Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 04.07.2007, Az.: 11 A 3509/05

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
04.07.2007
Aktenzeichen
11 A 3509/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 62286
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2007:0704.11A3509.05.0A

Amtlicher Leitsatz

Ein Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltsbefugnis nach dem AuslG bedurfte keiner Schriftform oder der Verwendung des üblichen Formulars. Ein solcher kann im Einzelfall auch schon in einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde kurz vor Ablauf der bisherigen Aufenthaltsgenehmigung zu sehen sein, wenn sich aus den Umständen erkennbar ergibt, dass der Ausländer die Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts fortsetzen wollte. Der Aufenthalt gilt dann bis zur Entscheidung über den Antrag als erlaubt (§§ 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG, 102 Abs. 1 Satz 3 AufenthG).

Tatbestand

1

Die Kläger sind türkische Staatsangehörige yezidischen Glaubens.

2

Die Klägerin zu 1) ist am 1. Januar 1958 geboren, die Kläger zu 2) bis 5) sind ihre zwischen 1989 und 1993 geborenen Kinder.

3

Die Kläger zu 1) und 2) reisten am 28. März 1989 mit ihrem Ehemann bzw. Vater E., von dem Klägerin zu 1) seit 1996 getrennt lebt, in die Bundesrepublik Deutschland ein.

4

Nach dem sie ihren zunächst gestellten Asylantrag am 27. Dezember 1990 zurückgenommen hatten, erteilte die Beklagte der Klägerin zu 1) am selben Tage eine befristete Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Bleiberechtsregelung im Erlass des Nds. Innenministeriums vom 18. Oktober 1990. Diese ist von der Beklagten als Aufenthaltsbefugnis mehrfach, zuletzt bis zum 9. April 2004, verlängert worden. Die übrigen Kläger haben erstmals am 8. April 1999 Aufenthaltsbefugnisse erhalten, die zuletzt ebenfalls bis zum 9. April 2004 verlängert worden sind.

5

Am 25. März 2004 sprach die Klägerin zu 1) wohl mit dem Kläger zu 2) bei der Beklagten vor. Den Klägern wurden dabei Bescheinigungen zur Vorlage bei der türkischen Botschaft ausgestellt. In diesen wurde ausgeführt, dass für einen weiteren Aufenthalt in Deutschland die Vorlage von Nationalpässen erforderlich sei und ohne diese keine Aufenthaltsgenehmigungen erteilt werden könnten. Ferner sind der Klägerin zu 1) Formulare für einen schriftlichen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung mitgegeben worden. Am 16. April 2004 reichten die Kläger die ausgefüllten Formulare bei der Beklagten ein.

6

Daraufhin wurden den Klägern zunächst eine Bescheinigung über die Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung erteilt, die zuletzt bis zum 3. April 2005 verlängert worden ist. Seit einer Vorsprache am 31. März 2005 erhielten die Kläger von der Beklagten Duldungsbescheinigungen.

7

Da die Kläger in der Folgezeit keine Reisepässe vorlegen konnten, hat die Beklagte über ihre Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln nicht entschieden.

8

Am 25. August 2005 haben die Kläger Klage erhoben.

9

Am 23. März 2006 haben die Kläger zu 1) und 2) nach Vorlage von türkischen Reisepässen von der Beklagten bis zum 22. März 2008 geltende Aufenthaltserlaubnisse erteilt bekommen. Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt, soweit die Kläger Aufenthaltstitel begehrt haben.

10

Die Kläger machen darüber hinaus im Wesentlichen geltend: Es sei rechtswidrig gewesen, ihnen ab dem 31. März 2005 nur noch Duldungen zu erteilen. Der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbefugnisse sei rechtzeitig vor Ablauf der früheren Aufenthaltsgenehmigungen gestellt worden. Die Kläger zu 1) und 2) hätten bereits am 25. März 2004 bei der Beklagten vorgesprochen. Sie seien selbstverständlich zur Verlängerung der Aufenthaltsbefugnisse erschienen. Dass sie das Antragsformular erst später eingereicht hätten, ändere hieran nichts. Sie hätten mit der Vorsprache zum Ausdruck gebracht, dass sie die Aufenthaltsgenehmigungen verlängert bekommen wollten. Dies sei in zulässiger Weise mündlich beantragt worden. Bereits die Überlassung der Antragsformulare lasse erkennen, dass von der Stellung eines Antrages auszugehen sei. In den Formularen seien auch lediglich Daten einzutragen gewesen, die der Beklagten schon bekannt gewesen seien. Sie seien auch sonst immer rechtzeitig zur Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigungen vorstellig geworden. Es habe zudem eine Rechtspflicht der Beklagten bestanden, auf die Notwendigkeit der rechtzeitigen Einreichung der Formulare hinzuweisen. Auch die Beklagte sei zunächst davon ausgegangen, dass die Anträge rechtzeitig gestellt worden seien, da sie eine Bescheinigung über die Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung ausgestellt habe.

11

Die Kläger beantragen,

festzustellen, dass der Aufenthalt der Kläger zu 1) und 2) in der Bundesrepublik Deutschland vom 10. April 2004 bis zum 22. März 2006 als erlaubt galt und der Aufenthalt der Kläger zu 3) bis 5) seit dem 10. April 2004 als erlaubt gilt.

12

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

13

Sie trägt im Wesentlichen vor: Den Klägern hätten lediglich noch Duldungen und keine Erlaubnisfiktionen erteilt werden können, da ihr Antrag am 16. April 2004 verspätet gestellt worden sei. Es sei daher - wie von vornherein bescheinigt - lediglich die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht entfallen. Die Vorsprache am 25. März 2004 sei nicht als Antragstellung zu bewerten. Die bloße Herausgabe eines Antragsformulars oder die Erteilung von Bescheinigungen für die türkische Auslandsvertretung reiche für eine solche Annahme nicht aus.

14

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

15

Das Verfahren war in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.

16

Das darüber hinaus weiterverfolgte Begehren der Kläger ist als allgemeine Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) zulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse besteht, weil die Kläger - wie nicht streitig ist - im Falle eines nach Beantragung der Aufenthaltsbefugnisse als erlaubt geltenden Aufenthalts höhere Sozialleistungen beanspruchen können. Die Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) steht nicht entgegen, weil über die Fiktionswirkungen einer Antragstellung keine Bescheide, sondern bloße deklaratorische Bescheinigungen erteilt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1997 - 1 C 7.96 - InfAuslR 1997, 391 [BVerwG 03.06.1997 - 1 C 7/96]<394>) .

17

Die Klage ist auch begründet. Der Aufenthalt der Kläger galt bzw. gilt auch nach Ablauf ihrer früheren Aufenthaltsbefugnisse als erlaubt.

18

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG i.V.m. § 102 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist dies der Fall, wenn sich der Ausländer bei der Antragstellung bereits sechs Monate rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Der Verlängerungsantrag muss mithin vor Ablauf der frühren Aufenthaltsgenehmigung gestellt worden sein (vgl. BVerwG a.a.O.).

19

Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Kläger bereits am 25. März 2004, und damit vor Ablauf der früheren bis zum 9. April 2004 befristeten Aufenthaltsbefugnisse, sinngemäß einen entsprechenden Antrag gestellt haben. Dass die Antragsformulare erst am 16. April 2004 bei der Beklagten eingereicht worden sind, ist deshalb hier ohne maßgebliche rechtliche Bedeutung.

20

Auch unter der Geltung des AuslG 1990 war ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht formgebunden (vgl. Renner, Ausländerrecht, 7. Auflage 1999, Rn. 4 zu § 69 AuslG). Lediglich in § 21 Abs. 2 AuslG 1965 war die Verwendung von Antragsformularen vorgeschrieben. Nach allgemeinen Grundsätzen liegt ein Antrag vor, wenn der Betroffene ggf. auch durch schlüssiges Verhalten in erkennbarer Weise seinen Willen zum Ausdruck bringt, dass er die Bescheidung eines Begehrens erstrebt (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl. 2005, Rn. 35 zu § 22). Hierbei ist in entsprechender Anwendung des § 133 BGB - wie für alle öffentlich-rechtlichen Willenserklärungen - maßgeblich, wie ein verständiger Adressat das Verhalten und die Äußerungen des Betroffenen bei verobjektivierter Betrachtungsweise unter Würdigung der erkennbaren Interessenlage verstehen musste (a.a.O., Rn. 36 m.w.N.).

21

Im Zeitpunkt der Vorsprache der Klägerin zu 1) wohl gemeinsam mit dem Kläger zu 2) am 25. März 2004 besaß die Klägerin zu 1) bereits seit gut 13 Jahren einen Aufenthaltstitel, die übrigen Kläger waren seit knapp fünf Jahren im Besitz von Aufenthaltsbefugnissen. Ihre Aufenthaltsgenehmigungen liefen etwa zwei Wochen später, am 9. April 2004, ab. Das Gericht vermag vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen, aus welchem anderen Anlass als der Verlängerung der Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts sie zu diesem Zeitpunkt bei der Beklagten erschienen sind. Die zuständige Mitarbeiterin der Beklagten hat ihnen dementsprechend auch die üblicherweise verwendeten Antragsformulare mitgegeben und dies - was eher unüblich ist - gesondert in den Ausländerpersonalakten aller Kläger vermerkt. Für ein entsprechendes Verständnis der Vorsprache am 25. März 2004 spricht zudem in besonderer Weise, dass den Klägern dabei auch Bescheinigungen zur Vorlage bei der türkischen Botschaft ausgestellt worden sind. Hierin ist u.a. ausgeführt, dass für die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen die Vorlage gültiger Nationalpässe erforderlich sei. Die Ausgabe eines Dokuments mit diesem Inhalt ist abschließend nur sinnhaft, wenn bereits von einem Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltstitel ausgegangen worden ist. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Kläger bei allen anderen Verlängerungen ihrer Aufenthaltsgenehmigungen rechtzeitig bei der Beklagten vorgesprochen haben.

22

Unter diesen Umständen hätte die Beklagte nur dann nicht von einer rechtzeitigen Antragstellung ausgehen dürfen, wenn die Kläger trotz ausdrücklicher Belehrung über die Rechtsfolgen im Rahmen der Vorsprache am 25. März 2004 gerade erklärt hätten, noch keine Verlängerung der Aufenthaltsbefugnisse zu begehren.

23

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 Satz 1, 167 VwGO, 709 Satz 1 ZPO. Es entsprach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes die Kosten des erledigten Teils des Rechtsstreits hälftig zu teilen. Dabei war zu Gunsten der Kläger zu berücksichtigen, dass bei Klageerhebung im August 2005 die Anträge auf Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen bereits seit einem Jahr und fünf Monaten unbeschieden waren. Auch konnte bei den Klägern im Zeitpunkt der Klageerhebung berechtigt der Eindruck entstehen, dass das türkische Generalkonsulat ihnen keine Pässe erteilen wird. Sie hatten entsprechend dem Schreiben des türkischen Generalkonsulats vom 2. Mai 2005 an ihre Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 3. Juni 2005 dorthin eine Bescheinigung der Beklagten vom 24. Mai 2005 übersandt, in der ausgeführt war, dass ihre Asylanträge zurückgenommen wurden bzw. Asylverfahren nicht anhängig gemacht worden sind. Hierauf hat die türkische Auslandsvertretung dann nicht mehr reagiert. Erst in dem nach Klageerhebung gefertigten Schreiben des türkischen Generalkonsulats vom 7. September 2005 an die Beklagte ist im Einzelnen dargelegt worden, welche Voraussetzungen für die Erteilung von Nationalpässen erfüllt werden müssen. Zu Ungunsten der Kläger war deshalb allerdings in Rechnung zu stellen, dass ab Erhalt dieses Schreibens Ende September 2005 deutlich erkennbar war, dass und auf welche Weise die Erteilung von Nationalpässen möglich sein wird, so dass ein Grund für die Fortführung des gerichtlichen Verfahrens insoweit seither nicht mehr bestand. Im Folgenden sind dann den Klägern zu 1) und 2) auch die entsprechenden Dokumente ausgestellt worden, für die übrigen Kläger zeichnet sich dies nach den Angaben ihres Prozessbevollmächtigten ab.