Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 14.01.2004, Az.: 2 A 2298/02

Kollaboration; Libanon; objektiver Nachfluchtgrund; politische Verfolgung; Südlibanesische Armee

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
14.01.2004
Aktenzeichen
2 A 2298/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50551
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ehemaligen Feldwebeln der SLA droht bei Rückkehr in den Libanon politische Verfolgung.

Tenor:

Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 4. November 2002 verpflichtet festzustellen, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 51 des Ausländergesetzes vorliegen.

Der Bescheid vom 04.11.2002 wird auch insoweit aufgehoben, als die Abschiebung des Klägers in den Libanon angedroht wird.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Der Kläger und die Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens je zu Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Jeder Beteiligte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der jeweils andere Beteiligte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Der 1970 geborene Kläger begehrt seine Anerkennung als Asylberechtigter. Er ist libanesischer Staatsangehöriger, reiste im März 2000 mit seiner Familie in das Bundesgebiet ein und stellte am 24. März 2000 einen Asylantrag.

2

Bei seiner Anhörung am 29. März 2000 vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gab der Kläger im Wesentlichen an: Er habe seit 1989 im Dienst der von Israel besoldeten Südlibanesischen Armee gestanden und sei seit 1997 Leutnant gewesen; nach einer Verletzung infolge einer Bombenexplosion im Februar 1997 habe er nur noch Bürotätigkeiten für die SLA verrichtet, vorher sei er Panzerfahrer und danach Panzerkommandant gewesen; später habe er sich eine Grenzübertrittsbescheinigung nach Israel besorgt; im Jahr 1999 sei er aus der Armee ausgemustert worden und habe anschließend als Grenzgänger in Israel gearbeitet; er werde von der Hisbollah gesucht; er habe erfahren, das er zu sieben Jahren Haft verurteilt worden sei, sein Name sei auch in einer Zeitung und im Fernsehen veröffentlicht worden (in der Zeitung habe vor 25 Tagen gestanden, er sei nach Deutschland abgehauen); er sei dann mit seiner Familie mit dem Flugzeug von Tel Aviv zu einem unbekannten Ankunftsflughafen in Deutschland geflogen. Der Kläger legte eine Grenzübertrittsbescheinigung und die Kopie eines Militärausweises der südlibanesischen Armee vor.

3

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 30. März 2000 ab, verweigerte ihm auch Abschiebungsschutz im Sinne von § 51 AuslG und die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG und drohte seine Abschiebung über Israel in den Südlibanon an. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei unglaubhaft, dass der Kläger einen höheren militärischen Dienstgrad bei der SLA bekleidet habe; die von ihm vorgelegte Ausweiskopie sei dilettantisch; es würden sich weitere Ungereimtheiten ergeben, aus denen zu folgern sei, das er nicht im aktiven Dienst der SLA gestanden habe.

4

Die von dem Kläger dagegen erhobene Klage wurde durch Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 14. Februar 2001 (1 A 76/00) als unbegründet abgewiesen. Das Urteils ist rechtskräftig.

5

Am 22. Januar 2002 hat der Kläger einen Asylfolgeantrag gestellt. Er hat neue Beweismittel über seine Mitgliedschaft bei der SLA vorgelegt, und zwar einen Arbeitsausweis vom 22. September 1999 (der nach seinen Angaben nur ehemaligen SLA-Kämpfern ausgestellt wird), ein Schreiben der SLA vom 23. Juni 1999, unterzeichnet von General Lahad, betreffend seine Demobilisierung, sowie eine Originalbestätigung der Vereinten Nationen - UNIFIL - vom 1. Dezember 1999. Er gab an, diese Unterlagen in der 42. Kalenderwoche des Jahres 2001 erhalten zu haben; ein Landsmann habe sie ihm aus dem Libanon mitgebracht. Unter dem 27. Februar 2002 fragte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bei dem Auswärtigen Amt an, ob die von dem Kläger vorgelegten Dokumente echt seien. Das Auswärtige Amt teilte unter dem 10. Juni 2002 mit, der Arbeitsausweis vom 22. September 1999 sei echt, die vorgelegte Bescheinigung der UNIFIL sei eine Fälschung, über die Echtheit der bereits im 1. Asylverfahren vorgelegten Ausweiskopie und der Ausmusterungsbescheinigung könne eine Aussage nicht getroffen werden.

6

Am 22. August 2002 hörte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Kläger „zu den Wiederaufnahmegründen gem. § 71 AsylVfG“ an. Dabei erklärte der Kläger im Wesentlichen: Der Schlepper, der seine Ausreise und die seiner Familie von Israel nach Deutschland organisiert habe, habe seinen Personalausweis behalten; er wisse nicht, ob sein Reisepass ein Visum für die Bundesrepublik oder ein anderes Land enthalten habe, der Schlepper habe das organisiert; es gebe gegen ihn ein Urteil von seiten der libanesischen Regierung, und er werde von der Hisbollah gesucht; sein Name sei auch im Fernsehen und in der Zeitung erschienen; die nachgereichten Unterlagen hätten sich bei seinen Geschwistern im Libanon befunden, die sie ihm nunmehr zugeschickt hätten; den im 1. Asylverfahren von ihm erwähnten roten Ausweis habe er von einem israelischen Checkpoint bekommen; er habe ihn benutzt, um über die Grenze nach Israel zu gehen und dort zu arbeiten; die Bescheinigung der UNIFIL habe ihm jemand gegeben, der zur NATO gehört habe; während seiner aktiven Soldatenzeit bei der SLA sei er für einen Panzer T 55 zuständig gewesen; er habe dem Kommandeur des Einsatzgebietes dort geholfen; später (nach seiner Verwundung) habe er Büroarbeiten verrichtet und Soldaten eingesetzt, nach seiner Demobilisierung habe er unter anderem zwei Monate lang in einer Apfelplantage in Israel gearbeitet; die SLA kämpfe jetzt nicht mehr im Südlibanon; die meisten seiner früheren Kameraden seien in Deutschland und hätten dort Asyl erhalten.

7

Mit Bescheid vom 4. November 2002 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 des AuslG nicht vorliegen, forderte den Kläger auf, die G. innerhalb eines Monats zu verlassen, und drohte seine Abschiebung in den Libanon an. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Es könne nunmehr davon ausgegangen werden, dass der Kläger tatsächlich Mitglied der SLA gewesen sei; seine Angaben zu seiner angeblichen Tätigkeit als Panzerkommandant seien jedoch sehr vage und allgemein gehalten, sodass nicht von einer herausgehobenen militärischen Position ausgegangen werden könne; er habe die SLA schon verlassen, bevor die Israelis (im Mai 2000) aus dem Südlibanon abgerückt seien, sodass ein Verfolgungsinteresse des libanesischen Staates nicht anzunehmen sei; nach dem Rückzug der Israelis sei es zwar zu zahlreichen, nicht den rechtstaatlichen Grundsätzen genügenden Prozessen vom Militärgerichten wegen Kollaboration mit Israel gekommen, da der Kläger jedoch keine herausragende militärische Position gehabt habe, werde das Strafmaß einer evtl. Verurteilung bei einer Rückkehr in den Libanon mit hoher Wahrscheinlichkeit eher milde und gering sein; Anhaltspunkte für die Gewährung von Abschiebungsschutz und des Vorliegens von Abschiebungshindernissen würden nicht bestehen; die Abschiebungsandrohung sei gem. §§ 34 Abs. 1 AsylVfG, 50 AuslG zu verfügen.

8

Der Kläger hat am 15. November 2002 Klage erhoben. Er trägt (vor allen Dingen bei seiner informatorischen Anhörung in den mündlichen Verhandlungen am 17. April 2003 und 14. Januar 2004) vor: Er sei ab 1994 Panzerkommandant eines russischen Panzers T 55 gewesen und 1997 verletzt worden; damals sei er 1. Stellvertreter gewesen und habe drei Streifen am Arm getragen; im Mai oder Juni 1999 sei er - nachdem er fast zwei Jahre lang zuvor noch Schreibtischarbeiten verrichtet habe - aus der SLA entlassen worden, danach habe er eine Arbeitserlaubnis für Israel bekommen; im Dezember 1999 sei sein Foto im Fernsehen gezeigt (nein: sein Name sei im Radio erwähnt worden); bei dem Direktflug von Tel Aviv nach Deutschland hätten seien Familie und er die eigenen Reisepässe verwendet, auf denen ein Schengen-Visium eingedruckt gewesen sei; diese Reisepässe seien im Jahre 1997 von einer Behörde im Bezirk Marjaoun ausgestellt worden (Nein: er habe seinen eigenen Reisepass im Jahre 1997 von dem Schlepper besorgen lassen, der ihn und seine Familie auch bei der Reise schließlich begleitet hätte, während der Reisepass seiner Ehefrau erst im Oktober 1999 von der bereits beschriebenen Behörde im Bezirk Marjaoun ausgestellt worden sei); er habe beide Reisepässe nach seiner Ankunft in Deutschland und einer gemeinsamen Bahnfahrt nach Kassel diesem Schlepper ausgehändigt, der sie eigentlich wieder habe zurückschicken wollen.

9

Der Kläger beantragt,

10

den Bescheid des Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 4. November 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 51 des AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.

11

Die Beklagte beantragt,

12

die Klage abzuweisen.

13

Sie bezieht sich auf die Begründung des angefochtenen Bescheides.

14

Der Beteiligte stellt keinen Antrag und hat sich nicht zur Sache geäußert.

15

Das Gericht hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. April 2003 Beweis erhoben darüber, welche Gefahr dem Kläger von staatlicher libanesischer Seite im Hinblick auf seine frühere Tätigkeit bei der südlibanesischen Armee droht, wenn er in den Libanon zurückkehrt, durch Einholung von Auskünften des Auswärtigen Amtes und des Deutschen Orientinstitutes. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Auskünfte vom 15. Mai 2003 und vom 23. September 2003 Beug genommen, die den Beteiligten bekannt gegeben worden sind.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und auf die Verwaltungsvorgänge des Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die insgesamt zulässige Klage ist unbegründet, soweit der Kläger seine Anerkennung als Asylberechtigter begehrt; im Übrigen hat sie Erfolg.

18

Da das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge auf den Asylfolgeantrag des Klägers ein weiteres Asylverfahren durchgeführt hat, sind die Voraussetzungen von § 71 AsylVfG i. V. m. § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG von dem Gericht nicht zu überprüfen. Es ist vielmehr ohne weiteres eine Entscheidung in der Sache zu treffen.

19

Nach Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes (in der Fassung des Gesetzes vom 16. Juli 1998, BGBl. I S. 1822) - GG - genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Als Träger dieses Grundrechts wird nach Maßgabe des Asylverfahrensgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juli 1993 (BGBl. I S. 1361) - AsylVfG - auf Antrag jeder Ausländer anerkannt, der für seine Person die aus bestimmten Tatsachen begründete Furcht vor Verfolgung, insbesondere wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung hegen muss. Dabei setzt das Asylgrundrecht von seinem Tatbestand her grundsätzlich den kausalen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht voraus. Für die Beurteilung, ob ein Asylsuchender politisch Verfolgter ist, gelten deshalb unterschiedliche Maßstäbe je nachdem, ob er seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist. Ist der Asylsuchende wegen bestehender oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung ausgereist und war ihm auch ein Ausweichen innerhalb seines Heimatstaates unzumutbar, so ist ihm die Rückkehr nur dann zuzumuten, wenn eine Wiederholung der Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist; hierfür ist erforderlich, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen (BVerwG, Urt. v. 8. September 1992 - 9 C 62.91 -, NVwZ 1993, 191 m.w.N.). Hat der Asylsuchende hingegen seinen Heimatstaat unverfolgt verlassen, so kann ihm nur dann Asylrecht gewährt werden, wenn ihm aufgrund beachtlicher Nachfluchttatbestände politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht; dies ist der Fall, wenn bei Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (BVerwG, Urt. v. 15. März 1988 - 9 C 278.86 -, BVerwGE 79, 143, 151). Ein subjektiver (selbst geschaffener) Nachfluchtgrund ist dabei nur dann von Bedeutung, wenn er sich als Ausdruck und Fortführung einer schon im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellt und sich der Ausländer beim Verlassen seines Heimatstaates in einer latenten Gefährdungslage befunden hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 17. Januar 1989 - 9 C 56.88 -, DVBl. 1989, 722).

20

Im Asylverfahren ist der Asylsuchende aufgrund der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht gehalten, die in seine Sphäre fallenden Umstände substantiiert und in sich stimmig zu schildern (BVerwG, Beschl. v. 30. Oktober 1990 - 9 C 72.89 -, Buchholz, a.a.O., Nr. 135). Das Gericht muss sich die feste Überzeugung vom Wahrheitsgehalt des Vorbringens verschaffen, wobei allerdings der Lage des Asylbewerbers, der sich in der Regel in einem Beweisnotstand befindet, Rechnung zu tragen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 16. April 1985 - 9 C 109.84 -, BVerwGE 71, 180, 181). Andererseits kann der Umstand, dass der Asylbewerber den Beweis einer Tatsache vereitelt, die Überzeugungsbildung maßgeblich beeinflussen. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Asylsuchenden nur geglaubt werden, wenn diese Unstimmigkeiten überzeugend aufgelöst werden können (BVerfG, Beschl. v. 12. März 1992 - 2 BvR 721/91 -, InfAuslR 1992, 231, 233). Entsprechendes gilt bei der Vorlage unechter Dokumente: Ein solches Verhalten kann nicht nur zur Nichtberücksichtigung der betreffenden Dokumente führen, sondern nach Maßgabe der gebotenen Einzelfallprüfung auch auf die Überzeugungsbildung hinsichtlich des weiteren Asylvorbringens ausstrahlen (BVerfG, Beschl. v. 14. Januar 1992 - 2 BvR 472/91 -, InfAuslR 1992, 222, 226).

21

Der Kläger kann nicht als Asylberechtigt im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG anerkannt werden, weil er nicht glaubhaft gemacht hat, die G. auf dem Luftwege und damit ohne Berührung eines sog. sicheren Drittstaates im Sinne von Art. 16 a Abs. 2 GG erreicht zu haben (vgl. § 26 a AsylVfG). Er hat keinerlei Flugunterlagen vorlegen können und konnte weder die Fluglinie bezeichnen, mit der er und seine Familie geflogen sein wollen, noch den Zielflughafen in Deutschland. Auf die Frage des Gerichts nach den bei der Ausreise aus Israel und der Einreise nach Deutschland benutzten Pässen hat der Kläger sich nicht nur in eklatanter Weise widersprochen, sondern auch zusammenhanglose und wirre Angaben gemacht. Zudem erscheint es des Gericht gänzlich ausgeschlossen, das jemand einem Schlepper (den der Kläger nach eigenen Angaben gar nicht benötigt hätte) die eigenen Reisepässe aushändigt, ohne zu kontrollieren oder auch nur zu wissen, was dieser damit anstellt. Da der Vortrag des Kläger in diesem Punkt völlig unglaubhaft ist, kann das Gericht auch nicht feststellen, das er ohne Berührung sicherer Drittstaaten (von denen die Bundesrepublik umgeben ist) eingereist ist.

22

Nach § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes vom 09.07.1990 (BGBl. I S. 1354, 1356) - AuslG - darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Der Anwendungsbereich der Vorschrift deckt sich mit demjenigen des Art. 16 a Abs. 1 GG, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung betrifft (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.01.1994 - 9 C 48.92 -, DVBl. 1994, S. 531). Dagegen verlangt sie u.a. keinen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht und ist deshalb etwa auch einschlägig, wenn die Anerkennung als asylberechtigt wegen subjektiver Nachfluchtgründe oder wegen der Einreise auf dem Landweg nicht möglich ist.

23

Der Kläger hat sein Heimatland Libanon zur Überzeugung des Gerichts weder im Zustand politischer Verfolgung noch aus Furcht vor ihm unmittelbar drohender Verfolgung verlassen. Zwar stellte seine jahrelange Tätigkeit für die mit Israel verbündete und von Israel bezahlte Südlibanesische Armee (die durch von ihm vorgelegte Urkunden mittlerweile nachgewiesen ist) aus der Sicht seines Heimatstaates Libanon durchaus ein strafwürdiges Verhalten dar. Das ergibt sich im Einzelnen aus dem vom Gericht eingeholten Auskünften sowie aus den Auskünften des Deutschen Orientinstitutes vom 5. September 2000 an das VG Stade und vom 27. Juni 2001 an das VG Stuttgart sowie aus den Lageberichten des Auswärtigen Amtes vom 27. Juni 2001 und vom 6. Juni 2002. Jedoch drohte dem Kläger konkret damals nichts, weil der libanesische Staat keine reale Chance hatte, seiner habhaft zu werden. Das Gebiet, in dem er mit seiner Familie wohnte, wurde von der Südlibanesischen Armee kontrolliert; hier konnte der libanesische Staat keinerlei Staatsgewalt ausüben. Darüber hinaus sind die Angaben des Klägers über seine angebliche Namensnennung in einer Zeitung und im Fernsehen bzw. im Radio ebenso wie eine angebliche Bestrafung in Abwesenheit völlig vage, zum Teil auch widersprüchlich und deshalb für das Gericht vollständig unglaubhaft.

24

Der Kläger kann sich jedoch mit Erfolg auf (objektive) Nachfluchtgründe berufen. Wie bereits ausgeführt, steht für das Gericht fest, das er über mehrere Jahre hinweg aktiver Soldat der Südlibanesischen Armee war (was angesichts der hervorragenden Bezahlung von zuletzt knapp 600 Dollar monatlich für Bewohner des südlibanesischen Grenzgebietes zu Israel auch nichts besonderes war). Das Gericht glaubt ihm auch seine detaillierten und kenntnisreichen Ausführungen zu seiner Tätigkeit als Panzerfahrer, später Panzerkommandant und in den letzten Monaten seiner Dienstzeit im Innendienst. Aus den vom Gericht eingeholten Stellungnahmen - insbesondere aus der des deutschen Orientinstitutes - ergibt sich darüber hinaus, dass der Kläger - wenn er in den Libanon zurückkehrt, was nunmehr ja von ihm verlangt wird - eine Bestrafung wegen Kollaboration mit dem Feind entgegensieht. Die Geschehnisse nach dem Abzug der Israelis aus der „Sicherheitszone“ am 24. Mai 2000 (die von dem Deutschen Orientinstitut im Einzelnen geschildert worden sind) machen deutlich, dass der libanesische Staat ein Interesse daran hat, jeden Kämpfer für die SLA strafrechtlich zu verfolgen, wobei dieses Interesse umso größer ist, je höher der Dienstgrad des Betreffenden in der SLA war. Der Kläger bekleidete bis zu seiner Demobilisierung im Juni 1999 wohl einen Feldwebeldienstrang (nicht ausgeschlossen erscheint dem Gericht auch, dass er bereits zum Offizier ernannt war, wie er bei seiner ersten Anhörung vor dem Bundesamt selbst angegeben hat). Er war also kein Kleiner, unbedeutender Mitläufer. Die ihm mithin drohende Bestrafung mit Gefängnis bis zu einem Jahr - deren Verhängung dem Gericht nicht deswegen weniger wahrscheinlich erscheint, weil der Kläger in den letzten Monaten seiner Dienstzeit nicht mehr aktiver Soldat war und weil er bereits vor der Auflösung der SLA nach Deutschland gekommen war stellt eine ihm mit beachtlichen Wahrscheinlichkeit drohende politische Verfolgung dar. Die Schnellverfahren, die in den Jahren 2000 und 2001 durchgeführt sind, haben rechtsstaatlichen Bedingungen widersprochen (wie das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid selbst ausführt); zudem waren und sind die Haftbedingungen sehr schlecht (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 22. Juni 2001). Dass dem Kläger drohende Strafverfahren, welches durch die Militärgerichtsbarkeit durchgeführt würde, würde eindeutig politischen Charakter tragen und nicht nur rein strafrechtliche Ordnungsfunktion; die Bestrafung würde den Politmalus in sich tragen (ebenso VG Trier, Urteil vom 24. April 2002 - 5 K 1765/01 - und VG Stuttgart, Urteil vom 27. November 2001 - A 13 K 12353/00 -). Dem Kläger steht mithin Abschiebungsschutz im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG zu.

25

Gem. § 31 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG sieht das Gericht davon ab, über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG zu befinden.

26

Die in dem angefochtenen Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung ist in dem geschehenen Umfang aufzuheben; aus § 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG folgt, dass der Kläger nicht in den Libanon abgeschoben werden darf.

27

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

28

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO: