Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.12.2000, Az.: 5 L 3285/00

Beamter; Beamter auf Probe; Dienstunfähigkeit; Entlassung; Probebeamter; Ruhestand; Ruhestandsversetzung; Versetzung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
12.12.2000
Aktenzeichen
5 L 3285/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 41986
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BVerwG - 01.10.2001 - AZ: 2 B 11/01

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Ein Anspruch eines Beamten auf Probe, in den Ruhestand versetzt zu werden, kann nach § 46 Abs. 2 BBG nur bestehen, wenn der Dienstherr die sich aus § 9 Abs. 2 und Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 31 Abs. 1 Nr. 3 BBG ergebende Pflicht verletzt hat, spätestens fünf Jahre nach Begründung des Beamtenverhältnisses auf Probe und Vollendung des 27. Lebensjahres das Beamtenverhältnis auf Probe in ein solches auf Lebenszeit umzuwandeln oder über die Entlassung wegen Dienstunfähigkeit zu entscheiden.


2. Liegen in diesem Zeitpunkt Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beamte auf Probe dauernd dienstunfähig ist, ohne dass die Frage bis zu diesem Zeitpunkt abschließend geklärt werden kann, und ist damit zweifelhaft, ob die beamtenrechtlichen Voraussetzungen für die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit gegeben sind, wird diese Entscheidungspflicht bis zur Klärung des Sachverhalts hinausgeschoben.

Tatbestand:

1

Die wegen Dienstunfähigkeit aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassene Beamtin hat mit ihrer Klage die Verpflichtung der Beklagten begehrt, sie so zu stellen als sei sie zum Entlassungszeitpunkt in den Ruhestand versetzt worden.

2

Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil geändert und die Klage abgewiesen.

Entscheidungsgründe

3

Die nach ihrer Zulassung statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist begründet.

4

Die durch die angefochtenen Bescheide verfügte Entlassung der Klägerin aus dem Beamtenverhältnis auf Probe ist rechtmäßig; der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Versetzung in den Ruhestand besteht nicht. Deshalb ist weder die mit der Klage begehrte Aufhebung der angefochtenen Bescheide noch die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin in den Ruhestand zu versetzen, gerechtfertigt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 5 VwGO).

5

Die durch die angefochtenen Bescheide verfügte Entlassung der Klägerin aus dem Beamtenverhältnis auf Probe ist rechtmäßig, weil die sich hierfür aus § 31 Abs. 1 Nr. 3 BBG ergebenden Voraussetzungen vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann eine Beamtin auf Probe entlassen werden, wenn der Entlassungsgrund der Dienstunfähigkeit (§ 42 BBG) vorliegt und die Beamtin nicht nach § 46 in den Ruhestand versetzt wird. Daran, dass der Entlassungsgrund der Dienstunfähigkeit (§ 42 BBG) vorliegt, bestehen angesichts der entsprechenden ärztlichen Äußerungen vom 28. Juli 1994 und 21. Januar 1997, die auch durch die Klägerin nicht in Frage gestellt werden, keine Bedenken.

6

Nach § 46 Abs. 1 BBG ist der Beamte auf Probe in den Ruhestand zu versetzen, wenn er infolge Krankheit, Verwundung oder sonstiger Beschädigung, die er sich ohne grobes Verschulden bei Ausübung oder aus Veranlassung des Dienstes zugezogen hat, dienstunfähig geworden ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor und werden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.

7

Nach Absatz 2 dieser Vorschrift kann eine Beamtin auf Probe in den Ruhestand versetzt werden, wenn sie aus anderen Gründen dienstunfähig geworden ist.

8

Die Klägerin ist aus anderen Gründen dienstunfähig geworden, und die Beklagte hat deshalb die nach dieser Vorschrift ("kann in den Ruhestand versetzt werden") erforderliche Ermessensentscheidung getroffen und in Ausübung dieses Ermessens die Versetzung in den Ruhestand abgelehnt.

9

Entgegen der von dem Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung ist diese Entscheidung nicht ermessensfehlerhaft und besteht ein Anspruch der Klägerin auf Versetzung in den Ruhestand nicht.

10

Ein solcher Anspruch kann aus § 46 Abs. 2 i.V.m. §§ 9 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1, 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BBG nur hergeleitet werden, wenn der Dienstherr die sich aus § 9 Abs. 2 und Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BBG ergebende Pflicht, spätestens fünf Jahre nach Begründung des Beamtenverhältnisses auf Probe und Vollendung des 27. Lebensjahres das Beamtenverhältnis auf Probe auf Lebenszeit umzuwandeln oder über die Entlassung wegen Dienstunfähigkeit zu entscheiden, verletzt hat. Liegen in diesem Zeitpunkt Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beamte auf Probe dauernd dienstunfähig ist, ohne dass diese Frage bis zu diesem Zeitpunkt abschließend geklärt werden kann, und ist damit zweifelhaft, ob die beamtenrechtlichen Voraussetzungen für die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit gegeben sind, wird diese Entscheidungspflicht bis zur Aufklärung des Sachverhalts hinausgeschoben. Der Dienstherr darf allerdings -- das ergibt sich nach der von dem Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Oktober 1972 (-- VI C 43.70 --, BVerwGE 41, 75, 80) aus dem Sinn und Zweck der genannten gesetzlichen Regelung -- diese Aufklärung nicht ungebührlich verzögern, und nur insoweit wird seine Entscheidungspflicht aufgeschoben. Ob eine solche ungebührliche Verzögerung vorliegt, ist nach den gesamten Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Eine solche Annahme ist in der Regel nur gerechtfertigt, wenn sich das zögerliche Verhalten des Dienstherrn als widersprüchlich ("venire contra factum proprium") darstellt, weil der betroffene Beamte darauf vertrauen konnte, dass die in dem maßgeblichen Zeitpunkt (hier: Vollendung des 27. Lebensjahres am 09.09.1992) bestehenden Zweifel hinsichtlich der Dienstfähigkeit nicht mehr geltend gemacht werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.02.1993 -- 2 C 27.90 --, BVerwGE 92, 147, 152; Urt. v. 21.05.1990 -- 2 C 35.88 --, BVerwGE 85, 177, 183, zum Entlassungsgrund der mangelnden (gesundheitlichen) Bewährung). Diese Voraussetzungen sind in dem von dem Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung angeführten Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. Oktober 1989 (-- 2 A 31/89 --, DÖD 1990, 96) angenommen worden mit der Begründung es sei, nachdem ursprünglich (am 10.07.1983) Zweifel an der Dienstfähigkeit wegen einer Darmerkrankung bestanden hätten, nicht gerechtfertigt, die Entlassung wegen eines 1985 aufgetretenen Nierensteinleidens 1987 zu verfügen, weil diese Erkrankung noch nicht bestanden habe, als die heranstehende Ernennung des Klägers zum Beamten auf Lebenszeit im Juli 1983 aufgeschoben worden sei. Eine solche oder eine vergleichbare Situation hat bei der Klägerin aber nicht bestanden, weil ihr in dem unmittelbar vor Vollendung ihres 27. Lebensjahres am 8. September 1992 geführten Personalgespräch unmissverständlich gesagt worden ist, dass auf Grund des Gutachtens des Postbetriebsarztes vom 28. August 1992 eine Entscheidung erst nach Ablauf von zwei Jahren getroffen werden könne. Ein Vertrauen der Klägerin darauf, dass diese Zweifel nicht mehr zu einer Entlassung wegen Dienstunfähigkeit führen können, konnte deshalb nicht entstehen und ist auch nicht entstanden. Das ergibt sich einmal aus dem Krankheitsbild und zum anderen auch aus dem Verhalten der Klägerin. Das Krankheitsbild ist nach den genannten ärztlichen Äußerungen dadurch gekennzeichnet, dass Zweifel hinsichtlich der gesundheitlichen Eignung in psychisch-physischer Hinsicht bestanden und mehrfache operative Eingriffe notwendig waren. Unter Berücksichtigung dieses Krankheitsbildes gingen die Ärzte und auch die Klägerin -- wie sich aus dem mit ihr am 27. Mai 1994 geführten Personalgespräch ergibt -- davon aus, dass ein Erreichen der gesundheitlichen Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit innerhalb der von dem Postbetriebsarzt in seiner Stellungnahme vom 28. August 1992 genannten Frist von zwei Jahren noch möglich sei. Deshalb ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, die während dieses Zwei-Jahres-Zeitraums aufgetretenen Krankenhausaufenthalte hätten Anlass für eine erneute ärztliche Begutachtung der Dienstfähigkeit der Klägerin sein müssen, nicht gerechtfertigt. Außerdem ergibt sich aber aus den mit der Klägerin am 8. September 1992, 27. Mai 1994 und 24. August 1994 geführten Personalgesprächen, dass die Klägerin nicht darauf vertrauen konnte, die bei Vollendung des 27. Lebensjahres (09.09.1992) bestehenden Zweifel hinsichtlich der Dienstfähigkeit würden nicht mehr geltend gemacht. Auf das Bestehen eines solchen Vertrauens hat die Klägerin sich nicht berufen. Auch aus dem in der Berufungsverhandlung geltend gemachten Umstand, bei den postbetriebsärztlichen Untersuchungen vom 15. Januar und 28. August 1992 habe es sich wegen der unterbliebenen Beteiligung von Fachärzten nicht um ärztliche Dienstfähigkeitsuntersuchungen im Rahmen eines Entlassungsverfahrens gehandelt, lässt sich ein solches Vertrauen nicht herleiten. Denn aus den im Rahmen der Korrespondenz zwischen der Beklagten und den eingeschalteten Postbetriebsärzten verwendeten Formularen und Äußerungen, die der Klägerin im Rahmen der genannten Personalgespräche bekannt gemacht worden sind, ergibt sich mit Eindeutigkeit, dass Gegenstand dieser ärztlichen Untersuchungen die vor der Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zu prüfende Dienstfähigkeit der Klägerin war. Das auf Grund dieser Untersuchungen gewonnene und der Klägerin mitgeteilte Ergebnis, abschließend könne über die Dienstfähigkeit erst nach 24 Monaten entschieden werden, ist in medizinischer Hinsicht, insbesondere auch von der Klägerin nicht in Frage gestellt worden und Anhaltspunkte dafür, dass eine fachärztliche Untersuchung bereits damals zu einer endgültigen Feststellung der Dienstunfähigkeit oder Dienstfähigkeit der Klägerin hätte führen können, sind nicht erkennbar. Das Verwaltungsgericht hat sich mit diesem Gesichtspunkt ebenso wenig auseinandergesetzt wie die Institutionen der Beklagten in den von der Klägerin in der Berufungsverhandlung erwähnten Schreiben vom 8. und 26. August 1997. Weder aus dem Zulassungsverfahren noch aus dem Berufungsverfahren ergeben sich weitere Anhaltspunkte, die eine andere Würdigung rechtfertigen könnten.

11

Auch im Übrigen ist die nach § 46 Abs. 2 BBG zu treffende Entscheidung über die Versetzung der Klägerin in den Ruhestand nicht ermessensfehlerhaft. Die Beklagte hat -- was sich insbesondere aus dem Widerspruchsbescheid vom 17. März 1998 und den ihn vorbereitenden Vermerken ergibt -- alle tatsächlichen Umstände des Einzelfalles, durch die die Situation der Klägerin in diesem Zeitpunkt gekennzeichnet war, berücksichtigt. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die Grenzen des Ermessens überschritten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 Satz 1 VwGO), ergeben sich aus dem Vortrag der Beteiligten und den vorgelegten Unterlagen nicht. Der erstmals mit der Klage geltend gemachte Umstand, dass die Klägerin nach Geburt ihrer Tochter getrennt von ihrem Mann lebt und dieser Unterhalt nicht zahlt, konnte bei Erlass des Widerspruchsbescheides keine Berücksichtigung finden, da er zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt war, und ist auch gegenwärtig nicht zu berücksichtigen. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung von behördlichen Entscheidungen, die in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zu treffen sind, ist der Abschluss des Verwaltungsverfahrens mit Erlass des Widerspruchsbescheides vom 17. März 1998. Im Übrigen ist dieser persönliche Umstand auch nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung in Frage zu stellen.