Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 29.09.2011, Az.: 8 U 58/11

Anpassung alter AVB

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
29.09.2011
Aktenzeichen
8 U 58/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45200
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG - 28.02.2011 - AZ: 8 O 303/10

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Versicherer kann sich auch dann zur Begründung seines Regressanspruchs gegen den Versicherungsnehmer nicht auf seine alten AKB 2005 berufen, wenn er seine AKB zwar umgestellt hat, er aber deren Zugang nicht beweisen kann, und der Versicherungsnehmer vorsätzlich gegen Obliegenheiten verstoßen hat (Trunkenheitsfahrt im Jahr 2009).

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das am 28. Februar 2011 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Verden geändert; die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird gestattet, die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung eines die vollstreckbare Forderung um 20 % übersteigenden Betrages abzuwenden, soweit nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 16.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die klagende Versicherung macht gegen ihren früheren Versicherungsnehmer Regressansprüche geltend.

Zwischen den Parteien bestand ein Haftpflichtversicherungsvertrag für einen VW LT, amtliches Kennzeichen: …. Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Klägerin mit Stand 1. Mai 2005 zugrunde (Bl. 25 ff., Versicherungsschein Bl. 57 f.). § 2 b) Abs. 2 AKB sieht eine Leistungsfreiheit des Versicherers vor, wenn der Fahrer infolge Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Nach § 2 b) Abs. 3 AKB ist in einem solchen Fall die Leistungsfreiheit auf den Betrag von höchstens je 5.000,00 € beschränkt. § 7 I. Abs. 2 AKB regelt die Aufklärungs- und Mitwirkungsobliegenheiten des Versicherungsnehmers nach Eintritt des Versicherungsfalls. Die Folgen einer solchen Obliegenheitsverletzung bestimmt § 7 VI. Abs. 2 AKB dahingehend, dass die Leistungsfreiheit des Versicherers auf einen Betrag von maximal 2.500,00 € beschränkt ist, sich aber auf einen Betrag von maximal 5.000,00 € erweitert bei vorsätzlich begangener Verletzung der Aufklärungs- oder Schadensminderungspflicht, z. B. bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort.

Im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit, nämlich mit einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,6 g ‰, fuhr der Beklagte am frühen Morgen des 7. Juli 2009 mit dem versicherten VW L. Gegen 04:40 Uhr stieß er gegen einen ordnungsgemäß abgestellten Pkw M., wenig später gegen einen ebenfalls parkenden VW P. In beiden Fällen entfernte sich der Beklagte vom Unfallort. Die Klägerin zahlte an die Geschädigten in einem Fall mehr als 10.000 €, im zweiten Fall 2.313,26 € (Bl. 16, 23 f.). Wenig später stieß der Beklagte mit einem ihm entgegenkommenden Pkw Opel T. frontal zusammen, wobei ein von der Klägerin erstatteter Schaden in Höhe von über 10.000 € entstand (Bl. 20).

Die Klägerin behauptet Regressforderungen über 10.000,00 €, 2.313,26 € und 5.000,00 €. Sie hat die Auffassung vertreten, maßgeblich seien die neuen AKB, von denen der Beklagte Kenntnis gehabt habe, weil die Klägerin ihm eine synopsenartige Zusammenstellung, betreffend insbesondere die Änderungen in §§ 2 b) und 7 AKB (Bl. 31/31 R.), übersandte habe. Ihr stehe der klagweise geltend gemachte Betrag von 14.369,35 € zu, wobei die Differenz zu 17.313,26 € darauf beruhe, dass Ansprüche der Berufsgenossenschaft der beim letztgenannten Unfall verletzten Fahrzeugführerin in Höhe von 2.943,91 € nicht ausgeglichen worden seien.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 14.369,35 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.01.2010 zu zahlen.

Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt.

Er hat eine wirksame Anpassung der AKB in Abrede genommen. Die der Regressforderung zugrundeliegenden AKB seien gemäß § 306 Abs. 2 BGB unwirksam. Die neuen AKB (Bl. 72 ff.) seien in das Versicherungsverhältnis nicht wirksam aufgenommen worden. Überdies handele es sich um nur eine Fahrt, sodass allenfalls Leistungsfreiheit in Höhe von 2 x 5.000,00 € bestehe.

Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben.

Es lägen drei Schadensfälle vor. Von einer Umstellung der AKB könne nicht ausgegangen werden; für den von der Klägerin behaupteten Zugang der umgestellten Vertragsbedingungen sei sie beweisfällig geblieben. Inwieweit in einem Fall nicht erfolgter Umstellung die alten, ursprünglich vereinbarten Vertragsbedingungen unwirksam seien oder aber jedenfalls in gewissem Umfang ihre Wirksamkeit behielten, sei strittig, wobei der Meinungsstand näher dargelegt wird. Zugrunde zu legen sei die Ansicht, die vorliegend dazu führe, dass die Klägerin in Höhe der geforderten Beträge leistungsfrei bleibe. Auch gemäß § 28 VVG sei der Versicherer bei vorsätzlichen Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers leistungsfrei. Überdies wichen hinsichtlich der hier in Rede stehenden vorsätzlichen Obliegenheitsverletzungen die AKB 2005 nicht vom VVG 2008 ab. Schließlich liege hinsichtlich einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt eine gesetzliche Regelung in § 5 KfzPflVV vor, sodass sich der Beklagte hinsichtlich dieser Obliegenheit schon nicht auf eine vertragliche Unwirksamkeit berufen könne, denn es bestehe eine gesetzliche Regelung, die dem Versicherer Leistungsfreiheit gewähre.

Gegen das Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung, mit der er seinen Klagabweisungsantrag weiterverfolgt.

Der Beklagte wiederholt und vertieft seine Auffassung, wonach es sich um eine einheitliche Trunkenheitsfahrt handele. Die vom Landgericht vorgenommene Aufspaltung widerspreche einer natürlichen Betrachtung und erschließe sich einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht aus dem Text der Versicherungsbedingungen. Weiter könnten entgegen der Ansicht des Landgerichts die AKB 2005 keine Anwendung mehr finden. Es habe in der Hand des einzelnen Versicherers gelegen, die Bedingungen dem aktuellen Gesetzesstand anzupassen. Eine geltungserhaltende Reduktion dürfe nicht stattfinden.

Der Beklagte beantragt (Bl. 134, 111),

das angegriffene Urteil des Landgerichts Verden zur Geschäftsnummer 8 O 303/10 vom 28.02.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt (Bl. 135, 102),

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen, die beigezogenen Akten 244 Js 25299/09 Staatsanwaltschaft Verden, das angefochtene Urteil sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung des Beklagten hat Erfolg. Der geltend gemachte Anspruch steht der Klägerin aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

1. Zutreffend ist das Landgericht von drei Schadensfällen in Gestalt der Beschädigung von drei Pkw durch den Beklagten ausgegangen. Demgegenüber vertritt der Beklagte die Auffassung, dass es sich um einen einheitlichen Versicherungsfall handele, mit der Folge, dass von vornherein der Regressanspruch auf maximal 10.000,00 € begrenzt wäre.

Das hier zur Anwendung kommende VVG vom 23. November 2007 (VVG 2008) erwähnt in § 1 den Begriff des Versicherungsfalles, ohne ihn dort oder an anderer Stelle allgemein zu definieren. Die Vorschrift zeigt aber (Satz 1), dass der Versicherungsfall dasjenige Ereignis ist, das zwischen den Parteien als eine Leistungspflicht des Versicherers begründend zu vereinbaren ist. Auch in Teil II des VVG 2008 findet sich keine Begriffsbestimmung. Vereinbart ist der Begriff des Versicherungsfalls in § 7 I. Abs. 1 AKB 2005 dahingehend, dass Versicherungsfall im Sinne dieses Vertrages das Ereignis ist, das einen unter die Versicherung fallenden Schaden verursacht, oder - bei der Haftpflichtversicherung - Ansprüche gegen den Versicherungsnehmer zur Folge haben könnte. Die AKB 2008 haben diese Bestimmung unverändert gelassen (Bl. 31 R.).

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (vgl. BGHZ 123, 83, 85 m. w. N.). Daraus ergibt sich noch nicht, dass in einem Fall wie dem vorliegenden ein solcher Versicherungsnehmer ohne weiteres davon ausgehen könnte, dass eine Fahrt mit dem Pkw, die zu mehreren Unfällen führt, als ein einheitliches Ereignis aufzufassen wäre. Es kommt auf den Einzelfall an. Allein aus dem Umstand, dass drei Fahrzeuge beschädigt wurden, ergibt sich dabei für die Klägerin noch nichts. Dies kann ohne weiteres auch die Folge eines einheitlichen Ereignisses sein, etwa bei einem Kettenauffahrunfall. Vorliegend wurden aber drei Fahrzeuge an unterschiedlichen Orten beschädigt. Nach jeder der ersten beiden Beschädigungen setzte der Beklagte ungeachtet der Schäden an den fremden Fahrzeugen sowie an dem von ihm geführten Fahrzeug seine Fahrt fort. Bereits in den ersten beiden Fällen waren die Beschädigungen erheblich. Dass die Beschädigung des VW Passat nur zu einer relativ geringen Ersatzpflicht seitens der Klägerin führte, lag an dem nur noch geringen Wert dieses Fahrzeugs. An dem Pkw Mini entstanden Reparaturkosten in Höhe von über 10.000 €. Nach jedem dieser beiden Unfälle musste sich der Beklagte entschlossen haben, ungeachtet der eingetretenen Schäden seine Fahrt fortzusetzen. Dieser jeweils neue Beschluss und die räumliche Trennung der Schadensorte sprechen dagegen, von einem einheitlichen Ereignis und damit einem einzigen Versicherungsfall auszugehen. Dass man von einer einheitlichen Fahrt sprechen kann, genügt nicht, um diese als verbindende Klammer für alle Versicherungsfälle heranzuziehen und auf diesem Weg zu einem einheitlichen Ereignis zu gelangen. Dies wäre zugegebenermaßen dann deutlicher, wenn die Fahrt noch länger gedauert hätte und die Schadensorte noch weiter auseinander lägen.

Der Beklagte verkennt schon, dass es nicht darum geht, ob eine einheitliche Trunkenheitsfahrt vorliegt. Die Trunkenheitsfahrt als solche ist nicht der Versicherungsfall. Ansprüche Dritter, die die Klägerin zu befriedigen hatte, ergaben sich nicht aus der Fahrt selbst, sondern erst aus den jeweiligen Unfallereignissen.

Auch das Urteil des BGH vom 9. November 2005 (IV ZR 146/04) spricht für die hier und auch vom Landgericht bereits vertretene Auffassung. Es heißt dort (Rdnr. 21 bei juris):

„Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass mehrere Versicherungsfälle vorliegen, wenn zu unterschiedlichen Zeitpunkten Rechtsgüter unterschiedlicher Personen geschädigt werden. Anderes kann allenfalls dann gelten, wenn sich die einzelnen Schadensereignisse als Teil eines einheitlichen Vorgangs oder eines einheitlichen Geschehensablaufs darstellen (…). Ob ein solcher angenommen werden kann, ist nach der Verkehrsauffassung bei natürlicher Betrachtungsweise zu entscheiden. (Rdnr. 22) Anders als die Revision meint, erweisen sich die beiden vom Kläger verursachten Unfälle bei Anlegung dieser Maßstäbe als selbständige Versicherungsfälle. Beide sind im Abstand von etwa einer halben Stunde in verschiedenen Ortschaften geschehen und stehen damit weder in einem engen zeitlichen noch in einem engen räumlichen Zusammenhang.“

Der dortige Sachverhalt ist dem hiesigen sehr ähnlich. Der Versicherungsnehmer fuhr stark alkoholisiert und stieß im Abstand von etwa einer halben Stunde an unterschiedlichen Orten jeweils gegen am Fahrbahnrand abgestellte Fahrzeuge, wobei er die Unfallorte in beiden Fällen umgehend verließ und seine Fahrt fortsetzte.

Es liegt auch kein gedehnter Versicherungsfall vor, weil dieser zur Voraussetzung hätte, dass angenommen werden müsste, der mit dem ersten Unfall herbeigeführte Zustand habe angedauert und erst mit dem letzten Unfall sein Ende gefunden (vgl. BGH, NJW 1989, 3019 [BGH 12.04.1989 - IVa ZR 21/88]).

2. Es fehlt allerdings an der wirksamen Vereinbarung derjenigen Obliegenheit, auf deren Verletzung die Klägerin ihren Rückgriffsanspruch stützt.

a) Zu der Alkoholfahrt des Beklagten kam es im Jahr 2009. Anwendbar ist damit allein die Neufassung des VVG, wie sich aus Art. 1 Abs. 3 EGVVG ergibt. Für Obliegenheitsverletzungen, aus denen der Versicherer Folgen herleiten will, gilt § 28 VVG. Wie bereits § 6 VVG a. F. bestimmte, sind Obliegenheitsverletzungen dann von Belang, wenn sie (wirksam) vertraglich vereinbart sind. § 28 VVG selbst ist keine Rechtsgrundlage, aus der sich Obliegenheiten ableiten ließen. Art. 1 Abs. 3 EGVVG bestimmt, dass der Versicherer bis zum 1. Januar 2009 seine Allgemeinen Versicherungsbedingungen für Altverträge mit Wirkung zum 1. Januar 2009 ändern kann, soweit sie von den Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes abweichen, und er dem Versicherungsnehmer die geänderten Versicherungsbedingungen unter Kenntlichmachung der Unterschiede spätestens einen Monat vor diesem Zeitpunkt in Textform mitteilt. Dabei greift der Einwand der Klägerin in ihrer Berufungserwiderung, sie habe ihre Bedingungen ja umgestellt, lediglich der Zugang sei nicht nachweisbar, zu kurz. Aus Art. 1 Abs. 3 EGVVG ergibt sich nämlich nicht nur das Recht zur einseitigen Vertragsänderung durch Anpassung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen an die neue Rechtslage, sondern auch, dass die Änderung dem Versicherungsnehmer mitgeteilt werden muss. Nach allgemeinen Regeln hat den Zugang, dessen Notwendigkeit sich aus dem Mitteilungserfordernis in Art. 1 Abs. 3 EGVVG ergibt, der Absender, mithin hier die Klägerin, zu beweisen. Dies ist ihr nicht gelungen, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat. Zwar stellt der Vortrag des Beklagten im Schriftsatz vom 10. Januar 2011, er habe eine Veränderung der AKB entsprechend der Novelle des VVG nicht feststellen können (Bl. 67), möglicherweise noch kein ausreichendes Bestreiten des Zugangs dar, doch hat sich dies mit dem Schriftsatz vom 24. Januar 2011 geändert (Bl. 83). Für irgendwelche Beweiserleichterungen zugunsten des Versicherers sieht der Senat schon in Anbetracht des Wortlauts von Art. 1 Abs. 3 EGVVG keinen Raum. Im Übrigen gilt auch hier, dass Beweisnot für sich genommen keine Beweiserleichterungen zu rechtfertigen geeignet ist, ganz abgesehen davon, dass nicht die Rede davon sein kann, dass eine Beweisnot der Klägerin von ihr nicht zu vertreten wäre. Zwar könnte vorliegend der vorsätzlich handelnde Versicherungsnehmer als weniger schutzbedürftig erscheinen, wenn - wie vorliegend - der Versicherer seine Allgemeinen Versicherungsbedingungen immerhin angepasst hat, es aber "nur" an dem Nachweis des Zugangs an den Versicherungsnehmer fehlt. Doch erscheinen solche auf den Einzelfall bezogenen Fragen nach fehlender Schutzbedürftigkeit oder -würdigkeit nicht geeignet, die formale Frage des Zugangs zu umgehen. Für ebenso unvereinbar mit Art. 1 Abs. 3 EGVVG hält der Senat die Auffassung, der Versicherer habe bereits mit der Umstellung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen unabhängig vom Zugang alles Erforderliche zur Anpassung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen getan (so Wagner/Rattay, VersR 2010, 1271, 1276, wie hier hingegen wohl Wagner, VersR 2008, 1190, 1192 f.).

b) Die Parteien haben bei Vertragsschluss auf der Grundlage der AKB 2005 die Geltung von Obliegenheiten und die Folgen ihrer Verletzung vereinbart. Die zwischen den Parteien vereinbarten AKB 2005 sind mit der neuen Gesetzeslage, insbesondere der Aufgabe des „Alles-oder-nichts-Prinzips“, aber nicht mehr vereinbar. Ob dies zwangsläufig bedeutet, dass es an der Verletzung einer vertraglich vereinbarten Obliegenheit i. S. v. § 28 VVG von vornherein fehlt, ist strittig und bislang nicht höchstrichterlich geklärt. Die verschiedenen Auffassungen dazu sind im Wesentlichen im angefochtenen Urteil dargestellt worden (s. a. Langheid/ Wandt/Looschelders, Art. 1 EGVVG, Rdnr. 24 ff.). Weitgehende Einigkeit dürfte insoweit bestehen, als es um solche Klauseln geht, die bei Obliegenheitsver-stößen bei grober Fahrlässigkeit zur vollständigen Leistungsfreiheit führen.

Für den Fall vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung gilt Leistungsfreiheit nach § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG. Die Quotierung gilt lediglich im Falle grober Fahrlässigkeit, § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG. Auf Vorsatz kann es aber nach § 28 Abs. 3 VVG ankommen. Geschieht die Obliegenheitsverletzung nur vorsätzlich, aber nicht arglistig, besteht für den Versicherungsnehmer die Möglichkeit des Kausalitätsgegenbeweises. Damit ist eine Regelung getroffen, die jedenfalls in Teilen eine Neuregelung zugunsten des Versicherungsnehmers enthält (vgl. nur HK-VVG/Felsch, § 28 Rdnr. 45).

aa) Art. 1 Abs. 3 EGVVG ist insoweit unergiebig. Zum Teil wird darauf hingewiesen, Art. 1 Abs. 3 EGVVG beinhalte keine Pflicht zur Anpassung der AVB, sondern räume dem Versicherer lediglich ein Anpassungsrecht ein (vgl. ebenda, Muschner, Art. 1 EGVVG, Rdnr. 13 m. w. N.). Der Charakter der Freiwilligkeit bedeutet aber noch nicht, dass das Unterbleiben einer Änderung folgenlos bleiben müsse, schon weil es vorliegend nicht um die Frage einer Pflicht des Versicherers geht, die im Falle ihrer Verletzung zu Ersatzansprüchen gegen den Versicherer führen könnte, sondern nur darum, ob der Versicherer, wozu er naheliegenderweise durch das Gesetz nicht gezwungen wird, die Voraussetzungen dafür schafft, aus Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers Konsequenzen für das Vertragsverhältnis ableiten zu können. Dessen ungeachtet steht Art. 1 Abs. 3 EGVVG einer Auslegung dahingehend, dass es ausreicht, wenn die Folgen von Obliegenheitsverletzungen einmal wirksam vereinbart worden sind, nicht von vornherein entgegen, sodass weiterhin die alten Versicherungsbedingungen im Rahmen von § 28 VVG gelten können. Am ehesten dürfte eine solche Annahme in Betracht kommen, wenn es um vorsätzliche Obliegenheitsverletzungen geht (ein Fehlen von Vorsatz, den der Beklagte darzulegen und zu beweisen hatte, BGH, VersR 2003, 1561, hat er nicht behauptet).

bb) Die Frage nach der Aufrechterhaltung der Wirksamkeit "alter" AVB unter der Geltung der Neufassung des Versicherungsvertragsgesetzes ist nach Ansicht des Senats aufgrund der Prämisse zu beantworten, dass vertragliche Inhalte nicht nur wirksam vereinbart worden sein müssen, sondern dasjenige, was gelten soll, dem Versicherungsnehmer auch vollständig bekannt sein muss.

Danach gilt vorliegend zwar für die Tatbestandsseite, dass die in Betracht kommenden Obliegenheiten unverändert geblieben sind (Bl. 31), was auch der Beklagte nicht in Abrede genommen hat. Anders aber verhält es sich auf der Rechtsfolgenseite. Die neuen, nicht wirksam in den Versicherungsvertrag einbezogenen AKB enthalten, der Neufassung des § 28 VVG entsprechend, den Hinweis auf die Möglichkeit des Kausalitätsgegenbeweises. Dieser Hinweis fehlt naturgemäß in den alten AKB, die darüber hinaus die nun nicht mehr zutreffende Aussage enthalten, auch im Falle des Vorsatzes sei der Versicherer - in bestimmten Grenzen - von der Verpflichtung zur Leistung frei. Dass sich der Hinweis auf den Kausalitätsgegenbeweis aus der Neufassung des Versicherungsvertragsgesetzes selbst ergibt, kann nicht zu einer "Heilung" des Widerspruchs zwischen vertraglicher Vereinbarung und Gesetz führen. Schon Art. 1 Abs. 3 EGVVG zeigt, dass der Versicherungsnehmer gerade nicht gehalten sein soll, statt in den Vertrag ins Gesetz zu sehen. Auch in dem vom OLG Köln entschiedenen Fall (VersR 2010, 1592) verhielt es sich so, dass die Neuregelung für den Versicherungsnehmer günstiger als die von dem Versicherer verwendeten Versicherungsbedingungen war. Im Ergebnis wie hier hat das OLG Köln entschieden, dass es dann an einer wirksamen Vereinbarung i. S. v. § 28 VVG fehlt.

Die genannte Abweichung führt zur Unanwendbarkeit der alten AKB. Zwar begründet nicht jede Abweichung zwischen Klausel und Gesetz einen Fall der unangemessenen Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB und damit die Unwirksamkeit der Klausel, es braucht vielmehr eine Gesamtwürdigung (BGH, NJW 2003, 1447, 1448 [BGH 28.01.2003 - XI ZR 156/02]). Vorliegend gibt nach Ansicht des Senats den Ausschlag, dass der Beklagte unter Zugrundelegung der alten AKB möglicherweise von der Wahrung seiner Rechte aus dem Versicherungsverhältnis abgehalten wird, weil für den Fall vorsätzlichen Handelns er davon ausgehen muss, dass es keine Möglichkeit mehr gibt, dem Verdikt der Leistungsfreiheit des Versicherers und des Regresses zu entgehen. Eine solche Irreführung des Versicherungsnehmers, die zu vermeiden Sache des Versicherers als Verwender der Bedingungen war, kann nicht hingenommen werden. Damit steht auch fest, dass ein Verstoß gegen das Transparenzgebot vorliegt. Aus dem Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) folgt, dass die Rechtsposition des Vertragspartners nicht unklar geregelt sein darf. Bereits die Klauselfassung muss der Gefahr vorbeugen, dass der Kunde von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird. Durch eine unzutreffend oder missverständlich formulierte Klausel darf der Vertragspartner nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt werden (vgl. BGH, NJW-RR 2008, 251 [BGH 12.10.2007 - V ZR 283/06]; NJW 2001, 292, 301 f. [BGH 27.09.2000 - VIII ZR 155/99]; NJW 1996, 1407, 1408). Das muss gerade auch für Obliegenheiten im Hinblick auf die einschneidende Wirkung der Leistungsfreiheit gelten (s. BGH, VersR 2009, 1659).

cc) Eine geltungserhaltende Reduktion kommt nicht in Betracht. Dabei bedarf es keiner abschließenden Erörterung, inwieweit das sog. Verbot geltungserhaltender Reduktion überhaupt besteht. Ein allgemeingültiges Verbot dieser Art gibt es nicht, wie insbesondere die sog. „Anlass-Rechtsprechung“ zeigt (BGH, IX ZR 108/94, Urteil vom 18. Mai 1995, NJW 1995, 2553 [BGH 18.05.1995 - IX ZR 108/94]). Auch dort ging es um eine Interessenabwägung und konkret darum, wieso der Bürge von jedweder Verpflichtung freigestellt sein sollte, auch soweit sie an sich wirksam begründet worden war und nicht gegen § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB verstieß. Neuere Entscheidungen anderer BGH-Senate sprechen allerdings dafür, dass jedenfalls im Grundsatz das Verbot allgemeingültig sein soll (z. B. VII ZR 209/07, Urteil vom 7. April 2011; VIII ZR 86/10, Urteil vom 8. Dezember 2010, je zitiert nach juris). Anders als in dem vom BGH zu entscheidenden Fall aus dem Bürgschaftsrecht besteht vorliegend aber nicht die Möglichkeit einer Trennung des Versicherungsvertrages in einen unwirksamen und einen wirksamen Teil, und zwar nicht einmal hinsichtlich einer Differenzierung nach dem Verschuldensgrad bei Verletzung einer Obliegenheit. Eine geltungserhaltende Reduktion erscheint dem Senat schon deswegen vorliegend nicht möglich (s. a. LG Berlin, r+s 2011, 384, 385). Soweit man darauf abstellen wollte, dass dem Beklagten durch das Abstellen auf die ursprünglich vereinbarten alten AKB im konkreten Fall kein Nachteil entsteht, griffe dieser Hinweis nach obigen Ausführungen zu kurz.

dd) Weiter hat auch eine ergänzende Vertragsauslegung zu unterbleiben. Eine solche kann zwar auch vorzunehmen sein, wenn eine Klausel wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirksam ist (BGH, VersR 2005, 1565). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung und Bewertung des mutmaßlichen typisierten Parteiwillens und der Interessenlage ist aber der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, da die ergänzende Vertragsauslegung eine anfängliche Regelungslücke rückwirkend schließt (ebenda). Anfangs bestand vorliegend aber keine Lücke. Soweit sie später entstanden ist, enthält Art. 1 Abs. 3 EGVVG eine Regelung, die dem Versicherer die Möglichkeit gab, das Entstehen von Lücken zu vermeiden. Hat der Versicherer diese Möglichkeit nicht wahrgenommen, ist in Art. 1 Abs. 3 EGVVG auch eine Risikozuweisung zu sehen, die einen Ausgleich auf dem Weg der ergänzenden Vertragsauslegung verschließt (ähnlich LG Berlin, a. a. O.).

ee) Nicht ergiebig ist schließlich die Argumentation des Landgerichts, soweit dieses auf die Kraftfahrzeug-Pflichtversicherungsverordnung abgestellt hat. Dort gibt es zwar in § 5 eine gesetzliche Regelung. Verkannt hat das Landgericht möglicherweise aber, dass dort wie bei § 28 VVG eine Vereinbarung verlangt wird, wie sich sowohl aus § 5 Abs. 1 als auch aus § 5 Abs. 3 der Verordnung ergibt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Der Senat lässt die Revision zu, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorliegen; das Problem der - wenn auch wie hier nur mangels Zugangsnachweises - fehlenden Umstellung alter AVB auf das Versicherungsvertragsgesetz in seiner aktuellen Fassung bedarf der höchstrichterlichen Klärung.