Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 24.09.2013, Az.: 4 A 1163/10
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 24.09.2013
- Aktenzeichen
- 4 A 1163/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 64389
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 42 Abs 4 AbfG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die untere Abfallbehörde ist auch sachlich unzuständig, wenn die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers nicht durch einen Eigenbetrieb, sondern durch einen gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 NAbfG an die Stelle des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers tretenden und von ihm zum Zweck der Abfallentsorgung gegründeten Zweckverband wahrgenommen werden.
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 15.10.2009 und der Widerspruchsbescheid vom 22.01.2010 werden aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen eine abfallrechtliche Untersagungsverfügung der Beklagten.
Die Klägerin ist ein konzernangehöriges, zertifiziertes Unternehmen aus der Entsorgungsbranche. Unter anderem betätigt sie sich im Bereich der Altpapiersammlung und -verwertung. Mit Schreiben vom ….2008 zeigte sie gegenüber der Beklagten an, dass sie ab dem …2008 in dem Gebiet der Beklagten eine gewerbliche Einsammlung von Abfällen aus Papier, Pappe und Kartonagen (PPK) aus privaten Haushaltungen durchführen werde. Die Abfuhr soll durch eine „blaue Tonne“ (240-l-Behälter) durchgeführt werden, die die Klägerin in einem zweiwöchigen Rhythmus abholt.
Die Beklagte ist gemäß § 41 Abs. 2 Niedersächsisches Abfallgesetz (NAbfG) i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 2 Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG) untere Abfallbehörde. Sie ist zugleich öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger gemäß § 17 Abs. 1 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) i.V.m. § 160 Abs. 6 Satz 1 NKomVG. Auf der Grundlage von § 6 Abs. 1 Satz 2 NAbfG und § 4 Abs. 1 ihrer Verbandsordnung tritt der Beigeladene, ein Zweckverband, an die Stelle der Beklagten als öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger. Gemäß § 4 Abs. 7 der Verbandsordnung des Beigeladenen wird zwischen A- Aufgaben, B-Aufgaben und C-Aufgaben unterschieden. B-Aufgaben sind Aufgaben, die nur die Abfallentsorgung betreffen und in die ausschließliche Zuständigkeit der Beklagten fallen. Die Verbandsversammlung besteht gemäß § 7 Abs. 1 Verbandsordnung aus der Hauptverwaltungsbeamtin bzw. dem Hauptverwaltungsbeamten der Beklagten und der Landeshauptstadt Hannover, wobei auf Vorschlag der Hauptverwaltungsbeamtin bzw. des Hauptverwaltungsbeamten die Regionsversammlung oder der Rat der Landeshauptstadt jeweils eine andere Bedienstete oder einen anderen Bediensteten entsenden können. Für die Beklagte nimmt der Umweltdezernent diese Aufgabe wahr. Bei der Abstimmung über B-Aufgaben ist nur die Vertreterin / der Vertreter der Beklagten stimmberechtigt. Die Vertreter sind an Weisungen des jeweils entsendenden Verbandsmitgliedes gebunden (§ 7 Abs. 3 Verbandsordnung). Die Aufgaben der Verbandsversammlung ergeben sich aus § 8 Verbandsordnung. Danach ist die Verbandsversammlung unter anderem zuständig für Angelegenheiten, über die nach den Vorschriften des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes die Vertretung oder der Hauptausschuss beschließt und solche, die nicht gemäß § 11 der Verbandsgeschäftsführerin obliegen (§ 8 Nr. 6 Verbandsordnung).
Die Entsorgung von Altpapier regelt § 15 der Satzung des Beigeladenen über die Abfallwirtschaft in der N. (Abfallsatzung). Der Beigeladene sammelt Altpapier im Wesentlichen in einem Holsystem im gesamten Regionsgebiet. Dabei sammelt er jährlich ca. 100.000 Mg Altpapier ein.
Mit Verfügung vom 29.04.2008 hatte die Beklagte der Klägerin nach § 21 i.V.m. § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG a.F. die Sammlung von PPK-Abfällen aus privaten Haushalten im Gebiet der N. untersagt und die sofortige Vollziehung angeordnet. Diese Verfügung hatte die Beklagte aufgehoben, nachdem die Klägerin mit einem Eilantrag Erfolg gehabt hatte (VG Hannover, Beschluss vom 20.05.2008, 4 B 2395/08; OVG Lüneburg, Beschluss vom 01.07.2008, 7 ME 90/08).
Im Hinblick auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. vom 18.06.2009, 7 C 16.08) untersagte die Beklagte der Klägerin mit Verfügung vom ….2009 erneut die Sammlung von PPK-Abfällen aus privaten Haushaltungen im Gebiet der N. (in Behältern, Bündeln oder Säcken) und drohte für den Fall der Nichtbefolgung der Anordnung für jeden festgestellten Verstoß ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000 € an. Der Sammlung stehe ein öffentliches Interesse gegenüber, da die von der Klägerin durchgeführte Sammlung zu einer Destabilisierung der öffentlich-rechtlichen Sammlung mit negativen Folgen für die Planungssicherheit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers und Nachteilen für die Gebührenzahler führe. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein, den die Beklagte mit Bescheid vom ….2010 - zugestellt am ….2010 - zurückwies.
Am ….2010 hat die Klägerin Klage erhoben.
Nach Inkrafttreten des KrWG hat die Klägerin mit Schriftsatz vom ….2012 die Sammlung gemäß § 18 KrWG bei der Beklagten angezeigt. Die gewerbliche Sammlung erstrecke sich auf das gesamte Regionsgebiet. Die Sammlung erfolge in der Regel über MGB-Behälter, die im Turnus von zwei Wochen bei den Bürgern abgefahren würden. Zum Zeitpunkt der Anzeige seien ca. 16.000 MGB aufgestellt. Es sei angedacht, die Sammlung für mindestens zehn weitere Jahre durchzuführen. Seit Aufnahme der Sammlung seien jährlich durchschnittlich 3.000 Mg, höchstens jedoch 3.250 Mg Altpapier eingesammelt worden.
Zur Begründung macht sie geltend:
Da es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handele, sei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblich. Die Verfügung sei daher materiell nach Änderung der Bestimmungen des Abfallrechts an den §§ 17 und 18 KrWG zu messen.
Die Verfügung sei bereits in formeller Hinsicht rechtswidrig. Die Beklagte sei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des OVG Lüneburg (Urt. vom 21.03.2013, 7 LB 56/11, juris) gemäß § 42 Abs. 4 NAbfG sachlich nicht zuständig, weil sie als untere Abfallbehörde bei der Entscheidung in eigener Sache beteiligt sei. Die Beklagte sei zwar - anders als in dem vom OVG Lüneburg entschiedenen Fall - nicht zugleich untere Abfallbehörde und öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger, weil die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers auf den Beigeladenen übertragen worden seien. Damit sei die Beklagte auch nicht Beteiligte im Sinne von § 13 Abs. 2 VwVfG. Der Begriff des Beteiligten müsse aber weiter ausgelegt werden als der Begriff in § 13 Abs. 2 VwVfG, da § 42 Abs. 4 NAbfG als Ausprägungsnorm des Neutralitätsgebotes zu verstehen sei. Gesetzeszweck sei die Vermeidung von Interessenkollisionen. Die Besorgnis einer Interessenkollision sei aber im vorliegenden Fall gegeben, weil die Beklagte ein eindeutiges Interesse am Ausgang des Verfahrens habe. Gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 der Verbandssatzung des Beigeladenen könne die Beklagte zu jährlich festzusetzenden Umlagen herangezogen werden. Auch in der Außenwahrnehmung sei die Beklagte als Mitglied des Beigeladenen stets betroffen. Der Vertreter der Beklagten in der Verbandsversammlung sei an die Weisungen der Beklagten gebunden.
Auch in materieller Hinsicht sei die Verfügung rechtswidrig. Als Ermächtigungsgrundlage komme § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG in Verbindung mit § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 3 KrWG in Betracht. Die Voraussetzungen des § 17 KrWG für eine Untersagung lägen aber nicht vor. Jedenfalls sei die Verfügung wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtswidrig, weil die Beklagte statt einer Untersagungsverfügung die Sammlung gemäß § 18 Abs. 5 Satz 1 KrWG von Auflagen hätte abhängig machen können. Dies ergebe sich aus § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG („anders nicht zu gewährleisten“). Schließlich habe die Beklagte verkannt, dass die Klägerin gemäß § 18 Abs. 7 KrWG ein schutzwürdiges Vertrauen auf die weitere Durchführung der von ihr zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits durchgeführten Sammlung habe.
§ 17 Abs. 3 KrWG verstoße gegen europäisches Recht. Denkbar sei allenfalls eine europarechtskonforme Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen. Auch in diesem Fall könne die Untersagungsverfügung auf § 17 Abs. 3 KrWG nicht gestützt werden, weil die Beklagte dann eine erhebliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers hätte darlegen müssen. Eine solche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit habe sie nicht dargelegt und angesichts des Verhältnisses der von der Klägerin und der Beigeladenen gesammelten Altpapiermengen auch nicht darlegen können.
Die Klägerin beantragt,
die Verfügung vom ….2009 und den Widerspruchsbescheid vom ….2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Verfügung:
Die Beklagte sei nicht gemäß § 42 Abs. 4 NAbfG unzuständig. Die Auffassung des Nds. OVG sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, weil die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers nicht von einem Eigenbetrieb, sondern einem rechtlich selbständigen Zweckverband wahrgenommen würden. Bereits die Fälle der Rechtsträgeridentität von unterer Abfallbehörde und öffentlich-rechtlichem Entsorgungsträger brächten für die Praxis kaum zu bewältigende Probleme mit sich. Eine Ausdehnung der Norm auf die Fälle, in denen eine rechtliche Trennung bestehe, würde § 42 Abs. 4 NAbfG seiner Konturen berauben.
Da die Beklagte nicht entsorgungspflichtige Körperschaft sei, seien ihre Interessen nicht berührt und sie werde auch nicht in eigener Sache tätig. Soweit das Nds. OVG unter Hinweis auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG meine, eine abstrakt mögliche Besorgnis einer Befangenheit genüge auch für § 42 Abs. 4 NAbfG, sei dies rechtlich höchst zweifelhaft, da es sich dabei um eine Norm der personellen Befangenheit handele.
Aus den von der Klägerin herangezogenen Satzungsbestimmungen ergebe sich nichts anderes. Die Umlagepflicht habe mit dem anhängigen Rechtsstreit nichts zu tun, weil Mindereinnahmen des Beigeladenen aus dem Gebührenhaushalt ausgeglichen werden müssten. Die im Rahmen des Zweckverbandsrechts üblichen Weisungsbefugnisse belegten nur, dass Entscheidungen des Beigeladenen von der Willensbildung der Beklagten abhängen könnten.
Auch unter Geltung der Bestimmungen des KrWG sei die Verfügung nicht zu beanstanden. Die Bestimmungen insbesondere des § 17 Abs. 3 KrWG seien mit europäischem Recht vereinbar. Die Sammlung sei zu untersagen, weil die Einhaltung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KRWG genannten Voraussetzungen anders nicht zu gewährleisten sei. Versagungsgründe lägen vor, weil eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers anzunehmen sei. Diese sei anzunehmen, weil die Erfüllung der nach § 20 KrWG bestehenden Entsorgungspflichten zu wirtschaftlich ausgewogenen Bedingungen verhindert werde (§ 17 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 KrWG) und die Planungssicherheit und Organisationsentwicklung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers wesentlich beeinträchtigt werde (§ 17 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 KrWG). Eine solche wesentliche Beeinträchtigung sei anzunehmen, weil die Voraussetzungen aller drei Nummern des § 17 Abs. 3 Satz 3 KrWG gegeben seien.
Die Einhaltung der Voraussetzungen sei auch im Sinne von § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG „anders nicht zu gewährleisten“, weil jedenfalls einer Beeinträchtigung gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KrWG mit Auflagen nicht hätte begegnet werden können.
Auf § 18 Abs. 7 KrWG könne sich die Klägerin nicht berufen, weil die Sammlung der Klägerin von vornherein rechtswidrig gewesen sei und deren Durchführung von der Beklagten mit einer - wenn auch nicht für sofort vollziehbar erklärten - Verfügung untersagt worden sei.
Der Beigeladene hält die Verfügung für rechtmäßig, stellt aber keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Verfügungen sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Die Verfügungen sind bereits in formeller Hinsicht rechtswidrig, weil die Beklagte gemäß § 42 Abs. 4 NAbfG „in eigener Sache beteiligt“ ist, so dass für den Erlass einer Untersagungsverfügung nicht sie, sondern die oberste Abfallbehörde zuständig gewesen wäre.
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in nunmehr zwei Entscheidungen (Urt. vom 21.03.2013, 7 LB 56/11, juris und Beschluss vom 15.08.2013, 7 ME 62/13, juris) die Auffassung vertreten, dass die untere Abfallbehörde nach § 42 Abs. 4 NAbfG für die Untersagung einer Sammlung durch Private sachlich unzuständig ist, wenn ihre in Form eines Eigenbetriebs tätige Abfallwirtschaft ein eigenes Sammelsystem für die betreffenden Abfälle vorhält. Die Kammer folgt dieser Rechtsprechung und ist der Auffassung, dass die untere Abfallbehörde auf der Grundlage dieser Rechtsprechung gemäß § 42 Abs. 4 NAbfG auch dann sachlich unzuständig ist, wenn die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers nicht durch einen Eigenbetrieb, sondern durch einen gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 NAbfG an die Stelle der Beklagten als öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger tretenden und von ihr zum Zweck der Abfallentsorgung gegründeten Zweckverband (in diesem Fall der Beigeladene) wahrgenommen werden. Anders als bei einem Eigenbetrieb handelt es sich zwar bei einem Zweckverband um eine eigene juristische Person. Das allein rechtfertigt es aber nicht, die Fallkonstellation anders zu beurteilen. Die Gesichtspunkte, die nach Auffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts die Annahme rechtfertigen, die untere Abfallbehörde sei in eigener Sache beteiligt, gelten im vorliegenden Fall - unabhängig von der Rechtsform - in gleicher Weise.
Das OVG Lüneburg führt aus, § 42 Abs. 4 NAbfG knüpfe seine Anwendbarkeit nicht an einen bestimmten Aufgabenkreis des Verwaltungsträgers, sondern an das Bestehen möglicher Interessenkollisionen. Für das Auslegungsergebnis von entscheidender Bedeutung seien Sinn und Zweck der Vorschrift. Mit der Formulierung „in eigener Sache beteiligt“ bezwecke § 42 Abs. 4 NAbfG augenscheinlich die Vermeidung von Interessenkollisionen und damit die Intention, die dem allgemeinen rechtsstaatlichen Gebot eines fairen und objektiven Verwaltungsverfahrens entspreche. Es sei daher nicht angezeigt, § 42 Abs. 4 NAbfG unter Betonung seines Ausnahmecharakters eng auszulegen (OVG Lüneburg, Urt. vom 21.03.2013, a.a.O.).
In der vorliegenden Fallkonstellation besteht eine Interessenkollision in gleicher Weise wie in den Fällen, in der die Abfallwirtschaft als Eigenbetrieb geführt wird. Die Untersagung gewerblicher Sammlungen dient dem Zweck, den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger vor Gefährdungen seiner Funktionsfähigkeit zu schützen (§ 17 Abs. 3 Satz 1 KrWG). Die Verbindung zwischen der Beklagten und dem Beigeladenen ist aber so eng, dass damit trotz rechtlicher Selbständigkeit des Beigeladenen zugleich eigene Interessen der Beklagten betroffen sind. Verbandsmitglied des Beigeladenen ist zwar neben der Beklagten auch die O.. Allerdings ist bei den sogenannten B-Aufgaben (Aufgaben, die nur die Abfallentsorgung betreffen und in die ausschließliche Zuständigkeit der Beklagten fallen; § 4 Abs. 7 Verbandsordnung) in der Verbandsversammlung nur der Vertreter der Beklagten stimmberechtigt (§ 7 Abs. 2 Satz 1 Verbandsordnung). Gemäß § 16 Abs. 2 Verbandsordnung ist ein Fehlbedarf, der den B-Aufgaben zuzurechnen ist, auf die Beklagte umzulegen. Die (bei B-Aufgaben) allein aus dem Vertreter der Beklagten bestehende Verbandsversammlung ist das höchste Organ des Beigeladenen. Sie beschließt unter anderem über den Erlass der notwendigen Satzungen, also der Abfallsatzung und der Abfallgebührensatzung, wobei der Vertreter in der Verbandsversammlung an Weisungen des jeweiligen Verbandsmitglieds gebunden ist (§ 7 Abs. 3 Verbandsordnung). Letztlich trifft also die Beklagte wie bei einem Eigenbetrieb die maßgeblichen Entscheidungen und trägt auch das wirtschaftliche Risiko. Dass der Schutz der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers ihre eigenen Interessen betrifft, liegt damit auf der Hand. Dem entspricht auch die Praxis. Die maßgeblichen abfallwirtschaftlichen Entscheidungen treffen die Organe der Beklagten.
Am Rande sei ergänzend angemerkt, dass die enge Verbindung zwischen der Beklagten und dem Beigeladenen offenbar auch von der Beklagten so gesehen wird. In dem Internetauftritt der Beklagten heißt es dazu:
„Die Region P. ist aufgrund der abfallrechtlichen Regelungen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW-/AbfG) und des Niedersächsischen Abfallgesetzes (NAbfG) zuständig für die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers (ÖRE) und der unteren Abfallbehörde. Dies sind das Einsammeln, Befördern, Behandeln, Lagern und Ablagern der Abfälle sowie die Abfallverwertung. Zur Erfüllung ihrer Pflichten als ÖRE bedient sich die Region des Zweckverbandes Abfallwirtschaft Region P. –Q..“
Eine andere Auslegung erscheint nur möglich, wenn nicht auf das Bestehen möglicher Interessenkollisionen, sondern allein auf den rein formalen Aspekt abgestellt wird, dass es sich um unterschiedliche Rechtsträger handelt. Einer solchen Auslegung vermag die Kammer vor dem Hintergrund des vom Oberverwaltungsgericht herausgearbeiteten Gesetzeszwecks des § 42 Abs. 4 NAbfG nicht näher zu treten.
Im Übrigen spricht manches dafür, dass die Verfügungen im vorliegenden Fall auch deswegen in formeller Hinsicht rechtswidrig sind, weil die aus dem Rechtsstaat folgende kompetentielle Neutralitätspflicht nicht beachtet wurde. Diese verlangt zwar nicht zwingend eine Trennung der Zuständigkeiten dergestalt, dass die Aufgabenbereiche unterschiedlichen Rechtsträgern zugeordnet werden müssen, aber eine neutrale Aufgabenwahrnehmung, was bei einer Behörde mit Doppelzuständigkeiten dadurch gesichert werden kann, dass behördenintern für eine organisatorische und personelle Trennung der Aufgabenbereiche gesorgt ist (vgl. BVerwG, Urt. vom 18.03.2009, 9 A 39.07, juris; VGH Mannheim, Beschluss vom 09.09.2013, 10 S 1116/13, juris).
Einer solchen organisatorischen und personellen Trennung bedarf es nach Auffassung der Kammer auch in dem Verhältnis einer Behörde zu dem von ihr gegründeten Zweckverband, wenn Bedienstete der Behörde auch Funktionen beim Zweckverband wahrnehmen. So verhält es sich hier. Bei der Beklagten für das Abfallrecht zuständiger Dezernent ist Prof. R. (Dezernat für Umwelt, Planen und Bauen) und damit verantwortlich für die Entscheidungen der unteren Abfallbehörde. Zugleich ist Prof. R. der gemäß § 7 Abs. 1 Verbandsordnung von der Beklagten statt des Regionspräsidenten in die Verbandsversammlung entsandte Bedienstete und damit - bezogen auf die die Abfallentsorgung betreffenden Fragen - die Verbandsversammlung.
Aus dem von der Beklagten vorgelegten (nicht paginierten) Verwaltungsvorgang ergibt sich, dass die Entscheidung, ob die von der Klägerin angezeigte Sammlung zu untersagen ist, offenbar von Prof. R. getroffen wurde. In einer Mail vom 10.09.2012 teilt ein Sachbearbeiter der Beklagten dem Prozessbevollmächtigten mit, dass die Anzeige der Klägerin bei der Beklagten eingegangen sei und man sich über das weitere Vorgehen nach einem Gespräch bei Prof. R. verständigen sollte. Im Anschluss daran fertigte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten einen an das Gericht gerichteten Schriftsatz, in dem ausgeführt wird, dass und warum die nach neuem Recht angezeigte Sammlung nach wie vor zu untersagen ist. Eine weitere Bearbeitung lässt sich dem Verwaltungsvorgang nicht entnehmen. Damit fehlt es an der notwendigen behördeninternen organisatorischen und personellen Trennung.
Aus dem Verwaltungsvorgang ergibt sich damit zugleich, dass das in § 18 Abs. 4 KrWG geregelte Verfahren nicht durchgeführt wurde. Nach Anzeige einer gewerblichen Sammlung hat die zuständige Behörde den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger aufzufordern, für seinen Zuständigkeitsbereich eine Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Monaten abzugeben. Dies ist unterblieben, ohne dass die Beklagte in der mündlichen Verhandlung hierfür einen Grund nennen konnte. Die Beklagte sah sich anschließend offenbar auch ohne Stellungnahme des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers in der Lage zu beurteilen, inwieweit die Sammlung der Klägerin dessen Funktionsfähigkeit gefährdet. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass es an der erforderlichen organisatorischen und personellen Trennung fehlt.
Da die Untersagungsverfügung bereits in formeller Hinsicht rechtswidrig ist, muss die Kammer nicht entscheiden, ob sie in materieller Hinsicht rechtmäßig ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 und 2 ZPO. Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil der Frage, ob die untere Abfallbehörde auch dann im Sinne von § 42 Abs. 4 NAbfG in eigener Sache beteiligt ist, wenn gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 NAbfG an ihre Stelle als öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger ein von ihr gegründeter Zweckverband tritt, grundsätzliche Bedeutung zukommt.