Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 13.05.2005, Az.: 16 W 46/05
Zulässigkeit einer Streitwertbeschwerde nach zuvoriger Zustimmung in einer vorausgegangenen Anhörung durch die Prozessbevollmächtigten; Einverständniserklärung eines Prozessbevollmächtigten als Erklärung über einen Rechtsmittelverzicht; Von Amts wegen zu korrigierende Streitwertfestsetzung; Streitwertbestimmung nach Eintritt teilweiser Erledigung der Hauptsache
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 13.05.2005
- Aktenzeichen
- 16 W 46/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 39554
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2005:0513.16W46.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 12.01.2005 - AZ: 2 O 136/04
Rechtsgrundlagen
- § 25 Abs. 3 GKG a.F.
- § 68 GKG
- § 367 BGB
Fundstellen
- JurBüro 2005, 429 (amtl. Leitsatz)
- MDR 2005, 1137 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
Die Streitwertbeschwerde ist nicht deswegen unzulässig, weil die Prozessbevollmächtigten der Parteien der Festsetzung des Streitwerts im Rahmen der der angefochtenen Entscheidung vorausgegangenen Anhörung zugestimmt haben. Dem Einverständnis der Prozessbevollmächtigten kommt weder die Bedeutung eines Rechtsmittelverzichts zu, noch entfällt dadurch die Beschwer (Anschluss an OLG Köln, 12. Zivilsenat, Beschl. v. 18. November 1999, OLGR Köln 2000, 119).
Tenor:
Auf die Beschwerde der Beklagten wird die Streitwertfestsetzung im Beschluss des Landgerichts vom 12. Januar 2005 geändert und der Streitwert des Rechtsstreits wie folgt festgesetzt:
- bis zum 11. Januar 2005 auf 8.456 EUR,
- ab dem 12. Januar 2005 auf bis zu 4.000 EUR.
Gründe
I.
Mit der Klage haben die Kläger nach Klageerweiterung zunächst die Zahlung von rund 8.456 EUR nebst Zinsen erstrebt. Unter Anrechnung zweier Zahlungen der Beklagten haben sie mit Schriftsatz vom 11. Januar 2005 den Antrag angekündigt, die Beklagten zu verurteilen, an sie die vorgenannten Beträge abzüglich am 29. April und 15. April 2005 jeweils gezahlter 2.500 EUR zu zahlen. Im Termin am 12. Januar 2005 haben die Parteien den Rechtsstreit durch Vergleich beendet und in diesen Vergleich weitere Streitfragen und andere Verfahren einbezogen. Auf das Protokoll wird verwiesen (Bl. 121 ff.). Mit Beschluss vom 12. Januar 2005 hat das Landgericht nach Anhörung und im Einvernehmen der Parteien den Streitwert für den Rechtsstreit auf 85.000 EUR und für den Vergleich auf 100.000 EUR festgesetzt. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten mit dem Ziel, den Streitwert für den Rechtsstreit auf 8.456,26 EUR festzusetzen. An die anderweitige Festsetzung des Streitwerts und ihre Angaben zur Höhe seien sie nicht gebunden. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und in den Gründen unter Hinweis auf die Rechtsprechung verschiedener Oberlandesgerichte (OLG Köln, OLGR 1999, 402; Bamberg, JurBüro 1975, 1463; Hamburg, MDR 1977, 407; Hamm FamRZ 1997, 691) ausgeführt, es halte die Beschwerde für unzulässig, weil es an der Beschwer der Beklagten fehle, die sich (durch ihren Anwalt) ausdrücklich mit der Festsetzung auf 85.000 EUR einverstanden erklärt hätten.
II.
Die Beschwerde der Beklagten ist gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 GKG (a.F.), der auf das vorliegende Verfahren noch anzuwenden ist, zulässig und hat in der Sache Erfolg. Auch bei Anwendung der Neufassung des GKG (§ 68 GKG) ergäben sich im Übrigen keine anderen Rechtsfolgen.
1.
Der Senat vermag der Entscheidung des Landgerichts und den dort zitierten Entscheidungen der Oberlandesgerichte (a.a.O.) nicht beizutreten. Er folgt vielmehr der in der Rechtsprechung zu der vorliegenden Streitfrage ausführlich und überzeugend begründeten Entscheidung des 12. Zivilsenats des OLG Köln vom 18. November 1999 (OLGR Köln 2000, 119, zitiert nach [...]) sowie der Auffassung von Schneider/Herget (Streitwertkommentar, 11. Aufl., Rdnr. 4144, 4218). Die Streitwertbeschwerde ist nicht deswegen unzulässig, weil die Prozessbevollmächtigten der Parteien der Festsetzung des Streitwerts im Rahmen der der angefochtenen Entscheidung vorausgegangenen Anhörung zugestimmt haben. Dem Einverständnis der Prozessbevollmächtigten kommt weder die Bedeutung eines Rechtsmittelverzichts zu noch entfällt dadurch die Beschwer. Dieser Auffassung sind auch: HansOLG Bremen, Beschluss vom 16. Juni 1993 - 2 W 22/93 , zitiert nach [...]; OLG München, JurBüro 1981, 892 ff., OLG Nürnberg, Rpfleger 1956, 269.
Der 12. Zivilsenat des OLG Köln hat seine Entscheidung u.a. wie folgt begründet:
"Teilweise wird in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten, durch die Streitwertfestsetzung werde nicht beschwert, wer sich mit derselben zuvor einverstanden erklärt habe (so z.B.: HansOLG Hamburg, MDR 1977, 407; OLG Bamberg, JurBüro 1975, 1463; Hartmann, Kostengesetze, 28. Aufl., § 25 GKG Rdnr. 63). Die Zulässigkeit der Beschwerde setzt wie Rechtsmittel generell die Beschwer des Beschwerdeführers voraus (vgl. nur: ZöllerGummer, ZPO, 21. Aufl., § 567 Rdnr. 5). Dabei ist im Hauptsacheverfahren grundsätzlich - jedenfalls auf Seiten eines Klägers - die formelle Beschwer maßgeblich, die voraussetzt, dass die angefochtene Entscheidung hinter dem beschiedenen Begehren zurückbleibt (ZöllerGummer, a.a.O., Vor § 511 Rdnr. 8). Selbst wenn man insoweit der umstrittenen Rechtsauffassung folgt, auch für den Beklagten sei bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Berufung grundsätzlich auf die formelle Beschwer abzustellen, wird hiervon jedenfalls eine Ausnahme für den Fall der Anfechtung eines Anerkenntnisurteils zugebilligt; in diesem Fall wird die Beschwer materiell nach dem Umfang der Verurteilung bemessen, obwohl und gerade weil (§ 307 ZPO) die Verurteilung aufgrund des Anerkenntnisses, das eine Zustimmung als eine Art minus beinhaltet, erfolgt (ZöllerGummer, a.a.O., Vor § 511 Rdnr. 17 a). Entscheidend kommt hinzu, dass es jedenfalls im Verfahren über die Festsetzung des Streitwerts allein auf die in dem Interesse des Prozessbevollmächtigten der Beklagten an einem höheren Gebührenanspruch zu sehende materielle Beschwer ankommen kann. Denn die Festsetzung des Streitwerts unterliegt nicht der Disposition der Parteien (OLG Hamm, FamRZ 1997, 691 f.; SchneiderHerget, StreitwertKommentar, 11. Aufl., Rdnr. 4144, m. Vw. auf OLG Stuttgart, Justiz 1969, 226). Der Streitwertbeschluss ergeht nicht auf einen Antrag der Parteien hin, sondern wird von dem mit der Sache befassten Gericht von Amts wegen und unabhängig von der - teils in Antragsform gekleideten - Anregung entsprechend der Sach- und Rechtslage erlassen (so auch: HansOLG Bremen, Beschluss vom 16. Juni 1993 - 2 W 22/93; OLG München, JurBüro 1981, 892 ff., 892; OLG Nürnberg, Rpfleger 1956, 269).
Teilweise wird das Einverständnis der Parteien mit einer Festsetzung des Streitwerts als Rechtsmittelverzicht aufgefasst (HansOLG Hamburg, a.a.O.; OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Neustadt, Rpfleger 1966, 355; Rpfleger 1963, 33; JurBüro 1960, 307 f.), jedenfalls wenn der Festsetzung eine Vereinbarung der Parteien über einen bestimmten Vorschlag zum Streitwert an das Gericht voraus gegangen ist (LG Koblenz, JurBüro 1967, 1018). Insoweit ist zwar richtig, dass es der Disposition der Parteien unterliegt, Beschwerde einzulegen oder nicht (OLG Hamm, a.a.O.; HansOLG Hamburg, a.a.O.). Hierbei wird indes schon der formale Gesichtspunkt übersehen, dass ein im Hauptsacheverfahren vor dem Urteilserlass gegenüber dem Gegner oder dem Gericht erklärter Verzicht auf Rechtsmittel als wirkungslos angesehen wird (BGHZ 28, 45 ff., 48; ZöllerGummer, a.a.O., § 514 Rdnr. 1; ThomasPutzo, a.a.O., § 514 Rdnr. 5). Ein vernünftiger Grund, diesen Grundsatz im Verfahren über die Festsetzung des Streitwerts im Hinblick auf das Rechtsmittel der Beschwerde aufzugeben, ist nicht ersichtlich. Insoweit bleibt lediglich die Möglichkeit der Auslegung des beiderseitigen Einverständnisses in einen zwischen den Parteien im Voraus geschlossenen Vertrag mit der gegenseitigen Verpflichtung, gegen den vorstellungsgemäß ergehenden Streitwertbeschluss kein Rechtsmittel einzulegen (vgl. für den Verzicht auf die Einlegung der Berufung: BGHZ, a.a.O., 52; ZöllerGummer, a.a.O., § 514 Rdnr. 2; ThomasPutzo, a.a.O.). Ein solcher Vertrag ist nach allgemeiner Auffassung nicht eo ipso berücksichtigungsfähig, sondern begründet eine prozessuale Einrede, die erst auf Einwendung des Gegners zur Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig führt (Rspr. und Lit. wie vorstehend zitiert; so auch: SchneiderHerget, a.a.O., Rdnr. 4145, zum Verzichtsvertrag betreffend die Streitwertbeschwerde mit der Bemerkung, dass dies von den Parteien ersichtlich nicht gewollt sei)."
Diese Begründung trägt auch im vorliegenden Fall, denn die Kläger haben zwar geltend gemacht, man habe sich im Termin über den Streitwert verglichen, so dass für eine Beschwerde kein Raum mehr sei. Das ist aber schon formal unzutreffend, denn der Streitwert ist vom Landgericht durch Beschluss nach Anhörung und im Einvernehmen mit den Prozessbevollmächtigten festgesetzt worden. Im Übrigen unterliegt der Streitwert auch - wie ausgeführt - nicht der Disposition der Parteien. Das ergibt sich auch unmissverständlich aus § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG, wonach eine unrichtige Streitwertfestsetzung der unteren Instanz von Amts wegen korrigiert werden muss (das Wort "kann" ist nur im Sinne "hat die Befugnis" zu verstehen - Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl., Rdnr. 20 zu § 63 GKG). Besteht aber, wie Hartmann zu Recht hervorhebt, eine Amtspflicht zur Festsetzung des richtigen Streitwertes, so muss das Gericht auch von Amts wegen eigene falsche Entscheidungen korrigieren und zwar erst recht, wenn das Gericht, selbst wenn kein Anwalt Einwendungen erhebt, den falschen Streitwert selbst vorgeschlagen hat.
Die Gegenmeinung führt zu einem weiteren misslichen Ergebnis:
Haben die Parteien sich auf einen zu niedrigen Streitwert "geeinigt", kann er durch Beschwerde des Bezirksrevisors korrigiert werden (vgl. Hartmann, Rdnr. 7 zu § 68 GKG). Nur die den Bürger belastende überhöhte Streitwertfestsetzung wäre endgültig - ein wenig sinnvolles Ergebnis.
Davon abgesehen rechtfertigt die Auslegung der beiderseitigen Zustimmungserklärungen gemäߧ§ 133, 157 BGB die Annahme eines solchen Rechtsmittelverzichtsvertrages nicht, weil eine Absicht der Parteien, über den von dem Gericht in Aussicht genommenen Streitwert untereinander eine bindende Vereinbarung zu treffen, aus der Protokollierung des Einverständnisses nicht hervorgeht (so auch: HansOLG Bremen, OLG München, jeweils a.a.O.; SchneiderHerget, a.a.O., Rdnr. 4144; offen gelassen vom OLG Düsseldorf, JurBüro 1977, 707 f.). Die Annahme eines Vertrages liefe zugleich auf einen - wirkungslosen - Vertrag zulasten Dritter hinaus, soweit die Parteien persönlich - wie hier die Beklagten - den festgesetzten Streitwert als zu hoch empfinden könnten und hiergegen Rechtsmittel einlegen wollten.
Es kommt ein weiteres - ebenfalls bereits vom OLG Köln (a.a.O.) überzeugend diskutiertes Argument hinzu:
"Bei der Streitwertfestsetzung nimmt ein Prozessbevollmächtigter keinesfalls nur die Interessen seiner Partei gegenüber der anderen Partei wegen der Höhe des diesem zustehenden Kostenerstattungsanspruchs - und unter Umständen im Hinblick auf die Gerichtskosten gegenüber der Staatskasse - wahr, sondern auch seine eigenen Interessen an einer gesetzesgemäßen Vergütung durch seinen Mandanten. Insoweit befindet er sich bei der Abgabe von Erklärungen zum Streitwert ersichtlich in einem Interessenkonflikt. Unter diesen Umständen verbietet es sich nicht nur, an die Angaben von Prozessbevollmächtigten zur Höhe des Streitwerts einen Rechtsmittelverzicht der Parteien anzuknüpfen, sondern auch, einen solchen der Prozessbevollmächtigten der Parteien zu begründen. Aus dem dargestellten Interessenkonflikt lässt sich sachgerechter Weise nicht ein unbedenklicher, aufrechtzuerhaltender Teil der Erklärung eliminieren. Aus diesem Grund vermag sich der Senat auch nicht der zum Teil vertretenen Auffassung anzuschließen, dass ein Prozessbevollmächtigter an ein im Beisein seines Mandanten und in Übereinstimmung mit diesem erklärtes Einverständnis nach dem ebenfalls im Prozess und Kostenrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben gebunden ist (so: OLG Hamm, a.a.O.; vgl. auch LG Köln WuM 1993, 555), ohne dass es darauf ankommt, ob die Beklagte, die in dem Termin vor dem Landgericht zugegen war, überhaupt eine Übereinkunft mit ihrem Prozessbevollmächtigten traf."
Hinzu kommt: wenn der Anwalt versehentlich einer unzutreffenden - zu hohen - Streitwertfestsetzung "zugestimmt" hat, macht er sich gegenüber seinem Mandanten schadensersatzpflichtig, soweit dieser überhöhte Gerichts und Anwaltskosten der Gegenseite übernehmen muss. Die Weigerung des Gerichts, den richtigen Streitwert festzusetzen und damit die Gefahr eines Regressprozesses zu provozieren, erscheint deshalb unverständlich.
2.
Die danach zulässige Beschwerde ist auch begründet.
Der Streitwert richtet sich bis zum 11. Januar 2005 nach der eingeklagten Hauptforderung und beträgt damit 8.456,26 EUR.
Mit Fax vom 11. Januar 2005 haben die Kläger ihren Antrag im Hinblick auf erfolgte Zahlungen der Beklagten angepasst und folgerichtig Zahlung abzüglich der unstreitig geleisteten Beträge beantragt. Darin liegt eine teilweise (übereinstimmende) Erledigung der Hauptsache, so dass sich ab Eingang dieses Schriftsatzes (am 11. Januar 2005) nunmehr der Streitwert nach der noch begehrten Hauptforderung unter Berücksichtigung von§ 367 BGB richtet. Er beträgt deshalb ab diesem Zeitpunkt und damit auch für die mündliche Verhandlung lediglich noch bis zu 4.000 EUR.
Der Senat ist an einer Änderung der Streitwertfestsetzung insoweit auch nicht gehindert, obwohl die Beklagten lediglich eine Verringerung des Wertes auf 8.456 EUR beantragt haben, denn es gilt hier nicht das Verbot der reformatio in peius. Vielmehr ist der Streitwert auf die Beschwerde von Amts wegen auf den zutreffenden Wert festzusetzen.
3.
Eine Kostenentscheidung ist wegen § 25 Abs. 4 GKG nicht veranlasst.
Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde kommt - obwohl eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung zu den abgehandelten Rechtsfragen wünschenswert wäre - nicht in Betracht, weil nach §§ 25 Abs. 3, 5 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F. (sinngemäß gleichlautend §§ 68 Abs. 1, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG n.F.) die Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes nicht stattfindet.