Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 18.05.2005, Az.: 9 W 44/05
Anzeichen einer Befangenheit des Richters; Voraussetzungen der Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 18.05.2005
- Aktenzeichen
- 9 W 44/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 17149
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2005:0518.9W44.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Verden - 29.03.2005 - AZ: 5 O 568/04
Rechtsgrundlagen
- § 42 Abs. 2 ZPO
- § 572 ZPO
- § 227 ZPO
- § 922 Abs. 3 ZPO
Fundstelle
- OLGReport Gerichtsort 2005, 451-452
Amtlicher Leitsatz
Wenn ein Richter durch den Inhalt eines Hinweises zu erkennen gibt, dass er die seine Entscheidung aufhebende (ihn gemäß § 572 ZPO bindende) Beschwerdeentscheidung für unrichtig hält, dabei Tatsachen zugrunde legt, die keine Partei vorgetragen hat, zudem ohne nachvollziehbare Begründung einen den Erfordernissen des § 227 ZPO genügenden Terminsverlegungsantrag zurückweist und einen ihm unterlaufenen prozessualen Fehler (Verstoß gegen § 922 Abs. 3 ZPO) in seiner dienstlichen Äußerung damit zu rechtfertigen versucht, bei der Gegenpartei handele es sich um ein "seriöses Autohaus", begründet dies die Besorgnis der Befangenheit.
In dem einstweiligen Verfügungsverfahren
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
am 18. Mai 2005
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin vom 20. April 2005 wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 29. März 2005 geändert.
Das Ablehnungsgesuch der Verfügungsklägerin gegen den Richter am Landgericht ... wird für begründet erklärt.
Beschwerdewert: 6.500 EUR.
Gründe
Die gemäß § 46 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) ist begründet. Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Darunter sind Gründe zu verstehen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Nicht erforderlich ist, dass der Richter tatsächlich befangen ist; unerheblich ist, ob er sich für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., Rn. 9 zu § 42 m. z. N.).
Solche Gründe bestehen hier, denn der abgelehnte Richter hat durch seine Verfahrensweise bei der Klägerin den Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung erweckt.
Diesen Eindruck konnte die Klägerin schon daraus gewinnen, dass der abgelehnte Richter zu einem Zeitpunkt, als ein Hinweis durch ihn unter keinem Gesichtspunkt mehr (oder schon wieder) geboten war - die Klägerin hatte ihr beantragtes Ziel durch die Beschwerdeentscheidung im Wesentlichen erreicht, die Beklagte sich gegen die einstweilige Verfügung noch überhaupt nicht zur Wehr gesetzt - einen in mehrfacher Hinsicht inhaltlich und prozessual nicht vertretbaren, der Klägerin nachteiligen Hinweis erteilt hat. Diesen Hinweis mit Verfügung vom 21. Januar 2005 konnte die Klägerin zu Recht zum einen dahin verstehen, dass sich der Einzelrichter der ihn bindenden (vgl. Zöller/Gummer, a. a. O. Rn. 34 zu § 572) Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts nicht beugen wolle. Schließlich hat er nicht nur zum Ausdruck gebracht, die Auffassung des für die Beschwerdeentscheidung zuständigen 16. Zivilsenats betreffend die Frage eines gutgläubigen Erwerbs für falsch zu halten (ein solcher scheitere "auch" daran, dass nur einer der Schlüssel ausgehändigt worden sei), sondern sogar den Regelungsgehalt der durch die nächsthöhere Instanz erlassenen einstweiligen Verfügung in Frage gestellt: Angesichts der mit der Beschwerdeentscheidung titulierten Herausgabeverpflichtung gab es für ihn keine Veranlassung, seiner gegenteiligen Auffassung ("eine Herausgabe wird nicht erforderlich sein") Ausdruck zu verleihen. Davon abgesehen ist auch der sachliche Gehalt des Hinweises, nämlich es sei nur ein Fahrzeugschlüssel für die Probefahrt ausgehändigt worden, nicht mit dem ausdrücklichen gegenteiligen Vortrag der Klägerin (s. Bl. 38 d. A.) in Einklang zu bringen. Die Verfügungsbeklagte (im Folgenden: Beklagte) selbst hatte sich zur Sache noch nicht geäußert (später hat sie diese Behauptung der Klägerin sogar ausdrücklich zugestanden, Bl. 82 d. A.). Woraus der abgelehnte Richter den in seiner dienstlichen Äußerung - die für die Besorgnis der Befangenheit mit heranzuziehen ist - angeführten anderweitigen "Eindruck" gewonnen haben will, ist angesichts des gegenteiligen und keineswegs erst "später" (sondern mit der Beschwerde, der der Einzelrichter nicht abgeholfen hatte) erfolgten Vortrags der Klägerin nicht nachzuvollziehen; da die beiden Originalschlüssel beim Verkauf des Fahrzeugs übergeben worden sein sollen (S. 3 der Antragsschrift), sprach im Übrigen von vornherein alles dafür, dass "A." sie anlässlich der Probefahrt erhalten hatte. Die der dienstlichen Äußerung durchgehend zu entnehmende Tendenz, auf der im geänderten Beschluss vom 10. Dezember 2004 vertretenen Auffassung beharren und unterlaufene offenkundige Fehler rechtfertigen zu wollen, anstatt sie einzuräumen, ist geeignet, aus Sicht der Klägerin die Befürchtung einer Voreingenommenheit noch zu verstärken. Befremdet musste die Klägerin auch über den in der Hinweisverfügung mitgeteilten Anruf des abgelehnten Richters bei dem Vorsitzenden des Beschwerdesenats sein, dessen Anlass und Sinn auch der Senat nicht nachvollziehen kann; die diesbezügliche Mitteilung erweckt den Anschein, jener Vorsitzende stimme mit dem Einzelrichter dahin überein, dass die Beschwerdeentscheidung unter der genannten Voraussetzung (nur ein Schlüssel war bei der Probefahrt ausgehändigt) unrichtig sei. Der Senat hat davon abgesehen, den Vorsitzenden des 16. Zivilsenats um eine Äußerung zu der "Rücksprache" zu bitten, weil die vom abgelehnten Richter angeführte Voraussetzung - wie dargelegt - gar nicht angenommen werden konnte.
Zusätzlich wurde die Besorgnis der Befangenheit durch die Tatsache begründet, dass der Einzelrichter den von ihm auf 9:00 Uhr angesetzten Termin (eine Uhrzeit, die angesichts des Kanzleisitzes des Klägervertreters in Berlin und der deshalb erforderlichen weiten Anreise von vornherein untunlich war) ohne inhaltlich nachvollziehbare Begründung nicht zu verlegen bereit war. Die vom Klägervertreter ausführlich und nachvollziehbar abgegebene Begründung (Bl. 88 f. d. A.) allein mit der Bemerkung abzutun, eine Verlegung sei "nicht möglich" (was nicht einmal mit der dienstlichen Äußerung erläutert worden ist), ist ebenfalls geeignet, bei der Klägerin den Eindruck zu verstärken, der Richter setze sich über ihre Interessen hinweg und stehe ihr voreingenommen gegenüber. Denn durch die - im Hinblick auf die fehlende Begründung gesetzeswidrige (vgl. § 227 Abs. 4 S. 2 ZPO) Verfahrensweise des Richters sah sich die Klägerin nunmehr auch noch der Gefahr ausgesetzt, im Termin nicht ordnungsgemäß vertreten werden zu können, obwohl ihr Anwalt erhebliche Gründe i. S. v. § 227 Abs. 1 ZPO dargelegt hatte und nicht erkennbar war, dass beim Landgericht dienstliche Gründe einer Verlegung um einige Stunden entgegenstanden; dass eine (kurze) Verhandlung dieser Eilsache etwa auch in den Nachmittagsstunden nicht möglich gewesen wäre - die Verfügungsklägerin hat vorgetragen, die letzte Verhandlung am Terminstag sei für 11:45 Uhr vorgesehen gewesen - ist auch im Ablehnungsverfahren nicht festgestellt worden.
Nach alledem kann es dahinstehen, ob - in Zusammenschau mit den vorstehend erörterten Umständen - auch die Tatsache, dass der abgelehnte Richter seinen zurückweisenden Beschluss und die Nichtabhilfeentscheidung entgegen der Vorschrift des § 922 Abs. 3 ZPO mit Verfügung vom 28. Dezember 2004 den Beklagtenvertretern hat zukommen lassen, für eine Voreingenommenheit spricht. Allerdings wird auch diese Befürchtung durch die dienstliche Äußerung durchaus genährt: Anstatt mit einem unterlaufenen Versehen wird die Vorgehensweise dort nämlich damit zu rechtfertigen versucht, dass die Beklagte "als seriöses Autohaus bekannt" sei. Abgesehen davon, dass eine derartige (subjektive) Einschätzung des Prozessgegners in einer dienstlichen Stellungnahme betreffend einen Ablehnungsantrag kaum geeignet ist, die Befürchtung mangelnder Neutralität zu zerstreuen, ist der zitierten Vorschrift nicht zu entnehmen, dass sie bei Anträgen gegen "seriöse" Antragsgegner nicht gelten soll; der Anspruch auf rechtliches Gehör bleibt (spätestens) im Widerspruchsverfahren gewahrt. Etwas anderes lässt sich auch nicht aus der von der Kammer zitierten Fundstelle herleiten. Entgegen der im angefochtenen Beschluss vertretenen Auffassung ging es im vorliegenden Fall gar nicht um eine Anhörung der Beklagten, denn der erkennende Einzelrichter hatte ohnehin nicht beabsichtigt, dem Antrag der Klägerin nachzukommen.
Streitwertbeschluss:
Beschwerdewert: 6.500 EUR.