Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 13.11.2002, Az.: 3 B 78/02

aufschiebende Wirkung; Blockade; Castortransport; Demonstration; Interessenabwägung; Nötigung; Platzverweisung; Straftat; vorläufiger Rechtsschutz

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
13.11.2002
Aktenzeichen
3 B 78/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43634
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Platzverweisung für das gesamte Stadtgebiet lässt sich nicht auf § 17 Abs. 1 NGefAG stützen. Eine Platzverweisung aufgrund § 17 Abs. 2 NGefAG setzt die Gefahr von Straftaten voraus. Ob Blockadeaktionen stets Straftaten i.S.d. § 240 StGB (Nötigung) sind, ist fraglich.

Gründe

1

Gegenüber den Antragstellern wurde am 12. November 2002 im Zusammenhang mit einer Demonstration eine Platzverweisung für rund 22 Stunden ausgesprochen, die hinsichtlich der meisten Antragsteller für das gesamte Stadtgebiet Lüneburg gelten soll. Die Antragsteller - bis auf {J.}- haben Widerspruch gegen die Platzverweisung eingelegt, alle haben vorläufigen Rechtsschutz beantragt.

2

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche gegen die Platzverweisung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist hinsichtlich des Antragstellers {K.} ohne Erfolg, hinsichtlich der übrigen Antragsteller ist der Antrag hingegen begründet.

3

Es ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller {K.} gegen die ihn betreffende Platzverweisung Widerspruch eingelegt hat: Das Widerspruchsschreiben des Bevollmächtigten vom 12. November betrifft nur die anderen Antragsteller. Mangels Widerspruchseinlegung kann die aufschiebende Wirkung eines „Widerspruches“ nicht angeordnet werden.

4

Der Antrag der übrigen Antragsteller hingegen hat Erfolg. Dies ergibt sich letztlich aufgrund einer Interessenabwägung aufgrund des von den Beteiligten unterbreiteten und vom Gericht hier nicht weiter aufklärbaren Sachverhaltes.

5

Die von den Polizeibeamten ausgesprochenen Platzverweisungen stützen sich ausweislich der Verfügung auf § 17 Abs. 1 NGefAG, die Antragsgegnerin stützt die Platzverweisungen (in der Antragserwiderung ergänzend) auf § 17 Abs. 2 NGefAG, wobei sie zusätzlich den örtlichen Geltungsbereich der Platzverweisungen eingeschränkt hat.

6

Die Platzverweisungen können aufgrund der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel weder auf § 17 Abs. 1 noch auf § 17 Abs. 2 NGefAG gestützt werden.

7

§ 17 Abs. 1 NGefAG gestattet nur ein Verweisen von einem eng begrenzten Ort, etwa einem Gebäude, Grundstück, Straßenstück oder einem Platz. Großflächigere Platzverweisungen sind nur auf der Grundlage von § 17 Abs. 2 NGefAG zulässig, da nur diese Vorschrift eine Platzverweisung für ein Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder auch für ein gesamtes Gemeindegebiet ermöglicht. § 17 Abs. 2 NGefAG setzt zusätzlich voraus, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Person in dem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen wird.

8

Die Aufenthaltsbeschränkung für das gesamte Stadtgebiet lässt sich nicht auf § 17 Abs. 1 NGefAG stützen. Auch hinsichtlich der Straßen, die die Antragsgegnerin in ihrer Erwiderung nennt, ist eine Platzverweisung nicht nach § 17 Abs. 1 NGefAG möglich. Denn nach der Begründung des Gesetzesentwurfes kann sich die Platzverweisung nach dieser Vorschrift „allenfalls auf ein Straßenstück, ein Grundstück oder einen Gebäudeteil“ erstrecken (vgl. hierzu ausführlich VG Hannover, Urteil vom 7.7.1997 - 10 A 5589/96 - Nds. Verwaltungsblatt 1998 Seite 145).

9

Die Platzverweisung lässt sich auch nicht auf § 17 Abs. 2 NGefAG stützen. Denn es liegen keine hinreichenden Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, dass gerade die Antragsteller Straftaten im räumlichen Geltungsbereich der Platzverweisung begehen werden. Vermutungen, Behauptungen und subjektive Einschätzungen reichen in diesem Zusammenhang nicht aus (Saipa, NGefAG, Stand März 2002, § 17 RdNr. 2). Die Gefahr von Straftaten gerade der Antragsteller  hat die Antragsgegnerin in ihrer Erwiderung und in den beigefügten Anlagen nicht substantiiert dargetan. Allerdings trifft es zu, dass von einer Mehrzahl von Demonstranten am 10., 11. und 12. November anlässlich des Castortransportes diverse „Aktionen“ stattgefunden haben, die die Leichtigkeit und wohl auch die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt haben. Es mag auch davon ausgegangen werden, dass solche oder ähnliche Aktionen in Lüneburg anlässlich des Castortransportes weiter stattfinden. Jedoch ergeben sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass solche Aktionen gerade (auch) von den Antragstellern durchgeführt werden sollen. Vor allem aber stellt sich die Frage, ob und inwieweit „Blockadeaktionen“ als „Straftaten“ im Sinne des § 17 Abs. 2 NGefAG ausgelegt werden können. Ob an das Verhalten der Demonstranten eine strafrechtliche Sanktion nach Maßgabe des § 240 StGB geknüpft werden darf, ist eine Frage, die auch unter dem Blickwinkel des Art. 8 GG zu beantworten ist (vgl. hierzu zuletzt Bundesverfassungsgericht, Entscheidung vom 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. in Juris).