Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.09.2011, Az.: 13 Verg 4/11

Verpflichtung des Auftraggebers in einem öffentlichen Vergabeverfahren zur Nachforderung von einem Bieter fehlende Unterlagen unter dem Blickwinkel des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
08.09.2011
Aktenzeichen
13 Verg 4/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 27327
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2011:0908.13VERG4.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VK Hannover - 05.07.2011 - AZ: 22/2011

Fundstellen

  • IBR 2012, 286
  • VS 2011, 84-85
  • Vergabe-News 2011, 147-148

Amtlicher Leitsatz

  1. 1)

    Der Grundsatz der losweisen Vergabe ist als vergaberechtliches Prinzip derart verankert (§ 97 Abs. 3 S. 2 GWB), dass von jedem Bieter eine Kenntnis dieses Grundsatzes erwartet werden kann.

  2. 2)

    Nach § 16 Abs. 1 VOL/A steht dem Auftraggeber ein Ermessen zu, ob er von einem Bieter fehlende Unterlagen nachfordert. Aus Gründen der Gleichbehandlung muss der Auftraggeber jedoch von allen Bietern, zumindest von denen in der engeren Wahl, gleichermaßen die jeweils fehlenden Erklärungen oder Nachweise nachfordern und darf hierauf nicht bei einzelnen Bietern verzichten.

  3. 3)

    § 16 VgV soll nicht generell Personen von der Mitwirkung an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie voreingenommen sein können. Ihr Ausschluss setzt vielmehr voraus, dass die konkreten Tatbestandsvoraussetzungen einer der Alternativen des § 16 VgV vorliegen.

In dem Vergabenachprüfungsverfahren ... hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. K., den Richter am Oberlandesgericht B. und die Richterin am Landgericht Dr. B. auf die mündliche Verhandlung vom 26. August 2011 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Regierungsvertretung Lüneburg - vom 5. Juli 2011 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin sowie der Beigeladenen zu 1 zu tragen.

Im Beschwerdeverfahren einen Verfahrensbevollmächtigten hinzuzuziehen, war für die Antragsgegnerin notwendig.

Gründe

1

I.

Mit EU-Bekanntmachung vom 25. Februar 2011 schrieb die Antragsgegnerin die Durchführung der in § 5 NRettDG bestimmten Aufgaben des Rettungsdienstes auf dem Gebiet der Antragsgegnerin bestehend aus Notfallrettung und qualifiziertem Krankentransport für 6 Jahre im offenen Verfahren in zwei Losen aus.

2

Das Los Nr. 1 umfasst die Notfallrettung und den qualifizierten Krankentransport im Bereich der Rettungswache C. und das Los Nr. 2 dieselben Rettungsdienstleistungen im Bereich der Fahrzeugstandorte H., W. und L.-Straße sowie die beiden NEF-Standorte St. B. Krankenhaus und Klinikum H..

3

Jeder Bieter durfte maximal auf ein Los bieten. Nach III. 2)1) waren u.a. Nachweise über die persönliche Lage des Wirtschaftsteilnehmers sowie unter III. 2)2) Nachweise über die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit sowie unter III. 2)3) Nachweise zur technischen Leistungsfähigkeit mit dem Angebot vorzulegen.

4

Als das Zuschlagskriterium wurde unter IV. 2)1) das wirtschaftlich günstigste Angebot anhand der Kriterien, die in den Verdingungs-/Ausschreibungsunterlagen, der Aufforderung zur Angebotsabgabe und zur Verhandlung bzw. in der Beschreibung zum wettbewerblichen Dialog aufgeführt sind, genannt. Ziff. 12. der Aufforderung zur Angebotsabgabe gab die genaue Gewichtung und die Wertungskriterien für den Zuschlag an. Schließlich enthielt VI. 4)2) eine Rechtsbehelfsbelehrung gem. § 107 Abs. 3 GWB.

5

Die Auftraggeberin beauftragte die K. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in M. mit der Vorbereitung und Begleitung des Vergabeverfahrens. Bereits in der EU-Bekanntmachung vom 25. Februar 2011 war Rechtsanwalt D. B. von der K. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH als Ansprechpartner angegebenen. Rechtsanwalt M. K. aus derselben Sozietät war ebenfalls begleitend für die Auftraggeberin tätig. Er nahm an der Verhandlung vor der Vergabekammer teil. Aufgrund zahlreicher Bieteranfragen versandte Rechtsanwalt D. B. insgesamt neun Bieterinformationen an die Bieter.

6

Während der Angebotsphase rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 17. März 2011 und 23. März 2011 einzelne Punkte der Ausschreibung. Der beauftragte Berater der Antragsgegnerin wies diese Rügen mit den Schreiben vom 23. März 2011, bzw. 25. März 2011 zurück, die per Fax an den Projektmanager R. A. an die in dem Rügeschreiben angegebene Faxnummer geschickt wurden. Bei der Submission am 8. April 2011 lag die Antragstellerin mit einer rechnerisch geprüften Angebotssumme von 6.856.181,46 EUR an zweiter Stelle und die Beigeladene zu 1 mit 7.328.923,52 EUR an erster Stelle sowie die Beigeladene zu 2 mit 8.993.602,10 EUR an dritter Stelle. Die weitere Bieterin, die ASB Sozialdienst gemeinnützige GmbH H. lag mit 5.664.669,26 EUR an vierter Stelle und der ASB H. mit einem nicht ausgewiesenen Gesamtpreis an letzter Stelle von fünf abgegebenen Angeboten. Ausweislich des Vergabevermerks schloss die Antragsgegnerin das Angebot der Beigeladenen zu 2. gem. § 16 Abs. 3 lit. a VOL/A aus.

7

Die Beigeladene zu 1 übersandte den von dem Beauftragten der Antragsgegnerin nachgeforderten Versicherungsnachweis innerhalb der gesetzten Frist. Laut Vergabevermerk vom 29. April 2011 lag lediglich die erweiterte Satzung der Beigeladenen zu 1 noch nicht vor. Die Antragstellerin legte die Erklärung über den Umsatz der Muttergesellschaft, den die Antragsgegnerin als fehlenden, bzw. unvollständigen Eignungsnachweis nachgefordert hatte, innerhalb der ihr gesetzten Frist vor.

8

Mit Schreiben vom 16. Mai 2011 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin gem. § 101 a GWB, dass ihr Angebot nicht das Wirtschaftlichste gewesen sei und sie beabsichtige, den Zuschlag für Los 1 der Beigeladenen zu 1 zu erteilen. Mit Schreiben vom 17. Mai 2011 rügte die Antragstellerin die vorgenommene Wertung als willkürlich und nicht nachvollziehbar. Die beauftragten Berater der Antragsgegnerin seien auch beratend auf Seiten der Beigeladenen zu 1 tätig gewesen und überdies ständig in Mandatsbeziehungen zu einzelnen Orts- und Landesverbänden sowie zum Dachverband der Beigeladenen zu 1. Schließlich rügte sie die mangelnde Eignung der Beigeladenen zu 1, da sich ihr satzungsgemäßes Einsatzgebiet noch nicht auf das Gebiet der Antragsgegnerin beziehe.

9

Nachdem sich die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 19. Mai 2011 gegen die Ausführungen der Antragstellerin gewandt hatte, beantragte die Antragstellerin mit Schreiben vom 25. Mai 2011, ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten. Sie wandte sich gegen die Nichtabhilfe ihrer Rügen hinsichtlich der fehlerhaften Wertung, der befangenen Berater, der fehlenden Eignung der Beigeladenen zu 1 und der weiteren mit Schreiben vom 17. März 2011 und 23. März 2011 geltend gemachten Rügen. Demgegenüber hielt die Antragsgegnerin den Nachprüfungsantrag in vielen Punkten wegen Überschreitung der in § 107 Abs. 3 GWB vorgesehenen Ausschlussfrist für präkludiert. Auch die Vorwürfe der Befangenheit der Berater der Antragsgegnerin wegen einer vergaberechtswidrigen Doppelmandatierung und die angebliche Ungeeignetheit der Beigeladenen zu 1 wies sie zurück.

10

Mit Beschluss vom 5. Juli 2011 hat die Vergabekammer festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt sei, und die Antragsgegnerin verpflichtet, erneut in die Angebotswertung einzutreten sowie diese im Hinblick auf die Bewertung der Konzepte für die Durchführung der Notfallrettung und des qualifizierten Krankentransportes zu wiederholen, Prüfung und Ergebnis in einer den Anforderungen des§ 20 VOL/A genügenden Weise in der Vergabeakte zu dokumentieren und dabei die Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten. Im Übrigen hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.

11

Zur Begründung hat die Vergabekammer ausgeführt, unzulässig sei der Nachprüfungsantrag bereits hinsichtlich der mit Schreiben vom 17. März 2011 und 23. März 2011 erhobenen Rügen. Mit diesen Rügen sei sie gem. § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB präkludiert, weil die Antragsgegnerin sie bereits mit Schreiben vom 23. März 2001 und 25. März 2011 zurückgewiesen, die Antragstellerin aber nicht innerhalb von 15 Tagen einen Nachprüfungsantrag gestellt habe. Dem stehe nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin die Nichtabhilfeschreiben nicht an die deutsche Niederlassung der Antragstellerin, sondern per Fax an die Zentrale in D. an den verantwortlichen Projektmanager gesandt habe. Der Nachprüfungsantrag sei unbegründet, soweit die Antragstellerin die erforderliche Eignung der Beigeladenen zu 1 für die ausgeschriebene Leistung bemängele. Die Antragsgegnerin habe jedenfalls ihr Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt, als sie die Beigeladene zu 1 im Hinblick auf einen noch eingeschränkten Gesellschaftsvertrag als geeignet eingestuft habe. Auch im Hinblick auf die Nachforderung der erweiterten Versicherungsbestätigung habe die Antragsgegnerin ihr Ermessen jedenfalls nicht fehlerhaft ausgeübt. Schließlich verstoße die Tätigkeit der Rechtsanwälte M. K. und D. B. der K. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH M. nicht gegen das Verbot der Mitwirkung von voreingenommen geltenden Personen gem. § 16 Abs. 1 VgV, da sowohl die beiden Herren als auch die K. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH nicht direkt für die Beigeladene zu 1 tätig gewesen seien. Begründet sei der Nachprüfungsantrag, soweit die Antragsgegnerin es versäumt habe, die Bewertung der Bieterkonzepte für die Durchführung der Notfallrettung und des qualifizierten Krankentransportes, die nach Festlegung der Antragsgegnerin mit 50% bei der Gesamtbewertung der Angebote berücksichtigt werden sollten, in einer den Anforderungen des§ 20 VOL/A genügenden Weise in der Vergabeakte zu dokumentieren.

12

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 13. Juli 2011 beim Oberlandesgericht Celle eingegangenen sofortigen Beschwerde. Unter Hinweis auf ihren bereits vor der Vergabekammer gehaltenen Sachvortrag rügt die Antragstellerin, dass sie entgegen der Auffassung der Vergabekammer mit ihren Rügen aus den Schreiben vom 17. März 2011 und 23. März 2011 nicht ausgeschlossen sei. Ihr seien die Nichtabhilfeschreiben der Antragsgegnerin vom 17. März 2011 und 23. März 2011 nicht zugegangen. Außerdem habe die Antragsgegnerin in ihrem ablehnenden Schreiben gem. § 101 a GWB auf die Ausschlusswirkung des § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB hinweisen müssen. Die Mitwirkung der Rechtsanwälte B. und K. verstoße gegen § 16 Abs. 1 Nr. 2 VgV, da beide Rechtsanwälte als Berater und Referenten bundesweit für unterschiedliche Landes- und Kreisverbände des Deutschen Roten Kreuzes tätig seien. Darüber hinaus sei Herr K. in leitender Position beim Kreisverband S. des DRK aktuell tätig. Herr B. sei früher hauptamtlich für den Landesverband R.-P. des DRK als auch den DRK Kreisverband R.-S. e. V. tätig gewesen. Darüber hinaus lasse das DRK seine internen Kontrollsysteme durch die K. überprüfen. Herr K. und Herr B. hätten das DRK und deren Untergliederungen insbesondere in Niedersachsen strategisch beraten. Die Erstellung eines Notkompetenzsystems mache deutlich, dass die beiden Berater im Lager der Beigeladenen zu 1 stünden. Der Fokus dürfe nicht alleine auf die Beigeladene zu 1 beschränkt sein. Es reiche aus, wenn die beiden Berater für das Oligopol der Hilfsorganisationen des DRK tätig gewesen seien. Die Eignungsunterlagen der Beigeladenen zu 1 hätten nicht zum Stichtag vorgelegen. Die nachgereichten Unterlagen genügten nicht, um die Eignung nachzuweisen. Darüber hinaus sei auch der Versicherungsschutz nicht gegeben. Die Leitlinien "für den Rettungsdienst" verstießen gegen § 8 Abs. 2 EGVOL/A, da sie eine Bevorzugung der Beigeladenen zu 1 beinhalten. Dadurch seien die Eignungs- und Zuschlagkriterien vermischt. Die Antragstellerin wendet sich darüber hinaus gegen die Aufteilung der Losvergabe. Das Los 1 hätte zwischen Krankentransport und Rettungsdienst getrennt werden müssen. Schließlich sei die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für die Antragsgegnerin nicht notwendig. Die Antragstellerin rügt mit der sofortigen Beschwerde erstmals, dass die Beigeladene zu 1 nicht nur als Einzelbieterin auf das Los 1 biete, sondern auch als Bietergemeinschaft bestehend aus ihr und dem DRK Rettungsdienst und Krankentransport A. GmbH biete.

13

Dieses ergebe sich aus dem ergänzenden Vergabevermerk im Los 1 der Stadt H. vom 13. Juli 2011 (dort S. 10).

14

Sie beantragt,

den Beschluss der Vergabekammer teilweise abzuändern und

  1. 1.

    in erster Linie anzuordnen, dass die Beigeladene zu 1 ausgeschlossen werden soll,

  2. 2.

    hilfsweise, dass das Vergabeverfahren aufgehoben wird.

  3. 3.

    Für den Fall, dass die Antragstellerin unterliegen sollte, festzustellen, dass es für die Antragsgegnerin nicht notwendig war, Rechtsanwälte beizuziehen.

15

Die Antragsgegnerin beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

16

Die Beigeladene zu 1 beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

17

Die Beigeladene zu 2 stellt keinen Antrag.

18

Die Antragsgegnerin verteidigt die angefochtene Entscheidung der Vergabekammer und führt ergänzend aus, der Nachprüfungsantrag habe sich ihrer Ansicht nach erledigt. Die Antragsgegnerin sei nach der Entscheidung der Vergabekammer vom 5. Juli 2011 wieder in die Angebotswertung eingetreten und habe unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer eine erneute Vergabeentscheidung getroffen. Die Vergabeentscheidung der Antragsgegnerin vom 16. Mai 2011 existiere danach nicht mehr. Der Nachprüfungsantrag sei insoweit unzulässig, als dass die Rügen vom 17. März 2011 und 23. März 2011 bereits präkludiert seien. Soweit die Antragstellerin der Antragsgegnerin vorwerfe, sie habe gegen den Grundsatz der Losvergabe verstoßen, fehle ihr bereits eine Antragsbefugnis gem. § 107 Abs. 2 GWB, da sie nicht in ihren Rechten verletzt sei. Die Tätigkeit der Rechtsanwälte M. K. und D. B. verstoße nicht gegen § 16 Abs. 1 Nr. 2 VgV, da die K. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH nicht für die Beigeladene zu 1 tätig geworden sei. Die beiden Rechtsanwälte jedenfalls würden keine internen Kontrollsysteme des DRK und erst recht nicht die der Beigeladenen zu 1 überprüfen. Die Einbeziehung des Notkompetenzsystems von Stadt und Landkreis H. diene der Qualitätssicherung und werde immer wieder fortgeschrieben. Des Weiteren sei die Vergabekammer zu Recht davon ausgegangen, dass die Beigeladene zu 1 nicht wegen fehlender Eignung aus dem Verfahren auszuschließen sei, weil ihr Unternehmensgegenstand zu begrenzt sei.

19

Die Antragstellerin hat gegen die erneute Wertung durch die Antragsgegnerin vom 13. Juli 2011, soweit dem Nachprüfungsantrag stattgegeben worden war (ergänzender Vergabevermerk in Los 1 vom 13. Juli 2011), einen weiteren Antrag auf Nachprüfung bei der Vergabekammer (VGK-35/2011) gestellt.

20

Wegen des weiteren Sachvortrages wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.

21

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin, soweit er Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist, ist teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet.

22

A.

Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags

23

Soweit die Antragstellerin ihre Rügen aus den Schreiben vom 17. März 2011 und 23. März 2011 geltend macht, ist ihr Nachprüfungsantrag wegen Rügepräklusion unzulässig. Im Übrigen ist er zulässig.

24

1.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin hat sich das Nachprüfungsverfahren nicht dadurch erledigt (§ 114 Abs. 2 S. 2 GWB), dass die Antragstellerin inzwischen erneut gewertet hat. Mit dieser Wertung hat die Antragsgegnerin nur denjenigen Rügen Rechnung getragen, mit denen die Antragstellerin vor der Vergabekammer Erfolg gehabt hat. Soweit die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren unterlegen war, ist den Rügen nicht abgeholfen worden und über diese Rügen dementsprechend auf ihre Bewerde hin im vorliegenden Verfahren zu befinden.

25

2.

Dass es sich bei der Antragsgegnerin um einen öffentlichen Auftraggeber gem. § 98 Nr. 1 GWB handelt, ist ebenso wenig umstritten wie der Umstand, dass vorliegend die maßgeblichen Schwellenwerte überschritten sind (§ 100 Abs. 1, § 127 GWB i.V.m. §§ 2 Nr. 2 und 7 VgV). Auch die Antragsbefugnis gem. § 107 Abs. 2 GWB ist nicht zweifelhaft. Insgesamt wird auf die zutreffenden Ausführungen der Vergabekammer Bezug genommen.

26

3.

Indessen ist die Antragstellerin mit ihren am 17. März 2011 erhobenen Rügen (fehlerhafte Zuordnung der Leistung in Kategorie Nr. 25 in Anhang I Teil B der VOL/A, die Vermischung von Eignungs- und Bewertungskriterien, insbesondere das Konzept für die Durchführung der Notfallrettung und des qualifizierten Krankentransportes als Zuschlagskriterium; vergleichbare Eigenerklärungen; den Nachweis einer Haftpflichtversicherung zum Zeitpunkt des Leistungsbeginns) und am 23. März 2011 erhobenen Rügen (die Anforderung diverser Unterlagen und die geforderte Ausbildung im Rahmen des Notkompetenzsystems im Rettungsdienstbereich Hildesheim) nach § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB präkludiert (unter a)). Mit ihrer Rüge der fehlerhaften Losaufteilung ist sie zudem gem. § 107 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 GWB präkludiert (unter b)).

27

a)

Die Antragstellerin ist mit ihren Rügen, die sich aus den Schreiben vom 17. März 2011 und 23. März 2011 ergeben, gem.§ 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB präkludiert.

28

Nach § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB sind Verstöße gegen Vergabevorschriften, innerhalb von 15 Kalendertagen nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen, zu rügen. Diese Frist hat die Antragstellerin nicht eingehalten:

29

Die Mitteilung der Antragsgegnerin, den Rügen der Antragstellerin aus dem Schreiben vom 17. März 2011 nicht abhelfen zu wollen, ging der Antragstellerin am 23. März 2011 zu. Die Frist des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB endete am Donnerstag, den 7. April 2011. Den Rügen der Antragstellerin aus ihrem Schreiben vom 23. März 2011 half die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 25. März 2011 nicht ab. Die Frist des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB endete am Samstag, den 9. April 2011 und damit gem. § 193 BGB am Montag, den 11. April 2011. Der Antrag auf Nachprüfung ging einheitlich am 25. Mai 2011 bei der Vergabekammer ein.

30

aa)

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sind ihr die Nichtabhilfeschreiben der Antragsgegnerin vom 23. März 2011, bzw. am 25. März 2011 zugegangen. Zugegangen ist ein Schreiben, wenn es so in den Bereich des Empfängers gelangt, dass dieser vom Inhalt der Erklärung Kenntnis nehmen kann (Palandt/ Ellenberger, BGB, 70. Aufl., § 130 Rn. 5; für das Rügeschreiben VK Sachsen, Be-schluss vom 8. Juni 2006 -1-SVK/50/05, Beck RS 2006, 09765).

31

Grundsätzlich trägt der Auftraggeber die materielle Beweislast für den Zeitpunkt des Zugangs und den Zugang selbst (Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 107 GWB Rn. 60). Die Antragstellerin beruft sich darauf, dass beide Schreiben bei ihr nicht angekommen seien, da diese per Fax an den Mutterkonzern der Antragstellerin in D. versandt worden seien und nicht an die gesellschaftsrechtlich eigenständige Antragstellerin und Bieterin in K.

32

Dem ist nicht zu folgen. Das Schreiben ist an eine Stelle und an einen Adressaten gesandt worden, die die Antragstellerin in ihrer Rüge selbst angegeben hatte. Adressat des Schreibens ist derselbe Projektmanager R. A., der das Rügeschreiben der Antragstellerin unterzeichnet hatte. Gesendet worden ist das Schreiben per Telefax an die (d.) Faxnummer, die in dem Rügeschreiben als Faxnummer der Antragstellerin angegeben war. Damit konnte auch aus der Sicht der Antragstellerin kein Zweifel bestehen, dass das Schreiben an sie gerichtet und so in ihren Bereich gelangt war, dass sie Kenntnis von ihm nehmen konnte.

33

bb)

Die Antragsgegnerin hat auf die Frist des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB in der Bekanntmachung zur Ausschreibung vom 25. Februar 2011 ordnungsgemäß unter Ziff. VI.4) 1) 2) und 3) hingewiesen. Dieser Hinweis genügt nach der Rechtsprechung des Senats den Anforderungen (Beschlüsse vom 4. März 2010 -13 Verg 1 /10, zitiert nach [...] Tz. 36 f.; vom 12. Mai 2010 -13 Verg 3/10, zitiert nach [...], Tz. 25).

34

b)

Mit ihrem Einwand, die Antragsgegnerin habe gegen den Grundsatz der losweisen Vergabe verstoßen, als sie die beiden Teillose nicht in weitere Fachlose getrennt nach Rettungsdienst und Krankentransport aufgeteilt habe, ist die Antragstellerin nach § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB präkludiert.

35

Nach § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB sind Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung erkennbar sind, jedoch spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung gegenüber dem Auftraggeber zu rügen.

36

Ausweislich der EU-Bekanntmachung vom 25. Februar 2011 war als Schlusstermin für den Eingang der Angebote der 8. April 2011, 10:00 Uhr bestimmt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Antragstellerin diese Rüge gegenüber der Antragsgegnerin nicht vorgebracht. Dieser aus Sicht der Antragsteller bestehende Verstoß gegen die Vergabevorschriften hinsichtlich der Losaufteilung war bereits aus der EU-Bekanntmachung erkennbar. Die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, ob der Vergaberechtsverstoß für einen Durchschnittanbieter (OLG Stuttgart, Beschluss vom 11. Juli 2000 - 2 Verg 5/00, NZBau 2001, 462, 463 [OLG Stuttgart 11.07.2000 - 2 Verg 5/00]; Reidt in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 3. Aufl., Köln 2011, § 107 Rn. 58; Dicks in: Ziekow/Völlink, a.a.O., § 107 Rn. 49; Summa in: jurisPK, VergR, 2. Aufl., § 107 GWB Rn. 186.6) oder für das konkret antragstellende Unternehmen erkennbar sein muss (KG, Beschluss vom 11. Juli 2000 - KartVerg 7/00, BeckRS 12121; Wiese in: Kulartz/Kus/Portz, Vergaberecht, 2. Aufl. 2009, § 107 Rn. 85) bedarf hier keiner Entscheidung. Unabhängig davon gelangt man vorliegend zu dem Ergebnis, dass aus der Bekanntmachung für jeden Bieter und damit auch für die Antragstellerin erkennbar war, in welchem Umfang eine Losaufteilung vorgenommen war. Unter "Auftragsgegenstand" ist ersichtlich, dass dieser die "Durchführung der in § 5 NRettDG bestimmten Aufgaben des Rettungsdienstes auf dem Gebiet der Stadt H." betrifft. Die Leistung bestand aus Notfallrettung und qualifiziertem Krankentransport. Die Aufteilung auf zwei Lose bestimmte sich alleine nach den beiden Rettungswachen C. (Los 1) sowie die Fahrzeugstandorte H., W. und L.-Straße sowie die beiden NEF Standorte St. B. Krankenhaus und Klinikum H. (Los 2). Für beide Lose und somit auch für das Los 1 war für die Antragstellerin erkennbar, dass sowohl die Notfallrettung als auch der qualifizierte Krankentransport gemeinsam jeweils auf Los 1 und Los 2 entfallen. Der Grundsatz der losweisen Vergabe ist als vergaberechtliches Prinzip auch derart verankert (§ 97 Abs. 3 S. 2 GWB), dass von jedem Bieter eine Kenntnis dieses Grundsatzes erwartet werden kann. Danach hätte die Antragstellerin bis zur genannten Frist zur Angebotsabgabe am 8. April 2011 rügen müssen. Die Antragstellerin hat ihre Rüge aber erst lange nach Angebotsabgabe erhoben.

37

B.

Soweit der noch im Beschwerdeverfahren zu überprüfende Nachprüfungsantrag nicht unzulässig ist, ist er unbegründet.

38

1.

Die Antragsgegnerin war nicht verpflichtet, die Beigeladene zu 1 gem. § 16

39

Abs. 5 VOL/A wegen mangelnder Eignung auszuschließen. Die Beigeladene zu 1 war weder wegen eines nicht ausreichenden Versicherungsnachweises noch wegen eines eingeschränkten Gesellschaftsvertrages ungeeignet.

40

Gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 VOL/A dürfen Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die fachkundig, leistungsfähig und zuverlässig (geeignet) sind.

41

Die Prüfung, ob ein Bieter geeignet ist, erfolgt in zwei Schritten: 1. ob die Eignung in der vom öffentlichen Auftraggeber geforderten Form nachgewiesen wurde, und 2. ob in materieller Hinsicht die Eignungsanforderungen des Auftraggebers erfüllt werden (Dittmann in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Aufl. § 16 VgV Rdn. 172).

42

a) Formelle Wertung

43

Gemäß § 16 Abs. 3 a VOL/A führt auf einer formellen Wertungsstufe das Fehlen von geforderten oder nachgeforderten Erklärungen oder Nachweisen dazu, dass das Angebot zwingend ausgeschlossen wird. Gemäß § 16 Abs. 2 VOL/A reicht es jedoch aus, wenn Erklärungen und Nachweise, die auf Anforderungen der Auftraggeber bis zum Ablauf der Angebotsfrist nicht vorgelegt wurden, bis zum Ablauf einer gesetzten Nachfrist nachgereicht werden.

44

aa) Der mit der Angebotsabgabe geforderte und vorgelegte Versicherungsnachweis der Beigeladenen zu 1 bezog sich nur auf Krankentransporte, nicht auf den Rettungsdienst. Die Antragsgegnerin hat daraufhin von ihrem Ermessen gem. § 16 Abs. 2 Satz 1 VOL/A Gebrauch gemacht und von der Beigeladenen zu 1 mit Schreiben vom 15. April 2011 eine weiter reichende Versicherungsbestätigung angefordert, die eine Deckung auch für die Durchführung von Rettungsdiensten ausweist. Innerhalb der bis zum 19. April 2011 gesetzten Frist hat die Beigeladene zu 1 der Antragsgegnerin einen den Anforderungen entsprechenden Versicherungsnachweis vorgelegt.

45

Nach § 16 Abs. 1 VOL/A steht dem Auftraggeber ein Ermessen zu, ob er von einem Bieter fehlende Unterlagen nachfordert. Aus Gründen der Gleichbehandlung muss der Auftraggeber jedoch von allen Bietern, zumindest von denen in der engeren Wahl, gleichermaßen die jeweils fehlenden Erklärungen oder Nachweise nachfordern und darf hierauf nicht bei einzelnen Bietern verzichten (Dittmann in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, a. a. 0., § 16 Rn. 35; Hörn in: Müller-Wrede, a. a. 0., § 19 VOL/A Rn. 61, 63; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 6. März 2011 -11 Verg 11 u. 12/05, NJOZ 2006, 4286 (4290)).

46

Eine Überschreitung oder Unterschreitung oder ein Fehlgebrauch des Ermessens durch die Antragsgegnerin ist bei der Wertung, dass der unvollständige Versicherungsnachweis zu ergänzen sei, nicht ersichtlich. Die Antragsgegnerin hat von allen Bietern, auch von der Antragstellerin, gleichermaßen fehlende Eignungsnachweise bzw. Unterlagen nachgefordert.

47

bb) Im Rahmen der formellen Prüfung ist festzustellen, dass die Beigeladene zu 1 in ihrem Gebot vom 7. April 2011 auf die zukünftige Änderung des Gesellschaftszwecks, die bei Zuschlag notwendig werden würde, selbst hingewiesen hat. Sie hat eine entsprechende Beschlussvorlage für die Gesellschafterversammlung vom 4. April 2011 und damit einen Eignungsnachweis für die bei Zuschlag zu schaffenden Voraussetzungen vorgelegt.

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b) Materielle Wertung

49

In einem zweiten Schritt prüft der Auftraggeber, ob der betreffende Bieter geeignet ist. Bei der Beurteilung der unbestimmten Rechtsbegriffe Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit handelt es sich um eine Prognoseentscheidung, ob vom künftigen Auftragnehmer die ordnungsgemäße Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung erwartet werden kann (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Dezember 2009 -VII Verg 39/09, Beck RS 2010, 04716; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 24. Februar 2009 - XI Verg 19/08, BeckRS 2009, 07443; Dittmann in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, a. a. 0., § 16 Rn. 198). Dem öffentlichen Auftraggeber steht hierbei ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Nachprüfungsinstanzen nur daraufhin überprüft werden kann, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten worden ist, ob der Auftraggeber die von ihm selbst aufgestellten Bewertungsvorgaben beachtet hat, der zugrunde gelegte Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt worden ist, keine sachwidrigen Erwägungen angestellt worden sind und nicht gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßen worden ist (OLG Koblenz, Beschluss vom 15. Oktober 2009 -1 Verg 9/09, BeckRS 2010, 05513; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. September 2005 - Verg 49/05, BeckRS 2005, 13565; Senat, Beschluss vom 11.03.2004 -13 Verg 3/04, zitiert nach [...], Tz. 27 ff.; Dittmann in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, a. a. 0., § 16 Rn. 198).

50

Anhaltspunkte für eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums bei der Prognoseentscheidung, ob von dem künftigen Auftragnehmer die ordnungsgemäße Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung erwartet werden kann, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

51

aa) Der Versicherungsnachweis, den die Beigeladene zu 1 mit Schreiben vom 18. April 2011 vorgelegt hat, belegt die in der Ausschreibung unter III.2)2) (Unterpunkt 7) von der Antragsgegnerin vorgegebenen Voraussetzungen.

52

bb) Die Antragsgegnerin hat keine sachwidrigen Erwägungen angestellt, als sie davon ausgegangen ist, dass die Beschlussvorlage für die Gesellschafterversammlung vom 4. April 2011 zur Erweiterung des Gesellschaftszwecks der Beigeladenen zu 1 ausreichend ist, um eine Prognose zu stellen, ob die Beigeladene zu 1 im Zeitpunkt der Übernahme der Durchführung der Rettungsdienste ab 1. Januar 2012 ihr Tätigkeitsgebiet auch auf die Stadt H. erstrecken wird. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beigeladene zu 1 im Falle des Zuschlags an sie nicht in der Lage sein wird, ihr Tätigkeitsgebiet entsprechend auszuweiten. Im Einzelfall notwendige Transporte in oder von Einrichtungen außerhalb dieses (erweiterten) Gebietes unterliegen dem normalen Geschäft eines Rettungsdienstes und den Krankentransportleistungen und sind der Beigeladenen zu 1 deshalb auch nicht versagt, wenn ihr Gesellschaftszweck sich nicht ausdrücklich auch auf solche Transporte bezieht.

53

Es kommt auch nicht darauf an, ob eine Änderung des Gesellschaftszwecks bereits von der Gesellschafterversammlung abgeschlossen, notariell beurkundet oder im Handelsregister eingetragen worden ist. Es reicht aus, wenn dies erst im Falle des Zuschlags des Vertragsschlusses mit der Antragsgegnerin umgesetzt wird, und dass keine Zweifel daran bestehen, dass das ggf. tatsächlich geschehen wird. Im Hinblick auf die übrigen Voraussetzungen der Ausweitungen des Tätigkeitsfeldes, z.B. im Hinblick auf Material und Personal, liegt es für einen Bieter nahe, tatsächlich erst dann zu expandieren , wenn feststeht, dass er den Zuschlag erhält.

54

2.

Ein Verstoß gegen § 16 Abs. 1 VgV wegen der Mitwirkung der Rechtsanwälte M. K. und D. B. liegt nicht vor.

55

§ 16 VgV soll nicht generell Personen von der Mitwirkung an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie voreingenommen sein könnten. Ihr Ausschluss setzt vielmehr voraus, dass die konkreten Tatbestandsvoraussetzungen einer der Alternativen des § 16 VgV vorliegen (Greb in ZiekowA/öllink, a.a.O., § 16 VgV Rn. 4).

56

a)

Die juristische Begleitung des Vergabeverfahrens durch die Rechtsanwälte M. K. und D. B. von der K. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH auf Seiten der Antragsgegnerin verstößt nicht gegen § 16 Abs. 1 Nr. 2 VgV.

57

aa)

§ 16 Abs. 1 VgV setzt eine Mitwirkung an einer Entscheidung in einem Vergabeverfahren voraus (Greb in: ZiekowA/öllink, a. a. 0., § 16 VgV Rn. 14; Ganske in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, a. a. 0., § 16 VgV Rn. 7). Das war bei Rechtsanwalt B. zweifellos der Fall. Er hat die Antragsgegnerin im Vergabeverfahren beraten. Er ist bereits in der EU-Bekanntmachung vom 25. Februar 2011 als Kontaktperson für die Antragsgegnerin benannt und hat auch im weiteren Verlauf, z.B. bei der Bearbeitung von Rügeschreiben, auf Seiten der Antragsgegnerin mitgewirkt. Ohne dies abschließend zu entscheiden, unterstellt der Senat für die weiteren Ausführungen, dass auch Rechtsanwalt K. bei Entscheidungen im Vergabeverfahren auf Seiten der Antragsgegnerin mitgewirkt hat. Wie er selbst in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben hat, hat er die Antragsgegnerin nicht nur im Nachprüfungsverfahren vertreten, sondern darüber hinaus auch das vorangegangene Geschehen im Verfahren bei der Antragsgegnerin mitverfolgt.

58

Beide Anwälte sind als Anwälte der von der Antragsgegnerin beauftragten K. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH "Mitarbeiter eines Beauftragten eines Auftraggebers" im Sinne von § 16 Abs. 1 VgV.

59

b)

Allerdings liegen die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 2 VgV nicht vor.

60

aa)

Als unwiderleglich voreingenommen gelten gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 VgV die natürlichen Personen, die zwar nicht selbst Bieter oder Bewerber sind, die jedoch Bieter oder Bewerber beraten oder sonst unterstützen (Ganske in: Reidt/Stickler/Glahs, a. a. 0., § 16 VgV Rn. 20; Greb in: ZiekowA/öllink, a. a. 0., § 16 VgV Rn. 24; H.-M. Müller in: Byok/Jäger, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl., § 16 Rn. 1664).

61

Eine Tätigkeit von Rechtsanwalt B. für die Beigeladene zu 1, nämlich für die DRK Transportdienste in der Region H. GmbH ist nicht erkennbar. Herr B. war früher für den DRK-Kreisverband R. - S. e.V. und den Landesverband R. des DRK hauptamtlich tätig. Er war in der Vergangenheit in den unterschiedlichsten Landes- und Kreisverbänden des DRK rechtsberatend (z.B. mit dem Entwurf einer Musterausschreibung in Zusammenarbeit mit dem DRK-Landesverband H.) und als Referent auf Fortbildungsveranstaltungen tätig. Die K. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH vertritt durch Rechtsanwalt B. den DRK-Kreisverband M. oder S. Herr B. war auch beteiligt an der Erstellung eines Notkompetenzsystems. Dieses wurde für die Antragsgegnerin zur Sicherung des Qualitätsstandards des Rettungsdienstes i.S.v. § 10 Abs. 3 NRettDG erstellt, die so auch in die Vergabeunterlagen eingeflossen sind. Auch lässt der DRK-Bundesverband zurzeit interne Kontrollsysteme durch die K., allerdings dort wohl durch die K. AG Wirtschaftsprüfung, überprüfen. Eine konkrete Tätigkeit für die Beigeladene zu 1 selbst ist nicht ersichtlich. Dafür reicht nicht eine gesellschaftliche Verbundenheit des Bundesverbandes des Deutschen Roten Kreuzes oder der DRK Service GmbH mit der Beigeladenen zu 1.

62

bb)

Es liegt auch keine unterstützende Tätigkeit der Beigeladenen zu 1 vor, wenn Rechtsanwalt B. Gesellschaften, die der Beigeladenen zu 1 verbunden sind, berät oder für diese tätig ist.

63

Beratung wird ähnlich wie die weitere Tätigkeit der "sonstiges Unterstützung" grundsätzlich weit ausgelegt. Insbesondere fallen hierunter freiberufliche Dienstleistungen, z.B. von Beratungsunternehmen. Gleichwohl ist der Begriff nicht völlig konturen- und grenzenlos. Es muss zumindest eine unmittelbar fördernde Tätigkeit vorliegen, was z.B. bei einem bloßen Zeitungsinterview der fraglichen Person nicht angenommen werden kann, indem sie sich positiv über einen Bieter äußert (Beschluss des Senats vom 9. April 2009 -13 Verg 7/08, zitiert nach [...] Tz. 119).

64

Der Antragstellerin ist zwar zuzugeben, dass die Beigeladene zu 1 eingebettet ist in eine gesellschaftsrechtliche Verflechtung des Deutschen Roten Kreuzes. Es handelt sich jedoch um einen sehr großen Hilfsverein, der in den verschiedensten Bereichen Menschen unterstützt. Die Tätigkeit von Herrn B. für andere Verbände des DRK hat keine erkennbar fördernde oder unterstützende Auswirkung auf die Beigeladene zu 1.

65

cc)

Eine entsprechende Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 2 VgV kommt nicht in Betracht. Der Senat hat diese Vorschrift entsprechend in einem Fall angewendet, in dem die Gesellschafterin, für die der Berater tätig war, einen erheblichen Anteil des Bieters hielt, sich der Bieter im Vergabeverfahren für den Nachweis seiner Eignung auf die Eignung dieser Gesellschafterin stützte und auch die Abwicklung der ausgeschriebenen Dienstleistung in erheblichem Umfang über deren Personal, Organisation und Ressourcen erfolgen sollte (Beschluss des Senats vom 9. April 2009 -13 Verg 7/08, zitiert nach [...], Tz. 123). Damit sind die vorliegenden Verhältnisse nicht vergleichbar. Herr B. war für den DRK-Kreisverband R.-S. e. V. und den Landesverband R. des DRK hauptamtlich tätig. Inwiefern diese Verbände mit der Beigeladenen zu 1 in Bezug stehen, ist nicht ersichtlich. Eine enge Verbindung zwischen diesen Verbänden und der Beigeladenen zu 1 ist nicht erkennbar. Die Beigeladene zu 1 nimmt auch nicht für die Durchführung des Auftrags auf die Ressourcen des DRK-Landesverbandes R.-P. oder des Kreisverbandes R.-S. Bezug.

66

Schließlich erfordert der Tatbestand des § 16 Abs. 1 Nr. 2 VgV eine Tätigkeit, die in ihrer Intensität mit der Alternative des "Beratens" gleichgesetzt werden kann (Beschluss des Senats vom 9. April 2009 -13 Verg 7/08 zitiert nach [...], Tz. 119; H.-M. Müller in: Byok/Jäger, a.a.O., §§ 16 VgV Rn. 1668. Auch daran fehlt es.

67

dd)

Für Herrn K. gilt Entsprechendes. Eine Tätigkeit für die Beigeladene zu 1 ist ebenfalls nicht erkennbar. Herr K. ist Vorsitzender des Kreisverbandes des Bayrischen Roten Kreuzes in S. Er hält Vorträge für verschiedene Bildungsträger, u.a. auch für die DRK-Service GmbH und war ebenfalls in der Vergangenheit in den unterschiedlichsten Landes- und Kreisverbänden des DRK rechtsberatend tätig (u.a. auch bei der Erstellung einer "Musterausschreibung" für den Landesverband H. im Oktober 2010). Dass er eine starke Affinität zum DRK hat und ausgebildeter Rettungsassistent ist, erfüllt nicht den Tatbestand "beraten oder sonst unterstützen" im Sinne von § 16 Abs. 1 VgV. Eine konkrete Tätigkeit für die Beigeladene zu 1 lässt sich daraus nicht herleiten.

68

Eine Mitwirkung von Rechtsanwalt K. bei der Erstellung eines Gutachtens vom 9. Juli 2008 durch die Kanzlei Graf von W. ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin auch nicht "in diesem Verfahren" (§ 16 Abs. 1 VgV) erfolgt. Dabei kann dahinstehen, wer Auftraggeber dieses Gutachtens war. Die beratende Tätigkeit muss sich zumindest auch auf das konkrete Vergabeverfahren beziehen (Ganske in: Reidt/Stickler/Glahs, a. a. 0., § 16 Rdn. 21). Zum einen betraf das Gutachten die grundsätzliche Frage, ob Rettungsdienstleistungen in einem förmlichen Vergabeverfahren ausgeschrieben werden müssen, und erstreckte sich damit sachlich auf den Versuch einer Einflussnahme auf den entsprechenden Entscheidungsprozess beim Regierungspräsidenten der "Region H." und nicht auf das vorliegende konkrete Vergabeverfahren. Zum anderen ist das Gutachten zeitlich lange vor dem vorliegenden Vergabeverfahren erstellt worden.

69

ee)

Auch in dem neuen Schriftsatz vom 29. August 2011 hat die Antragstellerin keine Verbindungen der beiden Rechtsanwälte zu der Beigeladenen zu 1 angeführt, die den Tatbestand des § 16 Abs. 1 VgV erfüllen. Allein die gesellschaftsrechtlichen Strukturen des DRK und seiner Landes- und Ortsverbände sind kein Beleg für eine Tätigkeit für die Beigeladene zu 1.

70

c)

§ 16 Abs. 1 Nr. 3 a VgV greift von vornherein nicht ein, weil weder Rechtsanwalt B. noch Rechtsanwalt K. bei der Beigeladenen zu 1, der DRK Transportdienste in der Region H. GmbH beschäftigt oder dort Mitglied im Vorstand, Aufsichtsrat oder einem gleichartigen Organ sind.

71

d)

Auch die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 3 b VgV liegen nicht vor. Diese Norm regelt die Fälle, in denen ein Unternehmen durch den Auftraggeber in das Vergabeverfahren eingeschaltet wird, also als Beauftragter des Auftraggebers tätig wird. Dieses Unternehmen muss dann zugleich geschäftliche Beziehungen zum Bieter haben. Die Mitarbeiter eines Unternehmens, die in ein konkretes Vergabeverfahren durch den Auftraggeber eingeschaltet sind, dürfen nicht zugleich geschäftliche Beziehungen zu einem Bieter oder Bewerber unterhalten, insbesondere nicht als Mitarbeiter des beauftragten Unternehmens auf das Vergabeverfahren Einfluss nehmen (Ganske in: Reidt/Stickler/Glahs, a. a. 0., § 16 VgV Rn. 31; Dippel in: jurisPK - VergR, 3. Aufl., 2011, § 16 Rn. 27). Eine Tätigkeit der K. Rechtsanwalts mbH, die für die Antragsgegnerin tätig ist, zugleich für die Beigeladene zu 1 ist nicht erkennbar. Die Beratung des DRK Bundesverbandes im Hinblick auf das Kontrollsystem reicht dafür nicht aus. Es ist schon nicht erkennbar, ob hier wirklich die K. Rechtsanwalts mbH berät und nicht die K. AG Wirtschaftsprüfung. Jedenfalls wird nicht die Beigeladene zu 1 beraten.

72

3.

Die Beigeladene zu 1 verstößt auch nicht gegen § 6 Abs. 1 VOL/A. Zwar erwähnt der ergänzende Vergabevermerk der Stadt H. vom 13. Juli 2011 als Bieterin auf das Los 1 neben der Beigeladenen zu 1 auch eine Bietergemeinschaft aus der Beigeladenen zu 1 und dem Rettungsdienst und Krankentransport A. Gemeinnützige GmbH. Mehrfachbeteiligungen können gegen den geheimen Wettbewerb verstoßen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. September 2003 - Verg 52/03, BeckRS 2004, 02041, I. B. 2. a) bb)). Es handelt sich jedoch um einen offensichtlichen Schreibfehler. Ausweislich der Vergabeakten haben lediglich fünf Bieter auf das Los 1 geboten haben, von denen drei gewertet worden sind, wobei eine Bietergemeinschaft nicht darunter ist.

73

4.

Der Senat ist entgegen der Antragstellerin nicht gem. § 124 Abs. 2 Satz 1 1. Alt. GWB verpflichtet, die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen. Der Senat weicht nicht von einer Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichtes ab.

74

Eine Vorlagepflicht besteht nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs dann, wenn das vorlegende Gericht als tragende Begründung seiner Entscheidung einen Rechtssatz zugrunde legen will, der mit einem die Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts tragenden Rechtssatz nicht übereinstimmt (BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2008, X ZB 31/08 - Rettungsdienstleistungen, zit. nach [...], Tz. 9). In dem nach der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingereichten Schriftsatz vom 29. August 2011 hat die Antragstellerin den insoweit maßgeblichen Rechtssatz des OLG Hamburg ("tragende rechtliche Erwägung") wie folgt angegeben: Eine Person hat auch dann an Entscheidungen im Vergabeverfahren mitgewirkt, wenn sie an der Fassung der Ausschreibung nur im Vorfeld beratend mitwirkt, die Ausschreibung als solche aber nicht mitbeschließt und auch im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht mitentscheidet.

75

Der Senat kann nicht erkennen, dass er in der vorliegenden Entscheidung sich auf einen Rechtssatz gestützt hat, der dazu im Widerspruch steht. Er geht vielmehr ebenfalls davon aus, dass die Rechtsanwälte B. und K. an der Entscheidung in dem Vergabeverfahren auf Seiten der Antragsgegnerin mitgewirkt haben (s. o. 2 a).

76

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 120 Abs. 2, 78 GWB. Weil die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde erfolglos bleibt, muss sie die Kosten tragen.

77

Für die Antragsgegnerin war es notwendig, einen Verfahrensbevollmächtigten hinzuzuziehen. Dies kann nicht allgemein, sondern nur an Hand der Umstände des Einzelfalles entschieden werden und richtet sich nach den objektiv anzuerkennenden Erfordernissen im jeweiligen Einzelfall nach einer ex-ante-Prognose (vgl. Senat, Beschluss vom 09.02.2011 - 13Verg 17/10, zitiert nach [...], Tz. 5). Im vorliegenden Verfahren geht es zu einem wesentlichen Teil um spezifisch vergaberechtliche, das Verfahren betreffende Probleme (z.B. Rügepflicht, § 16 VgV), die spezielle Rechtskenntnisse erfordern und nicht das "materielle" Vergaberecht betreffen, mit dem eine Vergabestelle im alltäglichen Geschäft regelmäßig zu tun hat.

78

Der Antragstellerin werden auch die Aufwendungen der Beigeladenen zu 1 auferlegt. Hat sich der Beigeladene in einen bewussten Interessensgegensatz zu der unterlegenen Partei gestellt und das Verfahren durch eigene Anträge gefördert, so entspricht die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen regelmäßig billigem Ermessen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Februar 2006 -Verg 57/05, BeckRS 2006, 04699; Glahs in: Reidt/Stickler/Glahs, a.a.O., § 128 Rn. 22). Die Beigeladene zu 1 ist den Angriffen der Antragstellerin im Hinblick auf ihre Geeignetheit und dem Mitwirkungsverbot entgegengetreten und hat sich durch Antragstellung an dem Verfahren vor der Vergabekammer beteiligt.

79

Der Beigeladenen zu 2 ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten, entspricht nicht der Billigkeit, weil sie sich nicht aktiv an dem Beschwerdeverfahren durch Sachanträge und/oder substantielles Vorbringen beteiligt hat (vgl. Wiese in:

80

Kulartz/Kus/Portz, a. a. 0., § 128 Rn. 69).