Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 28.01.2004, Az.: 2 A 2047/02

Dauerverwaltungsakt; Jugendhilfe; Jugendhilfeträger; Leistungseinstellung; Tagespflege; Tagespflegeperson; Umdeutung; Verwaltungsakt mit Dauerwirkung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
28.01.2004
Aktenzeichen
2 A 2047/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 51047
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wenn ein Jugendhilfeträger Tagespflege durch Dauerverwaltungsakt bewilligt, was grundsätzlich zulässig ist, darf er im Falle des Wegfalls der Bewilligungsvoraussetzungen seine Leistungen nicht schlicht "einstellen", sondern muss sich zwingend des Instrumentariums der §§ 44 ff SGB X bedienen.

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 12. September 2001 und sein Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2002 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Jugendhilfeleistungen.

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Der Kläger, der früher Zeitsoldat bei der Bundeswehr war und deshalb bis zum 30.09.2003 Übergangsgebührnisse gem. § 11 SVG der BesGr A 7 bezog, betreibt seit dem Jahr 2001 als Selbstständiger eine Versicherungsagentur in F.. Er lebte bereits damals von seiner Ehefrau G. getrennt. Bei ihm wohnen seine beiden Kinder, der am H. geborene I. und der am J. geborene K.. Unter dem 10.07.2001 beantragte er bei dem Beklagten die Gewährung von Tagespflege für seine Kinder ab August 2001; als Tagespflegeperson benannte er Frau L. M. aus F..

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Mit Bescheid vom 20.08.2001 gewährte der Beklagte dem Kläger - im Hinblick auf die damals noch unklaren Einkünfte als Selbständiger vorläufig - ab 01.08.2001 für die Aufnahme seiner Kinder in die Tagespflegestelle von Frau M. die Übernahme von Tagespflegekosten für wöchentlich mind. 35 bzw. 40 Stunden. Für August 2001 wurden für beide Kinder 1.129,00 DM und ab September 2001 monatlich insgesamt 929,00 DM bewilligt. Der Beklagte setzte vom Kläger direkt an die Tagespflegeperson zu zahlende Kostenbeiträge fest, die ab September 2001 185,00 DM je Kind betrugen. Die für August 2001 bewilligten Tagespflegekosten wurden vom Beklagten direkt an Frau M. gezahlt. Der Kläger wurde im Bewilligungsbescheid auf die Urlaubsansprüche der Tagespflegeperson hingewiesen, ferner darauf, dass seine Einkommensverhältnisse überprüft würden, sobald aktuelle Nachweise über die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit vorlägen. Des weiteren wurde der Kläger belehrt, dass die Jugendhilfe nur solange gewährt werde, wie er die einkommensmäßigen Voraussetzungen erfülle und seine Kinder die Tagespflegestelle auch tatsächlich besuchten; auch sei Alleinerziehung Voraussetzung für die Gewährung der Jugendhilfeleistung.

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Nachdem der Beklagte einen anonymen Hinweis erhalten hatte, dass Frau M. die Mutter des Klägers, also die Großmutter von I. und K. ist, stellte er mit Bescheid vom 12.09.2001 die Jugendhilfe rückwirkend zum 01.09.2001 ein. Zur Begründung gab er an, die Betreuung, Erziehung und Pflege der Kinder für einen Teil des Tages durch Familienangehörige sei eine interne Familienangelegenheit. Da die Kinder des Klägers von ihrer eigenen Großmutter betreut würden, komme eine Übernahme der Kosten aus Jugendhilfemitteln nicht in Betracht.

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Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch trug der Kläger vor, für seine Mutter bestehe keine Verpflichtung, unentgeltlich die gesamte Tagespflege ihrer Enkel zu übernehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht könnte Tagespflege als Jugendhilfemaßnahme durchaus auch von Großeltern durchgeführt werden.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2002 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Überprüfung der Leistungsfähigkeit von Großeltern würde ihm erhebliche Vollzugsprobleme bereiten, weil das Sozialleistungsrecht keine Auskunfts- oder sonstige Mitwirkungspflichten dieser Personengruppe kenne. Nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts stünden die Jugendhilfeleistungen mangels landesrechtlicher Regelung im Ermessen des Jugendhilfeträgers. Zwar sei es grundsätzlich denkbar, auch einen nahen Verwandten als Tagespflegeperson anzuerkennen. So liege es im vorliegenden Fall indessen nicht, denn Frau M. sei nicht die einzige in Frage kommende geeignete Betreuungsperson für die Kinder. Wären die Familienverhältnisse ihm von Anfang an bekannt gewesen, hätte er keine Jugendhilfeleistungen zugunsten der Kinder des Klägers bewilligt. Nach seiner bisherigen ständigen Verwaltungspraxis komme eine Großmutter als Pflegeperson nämlich nicht in Betracht. Viele Großeltern würden ihre Enkelkinder aufgrund der engen familiären Verbundenheit regelmäßig kostenfrei betreuen. Deshalb sei - würde man Tagespflege durch Großeltern mit Jugendhilfemitteln finanzieren - ein "Mitnahmeeffekt" zu befürchten. Der Jugendhilfeträger sei im Rahmen seiner Ermessensentscheidung auch ermächtigt, die Großeltern eines Kindes grundsätzlich als Tagespflegeperson auszuschließen.

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Der Kläger hat am 19.02.2002 Klage erhoben und führt aus, seine Mutter könne es sich finanziell nicht erlauben und sei auch nicht bereit, unentgeltliche Tagespflege für seine Kinder zu leisten. Problemlos hätte der Beklagte die Leistungsfähigkeit seiner Mutter überprüfen können; solche Ermittlungen seien allerdings gar nicht angestellt worden. Sie betreue seine Kinder nach wie vor bei sich zu Hause. Er habe ihr in unregelmäßigen Abständen Barbeträge zukommen lassen, deren exakte Bezifferung nicht möglich sei, monatlich schätze er die Aufwendungen auf 300,00 €.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 12.09.2001 und seinen Widerspruchsbescheid vom 04.02.2002 aufzuheben,

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hilfsweise den Beklagten unter Aufhebung der genannten Bescheide zu verpflichten, über den 31.08.2001 hinaus dem Kläger Jugendhilfe in Form von Übernahme der Tagespflegekosten für Frau L. M. bis zur Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zu gewähren.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen;

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ferner für den Fall, dass die Kammer einen Dauerverwaltungsakt als gegeben ansieht, die Berufung zuzulassen.

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Er verteidigt die angefochtenen Bescheide und nimmt auf sie Bezug; ergänzend rügt er die Aktivlegitimation des Klägers, dieser sei nicht Inhaber des Anspruchs auf Aufwendung und Kostenersatz, vielmehr steht dieser Anspruch der Tagespflegeperson zu.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist im Hauptantrag begründet.

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Die vom Beklagten verfügte (rückwirkende) "Einstellung" der Jugendhilfeleistungen mit Wirkung vom 01.09.2001 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Deshalb sind der Bescheid des Beklagten vom 12.09.2001 sowie sein Widerspruchsbescheid vom 04.02.2002 aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Mit der Einstellung der Leistungen zum 01.09.2001 hat der Beklagte ersichtlich versucht, die Wirkungen des den Kläger begünstigenden Bescheides vom 20.08.2001 für die Vergangenheit und die Zukunft zu beseitigen. Hierfür fehlt es - unabhängig von der Frage der materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts - an den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen. Der Beklagte hat nämlich die Regelungen der §§ 44 ff. SGB X nicht beachtet. Diese Vorschriften bilden ein geschlossenes System der Rücknahme und des Widerrufs von Verwaltungsakten und der Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.09.1992 - 5 C 71.88 , BVerwGE 91, 133 ff. [BVerwG 29.10.1992 - BVerwG 2 C 24/90]). Sie kennen keine Rechtsgrundlage für eine bloße "Einstellung" einer in einem begünstigenden sozialhilferechtlichen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung gewährten Hilfeleistung mit der Folge, dass zwar bewilligte, aber noch nicht erbrachte Leistungen nicht mehr auszuzahlen sowie die aufgrund dieses Verwaltungsakts bereits gezahlten Leistungen an den Hilfeträger zu erstatten sind. Anderes gilt nur dann, wenn die Bewilligung der Sozialleistung ausschließlich für den nächstliegenden Zahlungszeitraum, also in der Regel den aktuellen oder kommenden Monat erfolgt. Nur in einem solchen Fall stellt sich die "Einstellung der Leistungen" als schlichte Nichterneuerung der Bewilligung dar, für die die §§ 44 ff. SGB X keine Regelung treffen (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 9. Dezember 2002 - 8 K 2358/00 -, Juris 103920300).

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Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang argumentiert, Jugendhilfeleistungen seien generell und im selben Umfang wie Sozialhilfeleistungen keine rentengleichen Dauerleistungen, sondern Hilfen in einer besonderen Notsituation, und könnten deshalb auch nur für die nächstliegende Zeit bewilligt werden (ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 06.12.1993 - 7 S 799/93 -, Juris 118679300), teilt die Kammer diese Rechtsansicht nicht. Vielmehr ist der Jugendhilfeträger (dies gilt sogar für die Sozialhilfe, vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 05.12.1996 - Bs IIII 322/96 -, FEVS 47, 538 ff.) aus Rechtsgründen nicht gehindert, den Fall für einen längeren Zeitraum zu regeln. Dies entspricht der neueren Rechtsprechung des 5. Senates des Bundesverwaltungsgerichts, der in einer Entscheidung vom 28.09.1995 (5 C 21.93, FEVS 46, 360 ff.), die die Gewährung von Eingliederungshilfe zum Gegenstand hatte, ohne weitere Begründung ausgeführt hat:

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"Wird Eingliederungshilfe mit Bescheid nicht zeitabschnittsweise, sondern für eine gewisse Zeit in Zukunft und damit auf eine gewisse Dauer gewährt, sind Änderungen der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse in dieser Zeit nach § 48 SGB X zu beurteilen". Es gibt keinen Anlass, diesen Rechtsgrundsatz nicht auch im Jugendhilferecht anzuwenden, zumal die hier streitbefangene Bewilligung keineswegs zwingend nur zeitabschnittsweise zu erfolgen hat. Denn im Gegensatz zur Sozialhilfe ist Jugendhilfe keine nachrangige Hilfe, die lediglich in einer gegenwärtigen Notlage im notwendigen Umfang gewährt wird.

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Die Kammer hat auch keinen Anhaltspunkt für die Richtigkeit der Annahme des Beklagten finden können, dass es quasi zwangsläufig (und so auch hier) in der Absicht des Jugendhilfeträgers liege, den Fall immer nur für den nächstliegenden Zeitabschnitt zu regeln. Das gilt um so mehr, als sich bei der Förderung von Kindern mittels Tagespflege in der Regel absehen lässt, dass sich der Sachverhalt nicht kurzfristig ändern wird. Der Beklagte hatte mit Bescheid vom 20.08.2001 die Bewilligung der Tagespflege eben nicht nur für die Monate August und September, sondern auf unbestimmte Zeit ausgesprochen, also einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung erlassen. Ein Dauerverwaltungsakt liegt immer dann vor, wenn sich der Verwaltungsakt nicht in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage (z.B. der Leistungsbewilligung nur für den aktuellen Monat) erschöpft, sondern ein auf Dauer bezeichnetes oder in seinem Bestand vom Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründet wird (vgl. Freischmidt in Hauck/Haines, SGB X 1, 2, Rn. 9 zu § 48). Nach von der Kammer geteilter Auffassung des Bundessozialgerichts ist es für die Annahme eines Dauerverwaltungsaktes erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Verwaltungsakt in rechtlicher Hinsicht über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe beziehungsweise Bindungswirkung hin Auswirkungen zeigt (vergleiche BSGE 56, 165, 170 [BSG 16.02.1984 - 1 RA 15/83]). Die Frage, ob eine Dauerwirkung vorliegt, bestimmt sich in erster Linie nach dem objektiven Erklärungsgehalt des Verwaltungsaktes aus der Sicht des Adressaten, wobei Unklarheiten zu Lasten der Verwaltung gehen. Für die Auslegung eines Verwaltungsaktes als einer behördlichen Willensäußerung ist entsprechend der Auslegungsregel des § 133 BGB deshalb nicht der innere, sondern allein der erklärte Wille der Behörde maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung hat verstehen können (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 23.08.1995 - Bs IIII 20/95 -, Juris 101539600). Den Bescheid vom 20.08.2001 konnte der Kläger aber nur so verstehen, dass ihm - bei unveränderten Lebensverhältnissen - bis auf weiteres (auch wenn diese Worte im Bescheid nicht verwendet worden sind) ein Zuschuss zu den Tagespflegekosten gewährt wird. Zum einen wird dies dadurch deutlich, dass (auf Seite 1 des Bescheides) die Auflistung der Leistungen u.a. "ab September" erfolgt, also auf einen längeren (unbestimmten) Zeitraum. Dies wiederholt sich einige Zeilen später, als auch der Kostenbeitrag vom Kläger ab September zu zahlen ist. Zum anderen führt der Bescheid auf Seite 2 (oben) die Urlaubsansprüche der Tagespflegeperson auf, wenn die Pflegekinder mindestens 1 Jahr von der Tagespflegeperson betreut werden. Diese Information ergibt für den Empfänger nur dann Sinn, wenn er davon ausgehen darf, dass die Leistungen auch mindestens 1 Jahr gewährt werden. Die Einschränkungen, die der Bescheid vornimmt (im Tenor auch mit "vorläufig" gekennzeichnet), beziehen sich lediglich auf den Fortbestand der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers, da bei der Bewilligung noch Nachweise des Klägers über seine Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit als Versicherungsmakler ausstanden, weshalb die Überprüfung seiner Einkommensverhältnisse noch nicht endgültig abgeschlossen war. Einen Einfluss auf die Leistungsdauer hat diese Einschränkung nicht. Hinzu kommt: Wenn der Kläger belehrt wird, dass die Jugendhilfe nur so lange gewährt werde, wie er die einkommensmäßigen Voraussetzungen erfülle und seine Kinder die Tagespflegestelle auch tatsächlich besuchten, muss er im Umkehrschluss davon ausgehen dürfen, dass die Jugendhilfe auf unbestimmte Zeit weiter gewährt wird, wenn sich nichts ändert. Aus dem Bescheid können demgegenüber keinerlei tragfähigen Anhaltspunkte für die Annahme des Beklagten entnommen werden, es habe nur eine Entscheidung über die Leistungsgewährung für den aktuellen (oder auch noch den Folge-) Monat getroffen werden sollen. Will eine Behörde ihre Entscheidung über ein Jugendhilfebegehren auf einen kurzen Zeitraum beschränken, muss sie das in Tenor und Gründen des Bescheides ausreichend kenntlich machen, was im vorliegenden Fall versäumt wurde. Entscheidend bleibt daher allein, wie der konkrete Leistungsbescheid aus der Sicht des Adressaten zu verstehen ist.

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Hätte der Beklagte somit nach §§ 44 ff. SGB X vorgehen müssen, um sich von seiner Leistungspflicht zu befreien, scheitert eine Umdeutung des angefochtenen Bescheides vom 12.09.2001 gemäß § 43 SGB X in einen Aufhebungsbescheid nach § 48 SGB X oder in einen Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X daran, dass auch die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Bestimmungen nicht vorgelegen haben.

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Ein Dauerverwaltungsakt kann (mit Wirkung für die Zukunft) gemäß § 48 Abs. 1 SGB X nur aufgehoben werden, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Diese Voraussetzungen sind - dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit - ersichtlich nicht gegeben. Dass Frau M. die Großmutter der zu pflegenden Kinder ist, war bereits beim Erlass des Bescheides vom 20.08.2001 der Fall. Der Irrtum des Beklagten über dieses Tatsache ist bedeutungslos.

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Die Umdeutung der Leistungseinstellung in einen Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X kommt ebenso nicht in Betracht. Sie scheitert nicht nur daran, dass dem Kläger gemäß Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift Vertrauensschutz zuzubilligen ist, denn er wurde zu keinem Zeitpunkt über die Rechtsauffassung des Beklagten, dass Verwandte nicht als Tagespflegepersonen in Betracht kommen, informiert. Ihm war deshalb nicht abzuverlangen, bei Antragstellung anzugeben, dass Frau M. die Großmutter der zu pflegenden Kinder ist. Hinzu kommt, dass der Beklagte keinerlei Rücknahmeermessen ausgeübt hat.

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Weiterhin fehlt es bereits an der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 20.08.2001. Rechtsgrundlage für die Gewährung eines Zuschusses zu Tagespflegekosten ist im vorliegenden Fall § 23 SGB VIII. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift kann vom Jugendhilfeträger zur Förderung der Entwicklung eines Kindes, insbesondere in den ersten Lebensjahren, eine Person vermittelt werden, die das Kind für einen Teil des Tages oder ganztags entweder im eigenen oder im Haushalt des Personensorgeberechtigten betreut (Tagespflegeperson). Wird eine geeignete Tagespflegeperson vermittelt und ist die Förderung des Kindes in Tagespflege für sein Wohl geeignet und erforderlich, so sollen dieser Person die entstehenden Aufwendungen einschließlich der Kosten der Erziehung ersetzt werden. Nach Abs. 3 Satz 2 der Bestimmung sollen die entstehenden Aufwendungen auch dann ersetzt werden, wenn das Jugendamt die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Tagespflege für das Wohl des Kindes und die Eignung einer von den Personensorgeberechtigten nachgewiesenen Pflegepersonen feststellt. Mit einer solchen Feststellung erklärt das Jugendamt, dass es die Förderung des Kindes in Tagespflege durch die von Personensorgeberechtigten nachgewiesenen Tagespflegepersonen in Erfüllung seiner jugendhilferechtlichen Aufgabe übernimmt. Nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (zuletzt Urteil vom 09.10.1997 - 4 L 5579/96 -, siehe Internet-Datenbank des Nds. OVG) besteht in Niedersachsen allerdings kein Rechtsanspruch auf Übernahme der Kosten für die Förderung von Kindern in Tagespflege. Denn näheres über den Inhalt dieser Leistungen ist (nach wie vor) nicht entsprechend der Ermächtigungsnorm in § 26 Satz 1 SGB VIII durch Landesrecht geregelt. Die Übernahme von Tagespflegekosten steht somit im "Kann-Ermessen" des Beklagten als zuständigen Träger der Jugendhilfe.

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Dieses Ermessen berechtigt ihn allerdings nicht, die Großmutter der Kinder des Klägers generell als Tagespflegeperson auszuschließen. Dies ist schon nicht von den eigenen Verwaltungsrichtlinien gedeckt. Das Jugendamt des Beklagten hat insoweit am 13.03.1995 "Grundsätze für die Förderung von Kindern in Tagespflege nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz im D." erlassen, die nach eigenem Bekunden nach wie vor und ständig angewandt werden. Diese Richtlinien regeln an keiner Stelle, dass Großeltern als Pflegepersonen generell nicht in Betracht kommen. Soweit Abs. 3 der Ziffer 4.3.2.2 regelt: "Die Vermittlung eines Kindes in Tagespflege bei Unterhaltspflichtigen wird in der Regel nicht in Betracht kommen. Vermittlung setzt vom Begriffsinhalt voraus, dass ein Kontakt Zwischen Personen hergestellt wird, zwischen denen bisher keine Beziehung bestand.", sind damit Großeltern nicht direkt angesprochen. Nur dann, wenn sie ihren Enkeln gegenüber unterhaltspflichtig sind, scheiden sie als Tagespflegepersonen aus. Diese Ausschlussvoraussetzung ist hinsichtlich Frau M. im vorliegenden Fall nicht gegeben. Hinzu kommt, dass dieser Anspruchsausschluss nur für vom Jugendamt vermittelte Tagespflegestellen gilt. Im vorliegenden Fall hat aber der Kläger die Tagespflegeperson i.S.v. § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII selbst nachgewiesen. Solche Fälle regeln die Richtlinien nur unvollständig unter Ziffer 4.2, denn hinsichtlich der Frage des Kostenersatzes ist nichts ausgeführt. Die Kammer geht insoweit zugunsten des Beklagten von einer Regelungslücke aus, andernfalls ein offensichtlicher Verstoß gegen § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII vorläge.

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Aber auch dann, wenn man für eine Fallkonstellation wie der vorliegenden die Richtlinien nicht für anwendbar hielte und auf eine Ermessensausübung im Einzelfall abstellen würde, dürfte Frau M. nicht grundsätzlich als Tagespflegeperson ausgeschlossen werden. Im Widerspruchsbescheid hat sich der Beklagte an einem Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 30.06.1999 (13 VG 355/99, ZFJ 2000, 36 ff.) orientiert, das den Rechtsstandpunkt einnimmt, der Jugendhilfeträger dürfe im Rahmen seiner Ermessensentscheidungen über die Bewilligung von Tagespflege die Großeltern eines Kindes als Tagespflegepersonen ausschließen. Wenn die Tagespflege für die Kinder geeignet und erforderlich und auch die Tagespflegeperson geeignet sei, dann setze das freie Ermessen des Jugendhilfeträgers ein. Dabei sei es nicht ermessenfehlerhaft, wenn öffentlich finanzierte Tagespflege durch verwandte Personen nicht bezuschusst werde. Ein sachlicher Grund für eine solche Entscheidung sei die Gefahr, dass mit dem Ersatz von Aufwendungen Missbrauch getrieben werde und es zu Mitnahmeeffekten komme. Aus dem Gesetzgebungsverfahren sei ersichtlich, dass der Gesetzgeber insoweit gerade finanziellen Anreize für familiäre Hilfeleistungen habe geben wollen. Die Finanzierbarkeit der Förderangebote dieses Abschnittes des SGB VIII sei als ein großes Problem angesehen worden, so dass alle Ansätze, insoweit Rechtsansprüche zu schaffen, (bis auf den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz) gescheitert seien. Der Jugendhilfeträger dürfe bei seiner Ermessensentscheidung also darauf Bedacht nehmen, dass die Förderungsangebote nach Möglichkeit kostengünstig blieben. Eine Berücksichtigung von Großeltern als Tagespflegepersonen könnte indessen eine Art Lawine dahingehend auslösen, dass die zahlreichen Betreuungsverhältnisse, die derzeit insoweit bestehen und die von den Betroffenen selbst organisiert sein, in jugendhilferechtliche Förderungsmaßnahmen umgewandelt würden. Darüber hinaus sei auch der Aspekt, dass umfangreiche Unterhaltsprüfungen vorgenommen werden müssten, sofern Großeltern als Pflegepersonen in Betracht kämen, zu bedenken. Einen solchen erheblichen Verwaltungsaufwand abzulehnen, sei vom Zweck der Ermessensermächtigung noch gedeckt.

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Die Kammer vermag dieser Argumentation nicht zu folgen. Sie ist nämlich in ihrem Kern nur auf fiskalischen Hypothesen aufgebaut, die die vom Gesetzgeber in § 23 SGB VIII normierten Interessen der Kinder, die Tagespflege benötigen, und ihrer Eltern ausblenden. Zudem ist die Überlegung, dass der generelle Ausschluss von Großeltern als Tagespflegepersonen das Auftreten einer Kostenlawine verhindere, rechtstatsächlich nicht nachgewiesen. Dies gilt um so mehr, als es die Eltern in der Hand haben, durch Wahl einer familienfremden Tagespflegeperson doch Kosten zu verursachen. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber in § 23 SGB VIII keine Ausschlussklausel aufgestellt und auch das BVerwG in zwei Entscheidungen aus dem Jahr 1996 (Urteile vom 12.09.1996 - 5 C 31.95 und 5 C 37.95, FamRZ 1997, 814 ff) Tagespflege durch Großeltern als gesetzeskonform angesehen hat. Ebenso hat das Nds. OVG im Urteil vom 09.10.1997 (s.o.) ausführt, dass das Jugendamt in einem dem vorliegenden vergleichbaren Fall zwar Ermessen auszuüben habe, aber Gründe für eine Entscheidung zu Lasten der dortigen Klägerin kaum denkbar erscheinen würden. Schließlich geht selbst das VG Hamburg in einer neueren Entscheidung vom 19.11.2002 - 13 VG 2523/2002 -, NDV-RD 2003, 111f.) davon aus, dass Großeltern als Tagespflegepersonen zu akzeptieren seien, wenn verschiedene Voraussetzungen (die im hier zu entscheidenden Fall keine Rolle spielen) vorliegen.

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Da die Klage im Hauptantrag Erfolg hat, ist über den Hilfsantrag nicht zu entscheiden.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Der Ausspruch ihrer vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.

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Gründe, nach § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 VwGO die Berufung gegen dieses Urteil zuzulassen, liegen nicht vor. Soweit die Kammer den Bescheid des Beklagten vom 20.08.2001 als Dauerverwaltungsakt ansieht, hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, da diese Rechtsfrage einzelfallbezogen unter Auslegung des streitbefangenen Bescheides entschieden worden ist und die Kammer nicht die Auffassung vertritt, Jugendhilfeleistungen seien stets mittels Dauerverwaltungsakt zu bewilligen.

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Deshalb liegt auch keine Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vor.