Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 20.11.2002, Az.: 1 A 54/02
Analogie; Auslegung; Beihilfe; Beihilfestandard; Dienstherr; Fürsorge; Fürsorgeprogramm; Kostendämpfungspauschale; Kürzung; Normzusammenhang; teleologische Reduktion
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 20.11.2002
- Aktenzeichen
- 1 A 54/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 41901
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 87c BG ND
- Art 14 HBegleitG
- Art 18 HBegleitG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Keine Erledigung wegen Ersetzung des § 87 c Abs. 4 NBG idF des HBegleitG1999 durch § 87 c NBG idF des HBegleitG2002.
2. Je Kalenderjahr kann die Kostendämpfungspauschale nur einmal zur Anwendung kommen.
3. Die Beihilfe eines niedersächsischen Beamten kann auch dann nicht je Kalenderjahr ein zweites Mal unter Rückgriff auf die Kostendämpfungspauschale des § 87 c Abs. 4 a.F. gekürzt werden, wenn eine solche Pauschale nur außerhalb Niedersachsens - hier in Nordrhein-Westfalen - zur Anwendung gelangte.
Gründe
Die fristgerecht erhobene und auch sonst zulässige Klage, über die im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet.
Der Beklagte hat die im angefochtenen Bescheid vom 20. November 2001 (Bescheid-Nr. 948261) errechnete Beihilfe zu Unrecht um eine (Teil-) Kostendämpfungspauschale von 277,14 DM gekürzt.
1. Zunächst einmal hat sich der Rechtsstreit nicht etwa dadurch erledigt, dass der hier noch maßgebliche § 87 c Abs. 4 NBG in der Fassung des Art. 14 Nr. 2 des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 vom 21. Januar 1999 (Nds.GVBl. S. 10, § 87 c Abs. 4 a.F.) inzwischen auf Grund von Art. 4 Nr. 4 des Haushaltsbegleitgesetzes 2002 v. 18.12.2001 (Nds.GVBl. S. 806) mit Wirkung vom 1. Januar 2002 durch den neu gefassten § 87 c NBG ersetzt worden ist, in dem eine Kürzung der Beihilfe um eine sog. Kostendämpfungspauschale nicht mehr vorgesehen ist. Denn der Übergangsregelung (Art. 18 Abs. 2 Haushaltsbegleitgesetz 2002, aaO.) lässt sich entnehmen, dass es für die Jahre 1999, 2000 und 2001 bei der Kürzung der Beihilfe um eine Kostendämpfungspauschale gemäß den Regelungen des § 87 c Abs. 4 NBG a.F. verbleiben soll. Das gilt hier auch im Hinblick darauf, dass der Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 2002 erst unter Geltung des neu gefassten § 87 c NBG ergangen ist.
Die Einführung der sog. Kostendämpfungspauschale für die genannten Jahre ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden (VG Göttingen, Urt. v. 7.6.2002 - 3 A 3379/00 -; Nds. OVG, Urt. v. 23.4.2002 - 2 LB 3367/01 -).
2. Es ist richtig, wenn der Kläger vorträgt, die vom Beklagten hier herangezogenen Bestimmungen enthielten eine Gesetzeslücke. Denn § 87 c NBG a.F. ist bei einer sachgerechten Auslegung, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig und ergänzungsbedürftig. Seine Ergänzung widerspricht auch nicht einer vom Gesetz ausdrücklich gewollten Beschränkung. Es liegt eine planwidrige Unvollständigkeit des § 87 c NBG vor, die mit einer teleologischen Reduktion der Vorschrift auf die im Kern gewollte und nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes eingegrenzte Kostendämpfungspauschale einhergeht. Derartige, vom Gesetzgeber nicht mitbedachte Lücken eines Regelungswerkes sind regelmäßig durch Analogie sowie durch den Sinn und Zweck des Gesetzes selbst zu füllen.
2.1 Eine Auslegung des § 87 c NBG a.F. unter Berücksichtigung seines Normzusammenhangs und der verfolgten gesetzgeberischen Absichten, soweit sie im Gesetz ihren Ausdruck gefunden haben, führt dazu, dass die Kostendämpfungspauschale des § 87 c Abs. 4 NBG in starkem Maße von sozialen Gesichtspunkten (mit-)bestimmt ist und nicht etwa bei jedem Antrag eines Beihilfeberechtigten zur Anwendung kommen sollte. So soll gemäß § 87 c Abs. 6 NBG a.F. die Pauschale nicht abgezogen werden während eines Erziehungsurlaubs, während eines Vorbereitungsdienstes oder öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses, während einer Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung und bei Waisen. Für Versorgungsempfänger ist die Pauschale ihrerseits nochmals auf 70 % gekürzt worden (§ 87 c Abs. 5 S. 1 NBG a.F.), für Witwen und Witwer sogar auf 40 % (§ 87 c Abs. 5 S. 3 NBG a.F.). Eine entsprechende Kürzung auf 70 % gilt auch für Teilzeitbeschäftigte mit weniger als 90 % regelmäßiger Arbeitszeit (§ 87 c Abs. 5 S. 2 NBG a.F.). Bei Vorsorgeuntersuchungen und Pflegebedürftigkeit kommt der Pauschalabzug überhaupt nicht zur Anwendung (§ 87 c Abs. 8 NBG a.F.). Das alles zeigt, dass der Gesetzgeber sich des Einschnittes in die bisherigen Beihilferegelungen durchaus bewusst war und sie sozial „abfedern“ wollte. Auch die Staffelung der Dämpfungspauschale nach Gehaltsstufen (vgl. Abs. 4 des § 87 c NBG a.F.) weist deutlich darauf hin, dass die Pauschale in ihren Auswirkungen auf die - grundsätzlich von Fürsorge geprägte - Beihilfegewährung begrenzt und nach der sozialen Leistungsfähigkeit der Empfänger bemessen werden sollte.
2.2 Unter diesen Voraussetzungen und in diesem Lichte ist dann auch die Formulierung des § 87 c Abs. 4 Satz 1 NBG a.F. auszulegen, eine nach Anwendung des § 14 Beihilfevorschriften verbleibende Beihilfe werde „je Kalenderjahr, in dem ein Beihilfeantrag gestellt“ wird, um die - nach Besoldungsgruppen gestaffelte - Kostendämpfungspauschale gekürzt. Die hier zum Ausdruck gelangte Begrenzung auf eine einmalige Kürzung pro Kalenderjahr in Höhe der gestaffelten Beträge (200 DM, 400 DM, 600 DM, 800 DM und 1.000 DM) fügt sich nach Sinn und Zweck des § 87 c NBG a.F. in eine sozial ausgewogene, nicht übermäßige Kürzung ein. Eine wiederholte Kürzung der Beihilfe durch Anwendung der Kostendämpfungspauschale in einem einzigen Kalenderjahr wollte der Gesetzgeber für Beihilfeberechtigte des Landes Niedersachsen ersichtlich nicht vorschreiben.
2.3 Diese Absicht und Regelungstendenz des § 87 c NBG a.F. kommt analog auch dann zur Anwendung, wenn ein Beamter in einem anderen Bundesland, das ebenfalls eine Kostendämpfungspauschale kennt und gesetzlich eingeführt hat (vgl. § 12 a der Landesbeihilfenverordnung Nordrhein-Westfalen - NWBVO - ), bereits einmal eine Kürzung seines Beihilfeanspruchs im maßgeblichen Kalenderjahr hat hinnehmen müssen. Denn die in § 87 c Abs. 4 NBG a.F. zum Ausdruck gelangte und vom Gesetzgeber gewollte Beschränkung der Kürzung auf ein Kalenderjahr kommt nicht nur niedersächsischen Landesbeamten zugute, die während des maßgeblichen Kalenderjahres bereits einmal im Lande Niedersachsen eine Kürzung haben hinnehmen müssen, sondern auch solchen niedersächsischen Landesbeamten, die - wie der Kläger - eine solche inhaltsgleiche Kürzung in einem anderen Bundesland aufgrund ähnlicher Kürzungsvorschriften (§ 12 a NWBVO) akzeptieren mussten. Diese Beamten können beihilferechtlich nicht anders behandelt werden wie jene niedersächsischen Beamten, die gemäß § 87 c Abs. 4 NBG a.F. nur eine einzige Kürzung pro Kalenderjahr in Kauf zu nehmen haben. Die vom Gesetzgeber ausdrücklich geregelte Begrenzung der Kürzung auf gestaffelte Kürzungsbeträge „je Kalenderjahr“ gilt gleichermaßen für alle Beamten, die im maßgeblichen Kalenderjahr schon einmal im Rahmen ihres Beihilfeantrages die Anwendung einer Kostendämpfungspauschale anerkennen mussten. Alles andere liefe den sozialen Intentionen des Gesetzgebers, so wie sie im Gesetz Ausdruck gefunden haben (s.o.), in einem erheblichen Maße zuwider.
2.4 Bestätigt wird dieses Ergebnis dadurch, dass sämtliche Beihilferegelungen - die des Landes Nordrhein-Westfalen ebenso wie die des Landes Niedersachsen - als „Fürsorgeprogramm“ eines Dienstherrn zu betrachten sind, die sich alle an einem sog. „Beihilfestandard“ zu orientieren haben. Dieser „gibt dem Bundesbesoldungsgesetzgeber ein annäherndes Bild über die verbleibenden Belastungen der Besoldungsempfänger und ist bei der Bemessung von Besoldung und Versorgung zu berücksichtigen. Im Gegenzug genügen der Bund und die Länder ihrer Fürsorgepflicht nur, wenn sie ihre ergänzenden Hilfeleistungen am bundesweiten Beihilfestandard orientieren. Indessen ist dabei ein identisches Beihilfesystem oder eine Gleichbehandlung, dass etwa jeder Aufwendung und Aufwendungsart in Bund und Ländern gleiche oder ähnliche Beihilfeleistungen gegenüber stehen müssten, nicht geboten. Eine Verletzung des gebotenen Beihilfestandards wegen Beeinträchtigung dieser verfassungsrechtlichen Grundsätze ist erst dann erreicht, wenn das ausgewogene Beziehungssystem zwischen der Alimentation und den ergänzenden Beihilfeleistungen empfindlich gestört wird. Dies ist etwa dann der Fall, wenn das Leistungsniveau in quantitativer und qualitativer Hinsicht gegenüber dem allgemeinen Beihilfestandard in dem betreffenden Land deutliche Einbußen erleidet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.11.1991, aaO, S. 212).“ - so VG Göttingen, Urt. v. 7.6.2002 - 3 A 3379/00 - , S. 5.
Im vorliegenden Fall wäre eine solche „deutliche Einbuße“ gegenüber dem üblichen Beihilfestandard gegeben, falls man - wie der Beklagte das getan hat - dem Kläger in einem Kalenderjahr noch zum zweiten Male eine Kostendämpfungspauschale aufbürdete: In keinem Land der Bundesrepublik gibt es eine doppelte Kostendämpfungspauschale, kein Beamter in Deutschland hat es hinzunehmen, dass ihm zweimal die in der Fürsorge des Dienstherrn wurzelnden Beihilfeleistungen vorenthalten werden, er von ihnen pauschal ausgeschlossen wird. Ein Auslegung, die zu diesem Ergebnis gelangt, würde sich deutlich vom allgemeinen Beihilfestandard abheben und stünde außerhalb der allgemeinen Beihilferegelungen. Eine Auslegung und Lückenfüllung in diesem Sinne ließe sich weder aus dem Sinn und Zweck der beihilferechtlichen Kürzungsregelungen herleiten, die „je Kalenderjahr“ nur eine einmalige Kürzung vorsehen, noch aus allgemeinen Zumutbarkeitserwägungen, wie sie der Beklagte anzustellen versucht, die jedoch eine deutliche Grenze in dem sozial ausgewogenen Regelungsprogramm des § 87 c NBG und seinem Sinn und Zweck selbst finden.