Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.12.2000, Az.: 12 L 4224/00

Anstaltsaufenthalt; gewöhnlicher Aufenthalt; Kostenerstattung; ordnungsgemäße Ermittlungen; Sozialhilfe; Sozialhilfeträger

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.12.2000
Aktenzeichen
12 L 4224/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41829
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 10.10.2000 - AZ: 4 A 109/97

Gründe

1

Die Beklagte macht zunächst als Zulassungsgrund geltend, die Berufung gegen das angefochtene Urteil müsse wegen ernstlicher Zweifel an dessen Richtigkeit deswegen zugelassen werden, weil das Verwaltungsgericht ihren - der Klägerin - Erstattungsanspruch für den Klinikaufenthalt des Hilfeempfängers G. mit der Erwägung verneint habe, die Erstattungsvorschrift des § 103 Abs. 1 Satz 1 BSHG greife deshalb zu ihren Gunsten nicht ein, weil sie - die Klägerin - den gewöhnlichen Aufenthalt des Hilfeempfängers nicht ermittelt habe, obwohl ihr dies an Hand des Kostenübernahmeantrages des Städtischen Klinikums F. vom März 1995 möglich gewesen wäre, und weil sie dem Klinikum im Juni 1996 eine Kostenzusage erteilt habe, obwohl sie um die örtliche (und auch die sachliche) Zuständigkeit des Beklagten gewusst habe. Dies treffe deshalb nicht zu, weil es ihr nach den damals vorliegenden Unterlagen, in denen der Hilfeempfänger als Nichtsesshafter bezeichnet worden  sei, innerhalb der 4-Wochen-Frist des § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG trotz ordnungsgemäßer Prüfung nicht möglich gewesen, zu ermitteln, ob und wo der Hilfeempfänger einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hatte, im Übrigen hätten die im März 1995 vorliegenden Unterlagen eindeutig für eine Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers gesprochen, auch sei sie für die Kosten erst nach Verstreichen der 4-Wochen-Frisrt des § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG, und zwar im Juni 1996 zunächst in Vorlage getreten. Dieser Vortrag erfüllt indessen aus mehreren Gründen nicht die Erfordernisse, die an eine hinreichende Darlegung eines Zulassungsgrundes nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu stellen sind.

2

Soweit der Beklagte für das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung darauf abhebt, ihr bzw. dem mit dem Vorgang befassten Sachbearbeiter ihres Sozialamtes sei es trotz ordnungsgemäßer Ermittlungen nicht möglich gewesen, innerhalb der Frist des § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG den gewöhnlichen Aufenthalt des Hilfeempfängers (im Zuständigkeitsbereich des Beklagten) sowie dessen - des Beklagten - sachliche Zuständigkeit zu ermitteln, wird diese Behauptung durch den Akteninhalt nicht belegt; im Gegenteil ergibt der Akteninhalt, dass es der Klägerin innerhalb der Frist des § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG hätte möglich sein müssen, - erstens - zu ermitteln, dass aufgrund der vom Verwaltungsgericht zutreffend angeführten Ausnahmeregelung des § 100 Abs. 1 Nr. 1, letzter HS BSHG eine (sachliche) Zuständigkeit eines überörtlichen Sozialhilfeträger für den Hilfefall (Klinikaufenthalt vom 9. März bis 3. April 1995) nicht gegeben war, und dass - zweitens - die örtliche Zuständigkeit des Beklagten infolge des Bestehens eines gewöhnlichen Aufenthalts des Hilfeempfängers in dessen - des Beklagten - Zuständigkeitsbereich vorlag. Dem Sozialamt der Klägerin waren nämlich mit dem Kostenerstattungsantrag des Klinikums vom 10./16. März 1995, der das Sozialamt am 17. März 1995 bereits erreicht hatte, zumindest hinreichende Anhaltspunkte an die Hand gegeben worden, die bei ordnungsgemäßen Verwaltungshandeln (vgl. § 20 SGB X) eine rasche Klärung der (sachlichen und örtlichen) Zuständigkeitsfragen innerhalb der Frist des § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG (und nicht erst geraume Zeit später) ermöglicht hätten. So lag dem Erstattungsanspruch bereits eine ärztliche Stellungnahme des Klinikums vom 13. März 1995 (in Fotokopie) bei, in der nicht nur auf einen langjährigen Drogen- und Alkoholmissbrauch des Hilfeempfängers - dies hat die Klägerin veranlasst, eine Zuständigkeit eines überörtlichen Sozialhilfeträgers nach § 100 Abs. 1 Nr. 1, erster Halbsatz BSHG anzunehmen und den Vorgang dem Landeswohlfahrtsverband H. offenbar ohne weitere Prüfung "zuständigkeitshalber" (Mitteilung vom 17.3.1995) vorzulegen - , sondern auch auf die -  hier für die Anwendung des § 100 Abs. 1 Nr. 1, letzter Halbsatz BSHG entscheidende (vgl. Schellhorn, in: Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl. 1997, RdNr. 20 zu § 100) - im Vordergrund der Behandlung im Klinikum stehende intracerebrale Blutung hingewiesen wurde ("Er befindet sich in unserer stationären Behandlung...,anderseits zur Therapie einer frischen intracerebralen Blutung, die er sich am Aufnahmetag durch eine Sturz zugezogen hat"). Bei dieser Sachlage hätte sich das Sozialamt nicht mit der (unzutreffenden) Einschätzung begnügen dürfen, der Hilfeempfänger, werde - nur - wegen seiner Drogen- und Suchtprobleme im Klinikum stationär behandelt. Vielmehr hätte es, die genannte ärztliche Stellungnahme zumindest zum Anlass nehmen müssen, bei dem (ortsnahen) Klinikum den Aufnahmegrund und damit die (sachliche) Zuständigkeit (eines Sozialhilfeträgers) abzuklären. Es ist auch davon auszugehen, dass sich dann - alsbald und damit innerhalb der Frist des § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG - die fehlende Zuständigkeit eines überörtlichen Trägers der Sozialhilfe herausgestellt hätte, weil lediglich ein tatsächlicher Umstand, und zwar der Grund für die stationäre Behandlung des Hilfeempfängers festzustellen war. Wären diese Ermittlungen (Nachfrage bei dem ebenfalls in F. angesiedelten Klinikums) aber rechtzeitig getätigt worden und hätte sich damit - alsbald  - die Zuständigkeit eines örtlichen Trägers der Sozialhilfe ergeben, so hätten die vorliegenden Unterlagen (Erstattungsantrag des Klinikums nebst Angaben des Hilfeempfängers zu seiner Person) auch die Ermittlung eines gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Hilfeempfängers und damit die Zuständigkeit des Beklagten innerhalb der Frist des § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG ergeben müssen. Wie in dem angefochtenen Urteil bereits zu Recht hervorgehoben worden ist, enthielten die Angaben des Hilfeempfängers zu seiner Person konkrete Hinweise, die erfolgsversprechende weitere Ermittlungen zur Klärung der örtlichen Zuständigkeit ermöglicht hätten. So hätte bereits eine bloße Nachfrage bei der Therapieeinrichtung "d..." (Waldhaus-S.) in W., Landkreis G. (in den Antragsunterlagen als "D... D... S..., Waldhaus, Langzeittherapieeinrichtung, W..., Kreis G..." bezeichnet), die von dem Sozialamt der Klägerin erst im Mai 1996 getätigt worden ist, die Zuständigkeit des Beklagten ergeben. Hiervon abgesehen hätte die weitere Angabe des Hilfeempfängers, er sei seit dem Jahre 1958 in "V...,  K r e i s   Ü..." aufhältig gewesen, das Sozialamt veranlassen müssen, bei dem Beklagten nachzufragen; auch dies hätte alsbald - und nicht erst im Jahre 1996 - die (örtliche) Zuständigkeitsfrage für die Klägerin klären können.

3

Auch soweit der Zulassungsantrag die weitere Erwägung des Verwaltungsgerichts, die Klägerin könne eine Erstattung auch nicht auf der Grundlage des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X beanspruchen, angreift, werden damit ernstliche Zweifel  i. S.  des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht hinreichend dargelegt.

4

Die Klägerin setzt der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, sie - die Klägerin - könne nach Treu und Glauben eine Kostenerstattung auf der Grundlage des § 105 SGB X deshalb nicht beanspruchen, weil sie im Juni 1996 gegenüber dem Klinikum eine Kostenerstattung zugesagt und damit in Kenntnis ihrer Unzuständigkeit eine Leistung unter eindeutiger Verletzung der Zuständigkeitsvorschriften erbracht habe, lediglich entgegen, sie habe unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften im Juni 1996 gehandelt, weil sie bzw. ihr zuständiger Sachbearbeiter gemeint habe, nach Ablauf der 4-Wochen-Frist habe zunächst ihre Vorleistungspflicht bestanden. Damit fehlt eine hinreichende Auseinandersetzung des Zulassungsantrages mit den Gründen des angefochtenen Urteils; denn das Verwaltungsgericht hat - zu Recht - hierzu ausgeführt, es sei im Juni 1996 - und damit, wie hinzuzusetzen ist, weit über ein Jahr nach dem Hilfefall (Behandlung des Hilfeempfängers im Frühjahr 1995) ein Grund für eine Leistung der Klägerin - als unzuständiger Sozialhilfeträger nach § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG - , die um ihre fehlende örtliche Zuständigkeit gewusst habe, nicht ersichtlich gewesen. Der bloße  Hinweis, auf eine - möglicherweise gegebene - rechtlich unzutreffende Würdigung eines Sachbearbeiters zu dem Inhalt des § 97 BSHG vermag diese Erwägungen nicht zu erschüttern, vielmehr ist insoweit eine objektive, von den (unzutreffenden) Vorstellung eines einzelnen Bediensteten zur Rechtslage losgelöste Betrachtungsweise geboten; denn insoweit ist die Klägerin als Sozialhilfeträger anzusehen, der verpflichtet ist, erst nach Prüfung der Rechtslage zu Lasten eines anderen Trägers der Sozialhilfe Kostenzusagen zu machen, insbesondere über ein Jahr nach dem Hilfefall und bei erwiesener Unzuständigkeit.