Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.12.2000, Az.: 4 M 3168/00

Hausbesuch; Sozialhilfe

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.12.2000
Aktenzeichen
4 M 3168/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41816
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 14.08.2000 - AZ: 4 A 53/00

Gründe

1

Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Zwar hat die Antragstellerin die Antragsfrist des § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO, über die sie in dem angefochtenen Beschluss ordnungsgemäß belehrt worden ist, versäumt. Denn diese Frist von zwei Wochen hat mit Zustellung des angefochtenen Beschlusses vom 14. August 2000 am 16. August 2000 begonnen und deshalb mit Ablauf des 28. August 2000 geendet. Wegen der Versäumung der Antragsfrist ist der Antragstellerin aber gemäß § 60 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie ohne Verschulden verhindert war, innerhalb der Frist einen der Form des § 67 VwGO entsprechenden Antrag zu stellen. Daran, rechtzeitig vor Fristablauf einen Rechtsanwalt zu beauftragen, den Zulassungsantrag fristgerecht zu stellen, war sie wegen ihrer Bedürftigkeit und deshalb ohne Verschulden gehindert. Der ihr danach (nur) obliegenden Pflicht, innerhalb der Zwei-Wochen-Frist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Bevollmächtigten zu beantragen, hat sie genügt. Nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des (jetzigen) Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin durch den Senat ist dessen Zulassungsantrag am 22. November 2000 und damit innerhalb der nach § 60 Abs. 2 VwGO hierfür vorgeschriebenen Frist eingegangen.

2

Der Zulassungsantrag ist auch begründet. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts sind genügend dargelegt und bestehen aus den im Folgenden dargelegten Gründen auch.

3

Auf die Beschwerde der Antragstellerin erlässt der Senat die beantragte einstweilige Anordnung. Die Antragstellerin hat nämlich Anordnungsanspruch und -grund im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO glaubhaft gemacht.

4

Der angefochtene Bescheid der von dem Antragsgegner herangezogenen Stadt Haren (Ems) vom 26. Juli 2000, durch den die Anträge der Antragstellerin auf Beihilfen vom 30. April 2000 (Bettzeug) und vom 12. Juli 2000 (Schreibtisch, -stuhl und -lampe) mit der Begründung abgelehnt wurden, sie habe einen Hausbesuch abgelehnt und damit die Prüfung und Feststellung des Bedarfs verhindert, wird sich als rechtswidrig erweisen. Denn hier ist ein Hausbesuch in der Wohnung der Antragstellerin nicht erforderlich, um festzustellen, ob der geltend gemachte Bedarf besteht. Die Antragstellerin hat in den Jahren, in denen sie bislang Hilfe zum Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder bezogen hat, Hilfe zur Anschaffung von Bettzeug weder beantragt noch erhalten. Es ist daher glaubhaft, wenn sie vorträgt, die etwa 15 Jahre alten Bettdecken und Kopfkissen seien verschlissen. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin insoweit die Unwahrheit sagt und versucht, sich die Beihilfe zu erschleichen (etwa frühere Versuche dieser Art), sind weder  vorgetragen noch sonst ersichtlich. Im Übrigen kann der Antragsgegner die zweckentsprechende Verwendung der Beihilfe dadurch kontrollieren, dass er von der Antragstellerin die Vorlage von Verwendungsnachweisen fordert. Im Ergebnis gilt dasselbe für den Schreibtisch, den Stuhl und die Lampe für die inzwischen 9-jährige Tochter V. der Antragstellerin. Der Antragsgegner bestreitet selbst nicht, dass ein Schulkind in diesem Alter solche Gegenstände für die Erledigung der Schularbeiten benötigt. Anhaltspunkte dafür, dass V. mit Gegenständen dieser Art bereits hinreichend versorgt ist, sind nicht ersichtlich. Auch insoweit ist also ein Hausbesuch zur Feststellung des Bedarf nicht erforderlich.

5

Für das Verfahren wegen einstweiligen Rechtsschutzes ist somit hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin Beihilfen zur Beschaffung der genannten Gegenstände beanspruchen kann, dass ihr insbesondere zur Deckung des Bedarfs Einkommen nicht zur Verfügung steht. Dabei geht der Senat davon aus, dass die Antragstellerin die begehrten Gegenstände für diejenigen Personen der Familiengemeinschaft anschaffen will, die nach Verschleiß des Bestandes bzw. zur Erledigung der Schularbeiten (V.) darauf angewiesen sind. Von der Einbeziehung der anderen Familienmitglieder in das Verfahren wird deshalb abgesehen. Nach dem Inhalt aller dem Senat vorliegenden Akten ist es auch glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin und ihre Töchter M. und V. ihren Lebensunterhalt nicht aus ihnen zur Verfügung stehendem Einkommen beschaffen können. Ihnen steht nämlich, über die ihnen - unstreitig - zufließenden Leistungen nach dem Kindergeld- und dem Unterhaltsvorschussgesetz hinaus, ein weiteres zur Deckung ihrer Bedürfnisse ausreichendes Einkommen nicht zur Verfügung. Das gilt selbst dann, wenn die Antragstellerin - wie das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 13. November 2000 (4 B 86/00, Az. des Rechtsmittelverfahrens: 4 M 4183/00) angenommen hat - nicht von ihrem Ehemann, Herrn H. S., getrennt, sondern mit ihm in der Gemeinschaft gemäß § 11 BSHG leben sollte. Denn die diesem zur Verfügung stehende Arbeitslosenhilfe (von weniger als 1.200,- DM monatlich) reicht - außer für seinen eigenen Lebensunterhalt - jedenfalls nicht zur Deckung der hier streitigen einmaligen Bedürfnisse der Antragstellerin und ihrer Töchter.