Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 30.01.2008, Az.: 9 U 145/07
Auslegung eines Vertrages über die Entsorgung von Klärschlamm hinsichtlich einer Insolvenzklausel beim Wechsel eines Vertragspartners
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 30.01.2008
- Aktenzeichen
- 9 U 145/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 36976
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2008:0130.9U145.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 05.07.2007 - AZ: 8 O 21/07
- nachfolgend
- BGH - 27.11.2008 - AZ: VII ZR 62/08
Rechtsgrundlagen
- § 123 Abs. 1 BGB
- § 311 Abs. 1 BGB
- § 27 Abs. 1 InsO
Fundstelle
- OLGR Celle 2009, 75-76
Amtlicher Leitsatz
Auswirkungen eines Vertragspartnerwechsels auf insolvenzbedingte Vertragsbeendigung.
Redaktioneller Leitsatz
Haben die Parteien eines Entsorgungsvertrages über Klärschlamm vereinbart, dass der Vertrag mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines der Vertragspartner endet, so ist diese Klausel im Wege ergänzender Vertragsauslegung auch dann anwendbar, wenn zwischenzeitlich aufgrund einer Vereinbarung einer der Vertragspartner ausgeschieden ist und Rechte und Pflichten aus dem Vertrag auf einen Dritten übertragen worden sind.
In dem Rechtsstreit
T. ... GmbH & Co. KG, ... in B.,
Klägerin, Berufungsklägerin und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte G. pp. in B.,
gegen
S. N. B. V., ... in H/N.,
Beklagte, Berufungsbeklagte und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt S. ... in K.,
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 19. Dezember 2007 durch den Richter am Oberlandesgericht S. als Vorsitzenden sowie die Richter am Oberlandesgericht D. und Dr. S. für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 5. Juli 2007 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer (Kammer für Handelssachen) des Landgerichts Stade abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung und Feststellung wegen eines Vertrages betreffend die Entsorgung von Klärschlamm in Anspruch, der am 8. Juli 2003 abgeschlossen worden und in den die Klägerin am 29. September/9. Oktober 2003 eingetreten ist. Wegen des Sachverhalts und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, mit dem die Kammer den Zahlungsantrag abgewiesen, dem Feststellungsantrag hingegen stattgegeben hat.
Hiergegen richten sich die Berufungen beider Parteien.
Die Klägerin verfolgt ihren abgewiesenen Zahlungsantrag weiter und vertieft ihre Auffassung, aus der Zusammenschau der Regelungen in §§ 3.1, 3.3 und 10.7 Abs. 1 des Vertrages vom 8. Juli 2003 (Anlage K 1 im gesonderten Hefter) ergebe sich ein Anspruch darauf, mindestens 33.000 t Klärschlamm pro Jahr entsorgen zu dürfen und dafür mindestens 3 € pro Tonne zzgl. Umsatzsteuer als Dispositionsentgelt zu erhalten. Die nach Auffassung der Kammer dem entgegenstehende Bestimmung in § 10.7 Abs. 2 dieses Vertrages habe das Landgericht schon deswegen gar nicht berücksichtigen dürfen, weil sich keine der Parteien darauf berufen habe. Unter Abzug der geleisteten Zahlungen für das Jahr 2006 stehe der Klägerin noch der geltend gemachte Betrag zu.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 65.695,52 € nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2007 zu zahlen,
sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,
sowie das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Sie verfolgt ihre Auffassung weiter, einen sie mit der Klägerin etwa verbindenden Vertrag jedenfalls nach § 123 BGB berechtigterweise angefochten zu haben, weil diese im Zusammenhang mit der Überleitung vertraglicher Pflichten gemäß Schreiben vom 29. September 2003 (Anlage K 2 im gesonderten Hefter) verschwiegen habe, anders als die ursprüngliche Leistungserbringerin, die H. ... GmbH & Co. ... KG (im Folgenden: H...G), kein zertifiziertes Entsorgungsunternehmen, sondern lediglich Abfallmaklerin zu sein. Diese mangelnde Qualifikation der Klägerin habe sich auch in verschiedener Weise manifestiert, was den Vertragszweck der Abfallentsorgung gefährdet habe. Darüber hinaus habe die Beklagte hilfsweise den Vertrag aus wichtigem Grund gekündigt, weil die H...G, welche die Klägerin ihrerseits in der Folgezeit als Subunternehmerin eingesetzt habe, vielfach Pflichtverstöße begangen habe. So seien von dieser weitere Subunternehmen (Transportunternehmen) nicht bezahlt worden und wiederholt angemeldete Transporte gar nicht durchgeführt worden, ohne dass diese bei der zuständigen Genehmigungsbehörde abgemeldet worden seien, was zu einer unnötigen Belastung der Beklagten durch Aufbringung ansteigender Sicherheitsleistungen geführt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II. Die Berufung der Klägerin erweist sich als unbegründet, diejenige der Beklagten hingegen als begründet. Die Klägerin kann von der Beklagten schon deswegen weder die Bezahlung (von ihr tatsächlich mangels konkreter Beauftragung nicht durchgeführter) Transporte beanspruchen noch die Beklagte auf Feststellung in Anspruch nehmen, weil die Parteien jedenfalls für den streitgegenständlichen Zeitraum kein wirksames Vertragsverhältnis verbindet.
1. Zwar enthält der Vertrag zwischen der Beklagten und der H...G vom 8. Juli 2003 (Anlage K 1 im gesonderten Hefter) in § 6.1 grundsätzlich die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen Rechte und Pflichten mit schriftlicher Zustimmung des jeweiligen Partners auf Dritte zu übertragen. Auf eben diese Option nimmt die zwischen der H...G und der Klägerin getroffene Vereinbarung vom 29. September 2003 (Anlage K 2 im gesonderten Hefter) Bezug, die als "Anzeige der Vertragsübertragung" tituliert worden ist und der die Beklagte durch Gegenzeichnung am 9. Oktober 2003 zugestimmt hat. Mit dieser Übertragung ist aber nicht, wie die Klägerin meint und auch das Landgericht angenommen hat, die Klägerin anstelle der H...G in den Vertrag eingetreten; jedenfalls ist die H...G erkennbar nicht als Vertragspartnerin entlassen und von ihren Verpflichtungen befreit worden. Dies ergibt sich nicht nur aus der Formulierung des § 6.1 des Vertrages vom Juli 2003, wonach die Vertragspartner lediglich berechtigt gewesen sind, Rechte und Pflichten aus diesem Vertrag zu übertragen, von einem Ausscheiden als Vertragspartei selber hingegen nicht die Rede ist. Vielmehr haben die Parteien dies auch und gerade mit der Vereinbarung vom September/Oktober 2003 klargestellt, denn die H...G sollte nach wie vor verpflichtet bleiben und von der Klägerin (zumindest hilfsweise) in Anspruch genommen werden können (vgl. den vorletzten Absatz des Schreibens vom 29. September 2003, Anlage K 2 im gesonderten Hefter). Den Verpflichtungen der bisherigen Vertragspartnerin H...G sollte die Klägerin mithin lediglich beitreten (und sie in erster Linie erfüllen), die H...G als Vertragspartnerin jedoch nicht (mit der Folge des Ausscheidens derselben) ersetzen.
Deswegen ist, anders als das Landgericht angenommen hat (vgl. I. b der Gründe der angefochtenen Entscheidung, Bl. 130 d. A.), der Vertrag vom Juli 2003 bereits deswegen beendet, weil über das Vermögen der (aus ihm gerade nicht entlassenen) H...G das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Für einen solchen Fall sieht jene Vereinbarung ihre automatisch eintretende Beendigung vor, § 11.5.
Dem steht auch nicht - entgegen dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf entsprechenden Hinweis hin erhobenen Einwand - im Wege, dass die Beklagte das Vertragsverhältnis ihrer eigenen prozessualen Argumentation zufolge vorrangig aus anderen Gesichtspunkten (Anfechtung bzw. Kündigung) beenden wollte und folglich selber die Klägerin (und nicht mehr die H...G) als ihre Vertragspartnerin angesehen habe. Bereits mit der Klagerwiderung hat die Beklagte vielmehr (unter anderem) eingewandt, der Vertrag sei schon wegen der Insolvenz der H...G beendet gewesen, weshalb die Kündigung lediglich hilfsweisen Charakter gehabt habe (vgl. S. 4 oben der Klagerwiderung, Bl. 39 d. A.).
2. Von einer Beendigung des Vertragsverhältnisses wegen der Insolvenz der H...G wäre darüber hinaus auch dann auszugehen, wenn die Auffassung der Klägerin zuträfe, wonach sie (allein) durch die Vereinbarung vom 29. September/9. Oktober 2003 Partei des Entsorgungsvertrages mit der Beklagten geworden und die H...G als eigentliche Vertragspartei "ausgeschieden" wäre. Auch dann nämlich wäre zumindest dem weiteren Anliegen jener Vereinbarung Rechnung zu tragen, wonach die H...G auch zukünftig ohne Einschränkung und unmittelbar für die Erfüllung der vertraglich geregelten Verpflichtungen gegenüber der Beklagten haften sollte, falls es (verschuldensunabhängig!) zu irgendwelchen Pflichtverletzungen der Klägerin kommen sollte. Mit dieser Abrede haben die drei an ihr beteiligten Parteien (die Klägerin, die Beklagte und die H...G) klargestellt, dass eine Übertragung der Rechte und Pflichten von der H...G auf die Klägerin jedenfalls dadurch abgesichert und damit verknüpft werden sollte, dass die H...G auch für die Zukunft die Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen gewähre. Vor dem Hintergrund dieser für die Übertragung der Rechte und Pflichten aus dem Vertrag erkennbar als dauerhaft bedeutsam gewollten Absicherung der Beklagten wäre die Vereinbarung in § 11.5 des Vertrages vom Juli 2003 zumindest entsprechend anzuwenden, als es zu dem insolvenzbedingten Ausfall der H...G kam.
3. Angesichts dessen kommt es im Ergebnis nicht darauf an, dass der von der Klägerin geltend gemachte Zahlungsanspruch darüber hinaus aus den insoweit zutreffenden Erwägungen des Landgerichtes, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, unbegründet wäre. Weder sind die der Kalkulation im Vertrag vom 2003 zugrundegelegten Mengen, die ausdrücklich nur als Schätzwerte ("ca.") gekennzeichnet worden sind, als "Mindestentsorgungsmenge garantiert" worden, noch wäre ohne weiteres für die gesamte Menge das in § 10.7 der Vereinbarung genannte Dispositionsentgelt von 3 € zzgl. Mehrwertsteuer pro Tonne getrockneten Klärschlamms zugrunde zulegen, wie sich aus der Zusammenschau mit § 10.7 Abs. 2 des Vertrags und den entsprechenden Anlagenkonvoluten 2 und 4 (zum vorangegangenen Vertrag vom 6. August 2001, der sich ebenfalls im gesonderten Hefter befindet) ergibt. Das Anlagenkonvolut 2.4 listet diverse Verträge auf, die offenbar bereits vor der Vereinbarung zwischen der H...G und der Beklagten abgeschlossen gewesen sind und bestimmten anderen Entsorgern oder Transportunternehmen Mengen zuweisen, für die das der Klägerin zu zahlende Dispositionsentgelt jedenfalls nicht gelten konnte. Dies betrifft auch verschiedene Positionen aus der Anlage 4, für die die Klägerin kein Entgelt erhalten sollte. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das Landgericht nicht daran gehindert gewesen, in rechtlicher Hinsicht auch Bestimmungen des vorgelegten Vertrages zu berücksichtigen, die keine der Parteien ausdrücklich zitiert hat.
Dass der Vertrag von 2003, anders als der von 2001 (vgl. dort §§ 2.1 und 2.4), ohnehin keine Regelung für etwaige Mindermengen enthält, was zusätzlich gegen einen Anspruch der Klägerin für nicht erbrachte Leistungen sprecht, kommt insoweit hinzu.
4. Die Kostenentscheidung folgt §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) liegen nicht vor.