Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 23.01.2008, Az.: 14 U 98/07

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
23.01.2008
Aktenzeichen
14 U 98/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 42453
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2008:0123.14U98.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 25.04.2007 - AZ: 6 O 176/06

Fundstelle

  • OLGReport Gerichtsort 2008, 313-314

In dem Rechtsstreit

...

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 18. Dezember 2007 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht K., die Richterin am Oberlandesgericht A. und den Richter am Oberlandesgericht Dr. W. für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Berufung des Beklagten zu 2 gegen das Urteil der Einzelrichterin der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 25. April 2007 wird zurückgewiesen.

  2. Auf die Berufung der Klägerin wird das angefochtene Urteil teilweise abgeändert und insgesamt neu gefasst wie folgt:

  3. Der Beklagte zu 2 wird verurteilt, an die Klägerin 15 882,73 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Januar 2007 zu zahlen.

  4. Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 2 verpflichtet ist, der Klägerin 25 % der berechtigten materiellen und immateriellen Zukunftsschäden aus dem Unfallereignis vom 14. April 2003 auf dem Großmarkt in H. betreffend die Verletzungen des Herrn H.O. zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere übergangsberechtigte Dritte übergegangen sind.

  5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  6. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

  7. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden wie folgt verteilt:

  8. Die Gerichtskosten tragen die Klägerin zu 31 % und der Beklagte zu 2 zu 69 %. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1 trägt die Klägerin voll. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2 trägt die Klägerin zu 31 %. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt der Beklagte zu 2 zu 69 %. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

  9. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 54 % und der Beklagte zu 2 zu 46 %.

  10. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

  11. Die Revision wird nicht zugelassen.

  12. Streitwert des Berufungsverfahrens: 15 685,79 €.

Gründe

1

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 15. April 2003 gegen 4.30 Uhr auf dem Gelände des Großmarktes H. Dabei fuhr der Zeuge B. mit einem Gabelstapler, auf dessen Gabel der Zeuge H.O. stand, als - vom Zeugen B. aus gesehen - von rechts aus dem Bereich der "Ladeboxen" der Beklagte zu 2 ebenfalls mit einem Gabelstapler herausfuhr und im Winkel von etwa 90 Grad gegen die Gabel des Gabelstaplers "B." fuhr. Dabei wurde der Fuß des Zeugen O. eingequetscht. Im Marktgelände gilt die Regel "Rechts hat Vorfahrt" (vgl. die Beschilderung gem. Bl. 8 d.A.). Infolge des Unfalls hat die Klägerin Zahlungen in Höhe von 32 439,32 € erbracht, wovon 12 000 € als Schmerzensgeld nach einer angenommenen Mithaftungsquote von 50 % unmittelbar an den Verletzten ausgezahlt worden sind. Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte zu 2 müsse 75 % des Unfallschadens tragen, da er gegen § 10 StVO verstoßen habe. Der Zeuge B. habe sich demgegenüber verkehrsgerecht verhalten.

2

Das Landgericht hat der Klage zum Teil stattgegeben und - nur - den Beklagten zu 2 zur Zahlung von 11 143,70 € nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt. Der Beklagte zu 2 habe zu 25 % für den eingetretenen Schaden einzustehen. Demgegenüber sei dem Geschädigten ein erhebliches Mitverschulden anzulasten,

3

weil er sich verbotenerweise während der Fahrt auf der Gabel des Gabelstaplers befunden habe. Deshalb habe der Zeuge O. 75 % des ihm entstandenen Schadens selbst zu tragen.

4

Gegen dieses Urteil richten sich die Berufungen sowohl des Beklagten zu 2 als auch der Klägerin. Der Beklagte zu 2 möchte insgesamt die vollständige Abweisung der Klage erreichen, weil er der Ansicht ist, für den Unfall seien allein die Zeugen O. und B. verantwortlich gewesen. Selbst wenn ihm ein Mitverschulden an der Kollision anzulasten sei, müsste dieses hinter dem ganz überwiegenden Verschulden der Zeugen O. und B. zurücktreten, wie ohnedies die Betriebsgefahr. Denn er habe mit seinem Gabelstapler gegenüber dem Gabelstapler des Zeugen B. Vorfahrt gehabt.

5

Die Klägerin ist der Ansicht, die gesamte Verantwortung für den Verkehrsunfall habe der Beklagte zu 2 zu tragen, weil er mit seinem Gabelstapler "blind" in die Fahrstraße aus dem Bereich der Ladeboxen hineingefahren sei. Auch wenn es nicht erlaubt gewesen sei, auf der Gabel des Gabelstaplers mitzufahren, sei dies vorliegend unbeachtlich, weil - so die Auffassung der Klägerin - die Versuchung eben "doch groß [sei], den langen Weg durch die Halle zu vereinfachen, wenn gerade jemand vorbeikomme" (Bl. 174 d.A.). In jedem Fall habe das Landgericht aber auch unter Ansatz einer Haftungsquote von 75: 25 % zu Lasten der Klägerin den auszugleichenden Schaden nicht richtig berechnet.

6

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der gestellten Anträge wird Bezug genommen auf das angefochtene Urteil (Bl. 100 d.A.), das

7

Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 18. Dezember 2007 (Bl. 183 d.A.) sowie die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

8

II.

Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Die Berufung der Klägerin ist nur teilweise begründet.

9

1. Zur Berufung des Beklagten zu 2:

10

Der Senat sieht keine Veranlassung, die vom Landgericht bestimmte Haftungsquote von 75: 25 % zu Gunsten des Beklagten zu 2 abzuändern. Es ist zwar richtig, dass in dem Marktgelände grundsätzlich die Regel "rechts vor links" gilt. Das betrifft jedoch nur den normalen Fahrverkehr auf den markierten Fahrstraßen innerhalb des Großmarktgeländes. Demgegenüber ist der Bereich vor den Ladeboxen eindeutig durch eine breite durchgehende weiße Linie abgetrennt (vgl. insbesondere die Lichtbilder auf Bl. 9 f. der Beiakte 7061 Js 73591/03 StA Hannover). Für den Beklagten galt damit die Vorschrift des § 10 StVO, d.h. er hatte sich bei der von ihm vorgenommenen Einfahrt aus einem "anderen Straßenteil" hinweg auf die Fahrbahn so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Denn zu "anderen Straßenteilen" im Sinne von § 10 StVO gehören die nicht für den fließenden Durchgangsverkehr bestimmten Flächen, wobei es auf die äußeren, jedem erkennbaren Merkmale ankommt (vgl. Jagow/Burmann/Heß/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl., § 10 StVO, Rdnr. 4 m.w.N.). Trotz des gravierenden und erheblich überwiegenden Verschuldens des Zeugen O. (sowie des Zeugen B.) an dem Verkehrsunfall (dazu gleich 2.) kommt somit eine Alleinhaftung der Klägerin nicht in Betracht. Das würde im Übrigen auch dann gelten, wenn man die vorhandene Beschilderung und Kennzeichnung innerhalb des Großmarktgeländes nicht für eindeutig hielte, weil dann jedenfalls immer noch die Grundregel der StVO gemäß § 1 Abs. 2 StVO anzuwenden wäre. Der Beklagte zu 2 hätte also auch trotz des von ihm angenommenen Vorfahrtsrechtes nicht einfach ohne weiteres aus dem abgegrenzten Bereich der Ladeboxen auf die Fahrstraße hinausfahren dürfen.

11

Der Senat ist mit dem Landgericht auch der Auffassung, dass dem Zeugen B. und damit der Klägerin ein unzulässiges Fahren gegen die vorgeschriebene Fahrtrichtung nicht vorzuwerfen ist. Die erstinstanzlich vorgenommene Beweisaufnahme (vgl. Protokoll Bl. 79 f.d.A.) hat in dieser Hinsicht kein eindeutiges Bild ergeben. Insbesondere hat nicht geklärt werden können, ob das Schild "Gabelstaplergegenverkehr" (vgl. Bl. 8 d.A.) bereits zum Unfallzeitpunkt auf dem Großmarktgelände vorhanden war.

12

Die Berufung des Beklagten zu 2 kann demnach keinen Erfolg haben.

13

2. Zur Berufung der Klägerin:

14

a) Sie ist erfolglos, soweit sie sich gegen die vom Landgericht angenommene Haftungsquote richtet:

15

Im Gegensatz zur Ansicht der Klägerin ist dem Zeugen O. ein eindeutiger und überwiegender Mitverschuldensvorwurf an dem Unfall anzulasten, weil er sich unzulässig während der Fahrt auf der Gabel des Gabelstaplers aufhielt. Es ist unerheblich, dass hier - wie die Klägerin meint - eine gewisse "Versuchung zum Mitfahren" bestanden haben mag, ebenso wie es unbeachtlich ist, ob dies auf dem Großmarktgelände tatsächlich häufiger vorkommt. Der Zeuge O. hat sich hier selbst in eine erhebliche Gefahr begeben. Dies war auch für die eingetretenen Verletzungen ursächlich. Hätte er nicht auf der Gabel gestanden, hätte er bei der Kollision der Gabelstapler nicht verletzt werden können. Der Beklagte zu 2 brauchte auch nicht damit zu rechnen, dass sich eine Person auf der Gabel eines Gabelstaplers befindet.

16

Insgesamt ist damit dem Verkehrsunfall die vom Landgericht angesetzte Haftungsquote von 75: 25 % zum Nachteil der Klägerin zugrunde zu legen.

17

b) Zur Höhe hat die Berufung der Klägerin gleichwohl teilweise Erfolg:

18

Der Abrechnung ist ein Gesamtschaden in Höhe von 63 530,93 € zugrunde zu legen, wie von der Klägerin im Rahmen ihrer Klageschrift (Bl. 4 f.d.A.) sowie der Berufungsbegründung vom 26. Juni 2007 (Bl. 149 d.A.) vorgetragen und im Übrigen auch belegt (vgl. Bl. 19 f. und 85 d.A.) oder nicht bestritten worden ist (vgl. insbesondere die Klageerwiderung des Beklagten zu 2 vom 29. Januar 2007, Bl. 66 f.d.A., den Schriftsatz vom 10. April 2007, Bl. 90 f.d.A., sowie LGU9/10).

19

Von diesem Schaden hat der Beklagte zu 2 nach der anzusetzenden Haftungsquote 25 % zu tragen, das sind 15 882,73 €. Für die darüber hinausgehenden Kosten ist der Beklagte zu 2 - wie erwähnt - nicht einstandspflichtig.

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c) Die antragsgemäß zuerkannten Zinsen rechtfertigen sich aus § 291 BGB (vgl. Bl. 57 d.A.).

21

3. Entgegen der Ansicht des Landgerichts (LGU 11) kann der Klägerin nicht von vornherein ein Anspruch auf Feststellung der weiteren Schadensersatzverpflichtung des Beklagten zu 2 abgesprochen werden. Aufgrund des Abfindungsvergleichs (vgl. Bl. 85 d.A.) steht nicht fest, dass die Klägerin künftig überhaupt keine Zahlungen mehr infolge des Unfalls zu erbringen hat. Dies mag zwar dem Geschädigten O. gegenüber der Fall sein, gegenüber der Berufsgenossenschaft ist das aber nicht zwingend. Damit besteht auch weiterhin ein Feststellungsinteresse im Rahmen der anzusetzenden Haftungsquote.

22

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Streitwertbeschluss:

IV.

Bei der Bemessung des Streitwerts für das Berufungsverfahren war allein der höhere Wert der Berufung der Klägerin maßgeblich, § 45 Abs. 2, Abs. 1 Sätze 1 und 3 GKG. Die Berufung des Beklagten zu 2 hat - isoliert betrachtet - einen Wert entsprechend der Verurteilung durch das Landgericht in Höhe von 11 143,70 €. Die Berufung der Klägerin hat demgegenüber einen Wert in Höhe von 15 685,79 € (13 185,79 € für die begehrte weitere Zahlung zuzüglich 2 500 € für den Feststellungsantrag). Die Berufungsanträge der Parteien schlossen sich gegenseitig aus. Für die Streitwertfestsetzung bei wechselseitig eingelegten Rechtsmitteln ist nicht der zivilprozessuale Streitgegenstandsbegriff maßgeblich, sondern allein eine wirtschaftliche Betrachtung. Zweck der Vorschrift des § 45 Abs. 2 und 1 GKG ist, den Gebührenstreitwert niedrig zu halten, wenn die gemeinschaftliche Behandlung der Rechtsmittel die Arbeit des Gerichts vereinfacht. Eine Zusammenrechnung der jeweiligen Rechtsmittelwerte hat dagegen nur dann zu erfolgen, wenn durch das Nebeneinander der gegenläufigen Anträge eine wirtschaftliche Werthäufung entsteht, die aber nur dann vorliegt, wenn die gegenseitigen Ansprüche nicht in der Weise nebeneinander stehen können, dass das Gericht unter Umständen beiden stattgeben kann, hingegen nicht, wenn die Verurteilung nach dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des andern Antrags nach sich zieht (vgl. RGZ 145, 164, 166; BGHZ 43, 31, 33; BGH, Beschluss vom 27. Februar 2003 - III ZR 115/02, NJW-RR 2003, 713 [II.]; BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2004 - IV ZR 287/03, NJW-RR 2005, 506, juris-Rdnrn. 8 und 9 m.w.N.; Senat , Beschlüsse vom 8. Juni 2007 - 14 U 64/07 - und vom 18. Juni 2007 - 14 U 202/06, Nds. Rpfl. 2008, 20; die gegenteilige Meinung von Norbert Schneider, AGS 2008, 3, missachtet die einschlägige, eindeutige und unmissverständliche Rechtsprechung insbesondere des Bundesgerichtshofs und setzt sich mit der maßgeblichen Norm des § 45 GKG nicht hinreichend auseinander).

Diesen Grundsätzen entsprechend verhält es sich im vorliegenden Fall: Der Senat konnte nicht sowohl auf die Berufung des Beklagten zu 2 die Haftungsquote zum Nachteil der Klägerin herauf- als auf die Berufung der Klägerin zu ihrem Vorteil herabsetzen. Ebenso konnte der Senat nicht einerseits auf die Berufung des Beklagten zu 2 die Klage insgesamt abweisen und andererseits gleichzeitig auf die Berufung der Klägerin dem Feststellungsantrag stattgeben. Damit war allein der höhere Wert der Berufung der Klägerin maßgeblich.