Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 16.06.2011, Az.: 10 WF 219/11
Auswirkungen der Aufhebung des HumHAG auf während dessen Geltung aufgenommene und in den Genuss der Rechtsstellung nach Art. 2 bis Art. 34 GFK gekommene Ausländer
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 16.06.2011
- Aktenzeichen
- 10 WF 219/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 20275
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2011:0616.10WF219.11.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- AG Hannover - 16.06.2011 - AZ: 614 F 2518/11
- OLG Celle - 20.07.2011 - AZ: 10 WF 219/11
Rechtsgrundlagen
- § 1 HumHAG
- Art. 12 GFK
Amtlicher Leitsatz
Wer als Ausländer während der Geltung des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommener Flüchtlinge [HumHAG] (BGBl. I 1980, 1057) - also zwischen dem 1. August 1980 und dem 31. Dezember 2005 - gemäß oder analog § 1 HumHAG im Geltungsbereich des HumHAG aufgenommen worden ist, ist deswegen in den Genuß der Rechtsstellung nach Art. 2 bis 34 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 [GFK] gekommen; das dabei gemäß Art. 12 GFK erworbene deutsche Personalstatut wird durch das Außerkrafttreten des HumHAG nicht berührt.
In der Familiensache
...
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin
gegen den Verfahrenskostenhilfe versagenden Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 16. Juni 2011
durch
die Richter am Oberlandesgericht H., G. und W.
am 20. Juli 2011
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten sind ukrainische Staatsangehörige und haben 1978 in L. die Ehe geschlossen; im Jahre 2000 sind sie - als jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion - als Kontingentflüchtlinge entsprechend § 1 des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommener Flüchtlinge [HumHAG] (BGBl. I 1980, 1057) in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen worden.
Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 25. Mai 2011 hat die Antragstellerin für ein beabsichtigtes Scheidungsverfahren um Verfahrenskostenhilfe (VKH) nachgesucht; sie trägt vor, vor etwa drei Monaten ihrem Ehemann erklärt zu haben, die endgültige Trennung zu wollen; dieser sei zwar mit einer derartigen Trennung einverstanden, jedoch nicht bereit, die nach wie vor gemeinsam genutzte Wohnung zu verlassen. Dem Gesuch hat sie eine - nicht einmal zu Teil (A) vollständig und zu den Teilen (E) bis (J) überhaupt nicht ausgefüllte - undatierte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt, dem ein Bescheid des örtlichen JobCenter vom 25. März 2011 über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die aus den Beteiligten bestehende Bedarfsgemeinschaft beigefügt.
Das Amtsgericht hat nach Gewährung von rechtlichem Gehör für den Antragsgegner mit Beschluß vom 16. Juni die nachgesuchte VKH mangels hinreichender Erfolgsaussicht versagt. Es hat dabei darauf abgestellt, daß für die Scheidung der Beteiligten als Kontingentflüchtlinge deutsches Sachrecht maßgeblich ist und weder das danach erforderliche Trennungsjahr abgelaufen ist noch Härtegründe für eine frühere Scheidung ersichtlich oder vorgetragen sind.
Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin; sie vertritt dazu die Auffassung, daß vorliegend ukrainisches Scheidungsrecht anwendbar sei, da das HumHAG mit dem 1. Januar 2005 außer Kraft getreten sei.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluß vom 14. Juli 2011 nicht abgeholfen. Der Einzelrichter hat das Verfahren dem Senat zur Entscheidung übertragen.
II.
Die zulässige Beschwerde kann in der Sache keinen Erfolg haben. Zutreffend geht das Amtsgericht vorliegend vom Fehlen hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung aus, weil die nach deutschem Sachrecht zu beurteilenden Voraussetzungen für eine Scheidung derzeit nicht gegeben sind.
1.
Für eine Scheidung der Beteiligten ist deutsches Sachrecht maßgeblich.
Nach Art. 17 Abs. 1 EGBGB unterliegt die Scheidung dem Recht des allgemeinen Ehewirkungsstatuts der Beteiligten im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages; für das Ehewirkungsstatut der Beteiligten verweist Art. 14 Abs. 1 EGBGB erstrangig auf ihr gemeinsames Personalstatut; dieses wiederum richtet sich vorliegend maßgeblich nach Art. 12 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 [GFK].
a.
Die Beteiligten haben - wie sich für die Antragstellerin aus dem ihr erteilten Visum vom 10. Februar 2000 [Bl. 7 f. d.A.] bzw. für den Antragsgegner aus der (deklaratorischen) Bescheinigung gem. § 2 Abs. 1 HumHAG des Landkreises Northeim vom 8. Juni 2000 [Bl. 15] ergibt - im Jahre 2000 als Kontingentflüchtlinge entsprechend dem damals geltenden § 1 HumHAG in der Bundesrepublik Deutschland Aufnahme gefunden; dies hatte zur Folge, daß sie in den Genuß der Rechtsstellung nach Artt. 2 bis 34 GFK kamen, beide also insbesondere nach Art. 12 GFK das deutsche Personalstatut erwarben.
b.
Dieses für die Beteiligten maßgebliche deutsche Personalstatut ist zwischenzeitlich auch nicht wieder entfallen.
aa.
Die in § 2a HumHAG - abschließend - aufgezählten Gründe für ein Erlöschen der Rechtstellung nach § 1 HumHAG - Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses, freiwillige Wiedererlangung einer verlorenen Staatsangehörigkeit oder antragsgemäßer Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit - sind offenkundig nicht eingetreten. Auch ein in § 2b HumHAG eröffneter Widerruf der Rechtsstellung nach § 1 HumHAG ist nicht erfolgt.
bb.
Das deutsche Personalstatut der Beteiligten ist auch nicht etwa dadurch weggefallen, daß nach Art. 15 Abs. 3 Nr. 3 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004 [BGBl. 2004, 1950] das HumHAG zum 1. Januar 2005 außer Kraft getreten ist (vgl. Palandt70-Thorn, BGB, Anh. zu Art. 5 EGBGB Rz. 30; MüKo5-Sonnenberger, Art. 5 EGBGB Rz. 95); das Außerkrafttreten der Norm hat lediglich zur Folge, daß in Zukunft eine Aufnahme als Kontingentflüchtling nach § 1 HumHAG nicht mehr möglich ist. Die mit einer während der Geltung von § 1 HumHAG - gerade auch für als Kontingentflüchtlinge behandelte jüdische Emigranten - erworbene Rechtsstellung bleibt demgegenüber gemäß § 102 Abs. 1 AufenthG auch über den 1. Januar 2005 hinaus erhalten (so ausdrücklich BayVGH - Beschluß vom 7. August 2008 - 19 B 07.1777 - ZAR 2008, 403 ff. = InfAuslR 2009, 98 ff = [...]; BayVGH Beschluß vom 26. Mai 2011 - 19 CS 10.3157 - [...]). Zudem bestimmt § 103 AufenthaltsG, daß vor Inkrafttreten des AufenthaltsG nach dem HumHAG aufgenommene Flüchtlinge (weiterhin) die Rechtsstellung nach Artt. 2 bis 34 GFK genießen und insofern (für eine etwaige Beendigung des Status) die §§ 2a und 2b HumHAG weiter Anwendung finden (vgl. insofern auch BayVGH - Beschluß vom 19. August 2010 - 19 B 09.824 - [...]).
cc.
Dieser Befund wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß - wie vom Antragsteller dargelegt - das VG Hannover in einem anderen - die Ausstellung eines Reiseausweises betreffenden - Fall (zudem ohne jegliche Auseinandersetzung mit der genannten gefestigten diesbezüglichen Rechtsprechung des BayVGH) für die fragliche Personengruppe eine - wesentlich auch auf besondere Aspekte bezüglich der Ausstellung von Ausweisen gestützte - abweichende Auffassung vertreten hat.
Soweit die Beteiligten allerdings tatsächlich bewußt wieder eine maßgebliche Anwendbarkeit der Rechtsordnung ihres Herkunftslandes herbeiführen wollten, stünde es ihnen jederzeit frei, dafür durch eine der im - weiterhin Anwendung findenden - § 2a Abs. 1 HumHAG genannten Handlungen (namentlich eine Erneuerung ihres Nationalpasses) die Voraussetzungen zu schaffen.
2.
Nach deutschem Sachrecht liegen - wie bereits das Amtsgericht zutreffend und von der Beschwerde unangegriffen dargelegt hat - die Voraussetzungen für eine Scheidung derzeit nicht vor. Angesichts der sich aus dem vorgelegten aktuellen Sozialhilfebescheid ergebenden unverändert fortgesetzten Bedarfsgemeinschaft der Beteiligten dürfte sich vielmehr ergeben, daß derzeit noch nicht einmal von einer Trennung der Eheleute im deutschen Rechtssinne ausgegangen werden kann.
3.
Für ein etwaiges, nach Ablauf des Trennungsjahres erneuertes VKH-Gesuch wird bereits jetzt auf die auch bei Vorlage einesSGB II-Bescheides bestehende zwingende Notwendigkeit einer vollständigen Ausfüllung der Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen jedenfalls hinsichtlich der Komplexe (A) bis (D) hingewiesen.
G.
W.