Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 28.11.2002, Az.: 6 A 383/01
allgemeine Gefahrenabwehr; Einleitung; Entwässerung; Fließgewässer; Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung; Gemeingebrauch; Gewässer 3. Ordnung; Graben; Maßnahme; Ordnungsbehörde; Subsidiarität; Unterhaltung; Wasserlauf; Öffentliche Sicherheit; Überschwemmung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 28.11.2002
- Aktenzeichen
- 6 A 383/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 41900
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs 3 WasG ND
- § 68 WasG ND
- § 73 WasG ND
- § 1 Abs 3 GefAbwG ND
- § 2 GefAbwG ND
- § 11 GefAbwG ND
- Art 14 Abs 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Kein Anspruch auf ordnungsbehördliches Einschreiten zum Schutz vor Grundstücksvernässung
Tatbestand:
Die Kläger begehren die Verpflichtung der Beklagten, Maßnahmen gegen Überschwemmungen zu ergreifen.
Die Kläger sind Eigentümer der Flurstücke {A.}.
Zwischen diesen beiden Grundstücken verläuft der sogenannte {B.}, der noch an mehreren Nachbargrundstücken vorbeiläuft und dann auf dem Bauhofgrundstück der Beklagten ({C.}Unter dem 11. Februar 1999 vermerkte die Beklagte, wie festgestellt worden sei, sei die alte {D.} im Bereich der Ortschaft {E.} ein Gewässer dritter Ordnung. Dieses sei bisher in den Schaukarten nicht verzeichnet und werde daher in die Schaukommission mit aufgenommen. Angeregt worden sei die Sache durch Herrn {F.}, der sich mit {G.}über diesen Bereich wohl etwas streite. Wie die Gemeinde anlässlich eines Telefongesprächs mit Herrn {F.} erfahren habe, habe dieser seinen Grabenbereich hinter dem Grundstück In den Fuhren jedes Jahr wieder gesäubert. Allerdings müsse er jetzt feststellen, dass in dem anderen Bereich dieser Graben teilweise zugeschüttet worden sei und nicht mehr existiere. Mit dem Eigentümer der Wiese habe er noch ein privatrechtliches Problem. Er habe früher von seinem Grundstück aus eine Drainage verlegt über diesen Bereich in die neue Luhe. Bei der Neuordnung dieser Wiese sei dieser Drainagebereich zerstört worden. Hier streite er sich privatrechtlich noch wegen der Kosten. Er wolle sein Wasser jetzt aber wieder in den Bereich der alten {D.} einleiten, da er keine Drainagerohre über diese Wiese finanzieren wolle. Dieses würde aber nur Sinn machen, wenn die anderen Anlieger den Graben wieder herstellten. Mit Schreiben vom 9. April 1999 teilte die Beklagte den Klägern mit, dass die Unterhaltung der Gewässer dritter Ordnung den Eigentümern obliege. Davon seien die Flurstücke der Kläger betroffen. Sie wurden gebeten, zukünftig für eine ordnungsgemäße Unterhaltung zu sorgen.
Mit Schreiben vom 9. März 2000 forderten die Kläger Herrn {H.}auf, es zu unterlassen, Wasser auf den Grenzstreifen zwischen den Grundstücken einzuleiten.
Mit Schreiben vom 28. März 2000 nahm die Beklagte Bezug auf eine Ortsbegehung am 3. März 2000 und erklärte dazu, nach dem Ergebnis ihrer Recherchen sei Rechtsgrundlage für die Benutzung von Gewässern das Niedersächsische Wassergesetz in der zur Zeit geltenden Fassung. Der alte {I.} sei ein Gewässer dritter Ordnung gem. § 68 NWG und somit ein natürlich fließendes Wasser. Es diene somit dem Gemeingebrauch im Sinne des § 73 NWG. Die Einleitung von Niederschlagswasser sei grundsätzlich erlaubt. Ein Genehmigungsanspruch an die Gemeinde oder eine Genehmigungsverpflichtung durch sie sei somit wegen fehlender Zuständigkeit nicht gegeben, da sich der Rechtsanspruch aus dem Niedersächsischen Wassergesetz ergebe. Es sei daher nicht möglich, den Nachbarn der Kläger zur Unterlassung aufzufordern. Zuständig dafür sei die Untere Wasserbehörde des Landkreises Soltau-Fallingbostel.
Mit Schreiben vom 6. April 2001 teilte die Beklagte auf Nachfrage dem Kläger mit, dass das Flurstück 216/4 im Grundbuch als Wasserlauf dritter Ordnung geführt werde und Eigentümer dort nicht benannt würden. Eine Erlaubnis sei den Nachbarn nicht erteilt worden.
Mit Schreiben vom 30. Mai 2001 teilte der Landkreis Soltau-Fallingbostel den Klägern mit, dass es sich nach seiner Rechtsauffassung bei der wassergefüllten Geländevertiefung nicht um ein Fließgewässer handele und die Wiederherstellung des früher vermutlich vorhandenen künstlichen Bewässerungsgrabens aus Gründen des Allgemeinwohls nicht mehr erforderlich sei. Für die Regelung des Oberflächenwasserabflusses von einzelnen Grundstücken sei er als Untere Wasserbehörde nicht zuständig.
Mit Schreiben vom 7. Juni 2001 teilten die Kläger der Beklagten dieses Ergebnis mit und baten sie als zuständige Behörde für die Allgemeine Gefahrenabwehr um Eingreifen. Von dem Grundstück werde das Nachbargrundstück unter Wasser gesetzt. Dieses stelle eine Gefahr für die Allgemeine Sicherheit und Ordnung dar. Als geeignete Maßnahme zur Gefahrenabwehr biete sich die Errichtung eines Abwassergrabens zur Luhe hin an. Sie seien bereit, Teile ihres Grundstücks hierfür zur Verfügung zu stellen und sich an den Kosten anteilig entsprechend den übrigen Anliegern zu beteiligen. Diese müssten wiederum von der Beklagten in Anspruch genommen werden.
Mit Schreiben vom 11. Juli 2001 teilte die Beklagte den Klägern mit, sie sehe aus hoheitlicher Sicht keinen Handlungsbedarf. Ein Fall der allgemeinen Gefahrenabwehr liege nicht vor. Vielmehr handele es sich um eine rein privatrechtliche Auseinandersetzung, für die eine Zuständigkeit der Gemeinde nicht vorgesehen sei. Sie bedaure daher, in dieser Sache nicht intervenieren zu könne bzw. zu dürfen und sehe die Angelegenheit wegen fehlender Zuständigkeit als erledigt an.
Am 7. August 2001 legten die Kläger gegen dieses Schreiben Widerspruch ein.
Mit Schreiben vom 14. August 2001 teilte die Beklagte den Klägern mit, ein Widerspruch sei nicht zulässig, da es sich bei ihrer Entscheidung um keinen Verwaltungsakt handele.
Am 10. Oktober 2001 haben die Kläger Klage erhoben. Sie tragen vor, der alte {I.}sei vor etlichen Jahren, nachdem die {D.} kanalisiert worden sei, ausgetrocknet. Im Rahmen der Grundstückserschließung sei er in dem weiter nordöstlich gelegenen Bereich von der Beklagten auch zugeschüttet worden. Es sei dann die Bebauung erfolgt, so wie sie sich jetzt darstelle. Möglicherweise durch Bodenversiegelung und dadurch einhergehende Änderung der Quellverhältnisse vermischt mit Einleitungen durch die Nachbarn laufe der Graben seit drei bis vier Jahren immer wieder voll. Bis dahin hätten sie ihr Wiesengrundstück ordnungsgemäß nutzen und mit den dafür vorgesehenen Maschinen mähen können. Die Pferde hätten dort Auslauf nehmen können. Sodann sei es so gewesen, dass das Erdreich stärker durchfeuchtet sei und man beim Betreten der Wiese im Schlamm versunken sei. Sie hätten deshalb eine Drainage gelegt. Nachdem die Wiese dann mehrfach überschwemmt sei, habe auch die Drainage nicht mehr gegen das Wasser ankommen können. Sodann hätten sie eine Rohrleitung zur {D.} hin verlegt, die nunmehr aber auch nicht mehr ausreiche. Sowohl die Untere Wasserbehörde als auch die Beklagte hätten ein Einschreiten abgelehnt.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, Maßnahmen dagegen zu Ergreifen, dass von dem Flurstück {J.}Überschwemmungen ausgehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass ihre Entscheidung kein Verwaltungsakt sei und ein Widerspruch nicht gegeben sei und das ferner ein Rechtsanspruch gegen die Gemeinde mangels Zuständigkeit nicht bestehe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, die als Verpflichtungsklage auf ordnungsbehördliches Einschreiten auszulegen ist, hat keinen Erfolg.
Die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch auf ein ordnungsbehördliches Einschreiten zur Beseitigung der von ihnen bezeichneten Entwässerungsprobleme.
Nach § 11 des niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes vom 20. Februar 1998 (Nds. GVBl. S. 101, abgekürzt NGefAG) können die Verwaltungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren, soweit nicht die Vorschriften des Dritten Teils die Befugnisse der Verwaltungsbehörden besonderes regeln.
§ 11 NGefAG enthält die Befugnis-Generalklausel, deren Subsidiarität in der Bestimmung selbst zum Ausdruck kommt. Die Vorschrift setzt eine Gefahr, d.h. eine konkrete Gefahr im Sinne von § 1 und § 2 Nr. 1 a , voraus (so Saipa, Kommentar zum Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz, Stand März 2002, § 11 Rn. 1 ).
Nach § 2 Nr. 1 a NGefAG ist eine Gefahr eine konkrete Gefahr, das heißt eine Sachlage, bei der im einzelnen Falle die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit eintreten wird.
Unter „öffentliche Sicherheit“ wird herkömmlicherweise verstanden die Unversehrtheit von Leben, Gesundheit, Ehre, Freiheit und Vermögen der Bürger einerseits sowie Bestand und Funktionieren des Staates und seiner Einrichtungen andererseits (vgl. Saipa, a.a.O., § 1 Rn. 6 m.w.N.).
Soweit die Kläger rügen, von dem Grundstück des früheren „Alte Luhegrabens “ werde ihr Grundstück unter Wasser gesetzt, ist darin in erster Linie eine Verletzung ihres durch Art. 14 GG geschützten Eigentums zu sehen, das grundsätzlich auch zu den Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit gehört.
Nach § 1 Abs. 3 NGefAG obliegt den Verwaltungsbehörden der Schutz privater Rechte nach diesem Gesetz nur dann, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne verwaltungsbehördliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert würde.
Dieser Grundsatz der Subsidiarität polizeilicher Kompetenz bedeutet, dass die gesetzliche Kompetenzverteilung nicht durch polizeiliches Handeln durchbrochen werden darf, etwa die Zuständigkeit der Zivilgerichte (z.B. auch für Eilmaßnahmen wie einstweilige Verfügung oder Arrest) oder von Verwaltungsbehörden (vgl. Saipa, a.a.O., § 1 Rn. 15).
Hier sind die Kläger darauf zu verweisen, entweder zivilgerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, soweit etwa ein nachbarrechtswidriges Verhalten vorliegt, oder ein Einschreiten der zuständigen unteren Wasserbehörde zu erwirken.
Vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass nach Aktenlage der „Alte {I.}“ voraussichtlich nach wie vor ein Gewässer 3. Ordnung ist, da es sich um einen Graben handelt, der dazu dient, mehrere Grundstücke zu be- oder entwässern (§ 1 Abs. 3 NWG), und in diesem Graben zumindest zeitweilig Wasser steht ( § 1 Abs. 1 Nr. 1 NWG). Durch Verschlammen und Überwucherung infolge unterlassener Unterhaltung geht die Gewässereigenschaft nicht verloren. Die Kontrolle und Durchsetzung der Gewässerunterhaltung aber obliegt nach § 169 NWG der Unteren Wasserbehörde.
Ein Eilfall, bei dem die allgemeine Ordnungsbehörde sofort einschreiten müsste, liegt nicht vor, zumal die von den Klägern vorgetragenen Entwässerungsprobleme sich wohl nur durch umfangreichere Grabenbauarbeiten bewältigen ließen, die Sachlage aber sowohl der Ordnungsbehörde als auch der Wasserbehörde schon seit geraumer Zeit bekannt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.