Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 19.11.2002, Az.: 2 A 143/02

Betretensrecht ; Betretungsbefugnis; Betretungsverbot; Duldungsverpflichtung; Halbsperre; Popularklage; subjektive Rechtsverletzung; Verbotsschild; Wald; Waldbesitzer; Waldnutzung; Wegeschranke; Wegesperre

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
19.11.2002
Aktenzeichen
2 A 143/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43409
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Es gibt kein unbeschränktes subjektives Recht, Waldgebiete von jedem gewünschten Weg aus zu betreten. Entscheidend ist, ob das Betreten der Waldfläche in zumutbarer Weise möglich ist.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Der Kläger wendet sich gegen die Errichtung von Wegesperren und Verbotsschildern im Wald.

2

Mit Schreiben vom 25. Mai 1998 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er sich als Fußgänger, Reiter und Radfahrer in seinem Recht, den Wald zu betreten, durch insgesamt 19 Wege-Schranken westlich von Beedenbostel behindert sehe. Er bitte zu prüfen, ob diese rechtmäßig aufgestellt seien und ggf. entsprechende Maßnahmen zu ihrer Beseitigung zu ergreifen.

3

Mit hier angefochtenem Bescheid vom 8. Oktober 1998 lehnte der Beklagte ein Einschreiten ab. Er habe sich die Wegesperren im Einzelnen angesehen und mit den Grundstückseigentümern gesprochen. Danach seien die Sperren in Anwendung des § 5 des Gesetzes über die Ordnung in Feld und Forst (Feld- und Forstordnungsgesetz - FFOG -) zu Recht ergangen. Im übrigen könnte er, soweit überhaupt tatsächlich Sperren vorhanden seien, diese entweder umgehen, umreiten oder umfahren. Nach Durchführung eines Ortstermins mit der Bezirksregierung Lüneburg wurden die Sperren teilweise entfernt. Mit weiterhin angefochtenen Bescheiden vom 15. April 1999 und 25. Juni 1999 half der Beklagte den Widersprüchen des Klägers entsprechend teilweise ab.

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Mit Schreiben vom 3. Januar 1999 zeigte der Kläger gegenüber dem Beklagten weitere 21 Schranken und 9 Verbotsschilder an, die ihn in seinen Waldnutzungsrechten behindern würden. Mit hier angefochtenem Bescheid vom 11. April 1999 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass diese Beschränkungen teilweise zu Recht ergangen und teilweise wieder entfernt worden seien, soweit sie mit § 5 FFOG nicht zu vereinbaren gewesen wären.

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Mit einem weiteren Schreiben vom 27. Mai 1999 benannte der Kläger 9 weitere aus seiner Sicht unberechtigte Wegesperrungen. Mit hier angefochtenem Bescheid vom 28. Juli 1999 lehnte der Beklagte ein Einschreiten ab, soweit die Schranken nicht bereits entfernt worden seien, da sich die Eigentümer auf § 5 FFOG für die Errichtung der Sperren berufen könnten.

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Der Kläger legte gegen alle diese Bescheide Widerspruch ein, denen die Bezirksregierung Lüneburg mit Bescheiden vom 8. Dezember 1999 (Bescheide des Beklagten vom 8.10.1998, 15.4.1999 und 25.6.1999), 9. Dezember 1999 (Bescheid des Beklagten vom 11.4.1999) und vom 10. Dezember 1999 (Bescheid des Beklagten vom 28.7.1999) teilweise stattgab, im übrigen aber zurückwies. Zur Begründung hieß es in diesen Widerspruchsbescheiden im Wesentlichen übereinstimmend, dass aufgrund der Erörterungen mit dem Beklagten und der durchgeführten Ortsbesichtigungen tatsächlich in verschiedenen Fällen Wegesperren und Sperrschilder vorgefunden worden seien, die das Betreten von Wald- und Feldwegen in unzulässiger Weise behindern würden. Dieses gelte insbesondere dann, wenn Schlagbäume über die gesamte Wegbreite errichtet worden seien und auch noch seitlich in den Wald hineinragten oder Schilder ungerechtfertigt ein Betretungsverbot auswiesen. Soweit das der Fall gewesen sei, seien Schranken, Schilder und sonstige Hindernisse beseitigt oder seitliche Umgehungsmöglichkeiten geschaffen worden. Soweit ein Einschreiten von Seiten des Beklagten abgelehnt worden sei, fühle sich der Kläger zu Unrecht beschwert, so dass seine Widersprüche im übrigen als unbegründet zurückzuweisen gewesen seien. Ein grundsätzlicher Anspruch auf das vollständige Entfernen von Wegesperrungen bestehe nicht, wenn es sich um Verbote und Sperren im Rahmen des § 5 FFOG handele. Alle von ihm genannten Sperren seien daraufhin im Einzelnen überprüft worden. In den Fällen, in denen der gesetzlich garantierte freie Zugang erheblich erschwert worden sei, seien entsprechende Korrekturen vorgenommen worden. Soweit die Eigentümer sich zu Recht auf § 5 FFOG für die Errichtung von Sperren haben berufen können, sei vom Beklagten ein Einschreiten zu Recht abgelehnt worden, so dass sein Widerspruch insoweit keinen Erfolg haben konnte.

7

In der nunmehr gegen diese Bescheide erhobenen Klage vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen. Die Behauptung des Beklagten und der Widerspruchsbehörde, die Schranken seien umgehbar, umfahrbar und, wo es sich um Fahrwege handele, umreitbar, sei unzutreffend. Tatsächlich versperrten die meisten Schranken die Wege in voller Breite. Ein Umgehen sei in der Regel nur so möglich, dass man den Weg verlassen müsse. Aber selbst wenn einige der Schranken umgehbar, umreitbar und mit Fahrrädern und Krankenfahrstühlen umfahrbar seien, so genüge dieses doch nur bedingt. Von Schranken ginge eine psychologisch wirksame Abschreckungswirkung aus, weil der durchschnittliche Waldbesucher vermute, hier liege ein rechtmäßiges Betretensverbot vor. Auch umgehbare Schranken würden Erholungssuchende durch ihre abschreckende Wirkung von ihren Rechten abhalten. Das Gleiche gelte für scheinbar harmlos aussehende Schilder wie „Wildruhezone“, „Kulturen“ oder „Schonung“. Manche Schranken gewährten keinen Durchlass oder seien so eng, dass man Gefahr laufe, seine Kleidung zu beschädigen. Das Vorbeischieben von Fahrrädern sei oft kaum möglich, das Vorbeireiten oft überhaupt nicht. Wenn die Schranken tatsächlich nur den Zweck hätten, das Befahren der Wege mit Pkw zu verhindern, könnten die Durchlässe viel breiter sein. Hinsichtlich der von den Wegesperren und Verbotsschildern im Einzelnen ausgehenden Behinderungen wird auf die Ausführungen des Klägers in seiner Klageschrift vom 3. Januar 2000 Bezug genommen.

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Der Kläger beantragt,

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die Bescheide des Beklagten vom 8. Oktober 1998, 11. April 1999, 15. April 1999, 25. Juni 1999 und 28. Juli 1999 sowie die hierzu ergangenen Widerspruchsbescheide der Bezirksregierung Lüneburg vom 8. Dezember 1999, 9. Dezember 1999 und 10. Dezember 1999 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die von ihm im Einzelnen benannten Sperrungen von Feld- und Forstwegen zu beseitigen, sofern sie noch bestehen und in die örtliche Zuständigkeit des Beklagten fallen,

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hilfsweise,

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die Durchlässe neben den Sperrungen auf 1,5 m zu verbreitern.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf die angefochtenen Verfügungen. Überprüfungen vor Ort mit der Bezirksregierung Lüneburg hätten zum Ergebnis gehabt, dass, soweit eine Beseitigung der Wegesperren nicht angeordnet worden sei, das Betreten des Waldes und der freien Landschaft gemäß § 1 FFOG bzw. das Reiten nach § 2 FFOG in ausreichendem Maße gewährleistet sei.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist weder mit dem Haupt- noch dem Hilfsantrag begründet. Sie scheitert in jedem Fall daran, dass dem Kläger kein subjektives Recht zusteht, Wald- und Naturschutzgebiete von jedem von ihm gewünschten Weg aus zu betreten.

17

Gemäß 1 FFOG (jetzt: § 23 Abs. 1 NWaldLG vom 21.3.2002, GVBl. S. 112) darf jedermann den Wald und die übrige freie Landschaft betreten und sich dort erholen. Auf Wegen in der freien Landschaft, die keine öffentlichen Straßen im Sinne des Straßenrechts sind, darf mit Fahrrädern ohne Motorkraft und mit Krankenfahrstühlen gefahren werden (§ 2 FFOG; jetzt: §§ 25 und 26 NWaldLG). Gemäß § 5 FFOG dürfen Eigentümer und Besitzer von Grundstücken die Ausübung der Rechte nach den §§ 1 und 2 nur verbieten oder durch Zäune oder andere Mittel verhindern oder wesentlich erschweren, soweit und solange dies für im Einzelnen in den Ziffern 1 bis 8 genannten Zwecke erforderlich ist (jetzt: § 31 LWaldLG).

18

Mit diesen Bestimmungen wird das Spannungsfeld zwischen den Rechten des Waldbesitzers und den Rechten des erholungssuchenden Waldbesuchers beschrieben. Dabei stellt sich die in § 1 Abs. 1 FFOG bzw. § 23 Abs. 1 NWaldLG beschriebene Rechtsposition nicht nur als Reflex der Duldensverpflichtung des Waldbesitzers dar, sondern vermittelt dem erholungssuchenden Waldbenutzer auch eine subjektive geschützte Rechtsposition. Deren rechtliche Tragweite ist allerdings eingeschränkt. Sie beinhaltet nach einhelliger Rechtsauffassung kein unbeschränktes subjektives Recht für Fußgänger, Radfahrer und Reiter, die Rechtmäßigkeit von Sperren und Betretensverboten behördlich und gerichtlich überprüfen zu lassen. Vielmehr sind folgende Abstufungen anerkannt: Die gerichtliche Geltendmachung der Verletzung der Betretungsbefugnis durch die Allgemeinheit wäre als unzulässige Popularklage anzusehen. Auch die Geltendmachung der Interessen bestimmter Personen auf ungehindertes Betreten des Waldes ist unzulässig. Selbst derjenige, der dem Kreis potentieller Rechtsinhaber angehört, ist gemäß § 42 VwGO nicht befugt, den ungestörten Zugang zum Wald einzuklagen. Vielmehr ist nach dem geltenden Rechtsschutzsystem erforderlich, dass eine Verletzung der Betretensbefugnis nicht nur abstrakt denkbar ist, sondern dass mit ihr auch konkret gerechnet werden muss. Der Kläger muss sich aus der Zahl möglicher Anspruchsberechtigter sichtbar herausheben, er muss etwa dartun können, dass gerade er ein schutzwürdiges Interesse daran hat, den durch eine bestimmte Sperre oder ein bestimmtes Verbotsschild gesperrten Wald zum Zwecke der Erholung zu betreten. Nur wer ein derartiges Interesse anhand objektiver Umstände hinreichend dartun kann, ist befugt, das Einschreiten der Forstbehörden einzuklagen (VGH Mannheim, Urt. v. 18.1.1983 - 5 S 2090/82 -, Jagdrechtliche Entscheidungen XIII Nr. 14; Kolodziejcok/Recken, Naturschutz, Landschaftspflege und einschlägige Regelungen des Jagd- und Forstrechts, Komm., Loseblattausgabe, Stand: April 2002, Erläuterungen Nr. 13 ff zu § 14 BWaldG; Tesmer, LWaldG, Komm., 2. Aufl. 1981, Vorbem. Nr. 2 vor § 23 LWaldLG). Darüber hinaus umfasst das subjektive Betretensrecht nicht die Gewährleistung eines bestimmten Zugangs zu Wald und Flur, sondern setzt nur die allgemeine Zugänglichkeit voraus. Ist also trotz Absperrungen und Verbotsschildern eine Waldfläche über andere Wege erreichbar und damit der Zugang zu diesem Wald in zumutbarer Weise weiterhin möglich, fehlt es an einem subjektiven Recht, gerichtlich die Aufhebung einzelner Sperren durchzusetzen (so ausdrücklich: VG Berlin, Beschl. v. 7.8.1985 - 1 A 255/85 -, NuR 1986 S. 39; VG Lüneburg, Urt. v. 4.7.2002 - 2 A 251/01 -).

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Bei Anwendung dieser Maßstäbe scheitert die vorliegende Klage in jedem Fall am Vorliegen einer subjektiv geschützten Rechtsposition des Klägers. Wie der Kläger in seinen Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer einräumte, besteht für ihn durchaus die Möglichkeit, die Waldflächen seiner näheren Umgebung zu betreten. Die Hauptverbindungswege im Wald sind frei von Sperren und als Bestandteil des Radwegenetzes des Beklagten im Interesse der Erholungssuchenden auch ausgeschildert. Alle Waldflächen, die sich in der näheren Umgebung des Klägers befinden und in öffentlicher Hand sind, sind frei zugänglich. Die vom Kläger gerügten Sperren und Schilder beziehen sich auf überwiegend kleinere Waldwege, die wohl im Eigentum privater Waldbesitzer stehen. Wie die von ihm in der mündlichen Verhandlung gezeigte Fotoserie belegt, handelt es sich bei diesen Sperren teilweise auch um Halbsperren, die den Zugang zwar nicht verhindern aber erschweren. Aber auch bei Vollsperren ist es möglich, auf anderen - nicht gesperrten - Wegen in die einzelnen Waldstücke hinein zu gelangen.

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Ist dem Kläger also letztlich ein Betreten der einzelnen Waldstücke wenn auch nicht auf jedem von ihm gewünschten Weg aber doch in zumutbarer Weise möglich, fehlt es weiterhin - was die Entscheidung der Kammer selbständig trägt - auch an einem schützenswerten Interesse, den Wald gerade über einen gesperrten Weg zu betreten. Der Kläger hat nicht dargelegt, weshalb er darauf angewiesen sein sollte, die zahlreichen von ihm im Einzelnen angeführten Waldstücke gerade auf diesem gesperrten Weg zu betreten. Ein schützenswertes Interesse, das ihn von anderen Erholungssuchenden unterscheidet, ist nicht erkennbar. Letztlich kann sich die Kammer des Eindrucks nicht erwehren, dass die Motivation des Klägers, alle Waldsperren in seiner näheren und weiteren Umgebung akribisch aufzulisten und bildlich zu dokumentieren, nicht zuvörderst dem Interesse eines Erholungssuchenden entspringt, sondern andere Gründe hat. Nach seinen schriftlichen und mündlichen Ausführungen scheint er mit der Praxis von Waldeigentümern und Jagdpächtern bei der Errichtung von Wegesperren nicht einverstanden zu sein. Dieses gibt ihm aber noch kein subjektives einklagbares Recht, „flächendeckend“ gegen solche Sperren vorzugehen. Diese Auffassung der Kammer ändert aber nichts an der Verpflichtung des Beklagten, die an Recht und Gesetz gebunden ist, für die Einhaltung des § 31 NWaldG, der die Zulässigkeit von Waldsperren an die Erfüllung im Einzelnen aufgeführter Zwecke bindet, Sorge zu tragen. Hierbei hat der Kläger mit seiner Auflistung wichtige Anregungen gegeben.

21

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Die Berufung war zuzulassen (§ 124a Abs. 1 iVm § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).