Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 12.05.2005, Az.: 13 Verg 5/05

Pflicht zur Rüge gegenüber dem Auftraggeber bei im Nachprüfungsverfahren selbst aufgedeckten Vergaberechtsverstößen; Bindung eines öffentlichen Auftraggebers an eigene Vorgaben hinsichtlich der Mindestanforderungen von Bietern

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
12.05.2005
Aktenzeichen
13 Verg 5/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 39553
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2005:0512.13VERG5.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VK Lüneburg - 08.03.2005 - AZ: VgK 03/2005

Fundstellen

  • BauRB 2005, XI Heft 8 (amtl. Leitsatz)
  • BauRB 2005, 267 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
  • IBR 2005, 400
  • OLGReport Gerichtsort 2005, 547-549
  • VS 2005, 95
  • Vergabe-News 2005, 67

Amtlicher Leitsatz

Der Antragsteller kann erst im Nachprüfungsverfahren erkannte Vergaberechtsverstöße zum Gegenstand des Verfahrens machen, auch wenn sich der Nachprüfungsantrag darauf zunächst nicht bezieht.

Dies gilt auch dann, wenn das Nachprüfungsverfahren aufgrund eines nicht den Anforderungen des § 107 Abs. 2, 3 GWB genügenden Antrags eingeleitet worden ist.

In dem Nachprüfungsverfahren
[...]
hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Celle
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. K sowie
der Richter am Oberlandesgericht B. und W.
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26. April 2005
beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Regierungsvertretung Lüneburg - vom 8. März 2005 aufgehoben.

Der Auftraggeber wird verpflichtet, die Beigeladene von dem Vergabeverfahren "Entsorgungsdienstleistungen für den Landkreis H.", Los 1, auszuschließen.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin haben der Antragsgegner und die Beigeladene als Gesamtschuldner zu tragen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin haben der Auftraggeber und die Beigeladene je zur Hälfte zu tragen.

Es wird festgestellt, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für die Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer notwendig war.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 62.242,45 EUR (1) festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der Auftraggeber schrieb im August 2004 europaweit im offenen Verfahren Entsorgungsdienstleistungen für den Landkreis H. in drei Losen aus. Den Bietern wurde freigestellt, Angebote für eines, zwei oder alle Lose abzugeben. Gegenstand des Loses 1 waren Sammlung und Transport von Restmüll, Biomüll, Sperrmüll und Weihnachtsbäumen sowie die Errichtung und der Betrieb einer Annahmestelle für ElektroAltgeräte im Zeitraum von Januar 2006 bis zunächst Dezember 2011. Die Bekanntmachung der Ausschreibung lautete u.a.:

"Mit dem Angebot sind vorzulegen:

...

4. Anerkennung als Entsorgungsfachbetrieb (EFB) oder vergleichbare Qualifikation für die entsprechende Leistung. Dies ist eine Mindestanforderung für alle Lose. Bei Bietergemeinschaften können Mitgliedsfirmen ohne EFB-Zertifikat für die Durchführung von Containertransporten vorgesehen werden.

5. Nachweis, dass der Bieter ähnliche Leistungen bereits durchgeführt hat (Referenz) mit Angabe des Auftragsgegenstandes, des Auftraggebers, des Rechnungswertes und der Leistungszeit; Empfehlungsschreiben der Auftraggeber sind dafür hilfreich. Es ist bei Los 1 nicht erforderlich, dass der Bieter bereits Ident oder Verwiegesysteme bei der Abfuhr eingesetzt hat.

...

Nachunternehmer: Art und Umfang der durch Nachunternehmer auszuführenden Leistungen sind anzugeben und die vorgesehenen Nachunternehmer zu benennen. Die geforderten Unterlagen sind auch für den Nachunternehmer vorzulegen. Die Eignung ist für den Leistungsbestandteil nachzuweisen, den der Nachunternehmer angebotsgemäß übernehmen soll. Nachunternehmer ohne EFBAnerkennung können für die Durchführung von Containertransporten vorgesehen werden."

2

Die Verdingungsunterlagen enthielten entsprechende Formulierungen (Teil I Ziff. 4.1, 4.3).

3

Die Verdingungsunterlagen ließen zum Los 1 bei der Sperrmüllabfuhr Nebenangebote zu, bei denen der Bieter Altholz aufgrund getrennter Sammlung oder Sortierung einer separaten Verwertung zuführt. Bei der Bewertung solcher Nebenangebote sollten 159 EUR/t brutto ersparte Aufwendungen für die Müllverbrennung berücksichtigt werden.

4

Zuschlagskriterium sollte der niedrigste Angebotspreis sein.

5

An der Ausschreibung nahmen u.a. die Antragstellerin und die Beigeladene teil.

6

Die Antragstellerin gab zum Los 1 ein Hauptangebot und zwei Nebenangebote, die Beigeladene ein Hauptangebot und ein Nebenangebot ab. Die Beigeladene erklärte in ihrem Angebot, sie beabsichtige, als Subunternehmer das Unternehmen K. Rohstoffe zu beteiligen. Dem Angebot der Beigeladenen war ein auf K.H. K. RohstoffhandelRecycling ausgestelltes Zertifikat vom 30. Oktober 2003 für das Einsammeln und Befördern näher bezeichneter Metalle, Verpackungen und Bauabfälle sowie für das Einsammeln, Befördern und Lagern von Holz, verschiedener Metalle, Kabel, Bauabfälle und Batterien, ferner für das Behandeln von Verpackungen beigefügt.

7

Nach der Angebotsauswertung des Auftraggebers lag das Nebenangebot der Beigeladenen mit einer Bruttosumme von 1.232.291 EUR auf dem ersten Rang. Es folgte das Nebenangebot 1 der Antragstellerin mit einer Bruttosumme von 1.244.849 EUR.

8

Mit Schreiben vom 21. Januar 2005 informierte der Auftraggeber die Antragstellerin, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag für das Los 1 auf das Nebenangebot der Beigeladenen zu erteilen. Dieses sei niedriger als das Nebenangebot 1 der Antragstellerin.

9

Mit Schreiben vom 27. Januar 2005 an den Auftraggeber rügte die Antragstellerin vermeintliche Vergaberechtsverstöße. Es sei davon auszugehen, dass die Beigeladene nicht das Ident- und Wiegesystem der Firma E. angeboten habe, mit welchem allein die Anforderungen der Leistungsbeschreibung erfüllt werden könnten. Zu beanstanden sei ferner, dass es in der Ausschreibung heiße, erst nach Beurteilung des Einzelfalles könne geklärt werden, ob aufgrund vertraglicher Bindungen auf ein Nebenangebot zum Los 1 (getrennte Sammlung von Altholz) zugeschlagen werden könne. Es sei insoweit offen geblieben, welche Kriterien der Auftraggeber anwende. Außerdem sei das Nebenangebot der Beigeladenen unauskömmlich.

10

Der Auftraggeber teilte der Antragstellerin mit, er beabsichtige weiter, den Zuschlag auf das Nebenangebot der Beigeladenen zu erteilen. Daraufhin beantragte die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren mit dem Ziel, den Auftraggeber zu verpflichten, das Angebot der Beigeladenen zum Los 1 von der Wertung auszuschließen. Zur Begründung wiederholte die Antragstellerin ihre Rügen des ungeeigneten Ident- und Wiegesystems und der unklaren Wertungskriterien. Außerdem machte sie geltend, dass die Beigeladene keinesfalls in der Lage sei, mit einem höheren Altholzanteil zu kalkulieren, als dies in dem Angebot der Antragstellerin geschehen sei.

11

Am 14. Februar 2005 erhielt die Antragstellerin Einsicht in die Akten des Nachprüfungsverfahrens. Mit Telefax vom 15. Februar 2005 trug die Antragstellerin vor, es sei fraglich, ob der Subunternehmer der Beigeladenen das erforderliche EFB-Zertifikat eingereicht habe, denn die Firma K.H. K. sei zum 30. Juni 2003 abgemeldet und die Firma T. K. erst nach Ablauf der Angebotsfrist in das Handelsregister eingetragen worden, außerdem habe die Firma K. solche Leistungen bislang nicht ausgeführt. Mit Fernschreiben vom 16. Februar 2005 ergänzte die Antragstellerin ihr Vorbringen dahin, weitere Erkundigungen hätten ergeben, dass die Firma T. K. nicht Entsorgungsfachbetrieb sei. Nur unter dem Namen K.H. K. gebe es einen zertifizierten Betrieb für Rohstoffhandel und Recycling. Mit Fernschreiben vom 23. Februar 2005 machte die Antragstellerin geltend, sie habe soeben eine Abschrift des Zertifikats für die Firma K. erhalten. Daraus ergebe sich, dass das Unternehmen über keine Zertifizierung für die Bereiche Hausmüll, Sperrmüll und Bioabfall verfüge.

12

Der Auftraggeber und die Beigeladene sind dem Nachprüfungsantrag entgegen getreten.

13

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Der Nachprüfungsantrag sei unzulässig. Die Rüge, dass die Ausschreibung unklare Wertungskriterien im Hinblick auf Nebenangebote zum Los 1 enthalte, sei gemäß § 107 Abs. 3 S. 1 GWB ausgeschlossen, weil die Antragstellerin die Rüge nicht unmittelbar nach Sichtung der Ausschreibungsunterlagen erhoben habe. Soweit die Antragstellerin geltend gemacht habe, der Auftraggeber habe das Nebenangebot der Beigeladenen als wirtschaftliches Angebot ermittelt, obwohl es mangels Eignung des angebotenen Ident- und Wiegesystems und wegen unangemessen niedrigen Angebotspreises auszuschließen gewesen sei, habe sie nicht dargelegt, dass ihr durch die behauptete Rechtsverletzung ein Schaden entstanden sei oder zu entstehen drohe (§ 107 Abs. 2 GWB). Diese Rügen seien auch deshalb unzulässig, weil die Antragstellerin sie "ins Blaue hinein" vorgetragen habe. Die Rügen beruhten auf Vermutungen, die sich als falsch erwiesen hätten. Der Nachprüfungsantrag sei auch insoweit unzulässig, als die Antragstellerin nach Akteneinsicht gerügt habe, dass bei dem Angebot der Beigeladenen die geforderten EFB-Zertifikate für die Subunternehmerin fehlten und dass der Auftraggeber die Eignung der Subunternehmerin fehlerhaft bejaht habe. Diese Rügen seien erst neun bis vierzehn Tage nach Akteneinsicht und damit verspätet erfolgt. Sie seien auch deshalb unzulässig, weil es der Antragstellerin nicht gelungen sei, mit einer der zunächst geäußerten Rügen substantiiert darzulegen, dass die vermeintlichen Vergaberechtsverstöße in irgend einer Weise zur Verletzung ihrer Rechte geführt haben könnten.

14

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde, mit der sie - wie zu Beginn der Berufungsverhandlung erörtert - nur noch die Rügen bezüglich des EFB-Zertifikats, der Referenzen und der fehlenden Eignung weiterverfolgt.

15

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere innerhalb der Frist des § 117 Abs. 1 GWB eingelegt. Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der Nachprüfungsantrag ist jedenfalls teilweise zulässig und im Hinblick auf die nach Akteneinsicht vorgetragenen Rügen auch begründet.

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1. Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags

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Der Nachprüfungsantrag ist jedenfalls insoweit zulässig, als die Antragstellerin nach Aktenansicht weitere Vergaberechtsverstöße geltend gemacht hat.

18

Es ist anerkannt, dass der Antragsteller erst im Nachprüfungsverfahren erkannte Vergaberechtsverstöße zum Gegenstand des Verfahrens machen kann, auch wenn sich der Nachprüfungsantrag darauf zunächst nicht bezieht. Die Verpflichtung gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB, den Verstoß zunächst gegenüber dem Auftraggeber zu rügen, greift dann nicht ein (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Februar 2005 - Verg 92/04 = IBR 2005, 1114; OLG Frankfurt, Beschluss vom 10. April 2001 - 11 Verg. 1/01 = VergabE C71/01; Senat, Beschluss vom 23. Februar 2001 - 13 Verg. 3/01 = VergabeR 2001, 252 = VergabE C93/01). Das gilt auch dann, wenn das Nachprüfungsverfahren aufgrund eines nicht den Anforderungen des § 107 Abs. 2, 3 GWB genügenden Antrags eingeleitet worden ist (für den Fall eines nach § 107 Abs. 3 GWB unzulässigen Antrags: vgl. Senat a.a.O.). Die Tatbestandsmerkmale des § 107 Abs. 2, 3 GWB müssen für jeden einzelnen Vergaberechtsverstoß gesondert dargelegt und geprüft werden. Fehlen sie im Hinblick auf die ursprünglich geltend gemachten Rügen, so ändern "nachgeschobene" Rügen nichts daran, dass der Antrag insoweit unzulässig bleibt. Der Antrag kann in diesem Fall aber teilweise, nämlich soweit es um die neue Rüge geht, zulässig werden. Dem stehen die Vorschriften des § 107 Abs. 2, 3 GWB nicht entgegen. Ihnen - und auch § 108 GWB - ist nicht zu entnehmen, dass in einem erst während des Nachprüfungsverfahrens eingereichten Schriftsatz vorgebrachte Rügen bei der Zulässigkeitsprüfung unberücksichtigt bleiben müssen.

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Für die hier vertretene Auffassung spricht, dass es dem Beschleunigungsgebot zuwiderliefe, den Bieter wegen erst während des Nachprüfungsverfahrens erkannter Vergaberechtsverstöße auf ein neues Nachprüfungsverfahren zu verweisen, wenn die Rügen im Übrigen zulässig, insbesondere so rechtzeitig vorgebracht worden sind, dass sie in dem laufenden Nachprüfungsverfahren ohne Verzögerung beschieden werden können. Soweit das OLG Düsseldorf a.a.O. die Ansicht vertreten hat, nur wenn eine den Maßstäben des § 107 Abs. 2 GWB genügende Darlegung der Verletzung von Bieterrechten das Nachprüfungsverfahren eröffnet habe, könnten andere, erst im Laufe des Nachprüfungsverfahrens zutage getretene Vergaberechtsverletzungen zum Gegenstand desselben Nachprüfungsverfahrens gemacht werden, tritt der Senat dem aus den vorgenannten Gründen nicht bei. Eine Vorlagepflicht gem. § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB besteht wegen der Abweichung nicht, weil es sich nicht um einen tragenden Rechtssatz der Entscheidung des OLG Düsseldorf handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2004 - X ZB 7/04 = ZIP 2004, 1460).

20

Eine andere Frage ist, ob ein Antragsteller, der erst im Nachprüfungsverfahren Kenntnis von weiteren Vergaberechtsverstößen erhält, diese unverzüglich vor der Vergabekammer oder gegebenenfalls im Beschwerdeverfahren vor dem Vergabesenat geltend machen muss (bejahend OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. Juni 2004 - 11 Verg. 15/04). Dies braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn die Rügen der Antragstellerin sind unverzüglich nach Kenntnis des Sachverhalts erfolgt:

21

Die Antragstellerin hat am 14. Februar 2005 Akteneinsicht erhalten. Dabei hat sie erfahren, dass die Beigeladene die Firma K. als Subunternehmer benannte. Mit Telefax vom 15. Februar 2005 hat die Antragstellerin gerügt, es sei fraglich, ob die Beigeladene für die Firma K. ein EFB-Zertifikat eingereicht habe, da die Firma K.H. K. bereits zum 30. Juli 2003 abgemeldet und die Firma T. K. erst nach Ablauf der Angebotsfrist im Handelsregister eingetragen worden sei; außerdem könne die Beigeladene nicht den Nachweis erbracht haben, dass die Firma K. ähnliche Leistungen bereits durchgeführt habe (Referenzen), denn diese Firma habe sich nie mit der Hausmüllabfuhr beschäftigt. Mit Telefax vom 16.02.2005 hat die Antragstellerin diesen Vortrag dahin ergänzt, weitere Erkundigungen hätten ergeben, dass die Firma T. K. nicht als Entsorgungsfachbetrieb zertifiziert sei. Nicht nur diese Rügen waren unverzüglich, sondern auch die mit Telefax vom 23. Februar 2005 vorgetragene Rüge, dass sich die Zertifizierung der Firma K. nicht auf die Bereiche Hausmüll, Sperrmüll und Bioabfall beziehe. Denn die Antragstellerin hat in dem Schriftsatz vom 23. Februar 2005 unwidersprochen vorgetragen, dass sie erst "soeben" eine Abschrift des Zertifikats für die Firma K. erhalten habe.

22

2. Begründetheit des Nachprüfungsantrags

23

Der Auftraggeber hätte das Angebot der Beigeladenen von der Wertung ausschließen müssen, weil als Mindestanforderung die Vorlage einer Anerkennung als Entsorgungsfachbetrieb (EFB) "für die entsprechende Leistung" ausdrücklich auch für Nachunternehmer gefordert war, und weil die für den Nachunternehmer K. vorgelegten EFB-Zertifikate dieser Anforderung nicht genügen. Ziff. III.2)4. der Vergabebekanntmachung ist ausdrücklich als Mindestanforderung formuliert. Dasselbe gilt für Teil I Ziff. 4.1 der Verdingungsunterlagen.

24

Ein öffentlicher Auftraggeber, der im Hinblick auf die Eignungsprüfung die Vorlage bestimmter Unterlagen als Mindestanforderung verlangt, ist hieran gebunden und darf nicht zugunsten eines Bieters auf die Erfüllung der Mindestanforderung verzichten. Ein solcher Verzicht wäre gegenüber anderen Bietern, die die Mindestanforderung erfüllen, oder gegenüber solchen Bietern, die von der Teilnahme an der Ausschreibung abgesehen haben, weil sie die Mindestanforderung nicht erfüllen können, ein Vergaberechtsverstoß (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. Juni 2002 - Verg. 26/02).

25

Die Klausel in Ziff. III.2)4. der Vergabebekanntmachung bzw. Teil I Ziff. 4.1 der Verdingungsunterlagen ist so auszulegen, wie ein an der Ausschreibung interessiertes Unternehmen die Formulierung verstehen musste. Darauf, was der Auftraggeber mit der Klausel beabsichtigte, kommt es nur insoweit an, als dies für die Bieter erkennbar war.

26

Auszugehen ist vom Wortlaut. Der Wortlaut ist dahin zu verstehen, dass der Auftraggeber die Vorlage einer Anerkennung als Entsorgungs-Fachbetrieb (EFB-Zertifikat) "für die entsprechende Leistung", d.h. hinsichtlich des Loses 1 für Sammlung und Transport von Restmüll und Biomüll sowie die Abfuhr von Sperrmüll verlangt. Entgegen der vom Auftraggeber und der Beigeladenen vertretenen Meinung stellt der Satzteil "für die entsprechende Leistung" nicht nur einen Hinweis darauf dar, dass es sich bei der alternativ vorzulegenden "vergleichbaren Qualifikation" um eine solche für Entsorgungsleistungen handeln müsse. Dass eine Qualifikation, die sich nicht auf Entsorgungsleistungen bezieht, mit einer Anerkennung als Entsorgungs-Fachbetrieb nicht vergleichbar ist, versteht sich von selbst. Wenn es dem Auftraggeber nur um eine Klarstellung in diesem Sinne gegangen wäre, so hätte er dies einfach zum Ausdruck bringen können, beispielsweise mit der Formulierung "Anerkennung als Entsorgungsfachbetrieb (EFB) oder vergleichbare Qualifikation für Entsorgungsleistungen". Dies ist nicht geschehen. Aus den genannten Gründen liegt es nahe, den Satzteil "für die entsprechende Leistung" dahin zu verstehen, dass der Bieter die Anerkennung als Entsorgungs-Fachbetrieb oder die vergleichbare Qualifikation jeweils für das Los/die Lose vorlegen muss, um die er sicht bewirbt, beim Einsatz von Nachunternehmern ferner für die Leistungen, die der Nachunternehmer ausführen soll. Dafür spricht das erkennbare Interesse des Auftraggebers, Unterlagen in die Hand zu bekommen, mit denen er die Eignung des Bieters bzw. des Subunternehmers im Hinblick auf die konkret auszuführenden Leistungen prüfen kann. Bei diesem Verständnis bezieht sich der Satzteil "für die entsprechende Leistung" notwendigerweise sowohl auf "Anerkennung als Entsorgungs-Fachbetrieb" als auch auf "oder vergleichbare Qualifikation". Denn fordert der Auftraggeber, dass sich eine vorgelegte "vergleichbare Qualifikation" auf die konkret angebotene bzw. vom Nachunternehmer auszuführende Leistung beziehen muss, so ist nicht ersichtlich, weshalb im Fall der Vorlage eines EFB-Zertifikats ein Nachweis für beliebige - auch von der Ausschreibung nicht erfasste - Entsorgungsleistungen genügen sollte. Mit einem solchen Verständnis würden insbesondere ausländische Bieter diskriminiert, in deren Ländern es keine EFB-Zertifikate gibt.

27

Zur Klarstellung ist anzumerken, dass sich das vorzulegende EFB-Zertifikat nicht auf jene Betriebsstätte beziehen muss, bei der die ausgeschriebene Leistung erbracht werden soll. Ein solches Verständnis der Klausel kommt nicht in Betracht, weil der Wortlaut nichts dafür hergibt, und weil es zu einer unzulässigen Verengung des Wettbewerbs auf ortsansässige Bieter führen würde, in deren Ländern es EFB-Zertifikate nicht gibt.

28

Der Vertreter der Beigeladenen hat in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, die Auslegung, wonach das EFB-Zertifikat oder die vergleichbare Qualifikation für die konkret angebotene bzw. vom Nachunternehmer auszuführende Entsorgungsleistung vorgelegt werden müsse, könne auch deshalb nicht richtig sein, weil dann die in der Vergabebekanntmachung und den Ausschreibungsunterlagen geforderten Referenzen entbehrlich wären. Dem kann nicht beigetreten werden. Ein EFB-Zertifikat wird dem Entsorgungs-Fachbetrieb nach Durchführung einer Prüfung erteilt, wenn der Betrieb die Anforderungen der Entsorgungs-Fachbetriebs-Verordnung erfüllt (§ 14 Abs. 1 EfbV). Demgegenüber geht es bei der Abfrage von Referenzen um den Nachweis möglichst umfassender Erfahrungen eines Bewerbers bei der Durchführung entsprechender Aufträge. Referenzen sollen den Auftraggeber auch in die Lage versetzen, in Erfahrung zu bringen, wie andere Auftraggeber die Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit des Bieters beurteilen.

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3.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer beruht auf § 128 Abs. 3 Satz 1, 128 Abs. 4 Satz 1 GWB. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

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Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird gem. § 12 a Abs. 2 GKG auf 5% des auf dem zweiten Rang liegenden Nebenangebots 1 der Antragstellerin festgesetzt.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 62.242,45 EUR (2) festgesetzt.

(1) Red. Anm.:

"62.242,45 EUR" korrigiert durch "622.424,50 EUR" (siehe Verknüpfung zur Gegenvorstellung)

(2) Red. Anm.:

"62.242,45 EUR" korrigiert durch "622.424,50 EUR" (siehe Verknüpfung zur Gegenvorstellung)