Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.08.1996, Az.: VI 453/92

Umfang der Gewerbesteuerpflicht eines EDV-Beraters; Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht; Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
06.08.1996
Aktenzeichen
VI 453/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 18715
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1996:0806.VI453.92.0A

Fundstelle

  • NWB DokSt 1998, 357

Verfahrensgegenstand

Gewerbesteuermeßbetrag 1988 und 1989

In dem Rechtsstreit
hat der VI. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 6. August 1996,
an der mitgewirkt haben:
Präsident des Finanzgerichts ... als Vorsitzender
Richterin am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ... Bäckermeister
ehrenamtlicher Richter ... Landwirt
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger in den Jahren 1988 und 1989 gewerbesteuerpflichtig ist.

2

Der am 8. Februar 1943 geborene Kläger besuchte von 1949 bis 1957 die Volksschule und erlernte in den folgenden 3 Jahren den Beruf des Maschinenschlossers. Nach erfolgreicher Gesellenprüfung war er bis 1961 bei der Firma K. in H. als Praktikant beschäftigt und besuchte anschließend bis 1962 die Privatschule Dr. P.. Dort belegte er ein Ingenieurschulseminar. Von 1962 bis 1964 war der Kläger als Handwerker tätig und leistete danach seine Wehrpflicht ab. Nach Entlassung aus der Bundeswehr besuchte er die Maschinenbau-Akademie ... (1965 bis 1967), ohne jedoch einen Abschluß zu erlangen. Von 1967 bis 1972 arbeitete der Kläger wieder als Handwerker und anschließend bis zum 31. März 1988 als Angestellter bei der Firma K-E-GmbH. ... Ab diesem Zeitpunkt war der Kläger als Unternehmensberater selbständig tätig.

3

Der Kläger gab für die Streitjahre Einkommen- und Gewerbesteuererklärungen ab und erklärte die Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Unternehmensberater als Gewinn aus Gewerbebetrieb.

4

Der Beklagte erließ erklärungsgemäß den Bescheid über den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1988 am 6. August 1990 und den Bescheid über den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1989 am 23. September 1991.

5

Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage begehrt der Kläger die Behandlung seiner Gewinne als freiberufliche Einkünfte. Zur Begründung trägt er vor, seine Tätigkeit sei denen in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) aufgeführten Katalogberufen ähnlich. Er arbeite - vergleichbar wie ein Steuerberater die optimale Steuerstruktur, vergleichbar wie ein Rechtsanwalt die optimale Rechtsgestaltung - für einen Betrieb dessen optimale Umstrukturierung aller Bereiche, um die Möglichkeit des SAP-Programmes so gut wie möglich anwenden zu können, SAP bedeute Systeme, Anwendungen Produkte in der Datenverarbeitung. Die SAP AG stelle Softwareprogramme für eine Vielzahl von Unternmehmen her. Seine Aufgabe sei es, den jeweiligen Anwenderbetrieb auf das für eine unbestimmte Anzahl verschiedener Betriebe konzipierte SAP-Programm einzustellen. Seine Tätigkeit betreffe alle betriebswirtschaftlichen Funktionen des Betriebes, wie Produktion. Buchhaltung, Ein- und Verkauf. Lagerhaltung und Organisation. Auf seinen Rat seien teilweise, um eine Anwendung des SAP-Programmes zu gewährleisten, betriebswirtschaftliche Strukturen geändert worden. Sein Beruf erfordere Kenntnisse in sämtlichen Bereichen der Betriebswirtschaftslehre. Zudem sei er auch noch unterrichtend tätig. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 4. Mai 1994 nebst Anlagen (Bl. 37 ff der Finanzgerichtsakte) Bezug genommen.

6

Er habe auch die notwendige Vorbildung durch ein Fernstudium Maschinenbau (1958 bis 1961), eine REFA-Ausbildung (1972 bis 1975) und SAP-Seminare (1988 bis 1989) erworben.

7

Der Kläger beantragt.

die Gewerbesteuermeßbetragsbescheide 1988 und 1989 in Gestalt des Einspruchsbeseheids vom 22. Juni 1992 ersatzlos aufzuheben.

8

Der Beklagte beantragt.

die Klage abzuweisen.

9

Er meint, bei der Tätigkeit des Klägers sei weder eine Vergleichbarkeit mit dem Beruf des Ingenieurs noch mit dem eines beratenden Betriebswirts gegeben. Zum einen liege die Tätigkeit des Klägers nicht in dem für den Ingenieurberuf typischen Bereich, zum anderen sei die Tätigkeit des EDV-Beraters steuerrechtlich als eigenständiger Beruf anzusehen, der sich in seiner Ausrichtung auf Theorie und Technologie der Datenverarbeitung wesentlich von dem Beruf des beratenden Betriebswirts unterscheide. Desweiteren könne die Tätigkeit des Klägers, auch mangels entsprechender Ausbildung als Berufstätigkeit angesehen werden, die einer der Katalogsberufstätigkeiten ähnlich wäre.

Entscheidungsgründe

10

Die Klage ist nicht begründet.

11

Der Kläger übte in den Streitjahren eine gewerbliche Tätigkeit aus. Er unternahm seine Betätigung selbständig, nachhaltig, mit Gewinnerzielungsabsicht und unter Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr (§ 15 Abs. 2 EStG). Die selbständige Betätigung des Klägers stellt sich nicht als Ausübung eines freien Berufs dar.

12

Der Kläger war mangels einer entsprechenden Ausbildung kein beratender Betriebswirt oder Ingenieur. Er übte auch keinen diesen Berufen ähnlichen Beruf aus.

13

Die Tätigkeit des Klägers ist als die eines EDV-Beraters anzusehen. Der BFH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß sich der EDV-Berater als eigenständiger Beruf herausgebildet hat (BFH-Urteil vom 24. August 1995 IV R 60 - 61/94, BStBl II 1995, 888 mit weiteren Nachweisen). Das weite Betätigungsfeld eines EDV-Beraters und die erheblichen Differenzierungsmöglichkeiten im Vorbildungsspektrum lassen eine einheitliche Beurteilung dieser Berufsgruppe nicht zu. Eine freie Berufstätigkeit eines EDV-Beraters ist deshalb nur dann anzunehmen, wenn sie in ihren wesentlichen Punkten mit einem in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG benannten Katalogberuf verglichen werden kann. Dazu ist zum einen erforderlich, daß die Tätigkeit des Steuerpflichtigen in einem für den Katalogberuf typischen Bereich gelegen hat. Zum anderen muß er über eine Ausbildung verfügen, die der für den Katalogberuf erforderlichen vergleichbar ist (BFH-Urteil vom 7. Dezember 1989 IV R 115/87, BStBl II 1990, 337 mit weiteren Nachweisen).

14

Der BFH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß der EDV-Berater nicht in einer dem beratenden Betriebswirt ähnlichen Weise tätig wird. So entschied der BFH mit Urteil vom 27. Mai 1975 (VIII R 199/73, BStBl II 1975, 665), daß ein Berater für Datenverarbeitung, der Aufträge zur Entwicklung und Organisation eines allgemeinen Datenänderungs- und Pflegesystems übernimmt, nicht in einem typischen betrieblichen Hauptbereich der Betriebswirtschaftslehre tätig ist. Mit Urteil vom 28. Juni 1976 (T R 63/75, BStBl II 1977, 34) geht der BFH für einen EDV-Organisationsberater, der prüft, welche Arbeitsbereiche sich programmieren und von einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage bewältigen lassen, davon aus, daß dieser keine umfassende betriebswirtschaftliche Beratung durchführe. In Fortführung dieser Rechtsprechung wurde die selbständige Tätigkeit als EDV-Berater auch dann als gewerblich angesehen, wenn sieh die Beratung auf die Verwendung bereits vorhandener Anlagen erstreckt mit dem Ziel, für die Aufgaben von Kunden Lösungen zu finden, die auf deren EDV-Anlage programmiert werden können (BFH-Beschluß vom 3. Dezember 1981 IV R 79/80, BStBl II 1982, 267). Mit Urteil vom 11. Dezember 1985 (I R 285/82, BStBl II 1986, 484) stellte der BFH ausdrücklich fest, daß der EDV-Berater als ein eigenständiger Beruf zu verstehen sei, der sich in seiner totalen Ausrichtung auf die Theorie und die Technologie der Datenverarbeitung wesentlich von dem des beratenden Betriebswirts unterscheide. Erfolge eine Beratung zu einem wesentlichen Teil auf dem Gebiet der EDV. sei damit eine Ähnlichkeit mit dem beratenden Betriebswirt ausgeschlossen. Der V. Senat des BFH (Urteil vom 11. Dezember 1986, V R 54/85, BFH/NV 1987, 333) hat für einen Fernmeldemechaniker, der als Programmierer und Datenverarbeitungsorganisator tätig war, und für seien Auftraggeber EDV-Programme geschrieben sowie den Einsatz von EDV-Anlagen vorbereitet hat, in dem er betriebliche Probleme analysiert und an den besonderen Möglichkeiten der EDV ausgerichtete Lösung ausgearbeitet hat, als EDV-Berater angesehen und eine ähnliche Berufstätigkeit zu der des beratenden Betriebswirts verneint. Mit Urteil vom 7. Dezember 1989 IV R 115/87 (BStBl II 1990, 337) differenziert der BFH zwischen Systemsoftware- und Anwendungssoftwareentwicklung. Der selbständige Berater für Anwendersoftwareentwicklung betätige sich auch dann, wenn seine Aufgabenbereiche wirtschaftlich orientiert seien, nicht primär auf dem Gebiet betriebswirtschaftlichen Beratung, sondern bei ihm stünde die Entwicklung eines Anwenderprogramms im Vordergrund. Bei der Entwicklung von System- und Anwendersoftware im Rahmen eines Auftrages entscheide, welche Tätigkeit bei der Erledigung des Auftrags prägend im Vordergrund stehe (BFH-Urteil vom 7. November 1991 IV R 17/90, BStBl II 1993, 324).

15

Nach der vorstehend dargestellten Rechtsprechung des BFH unterscheidet sich der EDV-Berater vom beratenden Betriebswirt dadurch, daß die Zweckrichtung der vom Auftraggeber geforderten Beratung regelmäßig unterschiedlich ist. Während beim beratenden Betriebswirt die im Vordergrund stehende Dienstleistung die Beratung auf einem der Hauptgebiete der Betriebswirtschaftslehre ist, wird vom EDV-Berater primär die Anwendung der von ihm beherrschten Informatikkenntnisse ggf. unter gleichberechtigter bzw. helfendem Einsatz von Kenntnissen im jeweiligen fachspezifischen Anwendungsgebiet, wie etwa der Betriebswirtschaftslehre, gefordert. Der Beruf des EDV-Beraters ist zu allererst auf die Theorie und Technologie der Datenverarbeitung ausgerichtet und befaßt sich mit anderen Wissenschaftsgebieten nur am Rande.

16

Im Streitfall ist Aufgabe des Klägers die Analyse des Istzustandes der vorhandenen betrieblichen Prozesse, die Erarbeitung eines Systementwurfs und die Schulung des Personals zum Zweck des optimalen Zuschnittes und Einsatzes der Anwendersoftware der Firma SAP AG. Gerade dadurch erledigte er aber die Hauptaufgabe eines EDV-Beraters, unter Einsatz fachspezifischer Kenntnisse die Auswahl und Realisierung eines EDV-Anwendersoftwareprojektes auftragsgemäß zu erbringen.

17

Zudem hat der Kläger nicht schlüssig vorgetragen und bewiesen, daß er eine umfassende betriebswirtschaftliche Ausbildung erfahren hat oder sich eben solche Kenntnisse autodidaktisch erworben hat. Der schulische und berufliche Ausbildungsschwerpunkt des Klägers lag auf technischem Gebiet. Neben der Lehre zum Maschinenschlosser arbeitete er vorrangig in dieser Berufssparte und richtete auch seine theoretische Weiterbildung hiernach aus. Der Erwerb von Kenntnissen auf allen Hauptgebieten der Betriebswirtschaftslehre ist nicht vorgetragen worden.

18

Die Tätigkeit des Klägers lag auch nicht in einem für den Beruf des Ingenieurs typischen Bereich. Aufgabe des Ingenieurs ist es, auf der Grundlage natur- und technikwissenschaftlicher Erkenntnisse und unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Belange technische Werke zu planen, zu konstruieren und ihre Fertigung zu überwachen. Mit Urteilen vom 4. August 1983 (IV R 6/80, BStBl II 1983, 677) und vom 19. Juli 1985 (III R 175/80, BStBl II 1986, 15) hat der BFH zwar entschieden, daß ein selbständiger Dipl.-Informatiker und derjenige der eine Berufsausbildung vorweist, die der eines Ingenieurs vergleichbar ist, eine dem Ingenieurberuf ähnliche Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausübt, wenn er Systemanalysen erarbeitet, aus denen sich ergibt, ob gewisse betriebliche Vorgänge mit Hilfe von EDV-Anlagen vollziehbar sind. Mit Urteil vom 7. Dezember 1989 (IV R 115/87, BStBl II 1990, 337) hat der IV. Senat seine Entscheidung vom 4. August 1983 (a.a.O.) jedoch ausdrücklich eingeschränkt und hervorgehoben, daß nur die Systemanalyse im Bereich der Systemsoftwareentwicklung als freiberufliche Tätigkeit anzusehen sei. Die hiervon zu unterscheidende Anwendersoftwareentwicklung gehöre nicht zu der Tätigkeit, die in einem für den Beruf des Ingenieur typischen Bereich liegt. Diese Unterscheidung hat der BFH durch Urteil vom 7. November 1991 (IV R 17/90, BStBl II 1993, 324) ausdrücklich bestätigt und damit die Entscheidungskriterien für technisch vorgebildete Personen und EDV-Berater mit zumeist kaufmännischer Vorbildung angeglichen.

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Auch nach diesen Grundsätzen ist der Kläger gewerblich tätig geworden. Nach seiner Tätigkeitsbeschreibung bestand seine Aufgabe regelmäßig darin. Anwendersoftware der Firma SAP für die Unternehmen seiner Auftraggeber auszuwählen und ggf. die betrieblichen Abläufe der Datenverarbeitung anzupassen. Die Prüfung, ob sich bestimmte Prozesse mit Hilfe der EDV lösen lassen und die Entwicklung realisierungsreifer Fachkonzepte mit dem Ziel des wirtschaftlichen Einsatzes der EDV gehören zur Tätigkeit des Anwendersoftwareentwicklers.

20

Ferner hat der Kläger nicht substantiiert dargelegt, daß er Kenntnisse erworben hat, die denen eines Ingenieurs vergleichbar sind. Zwar hat er vorgetragen, neben seiner berufspraktischen Tätigkeit als Maschinenschlosser ein Ingenieurschulseminar und ein Fernstudium Maschinenbau sowie weitere berufsbedingte Weiterbildung absolviert zu haben. Für die Feststellung der Ähnlichkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG bedarf es jedoch zunächst der eingehenden Darlegung der Art und Weise und des Inhalts der Studien und berufsbegleitenden Ausbildung. Denn nur in diesem Fall ist es dem Senat möglich, die erworbenen Kenntnisse dahingehend zu überprüfen, ob sie der fachlichen Breite eines Ingenieurstudiums entsprechen. Hieran fehlt es im Streitfall.

21

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.