Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 27.09.2011, Az.: 4 AR 51/11

Anforderungen an die Pflicht des Insolvenzgerichts zur Ermittlung aller bedeutenden Umstände vor der Verweisung an ein anderes Gericht gem. §§ 3, 5 InsO

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
27.09.2011
Aktenzeichen
4 AR 51/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 27431
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2011:0927.4AR51.11.0A

Fundstellen

  • ZIP 2012, 1263-1264
  • ZInsO 2011, 2004-2005

Redaktioneller Leitsatz

Leitsätze des Einsenders:

  1. 1.

    Vor einer Verweisung hat das verweisende Insolvenzgericht die für § 3 Abs. 1 InsO bedeutsamen Umstände von Amts wegen gem. § 5 Abs. 1 InsO zu ermitteln, ansonsten ist der Beschluss willkürlich.

  2. 2.

    Die Nichtanhörung der Insolvenzschuldnerin vor Verweisung darf nicht ohne substanziierte Begründung mit dem Verweis auf eine "Gefährdung des Insolvenzverfahrens" unterlassen werden.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin hat unter dem 8.8.2011 beim AG Lüneburg einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragsgegnerin gestellt. Ausweislich des bei den Akten befindlichen Handelsregisterauszuges des AG Lüneburg hatte die Antragsgegnerin ihren Sitz zunächst in Bleckede unter der Geschäftsanschrift ... Ausweislich des Handelsregisters des AG Hamburg v. 27.9.2010 befindet sich der Sitz der Antragsgegnerin nunmehr in Hamburg unter der Geschäftsanschrift .... Einzelvertretungsberechtigt ist der Vorstand ..., Bleckede. Die Verlegung des Sitzes der Antragsgegnerin nach Hamburg ist unter dem 29.9.2010 im Handelsregister des AG Lüneburg eingetragen worden. Mit Schreiben v. 14.6.2011 der Antragstellerin an die Antragsgegnerin unter der Anschrift ihres Vorstands in Bleckede ist die Antragsgegnerin unter Hinweis erfolglos durchgeführter Zwangsvollstreckungsmaßnahmen am 27.5.2011 bei ihr auf das nunmehr einzuleitende Insolvenzverfahren hingewiesen worden. Das AG Lüneburg hat der Antragstellerin mitgeteilt, aufgrund der Verlegung des Sitzes der Antragsgegnerin zur Entscheidung über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zuständig zu sein, dieser Antrag vielmehr beim AG Hamburg zu stellen sei. Daraufhin hat die Antragstellerin die Verweisung an das zuständige AG Hamburg beantragt und das AG Lüneburg hat sich mit Beschl. v. 24.8.2011 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das örtlich zuständige AG Hamburg verwiesen. Das AG Lüneburg hat die Antragsgegnerin zuvor nicht angehört und hierzu ausgeführt, eine erstmalige Unterrichtung der Antragsgegnerin von dem Insolvenzverfahren im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung hätte zu einer Gefährdung des Verfahrens führen können, da die Antragsgegnerin zuvor noch keine Kenntnis von dem Insolvenzantrag gehabt habe. Das AG Hamburg hat sich mit Beschl. v. 8.9.2011 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem OLG Celle zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Das AG Hamburg erachtet den Verweisungsbeschluss des AG Lüneburg für willkürlich, da das verweisende Gericht weder eine Begründung zur angenommenen örtlichen Zuständigkeit abgegeben noch die primäre Zuständigkeit gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO gewürdigt habe. Diese Fragen unterfielen aber der Amtsermittlung des § 5 InsO, sodass das AG Lüneburg hätte ermitteln müssen, ob in seinem Bezirk noch eine Geschäftstätigkeit der Antragsgegnerin ausgeübt bzw. eine solche in Hamburg aufgenommen worden sei. Auf den Inhalt des Beschlusses des AG Hamburg v. 8.9.2011 wird Bezug genommen.

2

II.

Das OLG ist zur Entscheidung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zuständig. Mit der Sache befasst waren das zunächst angerufene AG Lüneburg sowie das AG Hamburg als das von der Antragstellerin in ihrem Verweisungsantrag bezeichnete Gericht. Die AG gehören verschiedenen OLG-Bezirken an und das AG Lüneburg, das zum Bezirk des OLG Celle gehört, war das zuerst mit der Sache befasste Gericht.

3

Als zuständiges Gericht ist das AG Lüneburg bestimmt worden. Der Verweisungsbeschl. v. 24.8.2011 bindet das AG Hamburg nicht, da dieser Beschluss nicht gem. § 4 InsO, § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend ist. Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfällt, wenn der Verweisungsbeschluss unter der Verletzung des rechtlichen Gehörs ergeht oder auf Willkür beruht. Ein Fall der Willkür liegt vor, wenn der Verweisungsbeschluss nicht nur inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist, sondern bei verständiger Würdigung der das GG beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (z.B. BGH, NJW 2003, 3201 [BGH 10.06.2003 - X ARZ 92/03]). Eine Verweisung kommt insbesondere nur dann in Betracht, wenn bei dem Gericht, bei dem die Sache rechtshängig ist, ein Gerichtsstand nicht eröffnet ist und im Rahmen eines Insolvenzverfahrens sind gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO die für das Insolvenzverfahren bedeutsamen Umstände von Amts wegen zu ermitteln. Hierzu gehört die Ermittlung der Umstände, die die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts betreffen, insbesondere auch die umfassende Prüfung sämtlicher Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 InsO (BGH, NJW 2006, 847; OLG Celle, NZI 2010, 194 [OLG Celle 11.01.2010 - 4 AR 3/10]; OLG SchlH, NZI 2010, 260 [BGH 22.10.2009 - IX ZB 49/08]). Vorliegend handelt es sich um eine willkürliche Entscheidung des AG Lüneburg, weil es entgegen seiner Verpflichtung gem. § 5 InsO den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt hat, um die eigene Unzuständigkeit zu begründen. Das AG Hamburg weist zu Recht darauf hin, dass die örtliche Zuständigkeit des § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO nur dann greift, wenn nicht eine ausschließliche Zuständigkeit aus § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO gegeben ist. Danach könnte sich nämlich eine ausschließliche Zuständigkeit des AG Lüneburg ergeben, wenn die Antragsgegnerin ihre Tätigkeit immer noch in dem dortigen AG-Bezirk ausübt, mithin dort noch der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit liegt. Dies hätte das AG Lüneburg aufklären müssen, weil es Anhaltspunkte für eine weitere Tätigkeit der Antragsgegnerin in Bleckede gibt. Richtig ist zwar, dass der Sitz der Antragsgegnerin nach Hamburg verlegt wurde. Allerdings hat der alleinige und einzelvertretungsberechtigte Vorstand seine Anschrift in Bleckede beibehalten. Die an die Antragsgegnerin gerichtete Post ist noch im Juni 2011 ebenfalls an die Geschäftsanschrift in Bleckede gesendet worden und es spricht nichts dafür, dass die Antragsgegnerin dort nicht erreicht wurde. Ausweislich des Schreibens der Antragstellerin v. 14.6.2011 haben noch im Mai 2011 Zwangsvollstreckungsmaßnahmen bei der Antragsgegnerin in Bleckede stattgefunden und dies alles legt den Verdacht nahe, dass die Antragsgegnerin noch unter der Geschäftsanschrift in Bleckede den Mittelpunkt ihrer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Zumindest hätte sich das AG Lüneburg über diese Anhaltspunkte nicht hinwegsetzen dürfen, sondern den Sachverhalt weiter aufklären müssen. In diesem Zusammenhang kann sich das AG Lüneburg auch nicht darauf berufen, Ermittlungen bei der Antragsgegnerin hätten eine Gefährdung des Insolvenzverfahrens zur Folge und aus diesem Grunde sei es auch vertretbar, der Antragsgegnerin kein rechtliches Gehör zu gewähren. Es ist bereits nicht dargetan bzw. begründet worden, inwieweit das mögliche Insolvenzverfahren über das Vermögen der Antragsgegnerin durch Ermittlungen zum Ort ihrer Geschäftstätigkeit hätte gefährden werden können. Zum anderen ergibt sich aus dem Inhalt der Akten, dass bei der Antragsgegnerin bereits zahlreiche Vollstreckungsversuche innerhalb der letzten 2 Jahre durchgeführt wurden und der Antragsgegnerin spätestens seit dem Schreiben der Antragstellerin v. 14.6.2011 klar sein musste, dass unmittelbar ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen bevorstand. Im Ergebnis spricht aufgrund des Inhalts der Akten mehr dafür, dass eine Tätigkeit der Antragsgegnerin noch unter der früheren Geschäftsanschrift in Bleckede stattfindet, indessen Anhaltspunkte für eine wirtschaftlich selbstständige Tätigkeit in Hamburg nicht ersichtlich sind. Jedenfalls ist dies von dem zunächst angerufenen AG Lüneburg im Wege der Amtsermittlung zu klären.