Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.12.2000, Az.: 7 L 1941/00

Eisenbahnstrecke; Entwidmung; Klagebefugnis; Landkreis; Planungsträger; Regionalplanung; Regionalplanungsträger; Schienenverkehr; Träger der Regionalplanung; öffentlicher Planungsträger

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.12.2000
Aktenzeichen
7 L 1941/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 42054
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BVerwG - 16.05.2001 - AZ: BVerwG 9 B 17.01

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Landkreis, der nicht Träger des öffentlichen Schienenpersonennahverkehrs ist, wird durch die Entwidmung einer stillgelegten ehemaligen Bundesbahnstrecke auch dann nicht in seinen Belangen als Träger der regionalen Raumplanung betroffen, wenn im Regionalen Raumordnungsprogramm die Wiederherstellung der Strecke und die Wiederaufnahme des Eisenbahnverkehrs als Ziele der Raumordnung genannt werden.

Tatbestand:

1

Der klagende Landkreis wendet sich gegen die vom Eisenbahn-Bundesamt verfügte Entwidmung eines Teilstücks einer stillgelegten Eisenbahnstrecke. Er hält die Entwidmung für fehlerhaft, weil sie den Zielen der Raumordnung widerspreche. Hierdurch sei er in seinen Rechten als Träger der regionalen Raumordnung betroffen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Berufung hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

2

Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.

3

Der Kläger wird durch die Entwidmung der früheren Eisenbahnstrecke nicht in seinen Rechten verletzt.

4

Der Kläger wird nicht dadurch in seinen (Verfahrens-)rechten betroffen, dass das Eisenbahn-Bundesamt die Entwidmung in Form eines bloßen Bescheides und nicht als Planfeststellungsbeschluss in dem für einen solchen vorgesehenen Verfahren unter Beteiligung des Klägers ausgesprochen hat. Nach § 18 AEG bedürfen lediglich der Bau und die (wesentliche) Änderung von Schienenwegen und Betriebsanlagen der Eisenbahn einer Planfeststellung. Die Entwidmung ist weder das eine noch das andere. Für sie genügt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Verwaltungsakt, der eine eindeutige Erklärung darüber enthält, welche bisher als Bahnanlage dienende Flächen künftig wieder für andere Nutzungen offen stehen, und der als Allgemeinverfügung in geeigneter Weise öffentlich bekannt zu machen ist (BVerwGE 81, 111/118; 102, 269/272). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Selbst wenn ein Planfeststellungsverfahren erforderlich und der Beklagte gemäß § 20 Abs. 1 AEG iVm § 73 Abs. 2 VwVfG daran zu beteiligen gewesen wäre, begründete die Wahl des falschen Verfahrens für den Kläger kein Klagerecht (vgl. Urt. des Senats v. 16.6.1993 -- 7 L 1965/92 --). Jedenfalls wäre ein etwaiger Verfahrensmangel nach § 46 VwVfG unerheblich, da er offensichtlich die Entscheidung des Eisenbahn-Bundesamtes nicht beeinflusst hätte.

5

Der Kläger ist ferner durch die Entwidmungsverfügung nicht in seiner Eigenschaft als Träger der Regionalplanung (§ 7 NROG) betroffen.

6

Der Senat hat wiederholt die grundsätzliche Befugnis des Klägers hervorgehoben, Vorhaben öffentlicher Planungsträger entgegenzutreten, die aus seiner Sicht dem Gebot des § 10 Abs. 2 NROG widersprechen, Ziele der Raumordnung und Landesplanung bei Planungen und sonstigen Maßnahmen, welche die räumliche Entwicklung eines Gebietes beeinflussen können, zu beachten (Urt. v. 6.3.1995 -- 7 L 5424/93 --, Beschl. v. 12.10.2000 -- 7 M 3378/00 --). Wenn der Senat damit die Planungshoheit des Klägers auf dem Gebiet der regionalen Raumordnung als wehrfähiges Recht anerkannt und die in seinem Regionalen Raumordnungsprogramm 1990 aufgeführten Ziele als "andere öffentliche Belange" im Sinne des § 18 Abs. 3 Satz 2 AEG bezeichnet hat, so bedeutet dies nicht, dass damit jeder dieser Belange geeignet wäre, dem Kläger ein eigenes subjektives Recht und damit einen Anspruch auf gerichtliche Kontrolle zu vermitteln. Der Kläger kann vielmehr eine Rechtskontrolle nur insoweit beanspruchen, als er auf Belange verweist, die Ausfluss seines Selbstverwaltungsrechts sind oder sonst in seinen eigenen Rechten wurzeln (Beschl. des Senats v. 12.10.2000 -- 7 M 3378/00 --). Der in Abschnitt 7.4 (S. 41) des Regionalen Raumordnungsprogramms 1990 erörterte Schienenverkehr ist jedoch -- gegenwärtig -- keine eigene Angelegenheit des Klägers. Nach § 4 Abs. 2 des Niedersächsischen Gesetzes zur Neuordnung des öffentlichen Personennahverkehrs vom 28. Juni 1995 (GVBl. S. 180) kann zwar das Land als Träger des öffentlichen Schienenpersonennahverkehrs einem Landkreis auf dessen Antrag die Trägerschaft für diesen Verkehr übertragen. Dies ist jedoch bislang nicht geschehen; der Kläger hat nicht vorgetragen, bereits einen dahingehenden Antrag gestellt zu haben.

7

Hiervon abgesehen, ist die angefochtene Entwidmung nicht geeignet, die Verwirklichung der in dem Regionalen Raumordnungsprogramm des Klägers in Bezug auf den Schienenverkehr festgelegten Ziele der Raumordnung zu vereiteln oder auch nur spürbar zu erschweren. Die Entwidmung für sich allein stellte kein rechtliches oder tatsächliches Hindernis für eine etwaige Wiederherstellung der Eisenbahnanlagen auf der in Rede stehenden Fläche im Zuge einer Rekonstruktion der Bahnstrecke zwischen Wustrow und Salzwedel dar. Eine solche neue Eisenbahnanlage könnte ohne weiteres wieder dem öffentlichen Eisenbahnverkehr gewidmet werden. Erschwert werden könnte ein solches Vorhaben allerdings durch die Übereignung und anderweitige bauliche Nutzung der ehemaligen Trasse. In einem solchen Fall setzte die Wiederherstellung der Bahnanlage den Erwerb des Eigentums durch den Baulastträger oder eine Enteignung des neuen Eigentümers voraus. Eine fortbestehende Widmung stellte indessen kein rechtliches Hindernis für die Übereignung einer tatsächlich nicht mehr als Eisenbahnanlage genutzten Fläche dar. Zwar kann die Widmung der Fläche wegen der damit verbundenen Rechtsunsicherheit für den Erwerber ein faktisches Hindernis für deren Übereignung darstellen. Demgemäß ist mit Rücksicht auf das anhängige Verfahren bisher die Umschreibung der von der Beigeladenen zu 2) erworbenen Fläche im Grundbuch unterblieben. Wenn sich die Beigeladene zu 2) indessen dazu entschlösse, die Eintragung zu beantragen, könnte eine etwa fortbestehende Widmung dies nicht verhindern.

8

Anders wäre die Sachlage, wenn die Fläche in einer Weise genutzt würde, die mit ihrer späteren Wiederverwendung als Eisenbahntrasse unvereinbar wäre. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn sie mit einem Gebäude bebaut würde. Das könnte der Kläger jedoch aufgrund seiner Eigenschaft als Baugenehmigungsbehörde selbst verhindern, ohne dass es dabei auf den Fortbestand der Widmung ankäme. Die Beigeladene zu 2) ist bei ihrer Bauleitplanung an die Ziele der Raumordnung gebunden (§ 10 Abs. 2 NROG). Bei Unvereinbarkeit mit diesen Zielen kann einem Flächennutzungsplan die Genehmigung versagt werden (§ 6 Abs. 2 BauGB). Diese Möglichkeit wird durch die angefochtene Entwidmung nicht beseitigt; die Entwidmung lässt die Festsetzungen des Regionalen Raumordnungsprogramms unberührt und ändert nichts an deren Bindungswirkung.

9

Angesichts dessen ist kein Ermessensfehler darin zu erblicken, dass das Eisenbahn-Bundesamt bei seiner Entscheidung über die Entwidmung des Streckenabschnitts auf die von dem Kläger geltend gemachten Belange keine Rücksicht genommen hat.