Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 07.01.2004, Az.: 2 A 312/03

Anschaffungspreis; Armbanduhr; Bekleidung; geringer Anschaffungspreis; Hilfe zum Lebensunterhalt; Sonnenbrille; Sozialhilfe

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
07.01.2004
Aktenzeichen
2 A 312/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50447
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Gegenstände von geringem Anschaffungspreis sind regelmäßig solche, die nicht mehr als 5 Euro kosten.

Tenor:

Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger unter entsprechender Aufhebung des Bescheides der Stadt D. vom 16.04.2003 und des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2003 die Kosten für die Anschaffung eines Oberhemdes (15,00 Euro), eines Schlafanzugs (15,00 Euro) und eines Handtuchs (5,00 Euro) zu bewilligen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 3/4, der Beklagte zu 1/4; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Jeder Beteiligte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der Kostenforderung des jeweils anderen Beteiligten abwenden, wenn nicht der andere Beteiligte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Der 1959 geborene Kläger erhält von der namens und im Auftrage des Beklagten handelnden Stadt D. seit 1978 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich einmaliger Leistungen, die ihm jeweils auf besonderen Antrag bewilligt worden sind. Am 14.04.2003 richtete der Kläger an die Stadt D. einen Bekleidungsantrag, den diese mit Bescheid vom 16.04.2003 zum Teil mit der Begründung ablehnte, die entsprechenden Gegenstände seien im Regelsatz enthalten bzw. es bestehe kein sozialhilferechtlicher Bedarf. Der Kläger legte am 18.05.2003 Widerspruch ein, soweit die Ablehnung seines Antrags erfolgte. Der Beklagte wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.07.2003 als unbegründet zurück.

2

Am 05.08.2003 hat der Kläger Klage erhoben. Er macht geltend: Auch Turnschuhe würden zur Grundausstattung gehören; Sonnenbrille und Armbanduhr seien keine Gegenstände von geringem Anschaffungswert; das Tragen einer Sonnenbrille sei auch in den hiesigen Breiten im Sommer durchaus üblich und notwendig; die Armbanduhr, die er früher besessen habe, sei kaputt gegangen, er habe sie daraufhin entsorgt und bei dem Sozialamt die Bewilligung einer neuen Uhr beantragt.

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Der Kläger beantragt,

4

den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des Bescheides der Stadt D. vom 16. April 2003 und des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2003 zu verpflichten, ihm einmalige Leistungen im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren für die Anschaffung eines Oberhemdes, zweier Schlafanzüge, von einem Paar Halbschuhen, einem Paar Hausschuhen, einem Paar Turnschuhen, drei Handtüchern, einer Sonnenbrille und einer Armbanduhr.

5

Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

7

Er bezieht sich auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide und trägt ergänzend vor: Ein sozialhilferechtlicher Bedarf im Hinblick auf eine Sonnenbrille bestehe nicht, zumal ein ausreichender Augenschutz beispielsweise auch durch das Tragen einer Schirmmütze erreicht werden könne; auch der Bedarf des Klägers an einer Armbanduhr sei nicht glaubhaft gemacht; im Übrigen würde es sich bei beiden Gegenständen um solche von geringem Anschaffungswert handeln (eine Sonnenbrille sei für 8,95 Euro, eine Armbanduhr für 9,95 Euro zu beschaffen), sodass dafür einmalige Leistungen nicht zu gewähren seien.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und auf den Verwaltungsvorgang der Stadt D. Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

9

Die insgesamt zulässige Klage ist nur in dem sich aus dem Tenor dieses Urteils ergebenen Umfang begründet.

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Da der Kläger seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann, ist ihm gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG umfasst der notwendige Lebensunterhalt besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BSHG werden laufende Leistungen zum Lebensunterhalt außerhalb von Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen nach Regelsätzen gewährt. Gemäß § 1 Abs. 1 der Regelsatzverordnung umfassen die Regelsätze die laufenden Leistungen für Ernährung, hauswirtschaftlichen Bedarf einschließlich Haushaltsenergie sowie für persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens; dazu gehören auch die laufenden Leistungen für die Beschaffung von Wäsche und Hausrat von geringem Anschaffungswert, für die Instandsetzung von Kleidung, Schuhen, Hausrat in kleinerem Umfang sowie für Körperpflege und für Reinigung. Ergänzend bestimmt § 21 Abs. 1 a BSHG, dass einmalige Leistungen besonders gewährt werden zur Instandsetzung von Bekleidung, Wäsche und Schuhen in nicht kleinem Umfang und deren Beschaffung von nicht geringem Anschaffungspreis ...., Beschaffung von Gebrauchsgütern von längerer Gebrauchsdauer und von höherem Anschaffungswert sowie für besondere Anlässe.

11

Soweit es um die Beschaffung von Kleidung geht, richtet sich das Gericht nach der Schrift von Bäumerich und Blosser-Reisen, Bekleidungs- und Heizungshilfen, 2. Auflage 1990 (kleinere Schriften des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Heft 60), das aus einem von Fachleuten gebildeten Arbeitskreis erstellt worden ist und nach Auffassung des Gerichts noch heute Gültigkeit hat. Vor allem wird die Tabelle 2 „Grundausstattung an Bekleidung und Schuhen für Männer und Jungen ab dem 16. Lebensjahr und durchschnittliche Gebrauchsdauer“ (Seite 23 f.) angewendet, wobei sich das Gericht durchaus darüber bewusst ist, dass es sich hier nur um pauschale Angaben handelt, von denen in Anwendung von § 3 Abs. 1 BSHG nach der Besonderheit des Einzelfalles abzuweichen ist (wofür im vorliegenden Fall allerdings kein Anlass besteht). Die notwendigen Kosten für die Anschaffung der jeweiligen Gegenstände entnimmt das Gericht zum Teil dem Katalog, den auch die Stadt D. regelmäßig verwendet, zum Teil schätzt das Gericht sie in entsprechender Anwendung von § 287 ZPO unter Berücksichtigung der gerichtsbekannten Preise für Kleidungsstücke der unteren Preisgruppe. Als Gebrauchsgegenstände mit geringem Anschaffungswert (die aus dem Regelsatz angeschafft werden müssen) sieht das Gericht solche an, deren Anschaffungswert im Einzelfall unter 5,00 Euro liegt. Die Grenze von 20,00 bis 25,00 DM (vgl. das Urteil des Gerichts vom 12.02.1999 - 2 A 2232/98 - Info also 2000, Seite 49) hält das Gericht angesichts der Teuerung in den letzten Jahren nicht mehr aufrecht. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Entscheidung ist regelmäßig die Geltendmachung des Bedarfs, spätestens der Erlass des Widerspruchsbescheides.

12

Dies vorausgeschickt, ergibt sich im Einzelnen folgendes:

13

Dem Kläger ist ein (weiteres) Oberhemd zu bewilligen. Die Grundausstattung an Oberhemden beträgt fünf Stück bei einer durchschnittlichen Gebrauchsdauer von einem Jahr; dem Kläger sind im September 2002 ein Oberhemd, im November 2002 zwei Oberhemden und im April 2003 ein Oberhemd bewilligt worden (die Gebrauchsdauer des im März 2002 bewilligten Oberhemdes war bei Antragstellung bereits abgelaufen).

14

Dem Kläger ist (nur) ein weiterer Schlafanzug zu bewilligen. Die Grundausstattung beträgt drei Garnituren Nachtbekleidung mit einer durchschnittlichen Gebrauchsdauer von zwei Jahren. Zwischen April 2001 und April 2003 sind dem Kläger zwei Schlafanzüge bewilligt worden (einer im September 2002, einer im November 2002).

15

Die Versorgung des Klägers mit Halbschuhen (zwei Paar bei einer durchschnittlichen Gebrauchsdauer von zwei Jahren) ist ausreichend, denn ausweislich des Akteninhalts sind ihm im März 2002 ein Paar und im September 2002 ein Paar Halbschuhe bewilligt worden. Dass diese Schuhe nicht mehr gebrauchsfähig sind, hat der Kläger nicht belegt.

16

Die Grundausstattung an Hausschuhen beträgt ein Paar mit einer durchschnittlichen Gebrauchsdauer von zwei Jahren. Der Kläger hat im September 2002 die Mittel für die Anschaffung von einem Paar Hausschuhe erhalten, sodass sein Bedarf (noch) gedeckt ist.

17

Turnschuhe sind dem Kläger zuletzt im September 2001 bewilligt worden. Da der Gesamtbedarf (ebenso wie bei Hausschuhen) ein Paar mit einer durchschnittlichen Gebrauchsdauer von zwei Jahren beträgt, ist dieser Bedarf ebenfalls (noch) gedeckt.

18

Dem Kläger steht ein weiteres Handtuch zu. Wie das Gericht bereits (in dem Urteil gleichen Rubrums vom 15.10.2002 - 2 A 2204/01 -) entscheiden hat, stehen dem Kläger vier Handtücher zu. Da er nur über drei Handtücher verfügt (die ihm im September 2002 bewilligt worden sind), hat er Anspruch darauf, dass ihm jetzt die Anschaffungskosten für ein weiteres Handtuch gewährt werden.

19

Das Gericht hält es mit dem Beklagten nicht für erforderlich, dass in den hiesigen Breiten - auch in sonnigen Sommern - eine Sonnenbrille zum Schutz der Augen getragen wird. Es handelt sich hierbei (außer für Menschen mit besonders empfindlichen Augen) nicht um einen notwendigen Gebrauchsgegenstand, sondern um ein Modeaccessoire, mithin nicht um einen Teil des notwendigen Lebensunterhalts. Auf die Höhe des Kaufpreises kommt es deshalb nicht an.

20

Hingegen sind im Grundsatz für die Anschaffung einer Armbanduhr durchaus einmalige Leistungen zu bewilligen, weil es das Gericht als notwendig ansieht, dass sich jeder, der eine Uhr lesen kann, auch dann über die aktuelle Uhrzeit informieren können muss, wenn keine öffentliche Uhr in der Nähe ist; zum anderen ist eine Armbanduhr - wie der Beklagte selbst vorträgt - nicht zu einem Preis von weniger als 5,00 Euro zu bekommen. Andererseits nimmt das Gericht dem Kläger nicht ab, dass er nicht über eine funktionsfähige Armbanduhr verfügt. Sein Vortrag in der mündlichen Verhandlung, die Uhr, die er früher besessen habe, sei kaputt gegangen und er habe sie entsorgt, ist nicht glaubhaft. Dem Kläger ist spätestens seit der mündlichen Verhandlung in dem Verfahren 2 A 2024/03 am 15.10.2002 bekannt, dass er den Verlust eines notwendigen Gegenstandes belegen können muss; in dieser mündlichen Verhandlung hat er nämlich die auf die Bewilligung der Anschaffungskosten für eine Armbanduhr gerichtete Klage zurückgenommen, weil er augenscheinlich noch über eine solche verfügte. Wäre diese Uhr tatsächlich später nicht mehr zu gebrauchen gewesen, hätte der Kläger sie dem Sozialamt der Stadt D. präsentiert und sodann die Bewilligung einer neuen Uhr beantragt. Die schlichte Behauptung, diese Uhr sei nicht mehr vorhanden und zuvor funktionsunfähig gewesen, kann mithin einen Bedarf nicht begründen.

21

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 188 Satz 2 VwGO.

22

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.