Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.10.2001, Az.: 6 K 824/98
Dauerschulden bei Wahrung eines hinreichenden Zusammenhangs zwischen einzelner Forderung und Bezahlung im Rahmen der tatsächlichen Abwicklung des Warengeschäfts
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 09.10.2001
- Aktenzeichen
- 6 K 824/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 14588
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2001:1009.6K824.98.0A
Rechtsgrundlagen
- § 8 Nr. 1 GewStG
- § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG
Fundstellen
- DStRE 2002, 454-456 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2002, 112-114
- KÖSDI 2002, 13303-13304
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Ansatz von Warenverbindlichkeiten und der darauf entfallenen Zinsen als Dauerschulden und Dauerschuldzinsen.
Die Klägerin wurde 1986 als GmbH mit einem Stammkapital von 50.000 DM gegründet. Nach mehreren Erhöhungen beträgt das Stammkapital nunmehr 1,5 Mio. DM. Alleinige Gesellschafterin ist die Firma A mit Sitz in Dänemark. Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist der Einkauf und Vertrieb von ...systemen, die von der A hergestellt werden. Die Klägerin hat ein abweichendes Wirtschaftsjahr vom 01.05. eines Jahres bis zum 30.04. des Folgejahres.
Die Klägerin bezieht in großem Umfang Leistungen von der A. Diese werden jeweils gesondert in Rechnung gestellt und bei der Klägerin auf einem Lieferantenkonto verbucht. Die Rechnungsbeträge liegen zum großen Teil in einer Größenordnung zwischen 200,00 DM und 5.000,00 DM, zum geringen Teil aber auch unter 100,00 DM und bis zu 20.000,00 DM. Die Anzahl der Rechnungen beträgt rund 25 bis 35 pro Monat. Als Zahlungsziel werden jeweils 30 Tage eingeräumt. Da die A nach Ablauf der 30 Tage Zinsen nach monatlicher Abrechnung in Rechnung stellt, beträgt das tatsächliche Zahlungsziel bis zu 60 Tage.
Die Bezahlung der Rechnungen erfolgt dergestalt, dass die Klägerin in Abhängigkeit vom Zahlungsverhalten ihrer Kunden Beträge in der Größenordnung von 70.000,00 DM bis 200.000,00 DM an die A überweist. Die Abstände zwischen den einzelnen Überweisungen betragen zum Teil mehrere Monate. Diese Zahlungen werden auf dem Lieferantenkonto in einzelne, den Rechnungen entsprechende Beträge aufgeteilt. Dabei kommt es jedoch auch vor, dass der überwiesene Betrag nicht mit der Summe aus verschiedenen Einzelrechnungen identisch ist und demzufolge einzelne Rechnungen nur zum Teil bezahlt werden. Da die Klägerin das Zahlungsziel nicht immer einzuhalten vermag, werden ihr von der A entsprechend Zinsen berechnet. Die Verzinsung erfolgt hinsichtlich der einzelnen Rechnungsbeträge, nicht nur hinsichtlich des Saldos auf dem Lieferantenkonto.
Die Verbindlichkeiten gegenüber der A betrugen am 30.04.1993 376.047 DM, am 30.04.1994 bereits 1.373.149 DM. Im Streitjahr sind Zinsen i.H.v. 60.947 DM angefallen.
In der Gewerbesteuererklärung für 1994 erklärte die Klägerin diese Zinsen als Dauerschuldzinsen sowie Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen i.H.v. 376.047 DM als Dauerschulden. Mit Gewerbesteuermessbescheid für 1994 vom 19.02.1996 veranlagte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) erklärungsgemäß. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Mit Bescheid vom 06.08.1997 wurde der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben.
Nachdem ein Einspruch gegen den Aufhebungsbescheid erfolglos geblieben ist, wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage an das Finanzgericht. Sie begehrt, die Verbindlichkeiten gegenüber der A und der daraus folgenden Zinsen nicht als Dauerschulden bzw. Dauerschuldzinsen im Rahmen der Ermittlung des Gewerbesteuermessbetrages anzusetzen. Zur Begründung trägt die Klägerin vor, dass die Verbindlichkeiten keinen Dauerschuldcharakter hätten, da die Zahlungen regelmäßig, abhängig vom Zahlungsverhalten der Kunden erfolgt seien und auch die Abschlagszahlungen zweckbestimmt nach Auflistung zum Ausgleich einzeln aufgeführter Rechnungen verwendet wurden. Bei den Zahlungen seien jeweils mehrere Rechnungen zu einem größeren und dann gerundeten Betrag zusammengefasst worden, um die ansonsten unverhältnismäßig hohen Gebühren bei Auslandsüberweisungen zu sparen. Die immer noch zeitnahe Begleichung der Rechnungen zeige sich auch daran, dass im Wirtschaftsjahr 1993/1994 von den seitens der A in Rechnung gestellten rund 2,1 Mio. DM über 1,1 Mio. DM gezahlt worden seien. Damit handelt es sich bei den Verbindlichkeiten um Warenschulden, die grundsätzlich zum laufenden Geschäftsverkehr gehörten und demzufolge keine Dauerschulden seien.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für 1994 vom 19.02.1996 und 06.08.1997, in Gestalt der Einspruchsentscheidung, vom 03.11.1998 abzuändern und den Gewerbesteuermessbetrag auf 0 DM festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass es sich bei den Verbindlichkeiten gegenüber der A um Dauerschulden handele. Dies ergebe sich daraus, dass die Warenverbindlichkeiten nicht einzeln jeweils nach Ablauf einer vereinbarten Stundung getilgt worden seien; die Zahlungen seien vielmehr regelmäßig in Form von Abschlagszahlungen geleistet worden. Damit bestehe trotz der einzelnen Ausbuchungen der Rechnungen kein Zusammenhang mehr zwischen der einzelnen Warenverbindlichkeit und ihrer Begleichung. Dies führe dazu, dass der Klägerin im Streitjahr ein Betrag von mindestens 376.047 DM zur dauerhaften Stärkung des Betriebskapitals zur Verfügung gestanden habe.
Gründe
I.
Die Klage ist begründet. Das FA hat die Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber der A und der darauf entfallenen Zinsen zu Unrecht als Dauerschulden und Dauerschuldzinsen behandelt.
1.
Dauerschulden im Sinne der §§ 8 Nr. 1 und 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG sind solche Schulden eines gewerblichen Unternehmens, die der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen. Es muß sich dabei nicht um Kredite handeln, die von Kreditinstituten eingeräumt werden. Dauerschuldcharakter können auch andere Arten von Schuldaufnahmen im Geschäftsverkehr eines Gewerbebetriebes annehmen, wenn sich aus der Vereinbarung der Parteien und der tatsächlichen Gestaltung ihr Dauerschuldcharakter ergibt.
Zu den Dauerschulden gehören in der Regel nicht die laufenden Verbindlichkeiten, die im gewöhnlichen Geschäftsgang eines Unternehmens entstehen, also vor allem die zur Beschaffung von Waren eingegangenen Verbindlichkeiten, die dadurch entstehen, dass der Lieferant der Ware dem Abnehmer ein längeres Zahlungsziel, somit eine Kaufpreisstundung, gewährt. Derartige Schulden können aber Dauerschuldcharakter annehmen, wenn ihre Laufzeit 12 Monate übersteigt, es sei denn, dass die längere Schuldentilgungsfrist bei der Art des Geschäftsvorfalles üblich ist (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. Dezember 1969 VI R 289/67, BFHE 98, 436, BStBl II 1970, 436 mit weiteren Nachweisen).
Räumt ein Lieferant einer Abnehmerfirma für seine Kaufpreisforderungen aus den laufenden Warenlieferungen längere Zahlungsziele mit der Folge ein, dass der Käuferin ständig ein bestimmter Betrag an Fremdmitteln zur Verfügung steht, so stellt sich die Frage, ob in diesem Falle jede einzelne Warenschuld auf ihren Dauerschuldcharakter hin zu untersuchen ist oder ob der jeweilige Gesamtbetrag der Warenschulden als Dauerschuld in Betracht kommt. Die Beantwortung dieser Frage hängt entscheidend von der Abwicklung der einzelnen Warengeschäfte zwischen den Vertragsparteien ab. Werden die Warengeschäfte derart abgewickelt, dass bei jedem mit einem bestimmten Wareneinkauf gewährten Kredit des Lieferanten bis zur Tilgung der Zusammenhang zwischen dem Kredit und dem einzelnen Warengeschäft gewahrt bleibt und buchmäßig nachgewiesen werden kann (vgl. BFH-Entscheidung vom 23. Februar 1967 IV 344/65, BFHE 88, 134, BStBl III 1967, 322), d.h. dass die einzelnen Warenverbindlichkeiten von ihrer Entstehung bis zu ihrem Erlöschen ihre rechtliche und wirtschaftliche Selbständigkeit bewahren, so können derartige Warenschulden nur durch eine Laufzeit von mehr als 12 Monaten Dauerschuldcharakter annehmen. Verlieren dagegen die einzelnen Warenschulden ihre Selbständigkeit dadurch, dass die Warengeschäfte in einem Kontokorrentverhältnis abgewickelt werden, bei dem die Einzelforderungen des Kontokorrentgläubigers derart zurücktreten, dass an deren Stelle der jeweilige Saldoanspruch tritt, so ist für die Beantwortung der Frage, ob eine Dauerschuld vorliegt, grundsätzlich nicht die einzelne Warenforderung, sondern der Kontokorrentsaldo maßgebend. Die Rechtsprechung des BFH zum Kontokorrentkredit einer Bank, der zur Finanzierung von Warenschulden eingeräumt wird (vgl. insbesondere BFH-Urteile IV 344/65, a.a.O.; und vom 6. Juni 1973 I R 257/70, BFHE 109, 465, BStBl II 1973, 670), gilt dann insoweit auch für einen solchen Kredit eines Lieferanten.
Bei der Gewährung von Zahlungszielen durch den Lieferanten ist der Zusammenhang zwischen Kredit und einem bestimmten Warengeschäft durch den Kaufvertrag und die gleichzeitige Stundung des Kaufpreises selbst hergestellt und er bleibt gewahrt, wenn jeder einzelne Kaufpreis für sich nachweisbar nach Ablauf der vereinbarten Stundung an den Lieferanten bezahlt und damit auch die Kreditschuld getilgt wird (BFH-Urteil vom 12.06.1975 IV R 34/72, BStBl II 1975, 784). In solchen Fällen besteht kein Anlass, die Selbständigkeit der Warenschulden in Frage zu stellen, wenn diese vom Schuldner wie auch in sonstigen Fällen aufgezeichnet und jeweils nach Ablauf der Stundungszeit getilgt werden (vgl. Urteil des BFH vom 4. Juli 1969 VI R 276/66, BFHE 96, 535, BStBl II 1969, 712).
Anders verhält es sich dagegen, wenn der Abnehmer laufend Akontozahlungen zur Tilgung seiner Warenschulden geleistet und mit der Lieferfirma jeweils den verbliebenen Schuldensaldo abgerechnet haben sollte. In diesem Falle hätten die Vertragsparteien die Warengeschäfte, wie bei einem Kontokorrent, derart abgewickelt, dass die einzelnen Warenforderungen zurückgetreten und nur noch der jeweilige Schuldensaldo in Erscheinung getreten wären. Demzufolge wäre wie bei einem Kontokorrent nur noch der Schuldensaldo und nicht die einzelne Warenschuld zur Prüfung des Vorliegens einer Dauerschuld heranzuziehen (BFH-Urteil vom 12.06.1975 IV R 34/72, BStBl II 1975, 784).
Es kommt also entscheidend darauf an, ob die Klägerin die jeweils fällig gewordenen Warenschulden getilgt, oder ob sie laufend Akontozahlungen an die Lieferfirma geleistet hat (BFH-Urteil vom 12.06.1975 IV R 34/72, BStBl II 1975, 784).
2.
Die Klägerin hat bei der Abwicklung ihrer Warengeschäfte mit der A einen hinreichenden Zusammenhang zwischen der einzelnen Warenforderung und ihrer Bezahlung gewahrt, so dass für die Prüfung des Vorliegens einer Dauerschuld die einzelnen Verbindlichkeiten und nicht der Saldo des Lieferantenkontos heranzuziehen sind.
Zwar ist dem FA zuzugeben, dass die Handhabung der Leistungsbeziehungen zwischen der Klägerin und der A einem Kontokorrentverhältnis in Teilen angenähert ist; insbesondere hat die Klägerin ihre Zahlungsziele von 30 bzw. 60 Tagen oftmals nicht eingehalten, so dass im Streitjahr auf dem Lieferantenkonto ein dauerhafter Saldo von mindestens 376.047 DM verblieb. Auch wurden die Rechnungen nicht einzeln und in Abhängigkeit von den Erlösen aus den jeweiligen Wiederverkäufen beglichen, sondern es wurden jeweils größere Beträge überwiesen, mit denen jeweils die ältesten fälligen Einzelrechnungen getilgt wurden.
Dies reicht jedoch nicht aus, um von einem Kontokorrentverhältnis auszugehen, bei denen die einzelnen Forderungen ihre wirtschaftliche Selbständigkeit verloren hätten. Entscheidend ist vielmehr, dass in der Buchführung der Klägerin alle Rechnungen einzeln verbucht worden sind. Dadurch ist die Nachprüfbarkeit des Schicksals jeder einzelnen Forderung hinreichend gewährleistet. Insoweit ist es unschädlich, dass bei den Zahlungen teilweise die jeweils letzte der zu tilgenden Rechnungen nur zum Teil beglichen wurde und der Rest dieser Verbindlichkeit erst mit der nächsten Zahlung getilgt wurde.
Der Umstand, dass die Klägerin die einzelnen Rechnungen nicht einzeln und zeitnah beglich, sondern zusammengefasste Zahlungen in Form von Sammelüberweisungen tätigte, führt nicht zum Vorliegen eines Kontokorrentverhältnisses. Zwar ist es für ein Kontokorrent charakteristisch, dass Abschlagszahlungen auf den Saldo geleistet werden; vorliegend orientierten sich die Vertragsparteien jedoch nicht an dem Saldo ihrer Forderungen und Verbindlichkeiten. Dies wird neben der Behandlung in der Buchführung auch an der durchgeführten Verzinsung der einzelnen Forderungen deutlich. Die zusammengefasste Zahlungen auf mehrere Rechnungen in einer größeren, abgerundeten Summe hatte vielmehr den Hintergrund, den Anfall von im Verhältnis zu kleinen Rechnungsbeträgen unverhältnismäßig hohen Gebührenaufwand bei Auslandsüberweisungen zu vermeiden.
3.
Ausgehend von den einzelnen Warenverbindlichkeiten lagen im Streitjahr keine Dauerschulden vor, da die einzelnen Verbindlichkeiten nach spätestens 5-6 Monaten beglichen wurden. Zur Annahme von Dauerschulden hätte eine Kreditierung von über 12 Monaten vorliegen müssen.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.