euro. Das Gericht kann offen lassen, ob in Anbetracht der dargestellten Schwierigkeiten auch ein höherer Stundensatz zu akzeptieren wäre, denn es ist durch den Antrag der Antragstellerin an den Ansatz von 43,00 Euro gebunden (§ 15 Abs. 1 ZSEG).

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Der Antragstellerin steht darüber hinaus ein Berufsdolmetscherzuschlag von 40 vom Hundert nach § 3 Abs. 3 b) ZSEG zu. Sie hat glaubhaft gemacht -und dies entspricht der Kenntnis des Einzelrichters von den persönlichen Verhältnissen der Antragstellerin, dass sie mehr als 70 vom Hundert ihrer Einnahmen aus der Dolmetschertätigkeit erzielt. Der der Antragstellerin zustehende Zuschlag kann nach billigem Ermessen bis zu 50 vom Hundert betragen. Es erscheint billig und entspricht der ständigen Praxis des Gerichts und den Empfehlungen des Nds. Oberverwaltungsgerichts den Berufsdolmetscherzuschlag auf 40 vom Hundert festzusetzen.