Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 20.11.2002, Az.: 1 A 224/01

Auswahlentscheidung; Auswahlgesichtspunkt; Benachteiligung; böser Schein; dienstliche Beurteilung; Gesamturteil; Hilfskriterien; Leistungsgrundsatz; Leistungsprinzip; äußerer Schein

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
20.11.2002
Aktenzeichen
1 A 224/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 42103
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Bei im wesentlichen gleichen Beurteilungen kann nur auf leistungsnahe Hilfskriterien zurückgegriffen werden.

2. Das Bestreben, den Anschein einer Benachteiligung durch Personalratstätigkeit zu vermeiden, ist kein leistungsnahes Auswahlkriterium.

Gründe

1

Die hier getroffene Auswahlentscheidung genügt diesen rechtlichen Anforderungen nicht: Zwar lauten die zunächst heranzuziehenden dienstlichen Beurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen in ihrem Gesamturteil - bei Vernachlässigung der Stelle hinter dem Komma - gleichermaßen auf „über den Anforderungen“ (5,0 und 4,6), so dass hier grundsätzlich für die Beklagte die Berechtigung bestand, noch weitere Kriterien und Auswahlgesichtspunkte heranzuziehen, um eine weitere Differenzierung innerhalb der gleichwertigen Gesamtnoten zu erreichen. Jedoch ist nach diesen zusätzlichen Kriterien und nach dem Prinzip der Bestenauslese der Kläger als der eindeutig geeignetere Bewerber angesehen worden:

2

In der Stellungnahme vom 8. Februar 2001 wird ausgeführt, „aus meiner Sicht ist Amtsinspektor im JVD E. für den ausgeschriebenen Dienstposten besser geeignet...“ Hier heißt es sogar sehr deutlich, der Beigeladene sei für das ausgeschriebene Amt „nicht geeignet“.

3

Der Vorschlag vom 9. Februar 2001 zur Besetzung der Stelle mit dem Kläger hebt dann u.a. hervor, dass der Kläger „nach den letzten Beurteilungen um einige Punkte (hinter dem Komma) besser beurteilt ist. Die Unterschiede sind deutlich, obwohl er sich im gleichen Notenrahmen bewegt. Er hat, obwohl er erheblich jünger ist, Dienstposten ausgefüllt, in denen er die notwendige Führungsqualität und Durchsetzungskraft gezeigt hat“. Dem Beigeladenen wird in dem Vermerk zwar seine Eignung für den Dienstposten bescheinigt, aber weiterhin heißt es dann im Vermerk: „Ich halte Herrn E. für die ausgeschriebene Stelle für sehr gut geeignet.“

4

Im Schreiben vom 12. Februar 2001 hebt der Unterzeichner hervor, dass der Kläger „alle drei Merkmale“ erfülle, der Beigeladene „nur das erste Merkmal“. „Daher ist Herr E. für mich der geeignetere Bewerber“.

5

Entsprechend wird im Auswahlvermerk der Beklagten vom 13. Februar 2001 dann auch die Rangfolge wie folgt festgelegt: „1. Amtsinspektor im JVD E. 2. Amtsinspektor im JVD F.“.

6

Diese vergleichende und die Bewerber miteinander abwägend in Beziehung setzende Auswahlentscheidung ist nachvollziehbar und gerichtlich nicht zu beanstanden. Nach ihr wäre dem Kläger die ausgeschriebene Planstelle zu übertragen gewesen.

7

Nach dem Inhalt der Akten ist die Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen jedoch deshalb vorgenommen worden, weil zugunsten des Beigeladenen berücksichtigt wurde, „es habe den Anschein, dass der Bewerber F. aufgrund seiner Personalratstätigkeit benachteiligt worden sei“ (so die Begründung des Hauptpersonalrates) bzw. die Nichterprobung des Beigeladenen auf dem neuen Dienstposten könne

8

„Außenstehende zu der Vermutung veranlassen, Herr F. sei aufgrund seiner Freistellung als Personalratsvorsitzender nicht auf dem Dienstposten, der eine ständige Präsenz erfordert, eingesetzt worden“ (Erlass des MJ v. 23.5.2001).

9

Dieses Bestreben, einen bösen Schein zu vermeiden bzw. Vermutungen aus dem Wege zu gehen, stellt jedoch ein Kriterium dar, das die - auch bei Hilfskriterien - erforderliche Nähe zu dem verfassungsrechtlichen Leistungsgrundsatz aus Art. 33 GG nicht mehr aufweist. Die Entscheidung zugunsten des Beigeladenen ist somit auf einer leistungsfremden Grundlage gefallen und durch Weisung gegenüber der Beklagten umgesetzt worden - ob-gleich diese den Kläger doch eindeutig als den „am besten geeigneten“ Bewerber angesehen hat (S. 2 oben des Schrifts. v. 22.6.2001). Die Auswahlentscheidung ist somit nicht an leistungsnahen Hilfskriterien im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG orientiert worden, sondern an Befürchtungen und prognostizierten Vermutungen, denen aus dem Wege gegangen werden sollte. Das jedoch wird vom dienstherrlichen Ermessen, das auch bei der Anwendung von Hilfskriterien im Lichte des Art. 33 Abs. 2GG, § 7 BRRG, § 8 NBG zu betrachten ist, nicht mehr gedeckt. Die auf diesem Wege getroffene Auswahlentscheidung ist somit wegen Verstoßes gegen den Leistungsgrundsatz rechtswidrig.

10

Im Beschluss des Nds. OVG vom 19.2.2002 - 5 MA 3235/01 - heißt es demgemäß u.a.:

11

-„Die übrigen Unterlagen lassen ebenso wenig wie der Vortrag der Antragsgegnerin in diesem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erkennen, dass die Antragsgegnerin im Hinblick auf die von dem Hauptpersonalrat genannten Gesichtspunkte den Beigeladenen für den geeigneteren Bewerber gehalten und sich nicht allein wegen des Anscheins der Nichtbeachtung des personalvertretungsrechtlichen Benachteiligungsverbotes für den Beigeladenen entschieden hat.

12

-§ 39 Abs. 5 NPersVG verbietet eine Beeinträchtigung des beruflichen Werdeganges, nicht aber die Vermeidung des Anscheins einer solchen Beeinträchtigung. Deshalb ist es auch nicht gerechtfertigt, im Hinblick auf den bei der Auswahlentscheidung zu beachtenden gesetzlichen Rahmen, die Vermeidung des Anscheins einer Benachteiligung als maßgeblichen Gesichtspunkt zu berücksichtigen.“

13

-Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an. Die Vermeidung eines Anscheins ist kein berücksichtigungsfähiger Auswahlgesichtspunkt. Denn es ist mit Blick auf den Grundsatz der Bestenauslese und das Leistungsprinzip, die erfordern, Sach- und Leistungsgesichtspunkte in den Mittelpunkt einer Auswahlentscheidung zu stellen, nicht gerechtfertigt, lediglich die Vermeidung eines äußeren Scheins zum maßgeblichen Gesichtspunkt einer Auswahlentscheidung zu machen. Dem Anschein kann durch Sachaufklärung und Darlegung der (Leistungs-)Gründe begegnet werden, zumal dann, wenn - wie hier - überzeugende Gründe für die Sachentscheidung vorliegen.