Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 17.07.2003, Az.: 14 U 190/02
Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall ; Rechtzeitiges Abbremsen eines Fahrzeugs; Verschulden am Zustandekommen eines Unfalls bei Nichtbeachtung von Verkehrsregeln
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 17.07.2003
- Aktenzeichen
- 14 U 190/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 33988
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2003:0717.14U190.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 26.06.2002 - AZ: 2 O 135/00
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs. 2a StVO
- § 823 BGB
- § 828 Abs. 2 BGB
- § 847 BGB
- § 253 BGB
- § 254 BGB
- § 7 Abs. 1 StVG
- § 7 Abs. 2 StVG
- § 9 StVG
- § 3 Nr. 1 PflVG
Fundstellen
- DAR 2004, 390-391 (Volltext mit amtl. LS)
- KGReport Berlin 2003, 82
- NZV 2004, 360-362 (Volltext mit amtl. LS)
- OLGR Düsseldorf 2003, 82
- OLGR Frankfurt 2003, 82
- OLGR Hamm 2003, 82
- OLGR Köln 2003, 82
- OLGReport Gerichtsort 2003, 381-384
- OLGReport Gerichtsort 2003, 82
- VRS 2004, 323-326 (Volltext mit amtl. LS)
- VRS 106, 323 - 326
In dem Rechtsstreit
...
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 24. Juni 2003
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ...,
des Richters am Oberlandesgericht ... und
des Richters am Landgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 26. Juni 2002 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stade - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden, die ihm aus dem Unfall vom 8. Juni 1999 entstehen, zu 75% zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 92%, die Beklagten als Gesamtschuldner zu 8%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien wird gestattet, die Vollstreckung durch die jeweils andere Partei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Wert der Beschwer: für den Kläger 42.181,58 EUR (82.500 DM),
für die Beklagten 3.834,69 EUR (7.500 DM).
Gründe
I.
Der am 10. Februar 1992 geborene Kläger nimmt die Beklagten auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes (welches nach Auffassung des Klägers bei Berücksichtigung eines eigenen Mitverschuldens von 1/4 nicht unter 75.000 DM liegen sollte) sowie auf Feststellung ihrer Verpflichtung zum Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 8. Juni 1999, 19:25 Uhr auf der Kreisstraße 105 von I. in Richtung B. in der Gemarkung H.-L. in Anspruch.
Der Beklage zu 1 befuhr mit seinem Pkw Opel Omega ..., welches bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversichert ist, die Kreisstraße 105 in Richtung B. In dem Abschnitt, in dem sich der Unfall ereignete, führt die Straße über eine längere Strecke schnurgeradeaus. Der Streckenabschnitt befindet sich außerhalb geschlossener Ortschaft, durchquert allerdings ein Siedlungsgebiet. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit war seinerzeit für diesen Bereich auf 80 km/h festgesetzt.
Aus Fahrtrichtung des Beklagten zu 1 gesehen von rechts mündet die Straße "Zur W.", in welcher der Kläger wohnt, in die Kreisstraße ein. Der Verkehr auf der Kreisstraße genießt Vorfahrt (Regelung durch Verkehrszeichen 205, 306 der StVO). Im Bereich der Straße "Zur W." - wo genau ist zwischen den Parteien streitig - spielten der Kläger sowie zwei oder drei weitere Kinder. Der Kläger geriet - offenbar in sein Spiel vertieft - mit einem Spielzeug-Lkw auf die Fahrbahn der Kreisstraße, wobei er sich entweder mit den Händen auf dem Lkw aufstützte und (in gebückter Haltung) hinter diesem herlief oder sich mit einem Knie auf der Ladefläche des Spielzeug-Lkws abstütze und mit dem anderen Fuß Schwung gab. Auf der Fahrbahn der Kreisstraße kollidierte der Kläger mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 1, und zwar im vorderen rechten Seitenbereich des Pkw. Der Kläger kam im rechten Grünstreifen zum Liegen. Dabei wurde der Kläger sehr schwer verletzt. Er erlitt mehrere Brüche, zudem auch erhebliche Kopfverletzungen, die zu dauernden Schäden geführt haben. Der Pkw, der den Spielzeug-Lkw unter sich mitschleifte, kam nach einer Ausweichbewegung auf dem linken Fahrstreifen ca. 31 m hinter der Unfallstelle zum Stehen.
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte zu 1 den Kläger (sowie weitere spielende Kinder) noch so rechtzeitig hätte sehen können und müssen, dass er durch Abbremsen seines Fahrzeugs den Zusammenstoß hätte vermeiden können, und der Beklagte zu 1 daher den Unfall verschuldet habe.
Das Landgericht hat - nachdem es durch Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie Vernehmung der Zeugen S. P., B. P. und M. K. Beweis erhoben hat - mit Urteil vom 26. Juni 2002 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht insbesondere ausgeführt: Der Unfall beruhe nicht auf einem Verschulden des Beklagten zu 1. Aufgrund des Sachverständigengutachtens stehe fest, dass der Beklagte zu 1 nur noch 22,5 m von dem Kläger entfernt gewesen sei, als der Kläger am Rand der Kreisstraße aufgetaucht sei. Innerhalb dieser Fahrtstrecke habe der Beklagte zu 1 (der die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h auch nicht überschritten habe) nicht mehr rechtzeitig anhalten können. Die Beklagten würden auch nicht aus Gefährdungshaftung haften. Der Unfall sei für den Beklagten zu 1 unabwendbar gewesen. Es sei nicht feststellbar, dass sich bei Annäherung an die Unfallstelle Kinder in dem für den Beklagten zu 1 einsehbaren Bereich der Straße "Zur W." befunden hätten. Der Beklagte zu 1 habe nicht davon ausgehen müssen, dass ein Kind auf die Straße gerate.
Mit seiner fristgemäß eingelegten und begründeten Berufung begehrt der Kläger die Verurteilung der Beklagten entsprechend seiner in erster Instanz gestellten Anträge. Das Landgericht habe § 3 Abs. 2 a StVO bei seiner rechtlichen Würdigung nicht beachtet. Jedenfalls in einer Entfernung von 75 m vor der Einmündung hätte der Beklagte zu 1 den Kläger und weitere Kinder fangen bzw. "kriegen" spielen sehen müssen und sein Fahrverhalten entsprechend anpassen müssen, weil damit zu rechnen gewesen sei, dass ein Kind bei dieser Spielsituation auf die Fahrbahn der Kreisstraße gerate.
II.
Die zulässige Berufung ist nur in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang begründet.
1.
Zu Recht hat das Landgericht Ansprüche auf Schmerzensgeld und Ersatz zukünftiger immaterieller Schäden (§§ 823, 847, 253 BGB in der bis zum 31. Juli 2002 geltenden Fassung) zurückgewiesen. Denn es kann nicht festgestellt werden, dass den Beklagten zu 1 ein Verschulden am Zustandekommen des Unfalls trifft. Der Kläger kann nicht beweisen, dass der Beklagte zu 1 - bei nach den Verkehrsregeln gebotener Fahrweise - den Unfall hätte vermeiden können.
Dem Beklagten zu 1 kann nicht nachgewiesen werden, dass er zu einem Zeitpunkt, als er den Unfall noch zeitlich und räumlich hätte vermeiden können, bereits hätte erkennen können und müssen, dass der Kläger - im Spiel vertieft - auf die Fahrbahn der Kreisstraße zufuhr, und er deshalb sein Fahrverhalten so hätte anpassen müssen, dass es zum Zusammenstoß mit dem Kläger nicht gekommen wäre. Vielmehr hat der Sachverständige überzeugend ausgeführt: Der Beklagte zu 1 hätte bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h (einschließlich üblicher Reaktionszeit von 1 Sekunde) in einer Entfernung von 53 m von der Unfallstelle - die mittig der Einmündung, 2 m vom Fahrbahnrand entfernt festgelegt werden könne - eine Vollbremsung einleiten müssen, um noch vor dem Kollisionsort anhalten zu können. Dies entspreche einem Zeitraum von 2,3 Sekunden. Wenn sich nun der Kläger mit einer Geschwindigkeit von 3 m pro Sekunde fortbewegt habe, sei dieser zu dem Zeitpunkt, als der Beklagte einen Unfall noch hätte vermeiden können, von der dickstämmigen Birke verdeckt gewesen und mithin für den Beklagten zu 1 nicht erkennbar gewesen. Eine Geschwindigkeit des Klägers von 3 m pro Sekunde (entspricht knapp 11 km/h) sei durchaus realistisch. Sie übersteige zwar die Geschwindigkeit, die durch den Sachverständigen in Versuchen mit einem 6-jährigen Mädchen festgestellt worden sei. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass der Kläger älter und nach aller Lebenswahrscheinlichkeit in der Art der Fortbewegung auf einem Spielzeug-Lkw auch geübter sei als die Versuchsperson, weshalb die genannte Geschwindigkeit (die im Übrigen tatsächlich dem Tempo eines Joggers entspricht, wie von den Zeugen P. eingeschätzt) nicht ausgeschlossen werden könne, sondern ebenfalls als wahrscheinlich zu bezeichnen sei.
Als sich der Beklagte zu 1 noch weiter von der Unfallstelle entfernt befand, mag es einen Zeitraum gegeben haben, in dem der Kläger für den Beklagten zu 1 von der Birke nicht verdeckt war, sich aber bereits auf dem einsehbaren Bereich der Brücke befand. Dieser Bereich - so führt der Sachverständige weiter nachvollziehbar aus - habe sich aber nicht mehr im Blickfeld des Klägers auf der Geradeausfahrt befunden. Eine Reaktion des Beklagten zu 1 hätte folglich erst nach einem starken Blickwechsel nach rechts erfolgen können. Aufgrund der dann verlängerten Reaktionszeit wäre es dem Beklagten zu 1 aber auch dann nicht mehr möglich gewesen, einen Zusammenstoß mit dem Kläger zu vermeiden.
Der Senat schließt sich den Ausführungen des Sachverständigen nach kritischer Prüfung an. Der Sachverständige hat sein Ergebnis anhand der aufgenommenen Unfallspuren und Beschädigungen am Pkw des Beklagten zu 1 nachvollziehbar rekonstruiert. Insbesondere ist auch die - insoweit zugunsten der Beklagten - angesetzte Geschwindigkeit des Klägers mit 3 m pro Sekunde realistisch.
Aufgrund dieser Gegebenheiten kann dem Beklagten zu 1 insbesondere auch nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe gegen die Sorgfaltsregel des § 3 Abs. 2 a StVO verstoßen. Denn es kann nicht sicher festgestellt werden, dass sich für den Beklagten zu 1 erkennbar überhaupt Personen aus dem besonders geschützten Kreis des § 3 Abs. 2 a StVO im Gefahrenbereich aufgehalten haben, als der Beklagte zu 1 sich dem Einmündungsbereich näherte und noch Maßnahmen zur Vermeidung des Unfalls hätte vornehmen können. Entgegen der Ansicht des Klägers lässt sich auch gerade nicht feststellen, dass im einsehbaren Bereich der Straße "Zur W." der Kläger und weitere Kinder fangen und "kriegen" gespielt haben. Konkrete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellung im Urteil des Landgerichts bestehen insoweit nicht. Die Zeugen P. haben - wie bereits im Ermittlungsverfahren - ausgesagt, dass die Kinder mit Spielzeugautos aus der Straße "Zur W." in Richtung Kreisstraße gefahren seien, der Kläger voran. Die anderen Jungen seien - als der Kläger an den Fahrbahnrand der Kreisstraße kam - noch nicht im Einmündungsbereich, sondern (von der Kreisstraße aus gesehen) hinter der Brücke gewesen. Die Aussage des Zeugen M. K. kann Gegenteiliges nicht belegen. Der Zeuge ist auf den Kläger und die anderen Kinder ganz offensichtlich erst aufmerksam geworden, als es bereits zum Unfall gekommen war. Das gab der Zeuge M. K. so ausdrücklich auch an. Seine Angabe, die anderen Jungen seien schon auf der Brücke gewesen und dort stehen geblieben, ist daher mit Unsicherheiten behaftet und kann den Beweis dafür, dass der Kläger und die anderen Kinder schon zuvor auf der Brücke für den Beklagten zu 1 erkennbar gewesen seien, nicht erbringen.
Selbst wenn der für den Beklagten zu 1 einsehbare Bereich der Straße "Zur W." noch etwas über den Brückenbereich hinaus gegangen sein sollte (was sich aus den vorliegenden Fotos allerdings nicht ergibt), wäre dieser Bereich bereits so weit außerhalb des Blickwinkels des Beklagten zu 1 bei Geradeausfahrt gewesen, dass er spielende Kinder dort (nämlich bereits fast 10 m vom Fahrbahnrand entfernt) zum einen schon gar nicht wahrnehmen musste. Zum andern ist bei einer solchen Entfernung vom Fahrbahnrand der Vertrauensgrundsatz dahingehend, dass die Kinder sich verkehrsgerecht verhalten würden, nicht aufgehoben. Denn in einer solchen Entfernung kann bei einem bloßen Fangen-Spielen nicht damit gerechnet werden, dass ein Kind auf die Fahrbahn laufen wird.
2.
Allerdings haften die Beklagten dem Kläger wegen der ihm entstehenden materiellen Schäden aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 3 Nr. 1 PflVG.
2.1.
Die Feststellung des Landgerichts, der Unfall sei für den Beklagten zu 1 auch unabwendbar (im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG in der bis zum 31. Juli 2002 geltenden Fassung) gewesen, kann aufgrund der festgestellten Tatsachen nicht nachvollzogen und gehalten werden. Der Sachverständige hat nämlich ausgeführt, dass der Kläger bei einer geringeren Geschwindigkeit als 3 m pro Sekunde (welche ebenfalls denkbar sei) sich in seiner Annäherung auf die Kreisstraße im Blickfeld des Beklagten zu 1 befunden habe, als dieser noch so weit von der späteren Unfallstelle entfernt war, dass er den Zusammenstoß hätte vermeiden können. Ob - wie vom Landgericht in diesem Zusammenhang diskutiert - Kinder spielend auf der Brücke zu sehen gewesen seien, ist insoweit ohne Bedeutung. Wenn - was eben nicht ausgeschlossen werden kann - der Beklagte zu 1 den Kläger in einer Entfernung von weniger als 3 m vom Fahrbahnrand direkt auf die Kreisstraße zufahren hat sehen können, hätte für den Beklagten zu 1 offensichtlich sein müssen, dass der Kläger auf die Fahrbahn der Kreisstraße gelangen konnte. Dementsprechend hätte er abbremsen und ausweichen müssen, um den Zusammenstoß zu verhindern, was ihm nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen (eine Geschwindigkeit des Klägers von 2 bis 2,5 m/s vorausgesetzt) möglich gewesen wäre. Denn auch wenn der Grünstreifen - worüber die Parteien auch streiten - zum Zeitpunkt des Unfalls nicht gemäht gewesen sein sollte, sondern sich in etwa so wie auf dem Foto Anlage A 12 zum Sachverständigengutachten dargestellt hat, hätte der Beklagte zu 1 den Kläger sehen müssen. Der Kläger hatte nämlich - wie durch die Ausführungen des Sachverständigen belegt - in etwa die 1 1/2-fache Höhe des auf dem Foto ersichtlichen Verkehrshütchens und ragte daher über den Grünstreifen sichtbar hinaus.
2.2.
Allerdings trägt der Kläger ein Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls (§§ 828 Abs. 2, 254 BGB, § 9 StVG in der bis zum 31. Juli 2002 geltenden Fassung), wie er selber bereits in der Klageschrift auch zugesteht. Der Kläger ist ohne vorher anzuhalten sowie ohne zuvor nach links und rechts zu sehen unter Verletzung des Vorfahrtsrechts des Beklagten zu 1 auf die Kreisstraße gefahren.
Entgegen der im Urteil des OLG Schleswig vom 18. Dezember 2002 (MDR 2003, 264) vertretenen Ansicht kann nach Auffassung des Senats nicht generell davon ausgegangen werden, dass die Einsichtsfähigkeit eines 7-jährigen Kindes bei einem fahrlässig verursachten Unfall mit einem Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu verneinen ist. § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB in der bis zum 31. Juli 2002 (und daher hier anzuwendenden) Fassung geht von der - widerlegbaren - Vermutung aus, dass ein 7-jähriges Kind für einen von ihm verursachten Schaden grundsätzlich verantwortlich ist. Die vom OLG Schleswig im Hinblick auf die Gesetzesänderung zum 1. August 2002 vorgenommene Umkehr dieses Regel-Ausnahmeprinzips hält der Senat nicht für vertretbar. § 828 Abs. 2 BGB n.F., wonach ein Kind in der hier vorliegenden Fallgestaltung für den Schaden nicht verantwortlich ist, gilt nach der Entscheidung des Gesetzgebers erst für Fälle ab dem 1. August 2002. Dass auch auf Unfälle vor dem 1.August 2002 die neue gesetzliche Regelung angewendet werden soll, hat der Gesetzgeber nicht bestimmt. Dafür ergibt sich nach Auffassung des Senats auch sonst kein Grund. Soweit das OLG Schleswig auf die der Gesetzesänderung zugrundeliegenden entwicklungspsychologischen Studien verweist, ist dem entgegenzuhalten, dass es - worauf die Beklagten zu Recht hinweisen - in der Tat völlig üblich ist, dass Kinder ab Vollendung des 7. Lebensjahres sich zunehmend selbstständig im Straßenverkehr bewegen und bewegen müssen, ohne dass man dies als nachlässiges Verhalten der Erziehungsberechtigten werten könnte. In der Tat hat - worauf die Beklagten weiter hinweisen - auch der BGH es in einer seiner jüngeren Entscheidungen vom 23. April 2002 (NJW 2002, 2324 [BGH 23.04.2002 - VI ZR 180/01] = VersR 2002, 911) unbeanstandet gelassen, dass das Berufungsgericht gegenüber der Haftung des Kraftfahrers aus Betriebsgefahr ein Mitverschulden eines unter 10-jährigen Kindes berücksichtigt hat.
Es ist nicht ersichtlich, dass der seinerzeit 7-jährige Kläger nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hatte. Einem 7-jährigen Kind ist in aller Regel bekannt, dass er nicht einfach unaufmerksam auf eine von Autos befahrene Straße laufen darf (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Auflage, § 9 StVG, Rn. 12; Palandt/Thomas, BGB, 61. Aufl., Rn. 6; jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen). Die Kreisstraße, auf die der Kläger geriet, befindet sich in unmittelbarer Nähe seines Wohnhauses und war dem Kläger als Gefahrenquelle bekannt. Seine Eltern hatten ihn auch, wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärten, angewiesen, nur in der Nähe des Grundstücks zu spielen und sich nicht in die Nähe der Kreisstraße zu begeben. Dies - so die Eltern des Klägers weiter - habe der Kläger verstanden und sich bis zum Unfalltag auch daran gehalten.
Allerdings tritt hinter dem Verschulden des Klägers die allein zu berücksichtigende Betriebsgefahr des Pkws des Beklagten zu 1 nicht zurück (vgl. BGH VersR 2000, 1556, 1557) [BGH 10.10.2000 - VI ZR 268/99]. Das Mitverschulden des Klägers hält der Senat - wie auch schon vom Kläger in der Klageschrift angesetzt - mit 25% für angemessen und ausreichend berücksichtigt. Der Kläger war zum Zeitpunkt des Unfalls gerade erst 7 Jahre und 4 Monate alt. Aus den von ihm vorgelegten Unterlagen der Rehabilitationsklinik ergibt sich, dass der Kläger schon vor dem Unfall jedenfalls in seiner Lernentwicklung Rückstände aufwies und daher noch nicht zum Schuljahr 1998/99 eingeschult worden war, vielmehr erst eine Einschulung in eine Schule für Lernhilfe zum Schuljahr 1999/2000 vorgesehen war. Das nach seinen individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten zu bewertende Verschulden des Klägers kann nach alledem wegen der Schwere des Verkehrsverstoßes zwar nicht völlig unberücksichtigt bleiben, ist aber - gerade in der Spielsituation, in der sich der Kläger befand - noch erklärbar und daher gegenüber der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs deutlich geringer zu bewerten.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, wobei - wie schon das Landgericht - von einem Wert für den Schmerzensgeldantrag in Höhe von 75.000 DM, des Antrages auf Feststellung hinsichtlich der materiellen Schäden in Höhe von 10.000 DM und des Feststellungsantrags wegen der immateriellen Schäden in Höhe von 5.000 DM ausgegangen worden ist. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Trotz Abweichen von der Entscheidung des OLG Schleswig vom 18. Dezember 2002 ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich. Denn die streitige Rechtsfrage betrifft nur einen kurzen Übergangszeitraum, sodass eine Vielzahl betroffener streitiger Fälle, die eine endgültige Klärung für die Zukunft durch das Revisionsgericht erforderlich machen würden, nicht zu erwarten ist.