Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 15.09.2011, Az.: 14 W 28/11
Berücksichtigung eines Anspruchs auf Prozesskostenvorschuss gegen den anderen Ehegatten im Rahmen der Prozesskostenhilfe; Anforderungen an den Nachweis eines manipulierten Verkehrsunfalls
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 15.09.2011
- Aktenzeichen
- 14 W 28/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 24818
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2011:0915.14W28.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 26.07.2011 - AZ: 3 O 87/11
Rechtsgrundlagen
- § 114 ZPO
- § 115 ZPO
- § 1363 BGB
- § 1360a BGB
Fundstellen
- NJW-Spezial 2012, 10
- VRR 2012, 64-65
Amtlicher Leitsatz
1. Zu dem einsetzbaren Vermögen i. S. d. § 115 Abs. 3 ZPO zählt auch ein realisierbarer Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gegen den anderen Ehegatten gemäß § 1360a Abs. 4 BGB. Deshalb ist in einem aussagekräftigen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe jedenfalls nach Hinweis des Gerichts darzulegen, dass der Antragsteller außerstande ist, die Prozesskosten im Wege eines durchsetzbaren Prozesskostenvorschussanspruchs aufzubringen.
2. Zu den Voraussetzungen eines ´gestellten´ oder ´manipulierten´ Verkehrsunfalls.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
Die gemäß §§ 127 Abs. 4, 567 f. ZPO zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zu Recht zurückgewiesen. Unabhängig davon, dass bereits erhebliche Zweifel daran bestehen, ob und inwieweit die Antragstellerin ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nach tatsächlich nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (1.), hat die beabsichtigte Rechtsverfolgung jedenfalls keine Aussicht auf Erfolg (2.).
1. Der Senat kann im gegenwärtigen Verfahrensstand nicht erkennen, dass die Antragstellerin i. S. d. § 114 S. 1 ZPO der Prozesskostenhilfe bedarf.
a) Für die Beurteilung dieser Frage ist zunächst nicht das Familieneinkommen beider Ehegatten, sondern nur das der Antragstellerin selbst maßgeblich (vgl. nur Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 115 Rdnr. 7 m. w. N.). § 115 ZPO schließt eine Zusammenrechnung der Einkommen sämtlicher Familienmitglieder aus, mögen die Einkünfte der anderen Familienmitglieder auch faktisch allen zugute kommen. Dies entspricht auch der Regelung in § 1363 Abs. 2 BGB.
Allerdings zählt zu dem einsetzbaren Vermögen i. S. d. § 115 Abs. 3 ZPO auch ein realisierbarer Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gegen den anderen Ehegatten gemäß § 1360 a Abs. 4 BGB. Deshalb ist in einem aussagekräftigen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe darzulegen, dass der Antragsteller außerstande ist, die Prozesskosten im Wege eines durchsetzbaren Prozesskostenvorschussanspruchs aufzubringen (vgl. Zöller/Geimer aaO., § 115, Rdnrn. 67 und 71a. OLG Celle, Beschluss vom 5. Mai 2007, 17 WF 60/06, NJW RR 2006, 1304 [OLG Celle 05.05.2006 - 17 WF 60/06]). In diesem Rahmen kommt dann der Leistungsfähigkeit des Ehegatten Bedeutung zu, da ein Anspruch auf Prozesskostenvorschuss nicht realisierbar ist, wenn der verpflichtete Ehegatte seinerseits prozesskostenhilfebedürftig ist (vgl. z.B. Palandt/Brudermüller, BGB, 70. Aufl., § 1360a, Rdnr. 12, sowie OLG Celle, Beschluss vom 29. Juli 2009 - 10 WF 222/09, NJWRR 2010, 871).
Es ist deshalb entgegen der Ansicht der Antragstellerin in ihrer Beschwerde nicht ohne jede Bedeutung, ob und wie ihr Ehegatte angesichts der angegebenen Einkünfte ein (weiteres) Fahrzeug finanzieren kann.
b) Inwieweit dieser Punkt weiterer Aufklärung bedarf, weil es seitens des Landgerichts an einem entsprechenden Hinweis hierzu fehlt, weshalb die Antragstellerin von sich aus nicht zu den wirtschaftlichen Verhältnissen ihres Ehegatten vortragen musste (OLG Brandenburg, FamRZ 2002, 1414), kann dahinstehen:
Denn schon der Vortrag der Antragstellerin zu ihren eigenen wirtschaftlichen Verhältnissen ist in sich wesentlich widersprüchlich und deshalb nicht nachvollziehbar. Dies rechtfertigte bereits eine Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags, weil die Widersprüche nicht aufklärbar sind. So hat das Landgericht zu Recht mit Verfügung vom 29. April 2011 (Bl. 10/10R im PKHHeft) eine Erklärung darüber erfordert, wie die Antragstellerin bei den angegebenen Einkünften den streitbefangenen Mercedes (EKlasse, 3222 ccm Hubraum, 150 kW Leistung) einschließlich Steuern und Versicherung finanzieren konnte. Erst als Reaktion hierauf hat die Antragstellerin vorgetragen, das Fahrzeug mit Vertrag vom 21. Dezember 2010 lediglich für einen Bekannten in R. erworben zu haben, um es wenige Tage später dorthin zu transportieren (Schriftsätze vom 13.05.2001, Bl. 13 PKHHeft, und vom 11.06.2011, Bl. 76 f. d. A.). Nach diesem Vortrag bleibt aber unverständlich, warum die Antragstellerin für dasselbe Fahrzeug mit demselben amtlichen Kennzeichen ... (vgl. auch Bl. 8, 10 d. A.) bereits am 16. Dezember 2010 ein Verwarnungsgeld und am 1. Dezember 2010 Kraftfahrzeugsteuern für Oktober 2010 entrichtet hat (vgl. Blatt 3 und 5 des Kontoauszugs Nr. 19 vom 31.12.2010, Bl. 29 f. im PKHHeft).
2. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung ist darüber hinaus ohne Aussicht auf Erfolg:
a) Einem Erfolg der Klage steht schon entgegen, dass die Antragstellerin nicht den durch den Verkauf realisierten Restwert berücksichtigt hat. Mit Schriftsatz vom 11. Juni 2011 (Bl. 75 f. d. A.) hat sie mitgeteilt, das streitbefangene Fahrzeug etwa 1 ½ Monate nach dem Unfallereignis verkauft zu haben (Bl. 81 d. A.). Damit wurde der Pkw nach der behaupteten Kollision vom 24. Dezember 2010 nicht noch für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten weiter genutzt. Ein Integritätsinteresse der Antragstellerin ist somit nicht feststellbar. Somit wären die geltend gemachten "fiktiven" Reparaturkosten ohnehin nur bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswert unter Abzug des Restwerts ersatzfähig (vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Mai 2006 VI ZR 192/05, VersR 2006, 989). Nach dem von der Antragstellerin selbst vorgelegten Gutachten wäre dieser Betrag mit (vgl. Bl. 12 d. A.: 13.900 € Wiederbeschaffungswert abzüglich 7.270 € Restwert =) lediglich 6.630 € anzusetzen, statt der begehrten 10.266,23 €.
b) Weiter fällt auch hier der widersprüchliche Vortrag der Antragstellerin ins Gewicht. Sie trägt nach den Hinweisen der Kammer vom 29. April 2011 (Bl. 10 PKHHeft) und vom 20. Mai 2011 (Bl. 67 d. A.) vor, sie habe einen Geldbetrag von 17.500 € zum Erwerb des streitbefangenen Pkw von einem Bekannten aus R. erhalten, um für diesen ein Fahrzeug auszusuchen, das dann aber ´zunächst auf sich anmelden und selbst nutzen´ sollte, ohne ´rote Nummernschilder´ (Bl. 76 unten/77 oben d. A.), obwohl das Fahrzeug nur ´wenige Tage nach dem Kauf nach R. gebracht werden´ sollte und die Antragstellerin ´zu keinem Zeitpunkt vorgehabt´ haben will, ´das Fahrzeug für mich zu behalten´, wie sie an Eides statt versichert hat (Bl. 14 im PKHHeft). Der Kaufpreis betrug 15.300 € (Bl. 83 d. A.). Nach dem Unfallereignis habe der ´Besteller´ C. S. an dem beschädigten Fahrzeug ´kein Interesse´ mehr gehabt habe (Bl. 77 unten d. A.). Der Wagen wurde aber anderweitig verkauft, wobei hierzu die näheren Umstände nicht vorgetragen sind. Dass der Fahrzeugbesteller aber einerseits ganz auf die ausgereichten 17.500 € verzichtete, andererseits dafür nicht wenigstens eine angemessene Ersatzleistung oder den Verkaufserlös erhalten hat, ist schwer vorstellbar.
Für den der Klägerin entstandenen Schaden ist zudem bedeutsam, dass dann, wenn sich der Fahrzeugbesteller S. (nur) mit der Auskehr des Weiterverkaufspreises an ihn begnügt hätte (so unwahrscheinlich das sein mag), jedenfalls der Antragstellerin kein Vermögensnachteil entstanden wäre. So wären ihr schon die nach dem PkwKauf für 15.300 € übrigen 2.200 € der erhaltenen 17.500 € verblieben.
Doch selbst wenn sie dem Besteller S. den Veräußerungserlös, die 2.200 € und die verbleibende Differenz bis zur Höhe der erhaltenen 17.500 € insgesamt ausgeglichen hätte, stünde sie im Vermögen nicht schlechter, als ohne den Unfall: Sie hätte 17.500 € erhalten und wieder abgegeben.
Nur in dem Fall, dass sie einerseits dem Besteller S. insgesamt die vollen 17.500 € erstattet haben sollte, andererseits aber selbst für die Reparaturkosten des Pkw einzustehen hätte oder einen um diesen Wert geminderten Pkw im Eigentum hätte, wäre ihr ein vermögenswerter Nachteil entstanden. Da die Antragstellerin den Pkw aber veräußert hat, ist dafür nichts ersichtlich.
Diese Umstände sprechen dafür, dass sich die Antragstellerin mit Hilfe des Vorgangs auf Kosten der Antragsgegnerin zu 2 bereichern möchte.
c) Neben diesen Ungereimtheiten in Bezug auf den Fahrzeugerwerb besteht aber vor allem ein nicht erschütterter Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Unfall "gestellt" worden ist, um Ersatzansprüche zu erlangen (vgl. dazu auch Senat, Urteile vom 30. Juni 2010 - 14 U 6/10, Prozessrecht aktiv 2010, 156 = OLGReport Nord 29/2010, Anm. 9. vom 18. April 2007 - 14 U 176/06, OLGR 2007, 467. vom 21. Februar 2006 - 14 U 149/05, OLGR 2006, 273. alle Urteile vollständig bei juris abrufbar). Hierfür sind folgende Indizien ausschlaggebend:
Der behauptete Unfall fand am 24. Dezember 2010 gegen 21:00 Uhr und damit bei Dunkelheit und insgesamt zu einer Zeit statt, in der mit großer Sicherheit nicht mit unbeteiligten Unfallzeugen zu rechnen war. Dementsprechend ist der einzige Zeuge des Vorfalls der Ehemann der Antragstellerin als Fahrzeugführer.
Der Unfallverlauf ist einfach und legte eine Kollision durchaus nicht nahe. Warum der Fahrzeugführer in Anbetracht der Straßenführung, der intakten Beleuchtung und der gut erkennbaren Beschilderung sowie des ganz geringen Verkehrs dennoch von einem eigenen Vorfahrtsrecht ausgegangen sein will, hat er selbst nicht erklären können (vgl. Anlage K 1, Bl. 8 f. d. A., und zur Unfallörtlichkeit Anlage B 5, Bl. 72 d. A.).
Die Unfallschilderung, wie auch die weitere Schilderung des gesamten Vorganges, der dem Anspruch zugrundegelegt wird, bleibt undurchsichtig und widersprüchlich, wie dargelegt.
Gleichwohl ist der (angebliche) Schädiger sofort geständig (vgl. auch Bl. 9 d. A.).
Die Beteiligten des Geschehens kannten sich zwar - nach ihrer Darstellung nicht persönlich. es bleibt aber auffällig, dass sie sämtlich aus Tschetschenien stammen. Innerhalb Deutschlands und insbesondere im Ereignisgebiet legt dies doch eine Bekanntschaft nahe. ein rein "zufälliges" Zusammentreffen erscheint - gerade noch zu der ungewöhnlichen Zeit sehr unwahrscheinlich.
Der geschädigte Pkw Daimler Benz EKlasse, 3222 ccm Hubraum, 150 kW Leistung, Erstzulassung 2003, in gepflegtem Zustand (Bl. 13 f., 19 f. d. A.), ist ein Fahrzeug der Oberklasse, der schädigende VW Golf dagegen ein deutlich geringerwertigeres Fahrzeug.
Der geschädigte Pkw hat an genau der Stelle, an der er bei dem behaupteten Unfallereignis beschädigt worden sein soll, einen Vorschaden aufzuweisen (vgl. Bl. 14, 39, 44 f. und 47 d. A.), in beiden Fällen an der rechten Seite des Wagens.
Der Vorschaden wurde verschwiegen (vgl. auch Bl. 14 d. A.).
Die Unfallschäden sind an relativ "harmlosen" Fahrzeugpartien aufgetreten und lassen damit auch eine erheblich kostengünstigere Reparatur außerhalb markengebundener Fachwerkstätten zu (vgl. auch Bl. 9, 15, 19 f. d. A.).
Kurze Zeit nach dem Ereignis sind die beteiligten Wagen einer weiteren Nachprüfung und Untersuchung entzogen worden. So hat ein von der Antragsgegnerin zu 2 beauftragter Gutachter den Pkw des Antragsgegners zu 1 nach dem Unfall nicht mehr in Augenschein nehmen können, da er schon verkauft worden war.
Die Antragstellerin rechnet fiktiv auf Basis eines Sachverständigengutachtens ab und beziffert danach ihre Ansprüche (obwohl das gerade in diesem Fall besondere Fragen aufwirft, wie erwähnt).
Der geschädigte Wagen Daimler Benz ist erst relativ kurz vor dem behaupteten Verkehrsunfall auf die Antragstellerin zugelassen worden, zudem unter zweifelhaften Umständen, wenn man den Vortrag der Antragstellerin zugrunde legt.
Die gebotene Gesamtschau rechtfertigt zur Überzeugung des Senats aufgrund der Fülle der für einen manipulierten Unfall sprechenden Indizien keine andere Bewertung (zumindest im Sinne eines Anscheinsbeweises) als die Annahme eines gestellten Unfalls. Dass einige der Indizien möglicherweise für sich genommen entkräftet oder anders erklärt werden könnten, ist deshalb ohne Bedeutung (vgl. auch Senat aaO. KG, NZV 2008, 243 f. [KG Berlin 29.11.2007 - 12 U 185/07][KG Berlin 29.11.2007 - 12 U 185/07]. OLG Karlsruhe, VersR 2007, 1365 f.. OLG Koblenz, NJWRR 2006, 95 f.).
d) Dass die Antragstellerin zum Beweis für den von ihr dargelegten Unfallverlauf ihren Ehegatten als Zeugen benannt hat, rechtfertigt keine andere Bewertung und kann ebenfalls nicht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe begründen. Denn selbst wenn der (unfallbeteiligte) Ehegatte der Antragstellerin, dem wohl ein gewisses Eigeninteresse am Ausgang eines potentiellen Rechtsstreits nicht abgesprochen werden dürfte, genau den Vortrag der Antragstellerin bestätigte, wären damit nicht die zahlreichen, für eine Unfallmanipulation sprechenden Indizien zugunsten der Antragstellerin erschüttert.
Bei der im Prozesskostenhilfeverfahren zulässigen summarischen Würdigung, die auch in sehr eingeschränktem Rahmen - soweit eine positive Beweiswürdigung ausgeschlossen ist - eine vorweggenommene Beweiswürdigung zulässt, erscheint es jedenfalls aussichtslos, dass die Aussage des Zeugen E. angesichts der feststehenden übrigen Umstände den Anspruch der Antragstellerin begründen könnte.
e) Somit scheidet eine Haftung der Antragsgegner aus. Manipulierte Unfälle sind nicht Teil der vom Versicherer übernommenen "Gefahr" i. S. d. § 117 Abs. 3 VVG. Eine Leistungspflicht Dritten gegenüber entfällt. Außerdem kommt bei einer rechtfertigenden Einwilligung in die Rechtsgutsverletzung durch die Antragstellerin ein Schadensersatzanspruch weder aus Gefährdungshaftung noch aus Deliktsrecht in Frage. Somit besteht auch kein Direktanspruch aus § 115 VVG i. V. m. § 1 PflVersG gegen die Antragsgegnerin zu 2.
3. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gemäß § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet (vgl. nur Zöller/Philippi, aaO., § 127 Rdnr. 39). Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil es an den dafür erforderlichen Voraussetzungen gemäß § 574 ZPO fehlt.