Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 14.07.2003, Az.: 6 W 72/03

Unentgeltliche Übertragung eines Grundstücks; Absetzen des kapitalisierten Wertes des Nießbrauchs vom Grundstückswert; Sinn und Zweck der Ergänzung des Pflichtteils; Gewährung von Prozesskostenhilfe

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
14.07.2003
Aktenzeichen
6 W 72/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 24152
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2003:0714.6W72.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 13.05.2003 - AZ: 12 O 246/02

Fundstelle

  • ZErb 2003, 383-384 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Behält sich der Schenker bei unentgeltlicher Übertragung eines Grundstücks den Nießbrauch daran vor, ist der kapitalisierte Wert des Nießbrauchs vom Grundstückswert abzusetzen, unabhängig davon, auf welchen Stichtag abzustellen ist. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Ergänzung des Pflichtteils, der darin besteht, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass der Nachlass dadurch verkürzt wird, dass die Vereinbarung einer Gegenleistung unterbleibt (Schenkung).

  2. 2.

    Bei Gesamtnießbrauchsberechtigten ist der Kapitalwert des Nießbrauchs nach der statistischen Lebenserwartung des statistisch Längerlebenden nach Anlage 9 zu § 14 BewG abzusetzen.

In der Prozesskostenhilfesache pp.
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 19. Juni 2003
gegen die teilweise Zurückweisung ihres Prozesskostenhilfegesuchs
mit Beschluss des Landgerichts Hannover vom 13. Mai 2003
durch
den Richter am Oberlandesgericht ... als Einzelrichter
am 14. Juli 2003 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert. Der Antragstellerin wird zur Durchsetzung ihres Pflichtteilsergänzungsanspruchs nach ihrem am 9. August 2001 verstorbenen Vater ... Prozesskostenhilfe bewilligt in Höhe von 19.748,65 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 6. April 2002. Ihr wird Rechtsanwalt ... aus ... beigeordnet.

Die Ratenzahlungsanordnung im angefochtenen Beschluss gilt auch für die mit diesem Beschluss bewilligte Prozesskostenhilfe.

Gründe

1

Die Beschwerde ist begründet. Die beabsichtigte Verfolgung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs bietet jedenfalls in der zuletzt mit der Beschwerdeschrift verfolgten Höhe Aussicht auf Erfolg, denn die von der Antragstellerin vorgetragenen Tatsachen rechtfertigen den behaupteten Anspruch (§ 2325 BGB). Er ergibt sich auf Grund folgender Berechnung:

2

Wert der Schenkung:

3

Wert des Hausgrundstücks am 22. 09.2.000.486.000,00 DM

4

1/2 ideelles ME 243.000,00 DM

5

abzüglich des Nießbrauchs am Grundstück

6

Jahreswert (24.383,00 DM) x 6,261 = 152.661,96 DM

7

davon 1/2 Bruchteil 76.330,98 DM

8

Schenkwert 166.669,02 DM

9

Kaufkraftschwund (2000 : 2001 = 106,9 : 109,4; 170.566,80 DM

10

vgl. Palandt/Brudermüller, 62. Aufl., § 1376 RN 29)

11

Pflichtteilsquote 1/4 42.641,70 DM

12

= 21.802,35 EUR

13

Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat die Antragstellerin zu den Voraussetzungen des § 2325 Abs. 2 S. 2 BGB mit Substanz vorgetragen. Zwar hat sie unter Vorlage des von der Antragsgegnerin eingeholten Verkehrswertgutachtens lediglich den Grundstückswert zum Zeitpunkt der Beurkundung des Vertrages über die unentgeltliche Übertragung des Grundstücks (22. September 2000) mit 486.000,00 DM behauptet, nicht aber den Wert zum Zeitpunkt des Schenkungsvollzuges und zum Zeitpunkt des Erbfalls. Es sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es innerhalb des knapp einjährigen Zeitraumes zwischen Vertragsschluss und Erbfall überhaupt zu Wertveränderungen gekommen ist.

14

Anspruchsmindernd und in der Sache richtig hat die Antragstellerin den Wert des vorbehaltenen Nießbrauchs vom Grundstückswert abgesetzt. Denn nach der Rechtsprechung des Senats haben der Erblasser und die Antragsgegnerin, die zusammen über den gemeinschaftlichen Gegenstand verfügt haben (BGH NJW 1994, 1470), sich den Nießbrauch an diesem gemeinschaftlichen Gegenstand vorbehalten. Diese Belastung mindert den Wert des Geschenks. Der abweichenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgt der Senat nicht (vgl. nur Senatsurteil vom 17. Januar 2002, OLG Report 2002, 110). Denn diese höchst umstrittene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs berücksichtigt nicht ausreichend, dass nur der Betrag dem Nachlass hinzugerechnet werden soll, der wertmäßig dem Nachlass zum Nachteil des Pflichtteilsberechtigten dadurch entzogen wird, dass die Vereinbarung einer Gegenleistung unterbleibt (Schenkung), mag dieser Anspruch auch durch einen niedrigeren Wert der weggegebenen Sache im Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt sein, um den Pflichtteilsberechtigten nicht besser zu stellen, als wenn der Erblasser sein Vermögen bis zu seinem Tode behalten hätte. Würde ein solches Grundstück verkauft, so wäre ein marktgerechter Kaufpreis, also die in den Nachlass fallende Gegenleistung, auch davon abhängig, ob die Übertragung mit oder ohne Nießbrauchsvorbehalt erfolgt. Darum muss der vorbehaltene Nießbrauch in jedem Falle abgesetzt werden. Dem allerdings trägt die Antragstellerin Rechnung.

15

Ob in derartigen Fällen schon deshalb auf den Übertragungszeitpunkt abzustellen ist, weil der Schenkwert zu diesem Zeitpunkt in der Regel niedrigerer ist, als zum Zeitpunkt des Erbfalls, denn der abzusetzende Kapitalwert des Nießbrauchs schwindet mit Zeitablauf, kann dahinstehen.

16

Bei Gesamtnießbrauchsberechtigten ist der Kapitalwert des Nießbrauchs nach der statistischen Lebenserwartung des statistisch Längerlebenden - das ist die Antragsgegnerin und nicht der Erblasser - nach Anlage 9 zu § 14 BewG (Fassung ab 01.01.1995) abzusetzen. Danach ergibt sich für eine 78 Jahre alte Frau ein Kapitalisierungsfaktor von 6,261. Den Jahreswert des Nießbrauchs hat die Antragstellerin in Anlehnung an den im Verkehrswertgutachten angesetzten Jahresreinertrag mit 24.383,00 DM behauptet. Er liegt damit noch unter dem Wert, den die Beteiligten in der notariellen Urkunde selbst mit 29.300,00 DM angegeben haben.

17

Die Tatsachenbehauptungen der Antragstellerin rechtfertigen darum den in der Beschwerdeinstanz gestellten Prozesskostenhilfeantrag in vollem Umfang.