Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.08.1996, Az.: V 550/95
Erläuterung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Leistung im Umsatzsteuerrecht; Umsatzsteuerfreiheit bei nach dem Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) steuerbaren Umsätzen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 01.08.1996
- Aktenzeichen
- V 550/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 16468
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1996:0801.V550.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 4 Nr. 9a UStG
- § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG
Verfahrensgegenstand
Einheitliche Leistung bei Grundstückslieferungen
Umsatzsteuer 1991 und 1992
In dem Rechtsstreit
hat der V. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 1. August 1996,
an der mitgewirkt haben:
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ...
ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Unter Abänderung der Umsatzsteuerbescheide vom 11. Oktober 1994 und der Einspruchsentscheidung vom 30. August 1995 wird die Umsatzsteuer 1991 auf 57.102 DM und 1992 auf 22.919 DM festgesetzt.
Der Beklagte trägt die Kosten.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit leistet.
Der Streitwert wird auf 29.875 DM festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin errichtete auf von ihr erworbenen Grundstücken in R., fünf Einfamilienhäuser in Reihenbauweise. Mit den jeweiligen Erwerbern schloß die Klägerin jeweils am selben Tage notariell beurkundete Verträge ab. Jeweils ein Vertrag beurkundet den Kauf des Grund und Bodens, der andere Vertrag die Planung und Errichtung des Einfamilienhauses ("Generalübernehmervertrag"). Der jeweilige Generalübernehmervertrag enthält den Passus, daß der gleichzeitig abgeschlossene Grundstückskaufvertrag mit dem protokollierten Generalübernehmervertrag eine rechtliche Einheit bilde, d.h. der eine Vertrag solle nicht ohne den anderen durchgeführt werden. Die jeweiligen Verträge mit den einzelnen Erwerbern wurden am 01.08.1991, am 13.09.1991, am 07.02.1992, am 18.08.1992 und am 22.12.1992 abgeschlossen. Die Reihenhäuser wurden Ende des Jahres 1992 fertiggestellt.
In ihren Steuererklärungen behandelte die Klägerin die o.a. Umsätze als steuerfrei gemäß § 4 Nr. 9 a Umsatzsteuergesetz (UStG). Der Beklagte vertrat im Anschluß an eine Außenprüfung die Auffassung, daß lediglich die Entgelte für die Überlassung der Grundstücke unter die Steuerbefreiung fielen. Hingegen sei in der jeweiligen Gebäudeerrichtung eine eigenständige Lieferung anzunehmen, für die es keine Steuerbefreiung gebe. Dementsprechend erhöhte der Beklagte die Bemessungsgrundlage für die steuerpflichtigen Umsätze in den Streitjahren und berücksichtigte andererseits die mit den Gebäudeerrichtungen im Zusammenhang stehenden Vorsteuerbeträge. Entsprechend seiner Rechtsauffassung setzte der Beklagte mit Änderungsbescheiden vom 11. Oktober 1994 die Umsatzsteuer fest.
Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb im wesentlichen erfolglos. Der Beklagte berücksichtigte bei seiner Einspruchsentscheidung geringfügig höhere abziehbare Vorsteuerbeträge. Im übrigen wies er die Einsprüche als unbegründet zurück.
Die hiergegen erhobene Klage begründet die Klägerin im wesentlichen wie folgt: Sie habe jeweils eine einheitliche Leistung erbracht, die auf die Übertragung eines schlüsselfertig bebauten Grundstückes gerichtet gewesen sei. Diese Leistung unterliege der Grunderwerbsteuer. Sie sei somit umsatzsteuerlich als steuerbefreit nach § 4 Nr. 9 a UStG zu behandeln. Marktkonzept der Klägerin sei es, schlüsselfertige Hausgrundstücke zu veräußern. Sie habe die von diesem Rechtsstreit betroffenen Grundstücke nur in Verbindung mit der bereits zuvor durchgeführten geplanten Bebauung auf dem Grundstücksmarkt angeboten. Auch den Käufern sei daran gelegen gewesen, ein schlüsselfertiges Haus, also das "fertige Produkt" zu erwerben. Insofern habe ein übereinstimmendes Interesse der jeweiligen Vertragsparteien bestanden, so daß es zum Abschluß der Verträge gekommen sei. Der zu entscheidende Fall unterscheide sich von den Sachverhalten, die den BFH-Urteilen vom 7. Februar 1991 V R 53/85, BStBl II 1991, 737, und vom 10. September 1992 V R 99/98, BStBl II 1993, 316, zugrunde lägen. Zum einen sei sie selbst Grundstücksveräußerer und Werkleistender. Zum anderen erbringe sie nicht nur Baubetreuungsleistungen, sondern die einheitliche Hauptleistung.
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuer 1991 auf 57.102 DM und die Umsatzsteuer 1992 auf 22.919 DM herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner Rechtsauffassung fest.
Dem Gericht haben die beim Beklagten für die Klägerin unter Steuer-Nr. ... geführten Steuerakten vorgelegen. Außerdem haben die Betriebsprüfungsarbeitsakten zu Auftragsbuch-Nr. ... vorgelegen. In letzteren Akten befinden sich die notariell beurkundeten Verträge vom 13.09.1991 und vom 22.12.1992, auf die Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Im Umsatzsteuerrecht gilt der Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung. Danach dürfen einheitliche wirtschaftliche Vorgänge umsatzsteuerrechtlich grundsätzlich nicht in mehrere selbständige Leistungen zerlegt werden, wenn sie wirtschaftlich zusammengehören und ein unteilbares Ganzes bilden. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen Gegebenheiten und der sich aus ihnen ergebende Wille der Beteiligten, der nicht auf eine Summe von Einzelleistungen, sondern nur auf eine einheitliche Leistung gerichtet ist. Dabei ist die vertragliche Gestaltung, die der Leistung zugrunde liegt nicht vorrangig. Denn das Umsatzsteuerrecht besteuert nicht Verträge, sondern tatsächlich ausgeführte Leistungen.
Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse und unter Würdigung der vorgelegten notariellen Verträge ergibt sich, daß es dem Willen der Vertragsbeteiligten entsprach, daß die von der Klägerin zu erbringende Leistung in der schlüsselfertigen Übergabe eines Hausgrundstücks nebst dazugehörigen Grund und Boden bestehen solle. Dies wird insbesondere durch die Vertragsabschlüsse mit den Erwerbern L. am 07.02.1992, G. vom 18.08.1992 und Sch. /St. vom 22.12.1992 deutlich. Diese Verträge wurden abgeschlossen, als die Bebauung der Reihenhäuser bereits in Gang gesetzt worden war. Insbesondere beim Vertrag mit den Erwerbern Sch./St. ergibt sich, daß die Verträge nur etwa 10 Tage vor Fertigstellung des Gebäudes abgeschlossen wurden. Für die Annahme, die Vertragsparteien hätten den Willen gehabt, lediglich den Grund und Boden eigenständig auf die Käufer zu übertragen, besteht danach kein Raum. Unbebaute Grundstücke waren nämlich zum Zeitpunkt der genannten Vertragsabschlüsse nicht mehr vorhanden. Für die Verpflichtungsgeschäfte, die die Klägerin bereits in 1991 abschloß, kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Danach ist anzunehmen, daß die Klägerin umsatzsteuerlich jeweils eine Leistung an die Bauherren erbrachte, die in der Lieferung eines schlüsselfertigen Reihenhauses bestand. Diese Lieferung ist nach § 4 Nr. 9 a UStG steuerbefreit. Nach dieser Norm befreit das Umsatzsteuergesetz einen Umsatz, wenn er unter das Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) fällt. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn das dem Umsatz zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft nach § 1 GrEStG steuerbar ist. Der jeweils abgeschlossene Grundstückskaufvertrag ist gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG als der Grunderwerbsteuer unterliegende Erwerbsvorgang anzusehen.
Danach hat die Klägerin im Ergebnis in ihren Steuererklärungen die in Streit stehenden Umsätze zutreffend erfaßt. Die infolge der Außenprüfung vom Beklagten vorgenommenen Änderungen sind im Ergebnis rückgängig zu machen.
Die Umsatzsteuer für die Streitjahre ist gemäß den gestellten Klaganträgen auf 57.101 DM für 1991 und auf 22.919 DM für 1992 festzusetzen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung (ZPO).
Die Streitwertfestsetzung ergeht gemäß §§ 13 Abs. 2, 25 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).
Die Revision ist nicht zugelassen worden.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 29.875 DM festgesetzt.