Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 12.05.2005, Az.: 13 Verg 6/05

Anforderungen an die Leistungsbeschreibung in einer öffentlichen Ausschreibung; Voraussetzungen für die Annahme der Auferlegung eines nicht abschätzbaren, ungewöhnlichen Wagnisses i.S.d. § 8 Nr. 1 Abs. 3 Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen (VOL/A); Belastung mit unzumutbaren ungewöhnlichen Wagnissen durch die Angaben zur Abfallzusammensetzung und Aggregaten in der Ausschreibung; Auferlegung eines ungewöhnlichen Wagnisses durch die Verpflichtung des Bieters zur Sicherstellung des ständigen Betriebs

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
12.05.2005
Aktenzeichen
13 Verg 6/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 21704
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2005:0512.13VERG6.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VK Lüneburg - 10.03.2005

Fundstellen

  • BauR 2005, 1824 (amtl. Leitsatz)
  • BauRB 2005, XI Heft 8 (amtl. Leitsatz)
  • IBR 2005, 442
  • OLGReport Gerichtsort 2005, 507-510
  • VS 2005, 64
  • Vergabe-News 2005, 57-58
  • VergabeR 2005, 654-659 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
  • ZfBR 2005, 611-614 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Kündigt der Auftraggeber einen Dienstleistungsvertrag und schreibt er die Dienstleistung neu aus, fehlt dem Nachprüfungsantrag des Bieters, der Vertragspartner des bisherigen Vertrages war, das Rechtsschutzbedürfnis, soweit er geltend macht, die Kündigung sein unwirksam.

  2. 2.

    Zu den Anforderungen, die § 8 Nr. 1 VOL/A an eine Leistungsbeschreibung stellt.

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Regierungsvertretung Lüneburg - vom 10. März 2005 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Beigeladenen.

Der Streitwert wird auf 486.905,45 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

1

Die Parteien streiten darüber, ob der Auftraggeber mit einer Ausschreibung der Betriebsführerschaft für seine mechanisch-biologische Abfallbehandlungsanlage (MBA) gegen Vergaberecht verstoßen hat und deshalb das Vergabeverfahren aufheben muss.

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2

Bis zum 31. März 2005 betrieb die Antragstellerin die Anlage. Im Jahr 1998 hatte der Auftraggeber ihr ohne Ausschreibung den entsprechenden Auftrag mit einer Vertragsdauer von 15 Jahren erteilt. Im Februar 2001 wurden gesetzliche Bestimmungen erlassen, die u.a. ab dem 1. Juni 2005 einzuhaltende Grenzwerte für den Abfall und bestimmte Anforderungen an den Immissionsschutz der Anlage festlegten. Dies machte erhebliche technischeÄnderungen an der Anlage mit den entsprechenden Kosten erforderlich. Der Antragsgegner nahm deshalb Verhandlungen mit weiteren Gebietskörperschaften auf, um den Kreis der Nutzer der Anlage zu vergrößern. Diese Verhandlungen wurden Ende August 2003 abgeschlossen mit dem Ergebnis, dass auch die Kapazität der Anlage erheblich zu erweitern war. Im November 2003 wurde der Umbau der Anlage mit einer funktionalen Leistungsbeschreibung europaweit ausgeschrieben. Der Zuschlag wurde am 14. Juni 2004 erteilt, die immissionsschutzrechtliche Genehmigung am 24. Juni 2004 beantragt. Am 19. August 2004 wurde mit einer entsprechenden Zulassung vorzeitig mit dem Bau begonnen. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung wurde dann am 21. Dezember 2004 erteilt.

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3

Mitte August 2003 erhielt der Auftraggeber ein Schreiben der EG-Kommission, in dem diese um nähere Aufklärung des Sachverhalts um die Vergabe des Auftrags aus dem Jahr 1998 ersuchte. Mitte Mai 2004 erhielt der Auftraggeber Kenntnis davon, dass die EG-Kommission die Vergabe als europarechtswidrig ansah. Mit Schreiben vom 17. Juni 2004 kündigte der Auftraggeber den Betriebsführervertrag mit der Antragstellerin zum 31. März 2005.

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Im Oktober 2004 schrieb der Auftraggeber die Betriebsführung für die MBA als Dienstleistungsauftrag für den Zeitraum vom 1. April 2005 bis zum 31. März 2009 europaweit aus. Zuschlagskriterium war der niedrigste Preis.

5

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Mit Schreiben vom 21. Oktober rügte die Antragstellerin das Verfahren. Insbesondere wies sie darauf hin, dass die ihr gegenüber erklärte Kündigung unwirksam sei, und dass - schon wegen der fehlenden immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, aber auch unabhängig davon - die Verdingungsunterlagen in mehreren Punkten nicht hinreichend konkret seien. Infolgedessen fehle es an einer Ausschreibungsreife, es werde gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung verstoßen und den Bietern unzulässigerweise ein ungewöhnliches Wagnis auferlegt.

6

6

Als zuschlagsfähige Angebote wurden abgegeben Hauptangebote der Antragstellerin, der Beigeladenen und eines weiteren Bieters sowie ein Nebenangebot der Beigeladenen. Das letztgenannte war mit einem Preis von brutto 646.058,56 EUR pro Jahr das günstigste, das Hauptangebot der Antragstellerin mit 1.217.263,63 EUR pro Jahr das teuerste.

7

7

Nachdem der Auftraggeber mitgeteilt hatte, dass er dem Nebenangebot der Beigeladenen den Zuschlag erteilen wolle, hat die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet. Die Vergabekammer hat den Antrag zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin.

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Sie beantragt,

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die Entscheidung der Vergabekammer abzuändern und das Vergabeverfahren aufzuheben,

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hilfsweise,

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die Sache an die Vergabekammer zurückzuweisen.

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Der Auftraggeber beantragt,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

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Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

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II.

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Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.

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1)

Die Rüge, der Auftraggeber habe nicht ausschreiben dürfen, weil noch ein bindender Vertrag mit der Antragstellerin bestünde, ist unzulässig. Das Nachprüfungsverfahren soll die Rechte von Bietern schützen. Es ist nicht dargelegt, dass der Antragstellerin in dieser Eigenschaft ein Schaden droht (§ 107 Abs. 2 S. 2 GWB). Hätte der Auftraggeber den gerügten Fehler nicht begangen, also von einer Ausschreibung abgesehen, hätte die Antragstellerin keine Chance gehabt, den neuen Auftrag zu bekommen.

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2)

Auch die Rügen, die Leistungsbeschreibung sei in verschiedenen Punkten unzureichend, bleiben ohne Erfolg.

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a)

Diese Rügen sind allerdings zulässig. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Beschlusses Bezug. Soweit Auftraggeber und Beigeladene in der Beschwerdeinstanz geltend machen, einzelne Rügen seien nicht rechtzeitig erhoben worden (§ 107 Abs. 3 GWB), überdehnen sie die Anforderungen an die Rügepflicht. Es genügt, dass die erhobenen Rügen erkennen lassen, welche Vergabefehler beanstandet werden. Rügen, die dem genügen, kann der Bieter auch später noch weiter begründen.

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27

b)

Die Rügen sind aber in der Sache unbegründet.

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aa)

Ein Verstoß gegen § 16 Nr. 1 VOL/A scheidet aus, weil der Auftraggeber die Verdingungsunterlagen vor der Ausschreibung fertig gestellt hatte. Ob die fertig gestellten Unterlagen gegen Vergaberecht verstoßen, weil sie lückenhaft und unklar sind, ist am Maßstab von § 8 Nr. 1 VOL/A zu prüfen.

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bb) Die Ausschreibung verstößt auch nicht gegen § 8 Nr. 1 VOL/A. Für alle erhobenen Rügen ist dabei allgemein auszuführen:

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Einschlägig sind im vorliegenden Fall die Pflicht, die Leistung eindeutig und erschöpfend zu beschreiben (§ 8 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A), und das Verbot, dem Auftragnehmer ein ungewöhnliches Wagnis aufzubürden (§ 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A). Der Anwendungsbereich dieser Vorschriften kann ineinander übergehen. So können zu allgemein gehaltene oder lückenhafte Leistungsbeschreibungen dem Auftragnehmer ein unkalkulierbares Preisrisiko aufbürden. Beide Prüfungsmaßstäbe hat die Vergabekammer in dem angefochtenen Beschluss näher erläutert. Auf diese zutreffenden Ausführungen wird zunächst Bezug genommen.

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Unwägbarkeiten in der Rechtsanwendung sind unvermeidlich. Einerseits müssen die notwendigerweise allgemeinen Maßstäbe auf die konkreten Umstände des Einzelfalls angewendet werden. Andererseits kann jedes Vertragswerk, insbesondere ein solches, das eine komplexe technische Anlage zum Gegenstand hat, nicht jede Einzelheit, auch in jeder denkbaren Entwicklung, ausdrücklich regeln. Ein Vertragswerk lässt sich aber nach den allgemein bekannten Regeln auslegen, wobei dem Grundsatz von Treu und Glauben besondere Bedeutung zukommt.

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Feststellen lässt sich auch, dass die Ausschreibungsunterlagen nicht derart mangelhaft waren, dass sich Bieter außer Stande gesehen haben, ein Angebot abzugeben. Ein Nachprüfungsverfahren hätte in zulässiger Weise auch ohne ein Angebot mit der Begründung eingeleitet werden können, auf diese Ausschreibung lasse sich nicht bieten. Drei Unternehmen, darunter die Antragstellerin und die Beigeladene, haben Angebote abgegeben; niemand hat ohne Angebot die Ausschreibung als vergaberechtswidrig gerügt. Von denen, die Angebote abgegeben haben, hatte zudem die Antragstellerin einen deutlichen Informationsvorsprung, weil sie die umzubauende Anlage betrieb.

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cc)

Zu den einzelnen Rügen ist darüber hinaus Folgendes auszuführen:

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(1)

fehlende Genehmigung

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Der Auftraggeber hat durch 2.13 der Leistungsbeschreibung und die dort in Bezug genommenen Anlagen hinreichende Angaben gemacht. Wenn dort ausgeführt ist, dass die Auflagen der mit den Ausschreibungsunterlagen übersandten Altgenehmigung und die Anforderungen der 30. BImSchV den "Kernbestand" der zu erwartenden Betriebsauflagen bilde, und der Auftraggeber zusätzlich im ersten Bieterrundschreiben ausführt, er gehe davon aus, dass keine Auflagen erteilt würden, die über die 30. BImSchV, die AbfAblV und den bisherigen Auflagenbestand hinausgingen, so sind damit für einen Fachmann, gerade auch für die die Altanlage betreibende Antragstellerin, die für den Betrieb der Anlage entscheidenden genehmigungsrechtlichen Grundlagen hinreichend bezeichnet. Nicht in seine Kalkulation einbeziehen muss der Bieter danach solche Auflagen, mit denen aus der Sicht eines fachlich kompetenten Betreibers, der die Altgenehmigung, die genannten gesetzlichen Bestimmungen, die Genehmigungsunterlagen für die neue Anlage und die örtlichen Verhältnisse kennt, nicht zu rechnen ist. Dass dieser Prüfungsmaßstab im konkreten Fall Bewertungsspielräume lässt, ist unvermeidlich, für den Bieter aber hinnehmbar, weil die Bewertung keine über seine eigenen hinausgehenden Fachkenntnisse abverlangt und für einen objektiven Dritten (ggf. einen gerichtlichen Sachverständigen) hinreichend nachvollziehbar ist.

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Ein Verstoß gegen § 8 Nr. 1 VOL/A lässt sich auch nicht damit begründen, dass Angaben in der Ausschreibung fehlen, die üblich und zumutbar sind, weil sie dem Bieter für ihn wichtige weitere Erkenntnisse vermitteln. Der Ausschreibung und den Bieterrundschreiben ist zu entnehmen, dass der Auftraggeber selbst davon ausgeht, dass die Genehmigungsauflagen grundsätzlich den Bietern bekannt zu machen sind, und dass dies nur deshalb unterblieben ist, weil es nicht möglich war. Ob es auf die Gründe dieser Unmöglichkeit ankommen kann, kann offen bleiben. Bejaht man dies, ist in einer Gesamtabwägung darauf abzustellen, inwieweit sich der Auftraggeber diese Gründe vorwerfbar zurechnen lassen muss. Das ist hier nicht der Fall: die Genehmigung konnte er nicht beantragen, bevor der Bauauftrag zugeschlagen war, weil erst zu diesem Zeitpunkt feststand, wie die zu betreibende Anlage beschaffen sein würde. Unmittelbar nach dem am 14. Juni 2004 erfolgten Zuschlag hat der Auftraggeber den Genehmigungsantrag am 24. Juni 2004 eingereicht. Eine verspätete Ausschreibung des Bauauftrags wäre dem Auftraggeber im Hinblick auf das vorliegende den Betrieb der Anlage betreffende Vergabeverfahren allenfalls dann vorzuwerfen, wenn er ab dem Zeitpunkt zögerlich gehandelt hat, in dem er erkennen musste, dass diese Ausschreibung zusätzlich notwendig werden würde. Letzteres war frühestens im August 2003 der Fall, als die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs in Sachen B. und B. (EuGH vom 10. April 2003 C 20 u. 28/01 ZfBR 2003, 592) bekannt geworden waren und der Auftraggeber die Anfrage der Europäischen Kommission vom 31. Juli 2003 erhalten hatte. Jedenfalls ab August 2003 hat aber der Auftraggeber die notwendig vorrangige Ausschreibung des Bauauftrags zügig betrieben. Der Auftraggeber musste mit der Ausschreibung auch nicht zuwarten, bis die Genehmigung vorlag. Nach den gesetzlichen Vorgaben und den mit den beteiligten Gebietskörperschaften getroffenen Vereinbarungen war die geänderte Anlage zum 1. Juni 2005 in Betrieb zu nehmen. Dieser Termin war nicht einzuhalten, wenn mit der Ausschreibung gewartet wurde, bis die Genehmigung erteilt war.

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Ein nicht abschätzbares ungewöhnliches Wagnis wird dem Bieter auch nicht deshalb auferlegt, weil der Fall einer überraschenden Auflage mit Auswirkungen auf Leistung und Preis unzureichend geregelt ist. Nach § 9 Nr. 2 VOL/A muss die VOL/B Vertragsbestandteil sein. Diese enthält in § 2 Nr. 1 die Verpflichtung des Auftragnehmers, vom Auftraggeber verlangte zumutbare Leistungsänderungen auszuführen und in § 2 Nr. 3 den damit korrespondierenden Anspruch auf die Vereinbarung eines neuen Preises, wenn sich infolge der Änderung der Leistung auch "die Grundlagen des Preises" ändern. Auch die Antragstellerin nimmt nicht in Abrede, dass sich nach dieser (im konkreten Fall ebenfalls auslegungsbedürftigen) Bestimmung Preise sach- und interessengerecht anpassen lassen, wenn infolge überraschender Auflagen Leistungen geändert werden müssen. Sie ist aber der Auffassung, der Auftraggeber habe mit § 14 Abs. 2 des Betriebsführervertrages (BV) eine Regelung vorgegeben, die § 2 Nr. 3 VOL/B (weil hierzu in Widerspruch) verdränge, selbst aber derart unklar sei, dass in solchen Fällen geänderte Preise nicht festgelegt werden könnten.

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Dem kann sich der Senat nicht anschließen. § 14 Abs. 2 BV widerspricht § 2 Nr. 3 VOL/B nicht. Sie ergänzt nur diese Bestimmung. Das ist zulässig (§ 9 Nr. 3 Abs. 1 VOL/A).

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Nach § 2 Nr. 3 VOL/B ist ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- und Minderkosten zu vereinbaren, wenn durch die Änderung in der Beschaffenheit der Leistung die Grundlagen des Preises für die im Vertrag vorgesehene Leistung geändert werden. Voraussetzung für eine Preisanpassungsvereinbarung ist danach eine Leistungsänderung, die einen Einfluss auf die Preisermittlungsgrundlagen ("Grundlagen des Preises") hat. Darunter fällt sowohl die Veränderung einer Leistung selbst (entsprechend § 2 Nr. 5 VOB/B) als auch die Veränderung des Leistungsumfangs durch zusätzliche ursprünglich nicht vorgesehene Leistungen (entsprechend § 2 Nr. 6 VOB/B).

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Daran ändert § 14 Abs. 2 BV nichts. Diese Bestimmung lautet: "Bei Änderung der Leistung haben beide Seiten Anspruch auf eine Vertragsanpassung. Dasselbe gilt bei Veränderungen auf Grund geänderter genehmigungsrechtlicher Bestimmungen und nachgewiesenen wesentlichen Änderungen gegenüber dem Leistungsverzeichnis. Die Vergütung ist auf Grundlage der nach Abs. 3 vorgelegten Urkalkulation unter Beachtung der Grundsätze des § 2 Nr. 3 Abs. 3 VOB/B anzupassen. Wurde die Urkalkulation nicht vertragsgemäß vorgelegt, scheidet eine Preisanpassung zu Gunsten des AN aus." Diese Formulierung ist, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erörtert, sprachlich missglückt. Auch sie lässt sich aber auslegen: Satz 1 stellt generell fest, dass bei Leistungsänderungen ein Anspruch auf Vertragsanpassung besteht. Satz 2 stellt klar, dass dies auch gilt, wenn geänderte genehmigungsrechtliche Bestimmungen (beispielsweise geänderte Auflagen) zu wesentlichenÄnderungen gegenüber dem Leistungsverzeichnis führen. Dabei kann vernünftigerweise kein Widerspruch daraus abgeleitet werden, dass nur Satz 2 das Erfordernis von "wesentlichen" Änderungen aufstellt. Satz 1 enthält die für alle Leistungsänderungen, worauf sie auch beruhen mögen, gültige allgemeine Aussage, während Satz 2 einen Spezialfall aufgreift und dabei ein weiteres Detail anspricht, das für alle Änderungen gilt, nämlich dass sie "wesentlich" sein müssen. Kein Bieter erwartet, dass auch unwesentliche Änderungen Vertragsanpassungsansprüche auslösen sollen. Satz 3 lässt sich nur dann als generelle Vergütungsanpassungsregelung verstehen, wenn man annimmt, dass hier ein Schreibfehler vorliegt, weil nicht die VOB/B, sondern die VOL/B gemeint ist. Dies hat in den Schriftsätzen und Erörterungen in den mündlichen Verhandlungen allerdings niemand geltend gemacht. Danach ist hier nur der in der VOL/B im Unterschied zur VOB/B nicht ausdrücklich geregelte Sonderfall gemeint, dass sich die Mengenvorgaben des Auftraggebers im Leistungsverzeichnis (hier die Vordersätze der jeweiligen Abfallmengen) als unzutreffend erweisen. Für diesen Fall werden die "Grundsätze" der Vergütungsanpassung angewendet, wie sie aus § 2 Nr. 3 Abs. 3 VOB/B ersichtlich sind. Dies lässt sich aber vernünftigerweise nicht dahin verstehen, dass Preisanpassungen nur bei Mengenabweichungen in Betracht kommen. Vielmehr soll lediglich die in der VOL/B allgemein getroffene und weiter gültige Preisanpassungsregelung in bestimmten Fällen durch die in der VOB/B für solche Fälle aufgestellten Grundsätze sachgerecht ausgefüllt werden (vgl. § 9 Nr. 4 lit. b VOL/A).

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Selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellen wollte, dass Unklarheiten verbleiben, sind diese nicht derart schwer wiegend, dass sie dem Auftragnehmer ein ungewöhnliches Wagnis im Sinne von § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A aufbürden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Auftraggeber im ersten Bieterrundschreiben ausdrücklich klargestellt hat, dass der Vertrag nach § 14 angepasst wird, wenn die Genehmigung den in der Leistungsbeschreibung angegebenen Auflagenbestand ändern sollte.

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(2)

Abfallzusammensetzung und Aggregate

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Die Antragstellerin vermisst ausreichende Angaben zu Abfallzusammensetzung und Aggregaten und sieht deshalb die Kalkulation mit unzumutbaren ungewöhnlichen Wagnissen belastet. Das ist nicht der Fall.

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Bekannt war, dass die Anlage für die Behandlung von gemischten Siedlungsabfällen (Abfallschlüssel 200301) konzipiert ist. Darüber hinaus enthält die Leistungsbeschreibung unter 2.3 Tabelle 3 nähere Angaben zum Abfallinput. Für die mechanische Behandlung werden insgesamt 96.600 t/a zu Grunde gelegt. Die Antragstellerin verweist darauf, dass hiervon 34.000 t/a als "Gemische aus Restmüll und anderen Fraktionen" und 4.000 t/a als "sonstige Fraktion" bezeichnet würden. Zu den 34.000 t/a ist indessen in der Leistungsbeschreibung angegeben, dass sich diese Anlieferungen hausmüllähnlich verhalten. Auch die verbleibenden 4.000 t/a (rd. 4 %) müssen unter den Abfallschlüssel 200301 fallen. Außerdem werden von der Stadt O. 13.000 t/a mechanisch vorbehandelter Abfall angeliefert, die sogleich der biologischen Behandlung zugeführt werden sollen. Der Unwägbarkeit, dass derartiger Abfall möglicherweise doch mechanisch nachbereitet werden muss, ist in der Leistungsbeschreibung dadurch Rechnung getragen, dass in diesem Fall die entsprechenden Mengen als mechanisch behandelte Mengen zusätzlich in Rechnung gestellt werden können. Soweit die Antragstellerin außerdem geltend macht, es fehlten Angaben zur Dichte der Abfallgemische, weist der Auftraggeber zutreffend darauf hin, dass hierzu keine Angaben gemacht werden können, die über das hinausgehen, was der Branchenkundige ohnehin an Erfahrungswerten hat. Die genaue Abfallzusammensetzung und -dichte ist Schwankungen unterworfen, mit denen jeder Betreiber einer Abfallbehandlungsanlage rechnen muss.

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Auch die Angaben zu den Aggregaten reichen aus, um kalkulieren zu können, ob überhaupt und mit welchem Aufwand sich sicherstellen lässt, dass der Betreiber die ihm vorgegebene Leistung erbringen kann. Die dafür maßgeblichen Kenngrößen der Anlage werden im praktischen Betrieb unter Mitwirkung des Auftragnehmers festgelegt und erst danach in die Beschaffenheitsvereinbarung aufgenommen und damit auch für ihn verbindlich. Sollte ein derartiger Probebetrieb auf Schwierigkeiten stoßen, wie die Antragstellerin meint, geht das nicht zu Lasten des Auftragnehmers, weil ihm solange nicht vorgehalten werden kann, er erreiche die festgelegten Kennzahlen nicht. Auch für die Preiskalkulation wird dem Bieter kein ungewöhnliches Wagnis auferlegt. In der Leistungsbeschreibung und den in Bezug genommenen Unterlagen ist die Funktionsweise der Anlage im Einzelnen dargestellt. Die Leistungsbeschreibung enthält auch unter 2.9 eine Auflistung der Betriebseinheiten mit den dazu gehörigen Aggregaten. Der in der Abfallbehandlung fachkundige Bieter hat damit für seine Kalkulation hinreichende Kenntnisse über die Funktionsweise der Anlage. Er kann davon ausgehen, dass auf dem Markt übliche Aggregate verwendet werden und dass die Gesamtheit der Aggregate die Funktionsfähigkeit hat, die erforderlich ist, um die Leistungsfähigkeit der in den Einzelheiten beschriebenen Anlage sicherzustellen.

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(3)

Reparatur, Wartung und Unterhaltung (RWU)

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Auch insoweit genügt die Ausschreibung dem Vergaberecht.

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Soweit es um die Beschreibung der Aggregate geht, wird auf die Ausführungen zu (2) verwiesen. Es handelt sich um gängige Geräte, wie sie regelmäßig in Abfallbehandlungsanlagen eingesetzt werden. Kapazität und Abfallqualität (im oben (2) beschriebenen Umfang) sind bekannt. Dazu gibt es entsprechende Erfahrungswerte über Wartungsumfang, Wartungsintervalle, Austauschintervalle und Standzeiten. Bei der Vielzahl der Geräte ist zudem damit zu rechnen, dass "Ausreißer" nach oben und unten sich aufs Ganze gesehen weitgehend ausgleichen. Ein Sachverständiger ist anhand der Ausschreibung in der Lage, festzustellen, ob die tatsächlich eingebauten Aggregate einen Reparatur-, Wartungs- und Unterhaltungsaufwand erfordern, der außerhalb der Bandbreite liegt, die nach der Ausschreibung zu erwarten wäre. Gegebenenfalls hätte der Auftragnehmer einen Anspruch auf Vertragsanpassung.

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Die Leistungen RWU lassen sich auch von den Leistungen abgrenzen, die der Auftraggeber zum Erhalt der Anlage zu erbringen hat. Auch hier lässt sich nicht im Vorhinein ein Katalog aufstellen, der jeden denkbaren Einzelfall zweifelsfrei erfasst. Entscheidend ist, ob die Leistung im konkreten Fall Kenntnisse, Personalressourcen und Werkzeugausstattung verlangt, wie sie bei dem Betreiber der Anlage üblicherweise als vorhanden vorausgesetzt werden können, oder ob die Leistungsanforderungen darüber hinausgehen. Dabei kann es nicht zweifelhaft sein, dass es nicht darauf ankommen kann, ob der tatsächliche Betreiber zufälligerweise über Kenntnisse und Ressourcen verfügt, die von dem üblichen Standard abweichen.

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Aus 5.1 Abs. 2 der Leistungsbeschreibung folgt auch eindeutig, dass die eigentliche Dienstleistung der "Beschaffung" von Verschleiß- und Ersatzteilen, Verbrauchsmaterialien usw. mit zum Leistungsumfang des Auftragnehmers gehört, also nicht gesondert vergütet wird, während die für die Teile und Materialien anfallenden Kosten der Auftraggeber zu tragen hat.

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(4)

Nebenleistungen

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Unbegründet ist auch die Rüge, es fehle an Angaben dazu, welche Abfallmengen der Grobfraktion der Auftragnehmer erneut behandeln müsse, wenn sie beim ersten Durchlauf ohne sein Verschulden nicht die erforderliche Verarbeitungsqualität erreicht hätten. Nach Ziffer 6 des Bieterrundschreibens Nr. 1 vom 3. November 2004 betragen die wieder aufzugebenden Mengen 200 t/jährlich, und kann der Auftragnehmer die darüber hinaus gehenden Aufwendungen gegenüber dem Auftraggeber geltend machen.

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(5)

Garantie des ständigen Betriebes

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Wenn 4.1 Absatz 4 der Leistungsbeschreibung dem Auftragnehmer aufgibt, "den ständigen Betrieb der BA (365 Tage rund um die Uhr) sicherzustellen", so wird damit dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis auferlegt. Die Antragstellerin missversteht diese Regelung dahingehend, dass der Auftragnehmer damit eine verschuldensunabhängige Garantie übernommen habe. So lässt sich das Leistungsverzeichnis nicht auslegen. Schon die objektive vernünftigerweise zu berücksichtigende beiderseitige Interessenslage verbietet das. Davon abgesehen ergibt sich aus §§ 8 Abs. 3, 9 Absatz 3 BV eindeutig, dass der Auftragnehmer nur für Verschulden haftet.

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Im Übrigen hat der Auftraggeber im Bieterrundschreiben vom 3. November 2004 unter Ziffer 7 klargestellt, dass sich diese Formulierung selbstverständlich in Verbindung mit der gegebenen Verfügbarkeit der Anlage verstehe.

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(6)

Beherrschung von Betriebsstörungen

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Auch hier gilt, dass sich 4.1 Abs. 5 "Dem AN obliegt die Beherrschung von Betriebsstörungen" nicht dahin auslegen lässt, dass der Auftragnehmer eine verschuldensunabhängige Garantiehaftung übernehmen soll.

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Ansonsten ist auf die Ausführungen unter (3) Bezug zu nehmen: von dem Auftragnehmer werden diejenigen Maßnahmen verlangt, die von einem Betreiber mit den für den Betrieb einer der Ausschreibung entsprechenden Anlage üblichen Fachkenntnissen vernünftigerweise erwartet werden können.

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Dementsprechend hat der Auftraggeber unter Ziffer 8 des Bieterrundschreibens vom 3. November 2004 ausgeführt, dass "Beherrschung von Betriebsstörungen" nicht heiße, dass keine Betriebsstörungen auftreten dürften, sondern dass der Auftragnehmer im Falle von Betriebsstörungen die nötigen Maßnahmen veranlasse und das ihm mögliche tue, um den Betrieb möglichst kurzfristig wieder herzustellen.

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(7)

Stromerlöse

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Schließlich muss der Bieter auch nicht deshalb ein unzumutbares ungewöhnliches Wagnis auf sich nehmen, weil der Auftraggeber die Grundlagen für die Berechnung der in § 6 Abs. 3 vorgesehenen Leistungsprämie nicht angegeben hat. Nach dieser Bestimmung zahlt der Auftraggeber 25 % der ersparten Aufwendungen für die Entsorgung von Feinkorn als heizwertreiche Fraktion, wenn die insoweit gestellten Mindestanforderungenübertroffen werden, und 25 % der zusätzlichen Stromerlöse, wenn die Mindestanforderungen an die Gasausbeute in Verbindung mit dem Methangehalt überschritten werden. Wie hoch die ersparten Aufwendungen bzw. die zusätzlichen Stromerlöse sind, lässt sich zwangsläufig erst nach dem Probebetrieb ermitteln, wenn die verbindlichen Beschaffenheitsangaben festgelegt sind; die Werte können zudem im Laufe der Vertragszeit schwanken. Es ist für eine Leistungsprämie nicht ungewöhnlich, dass Aufwand und zusätzlicher Ertrag nicht von vornherein kalkulierbar sind. Wenn der Bieter erzielbare Leistungsprämien bei der Preiskalkulation mit berücksichtigen will, ist das sein Risiko. Darauf hat der Auftraggeber im Bieterrundschreiben vom 3. November 2004 (Ziffer 13) zutreffend hingewiesen. Unzureichende Angaben nach § 8 Nr. 3 Abs. 1 VOL/A oder die Überbürdung eines unzumutbaren ungewöhnlichen Wagnisses im Sinne von§ 8 Nr. 3 Abs. 3 VOL/A muss er sich nicht vorwerfen lassen.

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3)

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von §§ 97 Abs. 1, 100 ZPO. Zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens gehören auch die Kosten des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB. Die Entscheidung, wer diese Kosten zu tragen hat, folgt nach der Rechtsprechung des Senats der Kostenentscheidung des Hauptsacheverfahrens.

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...

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 486.905,45 EUR festgesetzt.

Den Streitwert hat der Senat gem. § 50 Abs. 2 GKG festgesetzt.